WMDEDGT April 2016

Frau Brüllen fragt wieder, was wir den ganzen Tag gemacht haben.

Ich stand viertel nach 8 auf, kochte Hirsebrei und machte mir und dem Grafen Kaffee. Nebenher räumte ich allen noch herumliegenden Kram weg und die Geschirrspülmaschine aus, denn Dienstag ist alle zwei Wochen Putzfrauentag.
Ich aß die Hälfte der mit etwas Sahne und Zucker und Zimt aufgepimpten Hirse, vertupperte die andere Hälfte und packte sie mit einem Löffel in meinen Schwimmrucksack.
Halb 10 verließ ich das Haus und lief zum Schwimmbad in der Gartenstraße, nur mit Bluse und Strickjacke bekleidet war es warm genug. Die Sonne strahlte schon vom Himmel in jedes Eckchen, denn Blätter gibt es ja noch nicht an den Bäumen.
Der Berliner Frühling ist wie ein Typ, der plötzlich unangemeldet wieder vor der Tür steht. Grinst einen an und meint: „Da kiekste wa? Haste nich jedacht oder?“ Ein paar Tage macht er einen Riesenbohei und wenn man sich an ihn gewöhnt hat und er eingeplant ist, verpisst er sich wieder bis fast zum Sommerbeginn.
In der Umkleide vom Bad bekam ich erst einmal einen mittelprächtigen Anfall (also ich warf böse Blicke), latschten doch alle Leute um mich herum mit Schuhen bis zu ihren Spinden. In Anbetracht dessen, dass der Berliner Dreck zu einem guten Teil aus pulverisierter Hundescheiße besteht, ist der Gedanke, dass man so an den Badelatschen den Straßendreck bis zum Becken trägt, nicht grade angenehm.
Ich schwamm gemütlich meine 1.000 m, derzeit wieder auf der Spackenbahn, weil ich mich auf einer der Sportbahnen nur gehetzt fühlen würde. Es war mittelvoll und funktionierte noch unfallfrei, diverse schwatzende Freundinnenpärchen zu umkurven. Trotz längerer Pause – erst Grippe, dann Gründe (also Trägheit), lag ich mit 32 min ganz gut in der Zeit. Dann ging ich wieder Richtung Brunnenstraße zurück.

Gegen 11:30 Uhr traf ich in der Stadtbibliothek ein. Es war mittlerweile sehr warm. Ich aß den Rest von meinem Grießbrei und arbeitete anschließend. Irgendwann wurde ich sehr sehr müde, das ungewohnte Schwimmen hatte mich ziemlich angestrengt.
Ich ging zurück nach Hause und machte kurz bei Frau Tulpe Halt, weil bei denen vor der Tür Packpapier und eine weitere noch originalverpackte Rolle lagen. Siehe da, das hatte wohl ein Nachbar vor die Tür getan. Es gibt hier im Viertel eine ausgeprägte Kultur des vor-die-Tür-Stellens. Meist findet sich ein Interessent, wenn nicht, kommt das Teil halt in den Müll.
Ich nahm beides mit. Das Packpapier kam mir wie gerufen, es gibt derzeit in keinem Laden der Umgebung Packpapier zum Schnitte zeichnen. Nur so fipsiges dünnes Zeug.
In dem Päckchen war, wie ich oben angekommen mit dem Grafen feststellte, eine Rolle Vollgummi, vielleicht drei Meter, 70 cm breit, einen halben Millimeter dick. War bestimmt nicht billig. Was macht man damit? Ich kenne das nur für Fetischklamotten. Egal, es kommt erst mal zum Stoff- und Papierlager.

Dann musste ich mich erst einmal hinlegen und schlafen. Als ich wieder aufwachte, war es schon 17 Uhr. Wenn diese Erschöpfungseinbrüche kommen, kann ich nix machen. Im Gegenteil. Dagegen angehen hat üble Konsequenzen.
Danach hatte ich Bärenhunger (wie so ein Baby!). Der Graf hatte schon gegessen und so ging ich allein zu Nong Nia bei uns zwei Häuser weiter. Ich saß im Garten, um mich herum blühten die Sträucher und ich aß ein wunderbares Mahl, mariniertes gegrilltes Schweinefleisch mit Reisnudeln und Kräutern (Buntnessel!) und Passionfruchtsaft.
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(Bei Monsieur Vuong eine U-Bahnstation weiter stehen sie Schlange und es ist nicht nicht besser.) Ich würde mich freuen, wenn das Restaurant dauerhaft in der nicht sehr glückhaften, weil etwas versteckt gelegenen Location, bleibt.

Gegen 18 Uhr ging ich wieder nach oben und begann das Feintuning eines Nessels für ein Kleid in A-Linie, das bis zur höhergesetzten Taille körpernah sein soll. Die Entscheidung zwischen Sack und guten Kurven fällt ja nicht schwer und mit einer Konstruktion mit den eigenen Maßen ist man mit ein, zwei Absteckerlein auch fix bei partiell rasanten Formen. Den Rest der Arbeit ließ ich mir für den nächsten Tag und strickte erst mal eine Wintermütze fertig (wie es sein soll, pünktlich zum Frühlingsbeginn) und machte an einer Socke mit Lochmuster weiter, an der ich letztes Jahr im Frühjahr scheiterte. Dazu nieste ich vor mich hin. Irgendjemand müsste mal Frühling ohne Baumpollen erfinden.

Und nun ist es nach Mitternacht und höchste Zeit zum Schlafengehen und den Beitrag im Linkup einzustellen. Die anderen Beiträge stehen hier.

Vigil 37

Es gibt einen weiteren Drops-Händler in Berlin, gleich bei uns um die Ecke, in der Brunnenstraße. Manchmal geht man ewig an einer Ecke vorbei (mitunter zweimal am Tag) und schaut irgendwann, was es für neue Läden gibt. Handsache Berlin führt Drops-Garne und selbstgemachte Wolle, interessante Stricksachen, Künstler-Porzellan und manchmal gibt es auch Theater.

Ich war zwischen erstaunt und gerührt, in der Ansammlung von internationaler Hipsteria und westdeutschen Erben mit dem Betreiber ein echtes ostdeutsches Künstler-Urgestein zu finden.

Vigil 36

Der Lieblingseisdealer Süße Sünde hat optimiert. Vor 3 oder 4 Jahren kostete die Kugel Eis 90 Cent. Nach einem Winter dann 1 Euro. Nach dem Erfolg von Hokey Pokey, bei denen die Leute auch noch bei einem Preis von 1,60 € Schlange standen, folgte eine Erhöhung auf 1,20€ und dann auf 1,30 €.
Nach dieser Winterpause ist der Preis gleich geblieben, aber die Kugeln sichtlich kleiner geworden. Oder die neue Verkäuferin muss noch üben.

Vigil 35

Heute mit Kind und Männern ein Gespräch über Zufall und Vorherbestimmung, höhere Macht und Entscheidungsfreiheit geführt.
In meinem Leben gab es ein oder zwei Situationen, wo sich eine Weiche hätte stellen können, die mich auf einen anderen Weg geschickt hätte. Auch wenn sich Menschen im Kern nicht verändern, es hätte aus mir jemand anders gemacht, mich an andere Orte und zu andere Menschen gebracht. Genauso, wie ich mittlerweile der Meinung bin, irgendwann gegen 1999 auf einen Weg abgebogen zu sein, der mir nicht gut tat.
Aber wir sind, wie wir sind. Fraglich ist, ob wir uns wirklich anders entscheiden können.

Aber es gibt den Zufall. Wenn du eine Ampelphase später unterwegs gewesen wärest, würdest du nicht unterm LKW enden.

Ich sprach von einem Film, den ich in den späten 80ern gesehen hatte. (Das Montagskino des ZDF war für viele mental überlebensnotwendig.) Über einen polnischen Studenten, der den Zug nehmen will, ihn bekommt, verpasst etc. und jeweils danach ein anderes Leben führt, aber in jeder Episode bei einem Flugzeugabsturz stirbt.
Ich habe noch einmal nachgeschaut. Es war ein Film von Kieślowski, Der Zufall möglicherweise, der lange im Giftschrank gelegen hatte. Es war im Polen des Kriegsrechts nicht gut gelitten, demonstriert zu bekommen, dass jenseits von Bewusstsein und der Entscheidung für das moralisch Gute und Richtige* eine andere, nicht zu beeinflussende Instanz gibt.

*Aus der heutigen Sicht: Was war das moralisch Gute und Richtige? Die Kommunisten, den „bewußtesten Teil der Arbeiterklasse“ als Führung anzuerkennen? Streikende Werftarbeiter zu unterstützen? Sich rauszuhalten und gottesfürchtig und bescheiden zu leben?
Hinterher ist man immer schlauer.

Das Flugzeug wartet auf alle drei. Alle drei Leben gehen im Flugzeug zu Ende. Das Flugzeug wartet ständig auf ihn. Eigentlich wartet es auf uns alle.“