Sonntagsmäander mit Vorweihnachtsrant

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Sonntagsmäander mit Vorweihnachtsrant

Keine weihnachtliche Harmonie in Blogsdorf. Es ist 2016, ich hatte es fast vergessen.
Ein Tod, der mich still macht. Das, was ich zu diesem Menschen erzählen könnte, ist eine amüsant-groteske, zynische und scharfzüngige Geschichte, dafür ist es jetzt aber nicht an der Zeit.
Ich glaube, wir mochten uns nicht. Ich war nicht ansprechbar und verfügbar. Ich kannte die Tricks, solche Menschen hatte ich schon einmal zu oft getroffen.
Aber man muss nicht von allen gemocht werden und nicht alle mögen. Es reicht, sich sein zu lassen und sich zu respektieren, wenns heftig kommt, dann muss man sich halt aus dem Weg gehen.

Was mich zum nächsten Thema bringt. Was macht man mit Menschen, die man gern las, von denen man gern hörte, deren Meinung und Wissen man schätzte und die plötzlich anfangen, sich auf den sozialen Kanälen mit Gewichtsreduktion zu beschäftigen – inklusive Abnehmbuch-Fangirlhashtags, Kalorienzählen und Gewichtszielmarken nennen?
Drüber weglesen? Muten? Den Wegfall der anderen Themen bedauern? Was ich darüber denke, habe ich schon hier und hier aufgeschrieben.

Ich habe seit ich 19 war, in Branchen gearbeitet, wo es bei Frauen immer um das Aussehen ging und gutes Aussehen und Erfolg waren zu 90% konotiert mit einer schlanken Figur – die sich über die Jahre mit einem veränderten Schönheitsideal in Richtung hagere Leistungssportlerin bewegte.
Ich habe es hier nicht nur einmal geschrieben. Die Körper, die wir da sehen, sind Ergebnis eines Fulltimejobs (Kate Winslet ist ein gute Beispiel). Nur wenige haben die genetische Voraussetzung, daran nicht arbeiten zu müssen. Wenn Menschen, zu deren Jobanforderung „schlanker Körper“ gehört, nicht in einem Projekt sind, sehen sie aus wie wir, also leicht bis schwer angefettet. Sie geben nur diese Fotos nicht raus.
Die Promi-Abnehm-Erfolgsgeschichten, die ich aus der Nähe sehen durfte, obwohl sie auch in der Bl*d-Zeitung gehyptes Thema waren, waren im Hintergrund meist tragisch. Die junge zierliche Turnerin, die nie richtig essen durfte und mit 38 Kilo unter ärztlicher Beobachtung stand, aber soooo schön war, bis sie sich normal ernährte und hautzerfetzend „explodierte“. Drei Frauen, die sich aus dem Typ „lustige dralle Blonde“ rausgehungert hatten und nur noch bleich und angestrengt rumwankten und sich wunderten, dass sie nicht wesentlich mehr Jobs angeboten bekamen.
Die Moral von der Geschicht? Am Schluss waren sie entweder (wieder) dick oder todkrank. Keine ist auf der neuen Umlaufbahn geblieben.

Ich bin ja nicht vernagelt. Natürlich habe ich auch irgendwann das Buch gelesen, das die Geschichte einer erfolgreichen Gewichtsreduktion beschreibt und das in meiner Filterblase seit zwei Jahren herumgereicht wird. Meine Gedanken: Aha, klingt interessant, aber irgendwann am Ende nicht mehr gesund, sondern leicht manisch. Eine Sucht durch die andere ausgetauscht, das ist nicht meins.

Und wenn ich die Early Adopter höre, die beklagen, dass sie nicht immer die Motivation haben durchzuhalten und konsequent zu sein… Leute, führt ihr Krieg gegen euch selbst oder lebt ihr?
Die Freundin, die sich vor 12 Jahren das Versprechen gab, in Zukunft nie mehr als 60 Kilo zu wiegen und das in meinen Augen sehr entspannt und gut hinbekam (bis auf die Momente, wenn sie denn mal aß und in plakatives Genuß-Stöhnen ob des ersten Bissens ausbrach), steht trotzdem mit Mitte 50 kurz vorm Diabetes, hat seit Jahren schwere Bandscheibenprobleme und beziehungstechnisch ist es immer wieder kompliziert.
Aber sie hatte 12 Jahre die Überlegenheit, gesellschaftlich akzeptiert attraktiv zu sein, grenzte sich damit von ihrem Normalo-Umfeld ab und konnte problemlos billig Klamotten auf ebay kaufen, weil es ihre Größe massenhaft gab. Dafür ist Dünnsein durch reduzierte Nahrungsaufnahme scheinbar eine gute Lösung.

Ich denke immer noch darüber nach, was mich so stört am exhibitionistischen Abnehmen. Es ist kein Verrat an feministischen Idealen, wenn jemand sein Leben ändert. Handeln und Selbstermächtigung sind immer gut.
Aber: Das Prinzip Frau=öffentlicher Körper kommt plötzlich wieder hoch. Was ist der Unterschied zwischen den „das sind meine Beauty-Tipps und hier ist mein nächstes Selfie“-Hotbabes auf Instagram und ihren Herden von Groupies und der unter einem Hashtag versammelten Frauengruppe, die sich unter Aufdeckung intimer Daten gegenseitig anfeuert, einer gesellschaftlich akzeptierten Norm Ideal zu entsprechen?
Jetzt ernsthaft mal.

Sicher stört mich auch nicht der Fakt, dass jemand in eine andere Lebensphase kommt und was tun muss und will, um sich wohl zu fühlen und sich neu erfindet. Im Gegenteil. Ich finde es cool und habe einen Heidenrespekt, wenn jemand sich konsequent, vielleicht auch gegen Widerstand des Umfeldes, Gutes tut.
Ob das mit Abnehmen allein funktioniert, weiß ich nicht. Es ist oft die naheliegendste Lösung, „wenn ich erst mal dünn bin, dann…“. Dann sind Probleme noch lange nicht gelöst, auch wenn der Körper nicht mehr unter Überernährungs-Volllast läuft.
Oft ist der Panzer, den man sich anfrisst, auch Symptom einer Lebenssituation. Was heißt, ändert sich das Setting nicht, ist die Reduktion Ausnahmesituation und bald alles wieder beim Alten.
Es sei denn, das neue Setting ist Gewicht halten: 4-5 mal in der Woche Sport, immer reduziert essen, ständige Selbstkontrolle. Wers mag. Da habe ich lieber Sex.

Vielleicht nervt mich, dass es plötzlich in meiner Umgebung so laut ist. Instagram ist schnell, bunt und präsentabel, fix ein Foto rüberschieben, so wie es alle anderen machen, Herzchen abgreifen…
Es ist jetzt ja das Gute, das Erwünschte, das Verhalten mit dem man geliebt wird und dann auch noch Schwestern zu treffen… Fans eines Buches und einer Abnehm-Methode sind wie Benedict-Cumberbatch-Fans oder Katholikentagsteilnehmer. Ziemlich fokussiert und für die Außenwelt anstrengend.
Ich kann mich noch ganz gut daran erinnern, wie mich in Diäten der Hunger und der viele Sport geflasht haben. Alles hatte eine leichte Aura, ich war immer einen Tick zu laut, zwanghaft auf das Thema Gewicht und Ernährung fokussiert und dachte, ich habe nun endlich begriffen, wie es funktioniert. Bis ich mich wieder entspannte und zunahm.
4-5 Jojo-Effekte später mache ich so was lieber im stillen Kämmerlein mit mir selbst ab. Ich habe in den letzten 12 Monaten 7 Kilo abgenommen. Es wäre mir nicht großartig in den Sinn gekommen, den Weg dahin zu thematisieren. Es ist keine Leistung, wirklich nicht. Es ist Gleichgewicht und auf sich hören. Es ist für mich etwas Intimes.

Darüber hinaus: Als ich in die Nähnerd-Szene eintauchte, faszinierte mich die Mischung: Dass coole, kluge Frauen zum Thema Kleidung  über nachhaltige, technisch-ästhetische Dinge nachdachten, experimentierten und arbeiteten oder einfach nur Spaß mit buntem Stoff hatten. Es ging darum, den Körper gut zu kleiden, Stoffe und Schnitte so zu verändern, dass Kleidung stilistisch eigen, bequem und nicht mehr langweilig normiert war. Da hatte sich viel entwickelt an technischem Wissen und Gestaltungskraft, einer ganzen Untergrundbewegung von anwendbarer Gestaltung. Für jeden, nicht nur für einer Konfektions-Norm oder einem bestimmten Alter entsprechenden Frauen.
Einige Bücher sind erschienen, ein Schnittlabel war geboren, ein nächstes reift noch, wie ich hörte und ich bin sehr gespannt darauf.
Ich habe von all dem Wissen und Tun enorm profitiert und für mich ist das auch noch lange nicht durchgespielt, denn das Netzwerk von Frauen bietet mehr als Stricken und Nähen. Da ist viel Wissen, da sind Wohlwollen, Respekt und verschiedene Weltsichten. Dagegen ist ein Essensfoto mit den Abnehmkampagnenhashtags und der Info, dass das jetzt drölfzig Kalorien sind, ein stilistischer und inhaltlicher Rückfall in die Steinzeit bunter Frauenklatschpostillen.
Sorry, da hatte ich mehr erwartet. Können wir statt dessen mal wieder über was Interessantes und Fundiertes reden?

Auf dem Crosstrainer strickt es sich schlecht

Zum Verständnis dieses Artikels muß man zuvor Suschnas Post lesen, der eine wichtige Diskussion weiterführt. Warum haben Handarbeiten und die Frauen, die sie machen, in Deutschland so ein schlechtes Image?

Vielleicht ist es die Verstärkung dieses Idealbildes in der Nazizeit (wieder von der Realität kaum gedeckt), oder es ist der Rückfall in den 50er Jahren, gegen den sich dann die Jugend in den 60er Jahren auflehnte?  (Suschna)

Das war auch mein erster Gedanke.
Als ich mich vor ein paar Wochen mit traditionellen Strickmustern befasste, fielen mir mehrere Sachen auf:
1. Meine Kenntnisse im Strickvokabular sind fast nur englisch, weil die Tutorials im Netz auf die ich zurückgriff, alle englisch sind.
2. Ich beschäftigte mich fast nur mit Techniken, die nicht aus Deutschland kamen.
3. Als ich dann auf deutsche Quellen aus den 70ern und 80ern zurückging, merkte ich, dass es viele dieser Techniken – in regionalen Abwandlungen – auch in Deutschland gab. (Zum Beispiel hat die irische Cable-Technik der ein ebenbürtiges Pendant in der süddeutschen Modelstrickerei.)

Ich schreibe ungeordnet mal ein paar Vermutungen und Stichworte auf:

  • Moderne. Die weltweit prägende deutsche Moderne machte mit Ornamenten und Verzierungen radikal Schluss. Somit verzichtete sie auch auf die Technik, Textilien reich zu verzieren (Stickerei) oder kleinteilig strukturierte Textilien herzustellen (Stricken, Häkeln, Weben).
    Gleichzeitig dekonstruierte die Moderne gern den vorindustriellen Formenkanon
    (Hedwig Bollhagen zum Beispiel adaptierte die Karo-Muster der leinenen Küchentücher) oder orientierte sich gleich an den radikal reduzierten asiatischen Formen.
    Wenn ein Designer häusliches Klein-Klein adelt, wird es plötzlich groß. – Oder andersherum gesprochen: Das erwählt schön Gestaltete kann sich nun jeder leisten. Damit kommen wir zum nächsten Punkt.
  • Geniekult.* In der Kommunikation industrieller Produkte überleben das gesichtslose Massenprodukt und die Marke. Egal was es ist, macht es ein Designer oder eine Designerin, wird es wahrnehmbar, auch wenn es von deren Oma auf dem Dachboden stammt.
    Deutsche sind sehr anfällig für Genialität und Virtuosität und groß im Zweifeln an ihrem eigenen Können. (Grassroot-Bewegungen hatten es in Deutschland immer schwer, schon weil sie ganz fix zur Orientierung an Führern streben und das Ergebnis kennen wir alle.)
  • Industrialisierung. Wenn wir genau hinschauen, überleben alte Handarbeitstechniken vor allem in Regionen, die abgelegen, archaisch und für die Industrie nicht interessant sind. Windgebeutelte Inseln, Bergtäler, Bauerngegenden mit Familienclans.
    Aber gerade diese ländlichen Gegenden (Bayern, Baden-Württemberg) wurden nach der deutschen Teilung industrialisiert und wohlhabend, weil ihr die aus die Ostzone flüchtenden Unternehmen Arbeitskräfte und Platz fanden.
    Außerdem sind Bewegungen, die sich für vorindustrielles Leben und Schaffen interessierten, in Deutschland stark diskreditiert. Die Reformbewegung**, der Wandervogel, die Suche nach authentisch deutschen Wurzeln der Kultur Ende des 19. Jahrhunderts ging nach wenigen Jahrzehnten in die nationalsozialistische Bewegung ein.
    Dass unser gesamter deutsch-regionaler Formenkanon, bis hin zu archaisch religiösen Wurzeln und Brauchtum als kulturelle Grundlage des Nationalsozialismus diente, hat viele Adaptionsmöglichkeiten extrem schwierig gemacht.***
    Nicht umsonst ist die Orientierung an anderen Kulturen, vor allem der amerikanischen, die ihre Traditions-Impulse immer wieder aus den Einwandererkulturen erhält, so stark. Das bringt mich zum nächsten Punkt:
  • Globalisierung. Deutschland hat keine produzierende Textil- und Porzellanindustrie mehr und auch kaum Luxusmanufakturen für Gebrauchsgegenstände. (Dafür werden in Deutschland die besten Autos der Welt gebaut, man kann halt nicht alles haben.) Das kann man erst mal mit Schulterzucken abtun. Es schneidet uns aber vollkommen von Gestaltungswissen und -fertigkeiten ab. Was wir als Textiltechniken wahrnehmen, ist irgendwo auf der Welt gestaltet und in Fabriken in Asien produziert. Wir haben das Gefühl für den Wert der Arbeit und das Können für die Fertigkeiten, der in einem Alltagsgegenstand steckt, weitgehend verloren. Nicht umsonst können viele der jungen DIY-Frauen, die sehr gut mit der Nähmaschine umgehen können, nicht mal eine ordentliche Handnaht.
    Das bringt mich thematisch weiter, auf den deutschen Weg der
  • Emanzipation. Textile Handarbeiten wurden früher von Frauen und Männern gemacht, genauso wie Landarbeit. Die Männer gingen früh zur körperlich sehr anstrengenden Erwerbsarbeit über. Die Frauen taten es ihnen oft in der Textil- und Porzellanindustrie nach, weil hier ihre Feinmotorik gefragt war. Wer zu Hause blieb, war die halb blinde, Socken und Topflappen strickende Oma. – Ganz verkürzt dargestellt.
    Junge Frauen wollten Geld verdienen und sich die Dinge leisten, auf die sie Lust hatten. Waschkleider, Seidenstrümpfe, leichte Schuhe, jede Saison neue und nichts, was fürs Leben gemacht, grob, schwer, mit beschränkten Ressourcen gefertigt, dreimal aufgeräufelt, geflickt oder umgearbeitet war. Sie wollten unkomplizierte Einrichtungsgegenstände, die nicht schon drei Generationen als Staubfänger dienten oder ein von der Arbeit freigestelltes Familienmitglied zur Pflege brauchten.
    Machen wir uns nichts vor. Das, was wir als handgefertigt verehren, weil es uns überliefert wurde, sind die ausnehmend schönen Dinge, die meist „für gut“ aufgehoben und nicht benutzt wurden. Die Mehrzahl der anderen Alltagsgegenstände war schäbig, ärmlich, grob und weit weg von bewusster gestalterischer Schönheit.
    Der Aufbruch der Frauen in eine anderes, selbstbestimmtes Leben, weg von traditionellen Familienstrukturen und -aufgaben: Aussteuer sticken, Handarbeiten machen, um Fertigkeit und Fleiß zu demonstrieren und sich züchtig als Heiratskandidatin zu profilieren, wurde zweimal unterbrochen. Einmal durch das Dritte Reich, das die Frau als gut sorgende Mutter vieler Kinder aufwertete, später durch die Zeit des Wirtschaftswunders, wo auf ähnliche Muster zurückgegriffen wurde und die Frau in die Rolle Mutter, Hausarbeiterin und attraktives Statusobjekt des hart arbeitenden Mannes drängte. Da die Idee des Wirtschaftswunders verbunden war mit dem Stolz auf Industrialisierung, Ingenieurkunst und Traditionsbrüche (man ging idealerweise mit weißem Kragen zur Arbeit, nicht im Blaumann, machte sich nicht mehr die Hände schmutzig oder arbeitete sich blind und krumm), passten mit unterschiedlicher Kunstfertigkeit selbst handgefertigte Dinge einfach nicht mehr in die Welt. Außerdem kümmert sich eine Frau, die Handarbeiten macht, in dieser Zeit weder um die Kinder oder den Mann, noch um die mit Haushaltsgeräten ausgestattete blitzblanke Wohnung oder um ihre Attraktivität. War früher eine Frau das Ideal, die in jeder freien Minute Handarbeiten macht, ist jetzt das Ideal, eine Frau zu haben, die immer für einen da oder bereit ist und – aus Sicht der Frau – die nicht ständig arbeiten und schaffen muss, sondern Erholung hat wie früher eine reiche Dame.
    Außerdem verlagerten sich die Zeitpensen. Vor dem Fernseher kann man nicht Sticken und Spitzen häkeln/stricken, sondern nur noch mittlere bis grobe Maschen machen. Auch die Zeit, in der in der bäuerlichen Gesellschaft bei längeren Fußmärschen gestrickt wurde (vor allem Strümpfe), gibt es nicht mehr, denn man fährt Auto. (mal abgesehen davon, dass die ganz feinen Maschen von Maschinen schneller und präziser gemacht werden können)
    In Ostdeutschland sah das anders aus. Es wurde jede Arbeitskraft gebraucht, die Arbeitsdichte war vielerorts nicht hoch, es herrschte Mangel und die Produkte wurden immer primitiver. Deshalb hatten die Frauen (und Männer) einerseits die Energie für Handarbeiten, andererseits mussten sie die Techniken beherrschen um fehlende oder individuelle (oder westliche Industrieprodukte nachahmende) Dinge herstellen zu können, damit ihre Welt nicht im Viskose- und Synthetik-Einheitslook bestand.
    Da die industrielle Arbeitsproduktivität stagnierte und sank und Geld nichts mehr wert war, weil man davon immer weniger kaufen konnte, entwickelte sich eine Zweitwirtschaft die auf DIY und nicht kontrollierten Preisen oder Tauschhandel basierte. Außerdem waren alte Berufe eine Nische, in der der staatliche und ideologische Einmischung nicht so stark war, alte Handwerksberufe, die regionale Ressourcen verarbeiteten, hatten daher Zulauf. – Also auch hier, vorindustrielle Techniken erhalten sich in deindustrialisierten, abgeschotteten Zonen. Mit dem Fall der Mauer verabschiedeten sich die meisten Ostdeutschen von ihren Fertigkeiten, denn nun konnten sie die ersehnten Produkte kaufen.
  • Entwicklung pulsiert.****
    Wir bekommen meist nur eine, vielleicht die aktuelle Richtung und das „Früher“ mit. Die Impulse gehen zwischen Handarbeit und Industrieprodukten hin und her.
    Design und Herstellung von Alltagsgegenständen ist zur Zeit so beliebig und anonym, dass jede sichtbare Verbindung mit Menschenwerk einen Gegenstand adelt. Wenn wir in ein paar Jahren wieder die Schränke voller Granny Squares in fürchterlichen Farben haben, reicht das dann auch.
  • Bescheidenheit, eine protestantische Tugend und Angst vor dem Internet.
    Die typische deutsche Häkeloma macht nicht viel Aufsehens um sich und bleibt in ihren Damenkränzchen. Sie hält sich und ihr Tun nur für sich und einige wenige wichtig und wertvoll, wenn überhaupt. Alles andere wäre ihr peinlich. Die aktuelle DYI-Bewegung ist vor allem eine Internet-Bewegung. Ältere deutsche Frauen, die die traditionellen Techniken noch beherrschen, sind aber gerade die Bevölkerungsschicht, die sich dem Internet verweigert. Daher fehlen im kollektiven Wissen über Handarbeiten die deutschen Wurzeln und Traditionen.
    (Notiz: Sabine Barber. Sie hat sich Jahrelang von alten Frauen Sticktechniken beibringen lassen. Kriegt man das irgendwie außerhalb der „das ist Kunst!“-Konotation ins Netz?)

Das sind meine Gedanken dazu. Mit DIY ist es wie mit amerikanischen Fernsehserien. Wir nehmen aus der Entfernung nur das Erwählte und Schöne wahr. Das aber kommt aus einem nicht immer schönen Wildwuchs von Tun und Schaffen.
Außerdem: Frauen, die in Deutschland Zeit für Handarbeiten haben, sind nicht gerade die mit dem größten Selbstbewußtsein und Standing. Sie definieren sich oft über konservative Lebensweise und über ihre Männer, die die (finanziell) wertvolle Arbeit tun, weniger über ein selbstbewusstes Verhältnis zum eigenen Tun. Die sich für modern haltende Frau verbringt die Zeit, die sie zum Stricken und Häkeln haben würde, bei der Arbeit und im Fitnessstudio. Da ist im Diskurs sicher zwischen den Polen auch einiges an Neid dabei.
Außerdem: Vielleicht hören wir die Häkeltrutschenbeschimpfungen aus England und Amerika nur nicht. Könnte das sein?

 

*Gegen den sich Bollhagen wehrte. Sie mache nur Töpfe. Sie ist aber als Designerin ein Begriff.
**der wir immer noch das Wort Reformhaus verdanken
***kleines Detail am Rande: in der DDR waren Sonnenwendfeiern offiziell nicht erlaubt, weil Nazitradition, Sport- und Kleingartenvereine machte sie trotzdem
****Siehe Norbert Elias „Über den Prozeß der Zivilisation“ Er schreibt, es gäbe immer wieder Peripetal- und Zentrifugalkräfte in der gesellschaftlichen Entwicklung. Entgrenzung bedingt Ausgrenzung, Ausweitung bedingt Fokussierung. Eine Gesellschaft atmet – weiten um Luft einströmen zu lassen, pressen, um die Luft auszustoßen. Der isoliert betrachtete Vorgang ist zu klein, um den gesamten Prozess zu begreifen.

Schneewittchen oder Schöner Sterben für den Prinzen

Journelle hatte vor ein paar Tagen etwas zum Thema Süße und Bitterkeit des Hausfrauendaseins formuliert, das mir sehr aus dem Herzen sprach. Sie reagierte auf diesen Zeit-Artikel, der gut ausgebildete Frauen, die zu Hause bleiben und in ihrer kleinen Welt leben, als Schneewittchen bezeichnete, die Königstochter, die die Zwerge versorgt.
Ich suchte seit zwei Jahren einen Zugang zu dem Thema und fand ihn nicht. Weil ich ihm nämlich vollkommen zwiespältig gegenüberstehe.

Gleich vorab: Natürlich wird es nur wieder Anekdoten geben. Ich bin Geschichtenerzählerin und während des Studiums hat mich der „Grabe wo du stehst“ -Ansatz den unser Kulturwissenschaftsprofessor so ganz unmarxistisch vermittelte, am meisten interessiert. Die Arbeit mit den Statistiken überlasse ich den Soziologen, die können das.

Meine Großmutter war eine durchsetzungsstarke Frau, die in jeder Lebenssituation Haltung bewahrte, sie war nicht niedlich-schön, aber strahlte charismatisch, mit einer guten Mischung aus Eleganz und Pragmatismus, erotischer Energie und Fürsorglichkeit. Sie hat mich tief geprägt und ich habe mich in vielen Lebensdetails an ihr orientiert.
Bis auf ein wichtiges Detail. Sie ging – bis auf ein paar Monate im elterlichen Laden während des Krieges – nie einer Erwerbsarbeit nach. Es waren andere Zeiten, an ein Studium war Ende der 30er für eine Ladenbesitzerstochter aus der sächsischen Provinz nicht zu denken. Junge Frauen besuchten die Hauswirtschaftsschule oder, wenn sie Ambitionen und Schulgeld hatten, die Handelsschule. Sie hätte den elterlichen Laden weiterführen oder nach oben heiraten können. Doch Oma wollte etwas Besonderes und ihre Eltern schlugen es dem einzigen Kind nicht ab. Sie ging ins Pensionat für höhere Töchter und lernte Nähen und Kochen auf der nächsthöheren Stufe, dazu Benimm, Gesellschaften und große Haushalte organisieren. Sie wollte Gesellschafterin einer reichen Person werden, sagte sie mir, als ich sie fragte, was man damit hätte tun können. Es war sicher nicht vorgesehen, dass sie im Krieg einen politisch extremistischen und sehr ehrgeizigen Arbeiter heiratete, aber nach dem Krieg war das in der Sowjetzone plötzlich von Vorteil. So waren die beiden ein Dream Team, repräsentativ, parkettsicher, aber geerdet und mit den richtigen politischen Ansichten.
Für meine Großeltern war es selbstverständlich, dass meine Oma zu Hause blieb, obwohl sie Kommunisten waren. Es war genug zu tun, sie zogen alle zwei bis drei Jahre mit einem ganzen Haus um, ein Kind hatte eine schwache Gesundheit und mein Großvater war ständig unterwegs. Gelangweilt hat sie sich sicher nicht, sondern war in vielen Herausforderungen, vor denen mein Großvater stand, Basis und Stütze.
Der große Haushalt meiner Großeltern war gut organisiert, meine Großmutter war ausgeruht, hatte die Dinge im Griff und bestimmte über den größten Teil des Tages selbst, der Ton im Haus war klar und respektvoll. Für meinen hart arbeitenden Großvater war gut gesorgt und dass meine jungen Eltern entlastet wurden, indem sie mich, das erste Enkelkind, großzog, bis die beiden das Studium beendet hatten, war selbstverständlich.

So zu leben war in der DDR nicht unbedingt normal und funktionierte auch nur mit sehr gutem Verdienst. Die nachfolgende Generation Funktionärsgattinnen waren in den meisten Fällen berufstätig, denn zu Hause zu bleiben war mit dem Risiko verbunden, irgendwann gegen die Sekretärin ausgetauscht zu werden (offiziell bis in die 70er streng sanktioniert und trotzdem passierte es) und ohne Unterhalt und der Verpflichtung zu irgendeiner Arbeit, von der es ja genug gab, dazustehen. Außerdem legte den Frauen niemand Steine in den Weg, im Gegenteil, arbeitende Frauen genossen hohes gesellschaftliches Ansehen.

In den bürgerlichen Familien der Nachkriegszeit, die ich in Erzählungen meiner Umgebung erlebte, war zumindest eine Berufsausbildung für die Frauen normal und Berufsausübung nichts Exotisches – schließlich sollte die elterliche Firma übernommen werden oder man nutzte der Kultur und Kunst und ging als Sekretärin ins Museum etc. Für Küche und Kinder hatte man in der Regel Personal oder mit einwohnende Verwandte, die sich kümmerten.
Der Schatten des biedermeierlichen Ideals von der schützenswerten, schmuckstückhaften Frau, die sich nur im eigenen Haus und der kleinen Kernfamilie verwirklicht und sich um Kinder, Haushalt und Gefühle kümmert, begegnete mir im Osten nur noch in kleinbürgerlichen Kreisen. Die Realität sah meist so aus, dass die Frau im Haus blieb, weil sie ohne Personal sehr sparsam wirtschaftete und auch selbst weniger an Kleidung und Konsum kostete, oft noch Heim-und Aushilfsarbeit machte, sich um die Alten und Kinder kümmerte und vor den Verlockungen der großen Welt geschützt werden sollte. Meine Großtante gab ihren Beruf als Chefverkäuferin auf, damit mein Großonkel als Schlosser der Hauptverdiener war und beschäftigte sich damit, aus wenig Geld und Ressourcen etwas zu machen. Es ging ihr um das „Gleichgewicht“ in ihrer Ehe, wie sie mir sagte.
Es gab in den 80ern in der DDR noch einen Ansatz, einen alternativen Lebensentwurf jenseits der Vereinnahmung durch den Staat zu leben, bei dem die Frauen zu Hause blieben. Ich kannte Selbstversorgerfamilien, die so ihre Kinder dem Kindergarten verweigerten. In der Abiturzeit träumte ich selbst von so einem Leben, deshalb wollte ich Gartenbauingenieurin werden. Ich wollte mit meiner Jugendliebe einen alten Bauernhof kaufen und selbst wirtschaften, während er als Lehrer arbeitete.

Als ich zu meinen Eltern kam, erlebte ich das andere Rollenmodell. Meine Mutter wurde nach Abschluß des Studiums mit Mitte Zwanzig Pressereferentin eines Großbetriebs. Sie nahm oft Arbeit mit nach Hause oder war abends unterwegs und den Haushaltstag konnte sie nur sporadisch nehmen. Ich erlebte meine Mutter als überfordert, erschöpft, hoch belastet und mit dünnem Nervenkostüm. Sie hatte wenig Zeit für Pflege, Sport und Schönheit und noch weniger für ihre Ehe oder ganz eigene Bedürfnisse und Freuden. Wer so zerrissen ist, ist in der Regel ruppig, ungeduldig und laut und der Haushalt ist eine Kette von Improvisationen mit Bergen von Bügelwäsche, saurer Milch, verschimmeltem Brot und verschwendetem Geld. Daran änderte weder die Waschmaschine noch die Neubauwohnung, die Kohlen schleppen und Heizen ersparte, etwas.
Meine Mutter erlebte die klassische Doppelbelastung von Familie und Arbeit, denn Teilung der Haus- und Fürsorgearbeit zwischen Männern und Frauen war unüblich.
Das hatte auch handfeste Gründe, denn die Männer hatten neben der Arbeit viel mit Handwerken, Aufarbeiten und Reparieren zu tun. Nur war das kein Muss. Wer es nicht konnte oder wollte, ließ es und kam und ging, und ließ und tat zu Hause, was und wann er wollte. Von einer Frau dagegen wurde erwartet, dass sie die Kinder pünktlich vom Kindergarten abholte, die Wäsche gewaschen und genug zu Essen im Haus war und dass sie trotzdem wie der Mann mehr als 48 Wochenstunden arbeitete. (Mal ganz abgesehen davon, dass sich ein Mann nach der Scheidung in der Regel gar nicht mehr um seine Kinder kümmerte.)

Das hielt nicht jede Frau durch. So rosig, wie auch ich es mir oft verkläre, war das Berufstätigenleben von Frauen in der DDR nicht.
Wir hatten keine Bildzeitung, wir hatten nur Gerüchte. In meiner Kindheit wurde von mehreren erweiterten Selbstmorden in der Stadt erzählt. Alleinerziehende Mütter, Schichtarbeiterinnen mit mehreren Kindern, die nicht mehr weiterwussten und sich und ihre Kinder umbrachten. Das Leben als Alleinerziehende war hart und an der Armutsgrenze, auch wenn die Lebenshaltungskosten niedrig waren, denn der Kindesunterhalt war so gering wie die Einkommen. Kleider für Heranwachsende, Reisen und Möbel waren schwer zu finanzieren. Ganz abgesehen von der wertvollsten Ressource – Zeit für die Kinder und ihre Entwicklung, für das Besorgen von Mangelware und für sich selbst.

Ich wollte nie eine von den müden, grauen, abgearbeiteten, praktisch gekleideten Gestalten mit der herausgewaschenen Dauerwelle werden. Aber ein Leben wie das meiner Großmutter war nicht mehr möglich, obwohl ich es toll gefunden hätte. Die Familie, die Gesellschaft und nicht zuletzt ich selbst erwarteten von mir einen meiner Begabung angemessenen Studienabschluss und Erfolg im Beruf.
Alle Frauen arbeiteten um mich herum, bis auf wenige Ausnahmen. Die Mutter meiner Jugendliebe zum Beispiel, die sich ihr bürgerliches Hausfrauendasein mit viel Psychosomatik ertrotzt hatte und nun ihre Zeit mit kleinen Herzattacken, schlank machendem Reizdarm, Innendekoration, Malerei und der Pflege ihrer Schönheit verbrachte. (Sie sah wirklich aus wie Schneewittchen, hatte langes schwarzes Haar und nähte sich wunderschöne Kleider.)
Deshalb verfolgte ich den Plan, aufs Land zu gehen und dort mit eigener Wirtschaft unabhängig zu sein, bis ich in einem Jahr als Landarbeiterin verstand, dass ich dann eben eine Frau mit praktischem Landfriseurpottschnitt, Blaumann und Gummistiefeln geworden wäre. Meine Bildung über das Landleben hatte ich vorwiegend aus Heimatfilmen bezogen.

Das Theater half mir weiter. Diese kleine Welt der Grandes Dames und Helden aus der Westentasche. Dort arbeitete ich zu den Zeiten, an denen andere Freizeit hatten, manchmal konnte ich mir eine Matratze neben die Bühne legen, so viele Dienste schob ich, aber manchmal hatte ich auch Wochen frei, bis auf ein paar abendliche Vorstellungen.
Ich konnte, nachdem ich ein Jahr mit dem Kind pausiert hatte, auch von zu Hause arbeiten, Lektorate schreiben zum Beispiel. Wenn ich in einer Inszenierung steckte, schlief das Kind nachts im Schichtarbeiterkindergarten und wir verbrachten den größten Teil des Tages zusammen.
Das erste Jahr mit dem Baby zu Hause war für mich sehr wichtig. Das war in der DDR erst seit Mitte der 80er möglich, vorher betrug die Auszeit nur den Mutterschutz, später ein paar Monate. Eine menschenunwürdige Viecherei, wie ich fand, wenn Frauen, die gerade eine Schwangerschaft hinter sich hatten, am frühen Morgen ihre Babies in Kinderkrippen ablieferten. Winzige, hilflose Kinder, die ständig krank waren, weshalb die Arbeit für diese Frauen ohnehin nur ein Placebo war. Erst das Babyjahr bei vollem Lohnausgleich hat mich motiviert, ein Kind zu bekommen, viele meiner Mitschüler hatten schon gleich nach dem Abitur losgelegt, ich wollte eigentlich kinderlos bleiben. (Übrigens konnten das auch Männer nehmen, ich kannte aber nur ein Paar, das sich die Zeit geteilt hatte, er war Tischler, sie Ärztin.)
Dieses Jahr war eine gute Zeit, auch wenn ich über Wochen allein war, weil der Vater noch in Leipzig studierte. Das Kind und ich schwangen sich aufeinander ein, es ging uns gut, ich kam nach einer komischen Krankheit (wahrscheinlich eine Schwangerschaftsdepression) langsam wieder zu Kräften, aber am Ende des Jahres langweilte ich mich auch rechtschaffen und freute mich auf meine Arbeit.

Nach dem Mauerfall traf ich in meiner Generation auf einen Typ Mann, den ich so nicht kannte. Ohne Bock auf Karriere und Familie um jeden Preis. Existenziell entspannt weil Großeltern und Eltern einiges erarbeitet hatten und ziemlich desinteressiert an Frauen, die nach der Heirat fix den Beruf aufgaben und über den Jägerzaun des Fertigteil-Eigenheimes nicht mehr hinaussahen. Das kannten sie schließlich von ihren Eltern, das wollten sie nicht.
Sie wollten eine Frau, die ihr eigenes Geld verdient und was im Kopf hat und sie wollten in einem romantischen Liebesverhältnis der Typ sein, zu dem aufgeschaut wird. Sie wollten schön wohnen, toll reisen, surfen, skifahren, was erleben und, ja, Kinder natürlich irgendwie auch. Auf Hausarbeit, dreckige Windeln und durchwachte Nächte oder eine Haushaltshilfe zu bezahlen (sehr liquide waren sie in der Regel nicht), hatten sie weniger Lust, auch nicht darauf, plötzlich bei ihrer Frau nicht mehr im Mittelpunkt zu stehen. Das funktionierte bei ihren Eltern doch auch irgendwie, ohne dass der Mann sich damit beschäftigen musste. So ein familienmäßig aufgebohrtes Junggesellenleben, das von allem nur die Nutellaseite mitnahm, endete meist in Dreck und Chaos oder zähneknirschenden Zugeständnissen an spießige Lebensverhältnisse.

Wir haben alle Muster im Kopf, wie Glück und Erfüllung aussehen sollen, die in Jahrzehnten und Jahrhunderten von den Generationen vor uns geprägt wurde. Frauen sollen hübsch und anschmiegsam sein, Männer groß und erfolgreich, Haus, Garten, Apfelbaum, Kinderschar, Frau kocht, der Mann werkelt, das Kind spielt…
Wir können uns fast blind in diesen uralten Mustern zurechtfinden und die richtige Position einnehmen. Problematisch wird es, wenn die Muster nicht mehr in die Realität unseres Lebens passen.

Wenn ich diesen langen Text ansehe, dann geht es nicht nur um Frauen (es ist ohnehin schwachsinnig, die Rolle von Frauen in der gesellschaftlichen Entwicklung isoliert zu betrachten), es geht um die Neudefinition von Familie und den Stellenwert von Arbeit in der Gesellschaft. Kein Mann will sich krank oder tot arbeiten, keine Frau möchte das von der Welt abgeschnittene Huschel in der Kittelschürze sein.
Das Modell, als Mensch egal welchen Geschlechts für gut zehn Stunden an fünf Wochentagen im Paralleluniversum der Erwerbstätigkeit zu verschwinden und zu funktionieren ohne dass der private Teil der Existenz irgendeinen Einfluss haben darf, immer flexibel, an jedem Ort abwerfbar, frisst die familiäre Sphäre.
Eine Arbeitsteilung nach Geschlechtern in Familien- und Erwerbsarbeit vorzunehmen, ist ein Versuch, dem zu begegnen. Aber der läßt das Potential von Frauen in weiten Teilen brach liegen und das von Männern wird oft drastisch überbewertet. So etwas ist kein auf Dauer funktionierendes Modell und die, die sich hinstellen und sagen, das sei schon immer so gewesen, sollten sich mit Kulturgeschichte befassen. Weder in der bäuerlichen noch in der Handwerkerfamilie war die Erwerbsarbeit aus dem Lebensbereich ausgelagert. Es gab zwar Arbeitsteilung, aber Frauen arbeiteten immer an der Familie und am Erwerb, im Stall, in der Vorratshaltung, an der Veredelung und Verkauf von Produkten, an Kleidung und Wohnung und in der Organisation und Versorgung der Hilfskräfte.

Ich halte unsere Arbeit, die uns in so andere Rollen und/oder an andere Orte zwingt, für das viel größere Problem. Wer eine Familie gründet und Vollzeit arbeitet, kann viel Support bezahlen, aber eine haarscharfe Kalkulation, ob und wann sich das lohnt, ist wichtig.
Oft ist es besser, wenn Mann und Frau sich Haus- und Fürsorgearbeit gut und verlässlich aufteilen, auch wenn das für beide Seiten ungewöhnlich, weil nicht erlernt erscheint. Wenn das nicht ausreicht, können Leistungen zugekauft werden – eine Haushalts- oder Putzhilfe kann schon eine Menge Entspannung bringen.

Aber es wird nicht leicht. Keiner gibt Privilegien ohne weiteres ab und begibt sich in Situationen, die wenig traditionell geschlechtsspezifische Anerkennung und Status bringen. Die meisten Männer sind gewöhnt, sich zumindest nach der Verbindlichkeit der Arbeit im häuslichen Bereich immer mal abseilen zu können und der Status der Berufs ist für sie ein wichtiges Persönlichkeitskriterium. Frauen wiederum triggert beruflicher Erfolg oft weniger als dass zu Hause in Familie und Haushalt alles gut läuft – spätestens wenn Kinder da sind und das gesellschaftliche Urteil an jeder Ecke lauert.
Ja, tief sitzende Muster prägen unser instinktives, unreflektiertes Handeln, das hat seinen Sinn, denn das ist die Form von Handeln, die die wenigste Energie erfordert. Das emotionale Hinterland und das klassische Umfeld werden mit Sicherheit signalisieren, dass irgendwas nicht stimmt. Frau verdient mehr als Mann, Mann sitzt auf dem Spielplatz statt im Büro, Frau verliebt sich in statusniedrigeren Mann mit großem Reichtum an Zeit… Das sind alles Muster, die uns das Nackenfell sträuben, selbst wenn wir rational zustimmen. Aber das selbe Gefühl haben einst Frauen hervorgerufen, die sich unbegleitet in Hosen auf der Straße bewegt haben oder Männer, die einen Kinderwagen schoben oder Elternschaft ohne Trauschein.

Schneewittchen kann für uns das bewundernswürdige Wesen sein, das der Eitelkeit der Welt entsagt, sich selbst zurückstellt und den Zwergen dient und der Prinz der Kenner und Retter der wahren Schönheit. Der Prinz kann aber auch nix weiter als ein reitender Schnösel sein und Schneewittchens Versteckspiel im dienenden Leben ziemlich feige. Es ist alles eine Frage der Perspektive und wie empfänglich wir für Märchen aus uralten Zeiten sind.

Aber natürlich mit Häkeldiplom!

Die Vergangenheit hat es uns Frauen ermöglicht, tun zu dürfen was wir wollen.Sie hat Ihnen das Schreiben ermöglicht und anderen das Stricken, oder was auch immer jeden von uns glücklich macht!

Das ist ein Zitat aus einem Kommentar unter dem Brigitte-Artikel „Hilfe, ein Häkeldiplom!“ Oder warum der DIY-Trend ein Ende haben muss. Eine Journalistin hatte über ästhetisch fragwürdige und in ihren Augen rückständige Praktiken von Frauen – die Handarbeiten machen und darüber bloggen – geschrieben und gefragt, ob das denn nicht Abgesang auf den Feminismus und narzisstische Dauerbelästigung sei und Frauen an der Selbstverwirklichung im Beruf hindere. Sie selbst sei, statt Handarbeitsunterricht zu nehmen, zu den Jungen in den Werkunterrricht gegangen. Ihr Role Model ist eine Psychologin, die Kampfsport betreibt und öffentlich im Käfig kämpft. Derzeit ist ihr beruflicher Status, mit einem autobiografischen Buch über Depressionen auf Lesetour zu gehen.
Dazu muss man nicht viel sagen. Erstens ist der Text ist eine einzige, polemisch-unglückliche Steilvorlage, zweitens übernehmen das schon die anderen Frauen und das so gründlich, dass die Redaktion die Kommentatorinnen bereits mehrmals zur Sachlichkeit gemahnt hat. Frauen beschäftigen sich also mal wieder miteinander. Mit Kratzen, Beißen, Spucken. Super, Mädels!

Pastellfarbenes Blümchen- und Karoidyll

Dabei spricht Heide Fuhljahn Dinge aus, die ich in meinem stillen Kämmerlein ebenfalls denke. Warum diese ästhetische Zurückwendung an die 50er Jahre? (Aber nicht in die großbürgerliche Eleganz von Dior oder Givency sondern in kleinbürgerlichen Kitsch und Plunder, dazu schrieb ich vor einem Jahr schon mal was) Eine Zeit, in der Frauen ohne Erlaubnis des Mannes nicht arbeiten gehen durften und ihn abends adrett gekleidet in der blitzsauberen Wohnung empfingen und seinen Worten über den harten Arbeitstag lauschten. Warum geben sich Frauen im Netz infantile Namen, die alle irgendwas mit -elfchen, -zauberin und -seele (aber auf jeden Fall -chen!)zu tun haben oder firmieren nicht als eigenständige Person, sondern als „Thorbens-Ludwigs Mama“?
Warum geht es plötzlich darum, Dinge selbst perfekt zu können, die Frauen in den 50ern und 60ern am liebsten dem Personal, aber dann mangels Personal der Industrie oder Dienstleistern überlassen haben? Die Mütter der Babyboomer waren stolz darauf, das Kochen, Putzen und Flicken lernen verweigert zu haben.

Das interessiert mich viel mehr, als so eine Frauenkeilerei. Oder langatmige Pamphlete, wer wie zu denken und zu reden hätte.

Da war die Welt noch in Ordnung

Eine ästhetische Zuwendung zu vergangenen Zeiten ist ja nun nicht neu. Es wird ja alle paar Jahre ein Revival eines Stils ausgerufen. Es gab ja auch vor nicht allzu langer Zeit Jungs, von denen jeder Revolte und abgeranzte Lederjacken erwartete, die aber plötzlich missfarbene Pullunder und Trainingsjacken trugen und statt Gebrüll und drei Gitarrengriffen langzeilige Texte zur Kompliziertheit von Liebe und Gesellschaft sangen.

Das allumfassende Fifties-Revival ist sehr eng mit unseren Zeittendenzen verknüpft. Schauen wir doch mal wie das anfing. Denn zuerst wurden diese Elemente von Frauen adaptiert, die alles andere als Heimchen am Herd waren. Eine  tätowierte Frau wie Gretchen Hirsch in einem Fifties-Kleid ist vor allem eine Provokation und ein ironisches Statement. Aber auch Symbol einer Suche – nach dem weiblichen, nicht sportlich durchoptimierten Körper, nach Kleidung und Material jenseits indischer Kleiderfabriken.
Dieser ironische Impuls fand ein Echo bei genau den Frauen, die auf der Suche nach Identität sind und diese Identität in der ästhetischen und handwerklichen Zelebrierung des Hausfrauendaseins und der Mutterschaft in der Kleinfamilie finden. Das ist nichts schlimmes. Es ist nur eine Botschaft.

Mir fiel zuerst eine Parallele ein. Erinnert sich noch jemand an die Flohmarkt- und Fernwehklamotten der Hippies? Victorianisches und Tracht aus aller Welt.
„Hair“ hat den Look ganz gut konserviert:

Aber ich denke auch an die Sgt. Pepper-Uniformen. Und dann kam Yves Saint Laurent, kleidet Frauen in etwas, das  dann irgendwann „Folklorelook“ genannt wurde und somit auch tragbar für die Angestellte in Sindelfingen war. Da wurde aus Provokation und Ironie dankbare Adaption.
Wann fand das statt? In einer Zeit, in der Frauen begannen, über Partnerschaft, Schwangerschaft und Berufstätigkeit selbst zu entscheiden. Mit allen Vorteilen, wie freie Partnerwahl ohne moralische Stigmatisierung und allen Nachteilen, wie Alleinerziehendendasein oder Kinderlosigkeit. Da trug man plötzlich Kleider aus einer Zeit bzw. aus Gesellschaften, in der „die Welt noch in Ordnung war“. Wo jeder seinen Platz und seine Bestimmung hatte.
Man redete von ehrbaren Handwerksberufen, einige arbeiteten auch wieder mit der Hand, aber viele taten das nur als Hobby.

Und das ist nicht das erste Mal. Die Präraffaeliten und die Nazarener gingen auf die Suche nach dem Ursprung, die Romantik favorisierte Märchen und Legenden, baute Schlösser um und bestimmte nachhaltig unser Bild vom Mittelalter. Im deutschen Biedermeier schlug sich das nieder, das ausgeprägt bürgerlich und anti-feudal war und den Rückzug ins private, bodenständige und familienbezogene Leben propagierte. Man feierte das Handwerk und die Schönheit der Natur in einer Zeit, in der überall Fabriken mit rauchenden Schloten gebaut wurden und Ansammlungen wildfremder Menschen zusammenkamen, um ihre Arbeitskraft zu verkaufen.

Und heute?

Womit sind wir heute konfrontiert? Wir erleben eine neuerliche feministische Selbstvergewisserung, die – auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht – in die Anforderungen der Zeit passt. Bei der seit Jahrzehnten möglichen Teilhabe von Frauen an höherer Bildung, dem momentanen Bevölkerungswachstum und den gestiegenen Ansprüchen an die Qualifikation von Arbeitskräften kann es sich eine Industriegesellschaft wie Deutschland gar nicht leisten, Frauen erst auszubilden und dann ausschließlich Familienarbeit machen zu lassen. Zudem gibt es jede Menge Bedarf an weiblich konotierter Arbeit und wesentlich weniger an männlich konotierter (ich rede von der Masse an Arbeit, nicht von der Führungsspitze). Die Ehe als Versorgungsinstitution existiert zwar noch, aber die Versorgung des nicht erwerbstätigen Ehepartners (i.d.R. die Frau) ist nach Ende der Ehe seit 2008 nicht mehr garantiert. Und Ehen enden verdammt schnell. Außerdem leben und arbeiten wir länger, die Reproduktionsphase einer Frau ist nur noch eine von mehreren Lebensepisoden und nicht mehr ihre Endstation.

Die Köpfe kommen da nicht so schnell hinterher. Dazu paßt auch das Eingangszitat: Wir Frauen konnten früher das machen, woran wir Freude hatten.
Die Männer zetern rum, weil Frauen ihre angestammten Reviere erobern wollen und freiwillig begibt sich niemand von ihnen aus der Komfortzone und macht Familienarbeit ohne wesentliche gesellschaftliche Anerkennung. Den Frauen scheint aber angesichts ihrer veränderten Möglichkeiten auch etwas blümerant zumute zu sein, aber es hat keiner gesagt, dass das Neue und Andere ohne Mühe, Anstrengung und Rückschläge ist. Das Credo lautet nun „es war nicht alles schlecht!“ und sie holen verstaubte Rollenmodelle raus.
Christiane Frohmann schrieb über das Reaktionäre des Retro einen sehr guten Text: Geht doch zurück nach früher!

Aber das Verrückte ist, daß Frauen nun plötzlich beginnen, sich die Anerkennung für die Familienarbeit selbst zu geben. Übers Internet geht das ganz einfach.

Ich sehe darin nicht einmal nur eine Restauration eines überkommenen Frauenbildes. Es ist nur Teil einer Facette eines großen Ganzen, das Frausein bedeutet, wenn man denn den Mut hat, das zu leben.
Auch wenn Männer vermeintlich tun und lassen können, was sie wollen, sie sind wesentlich beschränkter in ihrer Rollenzuschreibung, die sie auf Stärke und Leistung festlegt. Eine Zuschreibung, die sie bei Versagen und Verweigerung sehr schnell ins gesellschaftliche Abseits bringt. (Nicht vergessen, männliche Hartz 4-Empfänger haben z.B. kaum Chancen auf eine Partnerschaft.)

Ich glaube, wir Frauen haben viel eher die Wahl, was wir tun und lassen können. Wir können männliche Rollenbilder adaptieren, wie es auch Heide Fuhljahn scheinbar getan hat. Wir können aber auch einfach Frauen sein. Aber in jedem Fall wäre es fein, es zu unterlassen, die Lebensentwürfe und Ideen anderer Frauen abzuwerten.

Ich pendele doch auch zwischen den Welten. Ich kann Heimchen am Herd genauso wie Handarbeitsmutti, Businessbarbie und knallharter Typ. Ein Mann, der das versucht, würde wahrscheinlich für verrückt erklärt.

Also, meine Damen, könnten Sie bitte aufhören, sich die Köpfe einzuschlagen? Feiern Sie lieber ihre Wahlmöglichkeiten.

edit: Was mir noch einfiel: Das öffentliche Hausfrau- und Handarbeit-Zelebrieren bringt im Gegensatz zu vielen Jobs, die eine Frau mit Familie machen kann, wenigstens sichtliche und fixe Erfolgserlebnisse und Ansehen, was scheinbar mehr wert ist als Geld und Status aus abhängiger Arbeit. Das ist der Punkt, wo man auch noch mal sehr intensiv über heutige Arbeitsphilosophie, -strukturen, -dichte und -organisation nachdenken sollte. Denn auch das ist eine Botschaft.

und noch ein edit: Niemand würde eine solchen Aktion um die Freizeitaktivitäten von Männern starten. Wenn die angeln, Modelleisenbahnwelten bauen oder Zinnfiguren bemalen, wird das höchstens nachsichtig belächelt, wenn es allzu skurrile Formen annimmt.
Ich revidiere daher auch einige meiner Schlußfolgerungen. Hey und wenn jemand Spaß daran hat, sich als Betty Draper zu inszenieren, so what! Etwas mit den Händen zu tun, nachdem einem den ganzen Tag der Kopf gequalmt hat, ist zutiefst befriedigend.
In meiner Twitter-Timeline debattieren die #nähnerds über ihre Habilitationen und wie frau an eine Professur kommt und nebenher gibt solche Tutorials (von Mama macht Sachen), an denen sich jede geschäftsreisende Business-Barbie orientieren kann (ca. 50% der Sachen sind selbst gemacht).

Wo bitte ist also das Problem????