Ich bemerke, daß ich bei dieser Art Aufzeichnung sehr oft die kleinen Erlebnisse des Morgens vergesse.
Der tanzende türkische Bauarbeiter auf der LKW-Pritsche. Die russischen Babuschkas, scheinbar zur Beaufsichtigung des Nachwuchses in den Sommerferien eingeflogen, die in Grüppchen in Pantoffeln und geblümte Sommerkitteln über die Straße hatschen, ohne nach dem Verkehr zu sehen und sich dabei unterhalten, in welchem Geschäft sie noch nicht waren (so viel Russisch verstehe ich nämlich noch). Die drei schwer magersüchtigen Frauen an der Bushaltestelle, die dort einzeln und schweigend standen wie eine Geisterarmee; eine von ihnen war bereits auf einen von Haut und gebleichtem Haar überzogenen Totenschädel reduziert.
Das sehe ich, wenn ich mit dem Rad auf Nebenstraßen von Charlottenburg nach Schöneberg fahre.
Der gestrige Tag nun war ein typischer Montag. Er begann noch vor dem Frühstück mit einem Streit. Das brauche ich wie einen Kropf.
Dann Papierkrieg im Büro. Das ist wie Abwasch. Immer wenn man glaubt, es geschafft zu haben, ist schon wieder ein neuer Schwung da. Mittags kickte es mich wieder in zwei Stunden Tiefschlaf. Danach hing ich noch zwei Stunden Arbeitszeit dran und schaffte tatsächlich, einen Text-Stil und einen Duktus für die Homepage zu finden, auch wenn die Details in die völlig falsche Richtung liefen. Man muß sich halt ranschreiben.
Den Abend konnte ich im Kalender ankreuzen. Ich saß vorm Fernseher und zappte. Eine halbe Folge „Die Nanny“, dann irgendeine Asi-Ratgebersendung auf RTL, hinterher Focus-TV zum Thema Loveparade. Fernsehen halt. Nichts, was hängenbleibt. Da hätte ich lieber ein iPad.
Archiv für den Monat: Juli 2010
25.7. 10
Ich stand sogar noch zu einer christlichen Zeit auf – so gegen halb 10. Das heißt, ich begab mich von der Horizontalen in die Vertikale, um den Morgen in aller Ruhe mit Kaffee und der FAS im Bett zu beginnen.
Doch dann wurde der Vormittag plötzlich hektisch. Vom faulen Samstag hatte ich alles auf den Sonntag geschoben und so türmten sich Komplettwohnungsputz (die Putzfrau kommt derzeit, wann sie will, mal zwei Wochen nicht, dann wieder wöchentlich), Blumen gießen, bügeln und weitergehende Renovierung des Äußeren auf drei Stunden, bis der Mittagsflieger aus Düsseldorf ankam und ich eigentlich am Flughafen stehen wollte.
Schweißgebadet feudelte ich durch die Wohnung, begleitet von Metallica. Für mein Vollbad und anschließendes Haareschönmachen hatte ich nur mehr eine Viertelstunde. Ich kapitulierte vorm Zeitdruck (der ohnehin immer noch Gift für mich ist) und versenkte mich ins Badewasser. Als ich noch einmal auf die Ankunftsseite des Flughafens ging, sah ich, das der Flieger ohnhin eine Viertelstunde vorfristig gelandet war.
Mich überfiel mal wieder meine narkoleptische Müdigkeit. Ich legte in frisurschonender Haltung aufs Bett und war sofort weg. Als ich wieder auftauchte, waren drei Stunden vergangen und ich lag noch immer so, wie ich mich hingelegt hatte. Es war wohl doch nicht der Mittagsflieger und nun war es Zeit für die Spätnachmittagsmaschine.
Ich sauste nach Tegel, stellte mich pünktlich und schief und krumm an einen der Eingänge, sah nach ein paar Minuten, das da wohl eine Verspätung ansteht. Fuhr dem Polizisten, der gerade mein Kennzeichen notierte, davon – auf den Diplomatenparkplatz. Grund genug, mein Kennzeichen zum zweiten Mal aufzuschreiben. Aber so lange dieser kleine, komfortable Flughafen benutzt wird, genieße ich es, innerhalb von 20 Minuten jemanden abholen zu können.
Die Verspätung wurde noch größer, ich tigerte hin und her. Treffen ohne Handy, denn die waren alle beide zu Hause geblieben, ist kein Mensch mehr gewöhnt. Dann kamen die ersten Handgepäckträger heraus. Der Mann war nicht dabei. Ich wartete, bis die letzte Weltenbummlerein ihren monströsen Rucksack vom Band gehievt hatte und fuhr schulterzuckend nach Hause, wo keine Viertelstunde später der Vermißte eintraf. Wir hatten uns klassich verpaßt und mein Auto stand zu weit weg, um es sehen zu können.
Der Abend war ruhig. Ich bügelte alte Leinenhandtücher, die mindestens noch zwei Kochwäschen brauchen, um benutzbar zu sein und sah mir den Tatort an. Maria Furtwängler ist eigentlich ein Brechmittel für mich, aber ich fand sie in dem Film garnicht mal so schlecht, das heißt, der ganze Film war ziemlich gut. Sie ist attraktiv, aber leider zu kontrolliert, um igendeine Emotion mit ihrem Gesicht rüberzubringen.
Was mich bei vielen Tatorten mit weiblichen Hauptrollen wundert, das mittels vieler Wasserträger-Nebenrollen, die immer wieder Beziehungen anstreben, um die Hauptfigur herum ein Mittelpunkts-Vakuum geschaffen wird. (In diesem Fall das ständig zu versorgende oder zu verborgende Baby, der wie kastriert wirkende Kriminalschriftsteller, der verliebte und immer wieder abgewiesene Gerichtsmedizin-Praktikant.) Die Hauptfigur kann in diesem Vakuum strahlen, aber sie muß es auch füllen können. Das funktioniert bei manchen nur, wenn sich die Nebenfiguren alle eine Nummer kleiner machen. Der Bodensee-Tatort war in den ersten drei Folgen ähnlich angelegt. Eva Matthes ließ sich einen gezähmten türkischen Macho an die Seite stellen, der die Vorlagen für ihr weibliches Heldentum lieferte. – Das ging nicht lange gut, deshalb wurde die Rolle umbesetzt.
Ich kann mit solchen Heldinnen wenig anfangen. Entweder die Alte hat Power wie Ulrike Folkerts oder sie soll den Job sein lassen.
ach so und das mit dem Haareschönmachen. Ich kann mit dem Fön nicht so richtig umgehen und Frisuren waren noch nie meins. Das ist immer ein größerer Akt, aber wegen der Haarlänge mittlerweile nötig.
24.7.10
Am frühen Vormittag fuhr ich den Mann zum Flughafen. Er reiste in die Heimat, Geburtstag feiern. Ich machte auf dem Rückweg eine kurze Einkaufsrunde. Rogacki, um 11 Uhr gähnend leer, weil die Freßstände noch nicht umlagert sind, Ulrich, der türkische Gemüseladen.
Zurückgekehrt, frühstückte ich hingebungsvoll. Corned Beef, Leberwurst und Käse aufs Brot, dazu der Rest Obstsalat vom frühen Morgen. Danach schaffte ich gerade noch den Tagebucheintrag des Vortages und eine kurze Blogschau. Mich überfiel eine magische Müdigkeit und so schlief ich von eins bis halb vier. Zu arbeiten und dazu viermal in der Woche abends unterwegs zu sein, ist zu viel.
Wahrscheinlich hätte ich bis zum Abend durchgeschlafen, wenn ich nicht so furchtbaren Durst gehabt hätte.
Auch danach befand ich das Bett als besten Aufenhaltsort für mich. Mit Buch, Telefon und Laptop machte ich es mir gemütlich.
Eine Twittermeldung schreckte mich etwas später auf: Tote auf der Loveparade. Ich verfolgte die Meldungen sonderbar unemotinal, sehr distanziert, fast wütend und doch mit einem Knoten im tiefen Innern. Ich blockte mich ab. Das, was dort passiert ist, in einen Menschenstrom gerissen werden und nicht mehr herauskommen, gehört zu meinen tiefen, geheimen Ängsten. Ich hatte vor Jahren ein eher harmloses Erlebnis in der Hinsicht. Ich wurde in einem Flur beim stockenden Einlaß zu einem Popkonzert von einer immer größer werdenden Menschenansammlung gegen eine Wand gedrückt und innerhalb einer Stunde fünf oder zehn Meter mitgeschleift. Eine Stunde, in der ich oft keine Luft mehr bekam und die Füße nur noch selten auf dem Boden hatte, meine Kleider zerrissen und ich naß war vom Schweiß der anderen. Danach habe ich Menschenmengen immer gemieden.
Ich hatte gespaltene Empfindungen. Das Bild sofort mit Leichenfotos kommt, wunderte mich nicht, das ist schließlich die gesellschaftliche Rolle dieser Zeitung. (da könnte auch jemand von einer Pornoseite verlangen, keinen expliziten Sex zu zeigen)
Das die ARD zunächst dem Zuschauer erklärte, was die Loveparade ist und das es sich eher um ein lebensfrohes Volksfest handelt, deutet darauf hin, daß es eine Menge Parallelgesellschaften in diesem Land gibt. Im ZDF lief übrigens das Open-Air-Konzert der Volksmusik.
All die Klugscheißer, Besserwisser und Kapitalismuskritiker („Scheiß Profitdenken!“) ließ ich an mir vorbeirauschen. Das ist das, was Frau Rosmarin letztens so schön als „emotionale Notfallreaktion“ bezeichnete. Letzlich blieb in mir die Frage, die sich alle stellten. DURCH EINEN TUNNEL???
Kurz vor zehn Uhr sah ich mir The Prisoner an. Sehr, sehr cool. Und doch antiquiert. Vor 30 Jahren hätte ich mich angesichts der weißen Luftballons, die renitente Bürger quetschen, bis in den Schlaf gegruselt. Heute zucke ich die Schultern, weil ich für Symbolik im Fernsehen nicht mehr empfänglich bin. Ich will überhöhten Realismus sehen.
Die nächste Folge war mir doch zu viel, ich bin zwar immer noch ausdauernd im Lesen, aber Sehmarathons wie früher, als ich auf Festivals 3 oder 4 Filme hintereinander sah, sind vorbei.
Ich schaltete das Licht aus, denn ich war von einem Tag Nichtstun schon wieder rechtschaffen müde.
23.7. 10
Endlch Freitag.
Nach einem hastigen Frühstück setzte ich mich mit dem Mann zusammen, wir sichteten zusammen Websites. Ich wollte wissen, was ihm gefiel und wo er ausstieg oder uninteressiert war. Zuerst wehrte ich mich mit Händen und Füßen dagegen, die Sites von Werbeagenturen anzusehen, aber es waren doch einige interessante Ideen dabei.
Dann fuhr ich ins Büro. An einem kalten und regnerischen Tag wie dem gestrigen, an dem ich alle Jalousien wieder öffnete, wurde doch klar, daß ich dringend die Möbel aus dem Lager holen muß. Also noch einmal Angebote einholen. Die Umzugsauktion hatte einen Preis ergeben, der 300% über dem lag, was ich zu investieren gewillt bin und ein Umzugsunternehmen, das ich per Netz kontaktierte, hatte es nicht einmal nötig, sich zurückzumelden.
Der Rest der Arbeit war wieder Papierkrieg und der Versuch, meine O2-Karte mit meinem SE 990i zu betreiben, was nicht funktionierte. Ich bemerkte das zunächste garnicht. Doch dann rief Mr. Horror auf dem Festnetz an. Er erreiche mich nie, was denn los sei. (Was bedeutet, er hat einmal über Funk versucht, mich zu erreichen, aber die Karte war blockiert.) Das nachfolgende Gespräch brachte mir eine kleine Genugtuung für die anstrengenden Jahre mit ihm. Er ist soooo klein mit Hut. Denn wenn er sich einen neuen Betreuer suchen will, kann er sich nicht so ungehemmt auskotzen wie es ihm bei mir zu Gewohnheit wurde.
Gegen 6 trudelte ich mit einem Bärenhunger zu Hause ein. Doch der Mann schlief und ich holte mir Futter vom Chinamann.
Danach Kino „Männer al dente“ (grausiger deutscher Titel). Ein amüsanter Film, der in den Nebenrollen mit wunderbaren fellinischen Typen besetzt war und in herrlicher alter Stadtarchitektur in Apulien spielt.
Irgendwie riß es mich dann doch, als ich die schöne junge Protagonistin sah. Verdammt noch mal, was ist aus mir geworden? Eine Matrone in zu engen Klamotten, die sich weigert, die Kleidergröße zu wechseln. Aus den 5 Kilo zu viel wurden schnell 10 und nun habe ich das Problem, zum ersten Mal seit Jahren tatsächlich übergewichtig zu sein. Ein bißchen kann ich den Tabletten die Schuld geben, aber die setze ich langsam ab und ein wenig den Schlafanfällen, ich bin noch immer nicht so leistungsfähig wie früher, aber es wird Zeit, daß ich meinen dicken Hintern hochkriege. So mag ich mch nicht.