Das war knapp

Es sah so aus, als wäre es das ideale Timing. Ich kam vom Zauberberg zurück, das Kind zog aus seiner Wohnung aus und ich war noch immer Inhaberin des ungekündigten Mietvertrags für ihre 37 qm-Einzimmerwohnung in Schöneberg.
Ich wollte die Ratschläge beherzigen, mir ein Rückzugsgebiet zu schaffen. Außerdem hatte ich ohnehin schon längere Zeit das Gefühl, das Alleinleben bekäme mir derzeit wesentlich besser. Keine Maklergebühr, die Kaution schon bezahlt, ein sonniger Balkon mit Hofblick in traditionsreicher Umgebung, denn in der Wohnung nebenan hatte ich vor 17 Jahren meine Diplomarbeit geschrieben.
Doch dann kamen die Signale der Vermieterinnen: Wenn da nun ein Rohr platzt in der unbewohnten Wohnung, keiner hat den Schlüssel, das ginge doch nicht. Und wohin das Kind nun gezogen sei und warum keiner gefragt hätte.
Es ist schön den Ex-FReund fragen zu können, ob er eine Wohnung fürs Kind hat, es ist um so konfliktbeladener, 5 Jahre später bedeutet zu bekommen: aber du bist hier nicht unbedingt willkommen, auch wenn du die Wohnung gemietet hast.
Ich habe mitunter die Sensibilität eines Ziegelsteins, was solche Befindlichkeiten angeht (der Ex-Freund Gott sei Dank auch). Wir telefonierten heute morgen miteinander und waren uns einig, daß die Signale doch eindeutig wie logisch waren: Das Kind hat nie einen Hehl aus der Wohnungssuche gemacht und ein paar Wochen zuvor eine Bescheinigung über Mietschuldenfreiheit angefordert. Die Wohnung wurde nicht gekündigt, auch wenn das Kind ausgezogen ist. Das Mietverhältnis besteht noch. Wo ist das Problem?
Ich habe dann die Ex-Schwiegermutter angerufen, die mir eigentlich immer sehr zugetan war und sie um Entschuldigung gebeten, daß ich sie übergangen habe. Nun ist alles zunächst gut, auch wenn sie noch mal nachfragte, ob das denn für länger wäre. Ich habe noch immer das Gefühl, daß nicht unbedingt sie ein Problem hat, daß ich in diese Wohnung ziehe, sondern andere Familienmitglieder. Daß sie nur in eine unangenehme Situation kam, als sie mit der Frage konfrontiert wurde, was denn da los sei und von nichts wußte. Der eine oder andere aus der Sippe hat mich ja immer als die Schlampe aus dem Osten nicht gemocht. Hätte sich lieber eine zurückhaltende, attraktive Frau an der Seite des als Investmentbanker erfolgreichen Sohnes gewünscht, als die erfolgreiche Selbständige an der Seite des lustlos im Bank-Anstellungsverhältnis verbleibenden Teilzeithausmannes.
Man wird sehen, wie es weitergeht.
Erst mal Tapeten abpulen, Wände spachteln und diese verranzte Küche bespielbar machen.

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Kleine Menschenkunde – Kläger

Kläger gibt es nicht nur in Gerichtsgebäuden, sie sind überall. Die Menschen, die glauben, ihnen passiere Ungerechtigkeit oder ihnen werde etwas vorbehalten, das ihnen zusteht, sind Legion.
Die Freundin, die nun endlich grünes Licht für ihren Kinderwunsch will. Der Kollege, der erfahren hat, daß jemand, der mit ihm eingestellt wurde, mehr verdient. Die reiche Dame, die die Scheidung nicht verwindet. Die gedemütigte Ehefrau, deren Mann schlägt und trinkt. Der übervorteilte Erbe. Der betrogene Investor.
Sie schildern alle wortreich ihr Ungemach. Für manche von ihnen gibt es den Rechtsweg. Sie tun sich mit einem Fachmann zusammen, bezahlen diesen, gehen ein Auseinandersetzungsrisiko ein und lassen einen Unabhängigen entscheiden, ob sie ihr Recht verdient haben und wie ein entstandener Schaden zu heilen ist. In weniger gravierenden Fällen setzen sie sich direkt auseinander oder machen ihren Frieden mit den Umständen. Sie bekommen das Kind oder verzichten darauf, verhandeln eine Gehaltserhöhung oder erkennen die Tatsache an, weniger zu verdienen, suchen sich einen neuen Mann oder bleiben zukünftig allein.
Wenn das so wäre, dann wäre die Welt ein verdammt ruhiges Plätzchen. Ist sie aber nicht.
Nach dem guten alten Prinzip der Tragödie geraten Menschen durch ihr Handeln in unlösbare Konflikte, die sie letztlich vernichten. Wobei der Tod ohnehin unvermeidbar ist. Doch vorher machen sie kräftig Theater und singen laute und lange Klagelieder. That’s Entertainment!

Die Frauengespräche, stundenlang.
„Er ist so ein rücksichtsloses Arschloch!“
„Verlaß ihn doch endlich!“
„Naja, wir haben doch schon den Urlaub im September bezahlt.“
„Janee, is schon klar!“

Die Männergespräche, stundenlang:
„…“ Plopp – Lunklunklunk – Örps
„…“ Lunklunklunk – Ahhhh – Humpf
„Sie hat son fetten Arsch bekommen, zum Kotzen!“ Klapper – Lunklunklunk
„Kann ich verstehen, daß du keinen mehr hochkriegst.“ Lunklunklunk – Japs
„Wer redet denn davon?“ Lunklunklunk
„Janeeisklar!“ Lunklunklunk – KLapper

Hartnäckigere Fälle nehmen sich einen bezahlten Anspielpartner:

„Herr Doktor, ich schlafe keine Nacht!“
„Wir versuchen es erst mal eine Woche mit Schlaftabletten. In der Zwischenzeit lernen Sie autogenes Training.“
„Ich würde nie Tabletten nehmen und autogenes Training nutzt bei mir nichts. ICH KANN NICHT SCHLAFEN!“

Sie sollten eines auf keinen Fall tun: Lösungen anbieten. Denn dann sind Sie Partner in dem Spiel: Mir ist nicht zu helfen! – wahlweise heißt es auch Es ist so schrecklich! oder Keiner mag mich! oder Die Welt ist Scheiße!
Noch weniger sollten Sie Wert darauf legen, daß ihre angebotenen Lösungen realisiert werden. Denn dann sind Sie ein Spielverderber.
Sollten Sie auch noch die tausendste Story vom fremdgehenden Freund ihrer Freundin lustig finden, hören Sie zu und geben immer mal Aufmerksamkeitslaute von sich. Sollten Sie gutes Geld mit Menschen verdienen, die ihre Situation ohnehin nicht ändern werden, gratuliere ich Ihnen zu Ihrem einträglichen Beruf Passen Sie auf, daß Sie nicht mit der Zeit zynisch werden. Für alle anderen gilt: Fliehe weit und schnell!

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Mr. Horror

Er begleitet mich schon die gesamte Zeit meiner Selbständigkeit.
Eines Tages, mein Büro war erst kurze Zeit angemietet, klingelte das Telefon.
„Wann haben Sie Zeit? Ich will Sie kennenlernen.“
Ich stotterte.
„Ich komme dann morgen. Das geht schon klar, XY hat gesagt, ich soll zu Ihnen gehen.“
Er legte auf und ich blätterte seine Bewerbung durch. Eindrucksvoll, wie der ganze Kerl mit seinen fast zwei Metern. Große Projekte, viel Talent, enorme Präsenz. Ich war Anfängerin. Deshalb übersah ich, daß fast alle großen Ansätze im Sande verliefen. Ein, zwei Leute holten ihn immer wieder, der Rest ließ ihn fallen wie eine heiße Kartoffel.
Er stürmte zum verabredeten Tag in mein Büro, riesig, rotgesichtig und mit lauter Stimme. Er erschien durch und durch unberechenbar und bedrohlich, da war nichts jungenhaftes oder bäriges an ihm, der Mann war die Inkarnation eines Bösewichts.
Ich versuchte ihm meine Arbeitsauffassung zu erklären, stellte ihm Fragen, er hörte garnicht zu. Er meinte nur, er hätte es satt, sich von allen als Idiot behandeln zu lassen, griff sich den bereitliegenden Vertrag und unterschrieb ihn ohne zu lesen.
Als ich ihn fragte, ob er eigentlich wisse, was er da unterschrieben hätte, meinte er, es wäre ihm egal. Danach stürmte er aus dem Raum.

Dieser Typ war fleischgewordene Negativität. An einem Tag rief er an und klagte, er brauche dringend was zu tun, egal was. Wenn am nächsten Tag der Job da war, war er empört, daß man ihm so etwas anbieten könne. Nicht zu dem Geld, nicht diesen Inhalt, er hätte gern was anderes.
Interessierten sich Studenten oder Anfänger für ihn, machte er sie ihn den ersten Begegnungen nach Strich und Faden fertig. Zerriß ihr Werk in der Luft und bot sich an, ihnen Hilfe zu leisten, es zu verbessern. Die Cleveren zogen sofort die Reißleine, die weniger Cleveren ließen sich noch eine Weile mitschleifen von seiner rasenden Psyche. Nach ein paar Monaten rief er mich dann wieder an, weil er nicht verstand, daß er nicht mit jungen, kommenden Talenten arbeitet.
Ich hatte mich mittlerweile darauf verlegt, ihn zu manipulieren, damit er überhaupt arbeitete und nicht an seinen inneren Widersprüchen verhungerte. Wenn ich einen Job für ihn hatte, redete ich diesen nach Strich und Faden schlecht. Das sei nichts für ihn und viel zu schlecht bezahlt, ich würde das sofort absagen etc. pp. So konnte ich sicher sein, daß er, nachdem er mich eine Stunde darüber belehrt hatte, wie ich meine Arbeit zu machen hätte und was er von mir erwartet (ich habe lange gebraucht, dann einfach die Ohren zuzuklappen und nicht zu fauchen), den Job annahm.
Leider ließ er seine Profilneurose auch an den jeweiligen Arbeitsplätzen bevorzugt bei seinen Chefs raus. Das kam oft wie ein Bumerang zu mir zurück. Was denn das für ein größenwahnsinnniger Idiot sei? Ob ich den nicht sofort anrufen könnte, um ihm zu sagen, er hätte die Klappe zu halten und den Betrieb nicht zu bremsen. Ich konnte Gott sei Dank nicht, denn der Mann hatte bis vor einem Jahr kein Handy.
Mit den Jahren hinterließ er immer mehr verbrannte Erde. Die Brotjobs wurden immer weniger und die Herausforderungen für sein unzweifelhaft vorhandenes Talent erst recht. Selbst diejenigen, die ihn wie ein Maskottchen immer wieder holten, konnten sich das immer weniger erlauben.
Auch ich konnte immer weniger für ihn tun. Meine Kunden verlangten Leute, mit denen sich gut arbeiten ließ und keine hochtalentierten Zeitbomben.

Wenn ich ihn auf eine Meet&Greet-Veranstaltung mitnahm, griff er sich meist ein unerfahrenes Mädchen, setzte sich mit ihr in die Ecke und monologisierte über die idiotische, niveaulose Branche. Nach gut einer Stunde hat das arme Opfer einen Gesichtsausdruck, als wolle es sich auf der Stelle umbringen.

Trotzdem hielt ich noch immer zu ihm, denn ich schätzte ihn. Zum einen, weil er wirklich gut war, wenn er denn vor lauter Profilierung mal zu Arbeiten kam und er hatte eine andere Seite, die kaum jemand vermutet hätte. Er kocht gut, auch für große Gesellschaften und ist ein hervorragender Innenarchitekt und Handwerker. Die Bäder, die er macht, sind göttlich. Aus Eisen, Ziegeln und Stahl macht er Bilder, Lampen und Spiegel, wie ich sie nie zuvor gesehen habe. (Daß er sich mit seinen Auftraggebern jedes Mal um die überhohe Rechnung streitet, ist Programm.) Er ist ein sehr guter Vater, wenn auch ein anstrengender Ehemann.
Mittlerweile geht es ihm sehr schlecht, finanziell wie seelisch. Seine Frau fängt viel ab. Sie macht auch Dreckarbeit, um die Familie zu ernähren. Als er anfing, über die Qualität dessen herzuziehen, was sie gerade macht, habe ich ihm wütend den Mund verboten.
Wir hatten einige Gespräche über seine zum Stillstand gekommene Karriere,in denen ich sehr deutlich geworden bin und es scheinbar bei ihm auch angekommen ist, daß er mit seinem Verhalten Förderer und Partner verloren hat. – Was in einem Beruf, der andere Menschen braucht, tödlich ist.
Wenn er gebetsmühlenartig wiederholt: „Aber da muß doch was zu machen sein.“, legt er jedes Mal sein Schicksal in meine Hände. Was ich ablehne. Der einzige, der etwas machen kann, ist er. Ob er meinen Rat, professionelle Hilfe zu suchen, befolgt hat, glaube ich nicht.
Nun hat er sich darauf verlegt, mich Montags, sofort nach Büroöffnung, anzurufen. Er will von mir wissen, „was man machen kann“, appelliert an mich, daß etwas passieren müsse und das Gespräch bekommt meist einen extrem negativen Drive. Es dauert in der Regel eine Stunde. Dann geht es mir Scheiße und ich habe die Woche noch vor mir. Ein paarmal habe ich versucht, die Länge zu begrenzen und negative Inhalte nicht zuzulassen, das funktioniert nicht. Er dreht sich mit seinen Problemen im Kreis. Einfach auflegen oder in ein anderes Gespräch flüchten hilft nur soweit, daß ich mir in der folgenden Woche noch mehr Vorwürfe anhören darf. (Auf die ich auch reagiere wie ein Pawlowscher Hund). Mittlerweile gehe ich nicht mehr ans Telefon, wenn er anruft und melde mich nur zu operativen Sachen, Verträge etc.
Seit 14 Tagen ruft er mich nun spontan an, wenn er in der Nähe ist, weil er mich besuchen will. Donnerstag um sieben, Freitag halb sechs.
Ich habe das Gefühl, da steht etwas vor einem großen Knall.

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Aufwärts

Auch wenn es mir nicht so scheint (und die Gesundheitsbulletins viele mittlerweile langweilen könnten), in Woche zwei geht es aufwärts.
Ich bin zwar heute schon um 19 Uhr wegen Data Overload in der Horizontalen gelandet und konnte zunächst weder lesen, noch fernsehen, noch sporteln, aber nachdem ich mich ausgegrummelt hatte, fiel mir ein, daß 36 normal verlebte Stunden hinter mir lagen. Mit Autofahren, Arbeit, Handwerkerei, Besuch und Hausarbeit. In der vorigen Woche war das noch undenkbar.
Es wollen jede Menge längere Texte raus, das kommt auch wieder.

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