„Niemand sollte versuchen, sich an ihr zu messen“

Es gibt das Bonmot, dass mann sich gar nicht mit dem Kleinreden von bahnbrechenden, innovativen Frauen beschäftigen muss, das würden schon ihre Geschlechtsgenossinnen übernehmen. Wunderschön zu sehen an einem Beispiel des rein weiblich besetzten Publikationsforums Beziehungsweise.

Das titelgebende Zitat stammt aus einem Artikel über die Unternehmerin Sina Trinkwalder, der damit beginnt, dass die Autorin ihre Ressentiments über das Objekt ihres Interesses zusammenträgt: Sie stünde in allen Zeitungen, hätte Preise zusammengetragen, arbeite sehr öffentlichkeitswirksam, hätte die Firma angeblich mit Nichts gegründet, aber sie hat ja (Igitt!) vorher schon als Werberin gearbeitet und (IGITT!!!) Kohle gemacht mit einer Firma (zusammen mit ihrem Mann zusammen selbstredend, dass die Frau auch ein Kind hat, wird aber wieder unterschlagen) und dann irgendwie nach etwas Sinnvollerem gesucht.
Die Lektüre des Buches Wunder muss man selber machen brachte der Autorin wohl die Klärung, dass das alles keine reine PR-Blase ist. Die Frau existiert und ist echt. Mit allen Posen, Aktionen und Polarisierungsansätzen.
Aber das muß frau anderen Frauen erklären
Wenn frau wirklich etwas verändern möchte, etwas Neues in die Welt bringen möchte, ist es durchaus hilfreich, etwas „durchgeknallt“ und von sich selbst überzeugt zu sein.“ (oben genannter Artikel)
und natürlich auch gleich warnen, der Ofen ist heiß, nur nicht anfassen!
„In dem Sinne ist Sina Trinkwalder kein Maßstab, keine Vorbildfrau.“
„Allerdings weiß ich auch nicht, ob ich als Bankerin einer so von sich selbst überzeugten Frau voller unrealistischer (?) Visionen einen Kredit geben würde.“
Denn Verzicht auf Sicherheit, dafür Durchhaltevermögen und Ideen, das kann doch kein Vorbild sein! Immer schön bescheiden, brav und geerdet bleiben.
Außerdem, Sina Trinkwalder spricht nicht in gegenderter Sprache! Als ist es wohl gar nicht nötig, sie danach zu fragen, ob sie Feministin sein, obzwar, sie tut was für Frauen…
Das WTF in meinem Kopf wurde an dieser Stelle immer größer. Westdeutscher Femimiminismus wie er ausgeprägter nicht sein könnte.

Niemand würde so über einen Mann schreiben, der für eine Idee alles riskiert.
Wenn Sina Trinkwalder mit ihrer Idee scheitern sollte, dann hat sie der Gesellschaft eine wichtige Botschaft über den Wert von einfacher Arbeit übermittelt. Im übrigen würde sie sie auf eigene Kosten scheitern, denn sie investiert ihr Geld, ihre Zeit und ihre Lebensenergie. Ist es besser, wenn die Arbeiterinnen zu Hause sitzen und ein Almosen bekommen? Sie profitieren von dem Versuch, der erweisen wird ob fair entlohnte einfache Arbeit auch in hochindustriealisierten Regionen funktioniert – und nicht nur über das Geld, was sie verdienen.

Der Artikel ist ein Lehrstück in Sachen Kommunikation und Denken über außergewöhnliche Frauen, die noch nicht tot und historisiert oder weit weg sind.

Da wir gerade bei Links sind:

Über den Unterschied zwischen Zonen-Gaby und Wessi-Ute steht im Freitag von Jana Hensel viel Interessantes geschrieben. Ich kann das alles nur unterschreiben.

 


Auch eine Sache, die politische Aufmerksamkeit bräuchte. Von Nachwuchsförderungen profitieren Männer, kinderlose Frauen und Business-Barbies, die versuchen, alles unter einen Hut zu bringen (wie ich eine vor dem Burnout war).

Frauentag

Heute verlinke ich mich selbst. Der Text über die einzige große Frauentagsfeier, die ich erlebt habe, macht mir immer noch großen Spaß. Unter dem Licht der politischen Korrektheit sind die geschilderten Ereignisse natürlich vollkommen untragbar.
Für mich ein Indiz, das ideologische Statements und gelebtes Leben wenig miteinander zu tun haben. Die Frauen, über die ich erzähle, lebten selbstverständlicher Gleichstellung als jemenschin heute. Nur die Männer waren wie immer. Das war auch ok. so. Es geht auch ohne die Annahme, daß es Männer sind, die Frauen die Welt gestalten. Das können Frauen ziemlich gut selbst.
Wenn du willst, daß sich etwas verändert, ändere dein Verhalten. Dann bewegt sich die Welt.
Das geht nicht schnell und einfach. Aber Dinge, die schnell und einfach gehen, haben wenig Bestand. Warum sollten wir an Männer appellieren, uns die Tür zur Welt aufzuhalten? Mit ein bißchen Kraft bekommen wir sie auf.
Ansonsten ginge ich heute gern kämpferisch in die Welt, muß aber leider arbeiten.
Voila – Frauentag 1983.

Montags

Der graue, feuchte Tag begann nicht uncool. Am Wochenende eingetrudelte Mails sammeln, ordnen und beantworten, ein bisschen was in das Internetz schreiben – übrigens ist der Artikel Meine Fernbeziehung zum Netz-Feminismus von Isabella Donnerhall sehr, sehr lesenswert. Es gibt noch eine Welt jenseits des Schulhofs.

Koninzidenz des Wochendes: Ich stolperte dreimal über den Begriff Drama-Dreieck. Interessante Sache. Hat gerade mit vielem, das mir begegnet, zu tun.

Dann ein Twitter-Gespräch, das dann leider die Grenzen des Mediums sprengte. Wenn 140 Zeichen fast für die Nennung der Beteiligten draufgehen, wird es schwierig, auch wenn es interessant ist. Aber vielleicht schreibe ich demnächst mal was über den Umgang mit sehr, sehr schwierigen Vorgesetzten, Kunden und Klienten. (Nicht dass ich dafür ein Patentrezept hätte, ich kann mich auch nur annähern.)

Am schnell heraufgezogenen dunklen Winternachmittag färbte ich einen Kaschmirpullover. Ein altes, kamelfarbenes Teil, das HeMan vor Jahren weggeben wollte und kamelfarben steht mir so garnicht, weil es zu gelb ist. Wenn mans richtig anstellt – ohne Temperaturschocks und zuviel Bewegung, kann man sogar Kaschmir auf 80 Grad bringen, ohne Filz zu produzieren. Schwarz sollte er werden, dunkelbraun wurde er, das reicht.

Später trudelte noch eine Workshop-Teilnahme-Empfehlung ein. Früher habe ich einmal im Jahr etwas völlig Neues gemacht. Damit sollte ich wieder beginnen.

Am Abend gingen der Graf und ich ins Kino in die Kulturbrauerei. Natürlich machten wir vorher noch eine Runde über den Lucia-Markt, aber der Graf mag Weihnachtsmärkte so gar nicht, weil sie ihn immer daran erinnern, dass er derzeit lieber auf Mallorca oder einer anderen südlichen Insel wäre. Mir wanderte zumindest ein Tütchen gebrannte Mandeln in die Tasche.

Kino. Irgendwie wirkt sich das mangelnde Angebot wirklich guter Filme auch auf die Arbeitsmoral der (schlecht bezahlten) Kinomitarbeiter aus. Eine Einlasskontrolle fand nicht statt. Wir saßen im Hauptsaal. Der Saal war 3/4 voll, für Montag Abend ziemlich viel. Die halbe Werbung lief ohne Ton (nicht, dass das ein Verlust wäre…), es gab ohnehin kaum Werbung. Das kleine Saal-Licht blieb in den ersten Minuten des Films an und in den letzten Minuten schaltete irgendein Spacken etwas im Vorführraum um oder ein, so dass von hinten immer wieder störende, knallweiße Lichtreflexe übers Publikum gingen.
Ich habe mir ein Herz gegriffen und heute den Kinoleiter angerufen und ihm ein Feedback gegeben, im Blog rumgrummeln reicht wohl kaum.

So, nun aber der Film. Inside Lllewyn Davies. Irgendwie schaffe ich es fast nur noch zu den Coen-Filmen ins große Kino. Auch wenn mir die Sixties-Retro-Optik manchmal fast zu viel war, ich mochte den Film sehr. Ähnlich wie True Grit funktioniert die Geschichte eher über die Bilder, die Synergien der kleinen Episoden untereinander und die Korrespondenz mit dem Bilderreservoir in unseren Köpfen.
Ich versuchte nachher im Gespräch mit dem Grafen die Dramaturgie zu klassifizieren. Episches Kino würde ich es nennen. So eine Anti-Helden-Geschichte hat kaum große dramatische Bögen, der Held verweigert das Drama-machen oder vergeigt es immer wieder. Dafür aber finden viele kleine Dramen in den Episoden statt.
(Vor Jahren fehlten mir mal diese Worte, als ich mit jemandem nach einem Film-dramaturgischen Ansatz für Aller Welt Freund suchte.)
Über die Geschichte wird nur erzählt, dass es keine Geschichte ist: LLewyn Davies bekommt auf die Fresse, hat plötzlich eine Katze auf dem Arm, hat einen Gig den er zu einer Mugge macht, versucht aus dem Folksänger-Job auszusteigen, kann nicht einmal das, fährt nach Chicago, kommt wieder zurück, pöbelt ein paar Leute an, hat einen Auftritt und dann weiß man, weshalb er auf die Fresse kriegt.
Aber das ist alles so… Das Leben ist so. Es hat keine Happy Ends und keine Dramabögen. Alles hängt von allem ab und entweder es läuft oder das Menschlein verhakelt sich immer wieder in den Fallstricken alter Entscheidungen.
Die Fahrt nach Chicago. Eine von diesen völlig entrückten atmosphärischen Schilderungen. In True Grit war es der nächtliche Ritt durch die Prärie unterm Sternenhimmel. Hier ist es die übermüdete Fahrt ins Schneegestöber.
Die Katze. Dass da scheinbar noch keiner drauf gekommen ist. Die ist ein Truman-Capote-Zitat. Holly Golightlys namenloser roter Kater, den sie in strömendem Regen irgendwo in New York aus dem Taxi schmeißt, als sie ihr Leben ändern will und den sie dann, nach Scheitern der lateinamerikanischen Heirat, stundenlang vergeblich mit Paul sucht. (Im Film findet sie ihn, im Roman nicht.)
Die Katze und das Unbehaustsein der New Yorker Boheme, das geht so gar nicht zusammen. Ein wunderbares Symbol für etwas nicht halten können, das Stabilität braucht.
Die Musik, wunderbar. Justin Timerlake so, dass es mir nicht auffiel, dass es Justin Timerlake ist. Das Gespräch mit dem Chicagoer Impresario. So, wie ich es im Beruf dutzende Male miterlebt habe.
Ich mag diesen Film. Und ich werde als nächstes Another Country und Frühstück bei Tiffany noch einmal lesen. Es wird Zeit.

Alice Schwarzer – Risiken und Nebenwirkungen

Ich versuche ihr gerade beizukommen, indem ich ein paar Berufsinstrumente anwende. Ganz von außen, denn der westdeutsche Feminismus ist mir nun mal zutiefst fremd. Das, worüber diese Frauen geredet haben, haben wir Frauen im Osten einfach gelebt.

Eine ältere Freundin hat mir von ihrer Arbeit in der Frauenbewegung (ja, so hieß das früher) erzählt. In den Erzählungen taucht auch Schwarzer auf, als eine unter vielen. Es hat in den 70ern viele Aktivistinnen wie Schwarzer gegeben und nicht nur die Zeitschrift Emma, es gab zum Beispiel in Berlin Courage. Schwarzer ist die, die übrig geblieben ist aus dieser Ära, das bessere Händchen hatte, größere Aufmerksamkeit bekam und im Aktivistinnenberuf blieb. Nicht zuletzt, weil sie mit „Wir haben abgetrieben!“ den Nerv der Zeit traf, ein Anliegen von Frauen und Männern thematisierte – und das öffentlich artikulierte, was auszusprechen und zu ändern längst reif war, ist sie in die Rolle des Sprachrohres gekommen. Eine Rolle, die ihr nicht unrecht ist.
Das, was sie mit der Pro-Abtreibungs-Kampagne erfolgreich getan hat, versucht sie alle Jahre wieder. Es scheint mir nur immer mehr an der Lebensrealität derer, die sie sich vornimmt, vorbeizugehen und eher aus ihr selbst, ihrem Erleben und ihrer Weltsicht gespeist zu sein als aus einer Fähigkeit zur mitfühlenden Weltverbesserung.

Die Anti-Penetrations-Kampagne, deren Ausläufer mich auch in der DDR erreichten, fiel in eine Zeit in der Frauen hedonistisch wurden und hatte in meiner Umgebung ein Echo bei denen, für die Sex ein Problem war. Die Anti-Porno-Kampagne fiel absurderweise in die Zeit, in der Frauen Pornos für sich entdeckten und erweckte Zustimmung bei den sexuell konservativen Frauen meiner Umgebung.
In der Kampagne zur Kriminalisierung der Prostitution ist ihr nun jeder Partner recht. Die von bürgerlichen, gebildeten Mittelschichtfrauen, die mit Prostitution höchstens zu tun haben, wenn sie entdecken, dass ihr Partner diese Dienstleistung nutzt, aber auch die Bild-Zeitung (die die Artikel schön mit Frauen in Unterwäsche in rotem Licht garnieren kann), die Konservativen in der CDU und die Sicherheitsfanatiker* werden von ihr umarmt.

Alice Schwarzer geht es sicher nicht um Frauen. Es geht ihr um eine Frau, um Alice Schwarzer.

Und deren Affinität zu Rampenlicht, Aufmerksamkeit und Gedöns. Aber auch das wäre zu kurz gegriffen. Wenn Schwarzer in Talkshows sitzt, bin ich zutiefst fasziniert von ihrem Standing und ihrer rhetorischen Technik. Zeitgleich bin ich abgestoßen von dieser Egomaschine, die nicht zuhören kann (oder nur so weit, um die Lücke in den Argumenten des Gegners zu finden oder die Atempause), die auch gar kein Interesse an den Argumenten anderer hat.
Sie ist ein mittlerweile Katalysator. Indem sie mit ihren kruden Thesen in vielen Lagern Facepalm-Momente erzeugt, hilft sie eigentlich einer gesellschaftlichen Selbstvergewisserung, einem intensiven Dialog über ein Thema. Die Konsequenzen daraus sind aber ganz andere. Ihre Kampagnen haben ungewollt die Funktion einer paradoxen Intervention. Zusammengeklitterte Trennlinien platzen auf, es formt sich Neues.
„Der kleine Unterschied“ hatte eine Selbstvergewisserung weiblicher Lust zur Konsequenz, aber das Ergebnis stimmt mit der von Schwarzer entworfenen Utopie Gott sei Dank nicht überein. Die PorNo!-Kampagne hat Frauen sehr wahrscheinlich auf die Idee gebracht, sich Pornos anzusehen – und zwar die, die ihnen gefallen.
Die Kampagne zur Kriminalisierung der Prostitution hat die Nebenwirkung, sich des Unterschieds zwischen Beruf und Sklaverei bewusst zu werden – das Berufsbild der Hure wird eher geschärft und es wird außerdem darüber gesprochen, ob Frauen schadlos Sex ohne Liebe haben dürfen. Weiterer Nebeneffekt ist, dass sichtbar wird, wie viel paternalistisches Diktat existiert, um Frauen beizukommen, die mit Sexualität bewusst handeln.
Gut so.

*Ganz nebenbei hilft sie noch Männern, ihr Weltbild wieder in Ordnung zu bringen und die Identität wieder sorgfältig in den sauberen Dr. Jekyll, den vorbildlichen Ehemann/Familienpapa und den geilen Mr. Hyde , den tollen Hirsch, der zu Huren geht zu spalten.