14. Ein Buch aus deiner Kindheit

Geschichten aus der Murkelei von Hans Fallada. Ein Geschichtenbuch für seine Kinder, das 1938 erschien, Zeichen seiner inneren Emigration, weiß ich heute. Für mich als Kind war es spaßig, weil die Erwachsenen in den Geschichten genauso verrückt waren wie die Kinder.
Es ist eines der Bücher meiner Mutter, das ich auf Nimmerwiedersehen verborgt hatte (sorry, Bruderherz!) und so mußte ich es mir als Erwachsene noch mal anschaffen.
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Dann die Hundegeschichten und Märchen von Friedrich Wolf. (Der Wikipedia-Link zu seiner Biografie ist leider sehr nichtssagend einseitig. Der Mann war Reformarzt, einer von diesen Licht-, Luft-, Sonne- und Vegetarismus-Predigern und radikalisierte sich politisch. Einer seiner Söhne wurde ein begnadeter Regisseur, der andere Chef der Spionageabteilung der DDR, ein dritter, geboren im Jahr seines Todes, ist Physikprofessor. Gute Gene.) Die Hundegeschichten Kiki und Cora Buntauge waren anrührend pathetisch-sentimental und ich zerdrückte so manches Tränchen beim Lesen.

Das Handyobjektiv scheint den letzten Inselaufenthalt tatsächlich nicht überlebt zu haben. Ich muß wohl auf die Kamera umsteigen.
Der ganze Fragebogen.

19.10. 10

Logorrhoe-Tag.
Ich weiß nicht, warum ich gestern so viel Text in der Welt schleudern mußte, aber ich ahne es. Belege sortieren stand an und noch ein paar andere Sachen, die mit dem wahren Leben zu tun haben.
Also haute ich seit dem frühen Vormittag munter in die Tasten. Immer dann, wenn ich wieder einen Monat abgearbeitet hatte. (Nach Monaten sortieren, in die Bankbelege einsortieren, Kasse ordnen, Kasse einhacken, das wird demnächst alles übersichtlicher.)
Merken für später: Laß mich mit ein paar Schuhkartons Belegen und etwas zu schreiben längere Zeit allein und ich schreibe einen Roman.
Mittags redete ich mit meinem Ex, wer denn Ansprechpartner für Reparaturen im Haus sei und siehe da, ich mußte nicht mit der Fetten Elke telefonieren. Es reichte dem Hausmeister, einem grumpy middle-aged man, Bescheid zu sagen.
Der Ex machte mir nach der Frage „Wie läufts denn bei dir so?“ zum wiederholten Mal das Angebot, daß ich bei ihm Geld verdienen könnte. Indem ich auf Erfolgsbasis Kaltakquise mache für ein Produkt, das nicht einmal er in drei Sätzen beschreiben kann und dessen Nutzen, nun ja, vage bzw. eher in die Zukunft orientiert ist. Wobei ich als Hauptproblem orte, daß er alle anfallenden Arbeiten allein erledigen möchte, auch die laufende Instandhaltung und Funktionalität am Ort der jeweiligen Installation der Anlage. Denn er macht jetzt schon den Eindruck, daß er bis kurz vor dem Zusammenbruch ausgelastet ist.
Das kränkt mich immer ein wenig. Er kennt mich schließlich sehr gut und weiß, daß ich keine Verkäuferin bin. (Allerdings eine bessere als er.) Und wenn ich an meinem nächsten Laden bastele, dann verschwende ich doch nicht meine Zeit mit einer so vagen Verdienstmöglichkeit. Warum versucht er mich immer wieder als Hiwi anzuheuern? Egal, er war schließlich auch angefressen, als ich ihm schon etwas vehementer absagte.

Am Nachmittag legte ich dem Hausmeister einen Zettel vor die Tür, in dem ich mein Problem beschrieb und keine Stunde nach der Heimkehr von der Arbeit stand er selbst samt Werkzeug vor der Tür. Ich hatte es ja schon ein wenig befürchtet, wenn man die Installationen in diesem Haus etwas fester anpackt, sieht man Sachen, die man nie gesehen haben möchte. Zur Hälfte mit Rost zugesetzte Rohre zum Beispiel. Er schraubte tapfer eine Stunde lang und machte es zumindest möglich, daß ich wieder fließendes Wasser ohne Seen auf dem Badezimmerboden hatte. Die Restarbeiten folgen heute.

Das mit dem Schlafen war so eine Sache. Ich las bis zwei Uhr nachts, aber dann klappte es.

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7. Ein Buch, das dich an jemanden erinnert

Als ich schon einmal einige Jahre in diesem Schöneberger Doppelmietshaus wohnte, hatten wir eine Nachbarin, die im weitesten Sinne zur Familie meines Lebensgefährten gehörte. Sie war die Sekretärin und Buchhalterin seiner Großeltern bis zur Aufgabe der Konfektionsfirma in den späten 60ern.
Ein klassisches Fräulein, das Beruf und Freiheit vor Heirat und Hausfrauendasein stellte. Auch ihre Schwester, die ein Leben lang mit ihr zusammen wohnte, hatte den gleichen Weg eingeschlagen, sie war Sekretärin in einem großen Chemieunternehmen, starb aber, bevor ich Fräulein K. kennenlernte.
Fräulein K. hatte alles mitgemacht. für eine Tochter eines höheren kaiserlichen-preußischen Beamten war sicher ein anderes Leben geplant. Doch dann brach das Deutsche Reich einmal zusammen, danach Inflation in einer riesigen, repräsentativen Wohnung am Charlottenburger Steinplatz, finanziert von einer Beamtenpension. Später Berufsausbildung, Steno, Maschine schreiben, Buchhaltung. Männer sicher, aber zu welchem Preis? Einen Mann bedienen und zufriedenstellen für Essen, Kleidung und Wohnung? Also Arbeit und Eigenständigkeit. Und Verschwiegenheit in Liebesdingen.
Nazis? Vollidioten aus Bayern, Identifikationsfiguren für Enttäuschte aus Proletariat und Bürgertum, die bei der dynamische jungen Angestelltenklasse kaum Gehör fanden. Vorerst.
Dann der Krieg, die Firma nähte statt Blusen Fallschirme. Stillschweigende Verlobung mit einem Piloten, der nicht zurückkehrte. Verlagerung des Betriebs nach Böhmen. Nachrichten aus Berlin. Diese Freundin ausgebombt, jene Freundin im Keller verschüttet und tot. Alles um die alte Wohngegend herum platt oder ausgebrannt. Das Deutsche Reich war ein weiteres Mal zusammengebrochen.
Rückkehr nach Berlin. Im Frühsommer 1945 mit der Schreibmaschine in der Hand durch die Ruinen 10 Kilometer zur Arbeit laufen. Mit Hunger im Bauch und kaputten Schuhen. Abends ging es zurück und dann wurde getanzt und gefeiert oder ins Theater gegangen.
Die Jahre vergingen, es gab wieder zu Essen, es wurde bis in die Nacht gearbeitet und im Urlaub in die Alpen gefahren. Großbürgerliches Wohnen war vorbei. Wozu auch. Männer waren Mangelware und die beiden Schwestern wollten sich nicht mit zweiter Wahl begnügen. Kriegsinvaliden, Greise, Witwer, Verheiratete, wozu? Dann lieber für O.W. Fischer schwärmen. Und eine kleine, praktische Wohnung mit der Schwester teilen. 50 Quadratmeter mit Balkon, Fernheizung, Warmwasser, kleiner, paktischer Küche und Bad, was braucht man mehr?

Aus dieser Zeit stammt das Buch Am grünen Strand der Spree von Hans Scholz. Es hat im Tonfall noch immer die Berliner Coolness der späten 20er Jahre. Gebrochen durch Kränkung, Trauer, Unverständnis und Schuldgefühl.
Da säuft sich die Generation geschichtenerzählend durch die Nacht, die 10 Jahre später von ihren Kindern beinharte Vorwürfe bekommt, es wäre doch einfach und zwingend richtig gewesen, dagegen zu sein.
Nun ja.

Ich habe dieses Buch mit Befremdung und Freude gelesen, weil es mich an Tucholsky, Vicki Baum und Kästner erinnerte. Es war so anders als die langweilig-pathetische Pflicht- und Schuldigkeitsliteratur der Ostzone. Mit Alkohol und Jazzmusik, tollen Frauen und großfressigen Kerlen. Eigentlich viel mehr das Leben als diese mittleren epischen Helden (diese Wortkonstruktion ist nicht mal mehr zu googlen) mit ihrer Betroffenheits- und Läuterungsproblematik.
Der ganze Fragebogen.

18.10. 10

Wieder einer dieser Tage, von dem gesagt wird, daß hinterher das gute Wetter definitv vorbei ist und man ihn deshalb nutzen müsse. Aber ich habs seit zwei Jahren nicht so mit der freien Natur, wenn ich in der Stadt bin. Kommandomäßig raus, um einen Weg an einem See langzulatschen, ist gerade nicht angesagt. Da sehe ich lieber von drinnen nach draußen und sage: wirklich schönes Wetter!
Außerdem war Montag. Ein fieser Montag obendrein, denn er begann mit einem Anruf, der hieß: Du, das Finanzamt war eben hier. Nun habe ich vorm Finanzamt nichts zu verbergen. Ich hänge nur mit allem, was nötig ist, exakt das Jahr hinterher, in dem ich nur das Tagesgeschäft so schlecht und recht erledigte und mich später mit mehr Kraft an den Neuaufbau und die Abwicklung machte. Wer hat da Zeit für Formulare? Eine lasche Ausrede, ich weiß.
Also machte ich als erstes dieses Formular fertig. Schon komisch, was die in einem Zusatzfragebogen noch alles von einem wissen wollen. Ob man speziell qualifizierte Arbeitskräfte braucht. Ob man sein Equipment gemietet hat und wenn ja, bitte Mietverträge beilegen. Ob man bei der Bank Finanzierungen abruft. Dann noch ein Organigramm der Firma beilegen. Was geht die das an, wenn es nur um Steuern geht? So was ärgert mich.
Den zweiten Teil des Arbeitstages reagierte ich mich mit Recherchen und Schreiben ab.
Dann ging ich gegen 18 Uhr mit Werkzeug ins Bad, mit dem Vorhaben: schließte mal schnell die Waschmaschine an und putzt durch, bevor du dir einen netten Abend machst.
Der nette Abend fiel aus. So bald ich die Installtionen unter dem Waschbecken nur anfaßte (und sie tropften schon seit Monaten), gab es Fontänen. An den Anschluß der Waschmaschinenzuleitung war bald nicht mehr zu denken, ich mußte nur wieder alles dicht bekommen. Gegen 22:30 Uhr entschloß ich mich dann, bis zu einer richtigen Reparatur das gesamte Wasser abzustellen, denn die Absperrventile des Waschbeckens funktionierten schon beim Einzug des Kindes vor 4 Jahren nicht.

Was heißt, die Ex-Schwiegercousine anzurufen. Die mich nicht mag. Aus Gründen.
Teils aus sehr berechtigten. Tauchte ich doch bei ihrer Hochzeit in einem cremefarbenen, langen Chiffonkleid auf. (Schwiegermutter hatte auf meine Nachfrage, ob denn auch Weiß ginge, gesagt: Ja klar, ist doch Sommer, ich komme auch in Weiß! Sie kam in Rot.) Und alle Nichtinformierten hielten mich für die Braut. Dafür hatten sie uns ohnehin per Tischordnung an den Katzentisch mit den langweiligsten Patentanten gepackt.
Teils aus unberechtigten. Wir sind gleich alt. Sie wohnt mit Mann und drei Kindern noch immer im Haus der Eltern. Nach der Hochzeit hat sie das Arbeiten eingestellt (Wozu heiratet man!), seit dem ersten Kind geht ihr die Mutter im Haushalt zur Hand und angesicht der schweren Bürde ihrer Existenz aus Kochen, Putzen, Näharbeiten und Mieterkontakt haßt sie die meine aus vollem Herzen. Einfach so leben, Spaß haben, arbeiten, Erfolg haben, dann zu Abwechslung auf die Nase fallen, den Partner wechseln. Das geht ja nun wirklich nicht.
Ich bin gespannt, wie das Gespräch läuft.

Veröffentlicht unter Leben