Die Macht der Mätresse

Eines der heutigen Themen war, das Handeln und die Situationen anderer Menschen nachvollziehen zu können. Natürlich nicht mit Reden, sondern mit einer kleinen, trickreichen Spielsituation, die visualisierte, wie weit oben oder unten Menschen in Europa in ihrer Gesellschaft positioniert sind in Sachen Sorgenfreiheit, Ressourcenbeteiligung, Rede- und Bewegungsfreiheit. Natürlich ist das nicht frei von Projektionen und Klischees in den Köpfen der Beteiligten.
Das phänomenale, wieder nicht so ganz erwünschte Ergebnis war, dass neben dem korrupten südosteuropäischen Staatsbeamten die mit Kindern gesegnete Mätresse eines reichen Mannes in einem sehr patriarchalen Land die glücklichste und an fast allem Beteiligte war. Um das zu verifizieren, wie viel Projektion in dem Köpfen das Phänomen erzeugt hat, fragten wir einen Teilnehmer, der sich dort auskennt. Und der konnte das bestätigen: Die Zweitfrau (wie er sagte) eines reichen Mannes, vor allem wenn sie Kinder hat, ist ziemlich sorgen- und unannehmlichkeitenfrei, wenn sie das Geld zusammenhält und für das Alter vorsorgt. Bis auf den Umstand, dass sie bei anderen nicht in hohem gesellschaftlichen Ansehen steht und verborgen lebt.

Überhaupt bin ich sehr glücklich über viele Beobachtungen, die ich mache. Es räumt so angenehm mit unreflektierten Vorstellungen auf. Dieses Lamento „alles wird immer schlechter! Früher war alles besser!“ Mit scheint mit dem intereuropäischen Blick, daß die alten Sozialstaaten wie Deutschland und Schweden auf so hohem (Versorgungs-)Niveau in der Mindestbedarfssicherung gelebt haben, dass es davon scheinbar nur noch abwärts gehen konnte. (Ob ich das, was mit dem deutschen Arbeitsmarkt in den letzten Jahren passiert ist, gut finden kann, weiß ich noch nicht.)
Dass in den Süd- und Osteuropäischen Staaten die Mischung zwischen Aufbruch und Frustration herrscht, die wir Ostdeutschen auch kennen. Dass es den Leuten besser geht, sie dafür aber auch einen Preis zahlen. Dass ernährungsbewusste Letten lieber russische Produkte kaufen, statt allgegenwärtigem deutschem Industrieessen.

Und ich spreche endlich schamlos englisch. Ich habe zwar nicht sehr viel mehr gelernt, weil gar keine Zeit bleibt für neue Vokabeln. Aber ich habe meine Blockaden über Bord geworfen.
Auch wenn es sehr anstrengend ist, denn bisher gab es jeden Tag 9 Stunden Programm, ich bin froh über diese Entscheidung, hier zu sein.

(Natürlich auch wegen des Essens. Heute gab es Mittags und Abends als Plato Segundo umwerfend guten Fisch mit Gemüse und Salat. In den letzten zwei Tagen wurden abends das Essen verspachtelt und die Schnäpse getrunken, die die Teilnehmer aus der Heimat mitgebracht hatten. Sehr witzig, dass es Unmengen von Würsten gab, die fast gleich schmeckten, aber von jedem als regionale Spezialität gepriesen wurden. Dazu gabs dann RakiAquavitKräuterschnaps.)

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8 Gedanken zu „Die Macht der Mätresse

  1. Von der französischen Freundin weiß ich, dass die Nebenfrau auch heute noch in Frankreich durchaus »salonfähig« ist; ja selbst den Ehefrauen ringt ihre Existenz Respekt ab. Für den eigenen Ehemann, versteht sich.

    • In Italien ist das wohl auch so. Bei bestimmten Gelegenheiten wird nicht die Ehefrau mitgenommen.

  2. Ach wie schön, dass Sie Englisch so befreit sprechen, das ist ganz richtig so. Meine Großmutter hat vor meinem ersten Arbeitstag in einer internationalen Behörde sehr richtig gesagt: Bay a ferd kukt man af di tseyn, bay a mentshn afn seyhkl und immer wenn ich in welcher Sprache auch immer zu straucheln meine, fällt es mir wieder ein.

  3. Wenn nicht da guter Fisch auf den Tisch kommt, wo dann.
    Vielleicht können Sie noch einen „Scorfano in humido“ bekommen, ein Gedicht!
    Ach ja, Palermo könnte ich auch mal wieder brauchen.
    Gibt’s Granita in Ihrer Nähe? Für Maulbeeren ist es wohl noch zu früh im Jahr.

    • Der Fisch ist göttlich, für die Cassata, die es beim Dinner in Palermo gab, würde ich morden und am Meer gab es winzige Maulbeeren auf die Hand.

  4. Hört sich sehr spannend an, ich hoffe Sie genießen dies alles!

  5. Schamlos Englisch sprechen ist nicht das Schlechteste, was man in Sachen Schamlos-Sein so anstellen kann. Sehr gut!

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