Vigil 09

Es riecht morgens schon nach Frühling. Ich schaue nach Bowlegefäßen. Doch der Graf bremst mich aus. In der Heimat steht noch so ein riesiger Glaspott.
Mir ist nach einem Abend mit Freunden mit Maibowle und Kalter Ente an einem der ersten heißen Berliner Scheinsommerwochendenden im April. Dazu altmodische Häppchen und Salzstangen.

(Dass es für die Kalte Ente eine große Karaffe mit Stahl- oder Silbermontierung sein muss, wußte ich gar nicht, Oma hat die immer im Topf gemacht. So eine Karaffe hätte ich ja sehr gern.)

Vigil 08

In den Werbeblöcken auf PRO7 an einem Freitagabend geht es um Produkte, die meine Eltern mit ihren 72 Jahren zu 80%* nicht kennen bzw. nutzen würden, weil der Point of Sale das Internet ist.
Vor 7 Jahren unterhielt ich mich auf einer Geburtstagsparty mit einem Mediamanager im Ruhestand, der nebenher noch ein großes Internet-Reiseportal beriet. Er meinte, er animiere gerade die Digitalmenschen dort, Werbespots im Fernsehen zu schalten. Ich war skeptisch bis belustigt. Ich arbeitete zwar noch dem Fernsehen zu, saß aber selber nur noch ab und zu berufshalber davor. Ich fand das, was mich interessierte, problemlos im Netz.
Heute ist also der Free-TV-Sender mit dem jüngsten Publikum eine Litfaßsäule für Apps und digitale Portale.
Wenn Werbung für Sky läuft, Leo Kirchs Problemkind, das seit zwei Jahrzehnten gefördert und gepampert wird und trotzdem immer wieder Stütze braucht und sich nicht selbst ernähren kann, frage ich mich nur, ob das immer Sender für Sender noch lineares Programm ist. (Ok. Video on Demand gibt es auch.) Aber wer macht das heute noch, für Fernsehen bezahlen, um das Programm nicht beeinflussen zu können? Das interessiert doch nur Fußballmenschen.

Wann setze ich mich vor die Glotze, besser gesagt den Beamer? Alle zwei oder drei Monate, um mir einen Abend wahllos alles reinzuziehen, bei dem ich hängenbleibe. Für meine Eltern wäre das undenkbar, da läuft der Fernseher jeden Abend.

Autos, Windeln, Pizza, Bier und deutsche Schlager sind die anderen 20%.

Vigil 07

Erst nach einem wunderbaren Abend von der ehemaligen Kollegin eingeladen worden, dann rundet der Taxifahrer mangels Kleingeld auf den glatten Zehner ab. – Was ist denn los mit meinem Karma?
Ein Abend, um noch mal in die Zeit von März bis November 2015 einzutauchen. Die Menschen fehlen mir sehr, die Struktur auf jeden Fall und die Erfolgserlebnisse ein bisschen. Aber das hat kein Gewicht gegen den Preis, den ich/mein Körper/meine Gesundheit dafür zahlen würden.
Ich wiederhole seit dem Herbst den Satz: Ich suche einen – womöglich auch unsexy – Job für zwei Tage die Woche. Ob es den gibt, werde ich sehen.

Vigil 06

Neulich standen wir beim Einkaufsbummel im Kaufhaus vor Bettwäsche, die von Fadendichte und Baumwollqualität so ungefähr dem entsprach, was sich unsere Mütter und Großmütter für die Aussteuer in den Schrank gelegt hatten.
Ich habe keine Ahnung, wie teuer gute Bettwäsche in den 50ern war, sicher kaufte man das nicht so nebenbei, die Aussteuer war ja so etwas wie die Mitgift einer jungen Frau, ohne dass es um Geldbeträge ging und musste ein Leben lang reichen oder wurde – da geschont – noch vererbt.
Bei den Kissen, Laken und Bezügen, die wir uns ansahen, hätte eine 4teilige Granitur (2 Kissen, 2 Bettbezüge, 2 Laken) ca. 1.000€ gekostet, also 40-50% eines Nettodurchschnittsgehaltes. Ich frage mich, ob das ungefähr dem entsprach, was früher dafür ausgegeben werden musste.