Das Ganze begann mit dem Kitty-Traum von einem Himmelbett und einem Irrtum. Unsere vorherige Unterkunft lag unweit von Sroda Wielkopolska (oder deutsch Schroda) und dann tauchte bei unserer Suche ein Schloss auf, das ein wunderbares Himmelbett anbot und schrieb „12 km von Schroda entfernt“. Super! Wir würden von einem Schloss ins andere fallen.
Als ich morgens die Route raussuchte, bekam ich große Augen. Rund um Poznan gibt es gut vier Orte mit diesem Namen. Da ist wie mit Wittenberg und Wittenberge. Unser nächstes Schloss lag 110 km und eine Fahrt quer durch Poznan entfernt – und wenn man es genau nimmt, mussten wir sogar wieder ein gutes Stück zurück in Richtung Deutschland. Meh.
Also quälten wir uns bei mehr als 30 Grad durch die Innenstadt-Umfahrungsstrassen, auf denen samstäglicher Einkaufsverkehr herrschte. Als wir dann über die Dörfer durch eine hübsche Landschaft mit Hügeln und vielen Seen schaukelten, waren wir schneller da, als wir erwarteten. Ein großes Schloss mit Renaissancezitaten und historisierenden Zinnen lag an der Straße. Ein junger Mann, der sehr gutes britisches Englisch sprach, empfing uns und das Himmelbett war genauso, wie ich es mir wünschte.
Dazu gab es dann auch noch eine Badewanne 2.0, nämlich einen Whirlpool in einem Marmorbad mit Wandmalereien, einen riesigen Park, so viele Speisesäle, dass man einen ganzen Hofstaat abfüttern könnte, geschmückt mit Gemälden der letzten Jahrhundertwende, Teiche mit Bötchen und einen Streichelzoo mit Kühen, Bullen und Kälbern, Schafen, Esels-Kind und -Mama, Pferden, Ponys, Enten, einen dreibeinigen Ziegenbock und ein einbeiniges Schlossgespenst (das Foto steht so in Booking) In den uralten, riesigen Bäumen saßen Starenschwärme, Kraniche trompeteten und morgens sang der asiatische Gärtner ein wunderliches Lied.
Wir saßen nach dem Abendessen noch lange auf der Terrasse, es war ganz warm und der (Fast-)Vollmond ging auf. Irgendwann tanzten wir barfuß im Mondschein Walzer und Tango.* Mitten in der Nacht fielen wir in das Himmelbett, das weich wie Moos war. Überhaupt waren wir fast allein in diesem riesigen Haus.
Am nächsten Tag saßen wir erst lange im Schatten eines großen Baumes, die Menschen ließen uns in Ruhe, die Esel kamen immer mal nach uns schauen. Der kleine Esel war mitten in der Pubertät. Mal raste er ausschlagend über die Wiesen, mal kam er zutraulich kuscheln. Dann wieder fuhr er verträumt staunend seine bereits beachtliche Männlichkeit aus, um fünf Minuten später drängelnd zu schauen, was Mamas Milchbar noch hergibt.
Am Nachmittag fuhren wir zum größten der Seen, um zu schwimmen. Polen haben es ja nicht so mit schwimmen. Ähnlich wie Italiener stehen sie lieber bis zum Bauch im Wasser, schnacken und passen auf die Kinder auf. Deshalb wurde ich wahrscheinlich von sechs wohlgenährten, baumlangen Dorfjugendlichen auf einem Tretboot, das wegen Überladung fast unterging, bestaunt wie ein Kalb mit zwei Köpfen, als ich mal richtig durchzog, um voranzukommen. Vorankommen wollte ich nicht unbedingt aus sportlichem Ehrgeiz, sondern weil ein Gewitter aufzog, davor habe ich einen Heidenrespekt.
Auf dem Rückweg kamen wir in einen Sommerregen und in verrücktestes Licht.
Das war der schöne Teil. Es gibt noch eine Kehrseite, die mich mitunter in irres Kichern ausbrechen ließ. Darüber, dass am ersten Abend nach dem ersten Getränk und dem Hauptgang Schluss war, der Koch war nach Hause gegangen, es sei schließlich Wochenende. Dass unser Zimmer über die Heizungsrohre eine direkte akustische Verbindung mit dem Aggregat im Kühlraum hatte, was mich dazu brachte, nachts die Räume fluchend nach einem laut laufenden Kühlschrank zu durchsuchen. Dass der Whirlpool halb kaputt war (Wartungsklappe? – Fehlanzeige, das Ding war direkt in Marmor eingelassen) und die Dusche mit dem ebenerdigen Ablauf eine Fehlkonstruktion, die binnen Minuten das Bad unter Wasser setzte. Dass das Essen gut und ansprechend war, aber den Eindruck erweckte, man hätte alles an Vorräten zusammengesucht, was man noch hatte.
Der junge Mann mit dem britischen Englisch strahlte einen unerschütterlichen Optimismus aus, ich hatte mitunter das eine oder andere „WTF?“ auf der Zunge.
Wenn ich das Schloss beschreiben müsste, dann mit den Worten: Leben wie Gott in Frankreich in der Mitte von Nirgendwo. Und zwar mit dem Anspruch des ersten und der Erfüllung des zweiten.
Ich hatte den Eindruck, dass die Erwartungen des Eigentümers, der vor 14 Jahren sehr viel Geld dort investiert hatte, nicht eingetroffen waren, warum auch immer. Vielleicht, weil die Größe des Hauses zuviel Traffic erfordert, was die Gegend nicht hergibt, weil sich immer wieder der sozialistische Habitus wie ein Gespenst einschleicht, keine Ahnung.
Außerdem hatte ich noch etwas gelernt. Wenn das Booking-Tool sagt, dass eine Location fast ausgebucht ist, kann das heißen, dass dort eine Riesenparty stattfindet oder aber dass man das Haus möglichst leer haben will oder sich vielleicht auch scheut, dauerhaft dutzende leere Zimmer zu annoncieren.
Hinfahren kann man, die Landschaft ist schön, man wird sich rührend kümmern, das Haus ist toll, der Park ist toll, aber man sollte auf allerlei sonderbare Überraschungen gefasst sein.
Und so sieht der Graf die Sache und schöne Fotos hat er auch bereit.
* Um hier einen romantischen Overkill zu vermeiden: Der Graf zählte Takte und ich versuchte, ihm nicht auf die Füße zu treten.