Die Splitter des zerschlagenen Spiegels

Die letzten Tage waren ein gesellschaftlicher Ehekrach. Die Frauen schrien heraus, was sich lange angestaut hatte. Worüber sie sich permanent ärgerten oder wo sie gekränkt und verletzt wurden. Hier und da versuchten zu reden, nicht gehört oder verlacht wurden. – Ein Auslöser und dann gab es nur noch #aufschrei. Der Hashtag ist doppelt passend.
Wie in jedem Ehekrach steht der Mann da und ist geplättet, versucht noch, blöde Witzchen zu machen, keift zurück oder schweigt schlußendlich. Und nun? Vorsichtige Wiederannäherung?
Bei einem satten Ehekrach gibt es zwei Szenarien. Das erste wäre: Frau denkt, dass der Mann sich ändert und macht weiter wie bisher und Mann denkt, jetzt ist ja alles wieder ok., sie hat sich eingekriegt und macht ebenfalls weiter wie bisher. Bis zum nächsten Krach. Das zweite: Sie setzen sich an einen Tisch und reden. Lassen sich Raum, dem anderen zuzuhören, vermeiden Schuldzuweisungen und finden eine Lösung. Beide werden nicht mehr weitermachen wie bisher.

Lösung zwei findet eher im Labor statt. An der Stelle zitiere ich mal den guten alten Heiner Müller: Die erste Erscheinung des Neuen ist der Schrecken.
Der #aufschrei-Diskurs verweist auf etwas ganz anderes. Belästigung und das massenhafte Aufbegehren sind ein Diskurs um Macht und Machterhaltung, ja auch um die Struktur von Macht. Wir sehen in den Splittern des zerschlagenen Spiegels nur noch kleine Teile der Welt.*

Jakob Augstein spricht in Spiegel online von der Krise des weißen Mannes. Davon – so wie ich es verstehe – daß die alten weißen Massas, die mit Vorliebe junge Frauen ansäfteln – abtreten werden. Nur, das ist ohnehin die biologische Lösung, darum geht es nicht.
In den Diskussionen der letzten Tage wurde an einem Mann-Frau-Dissenz deutlich, dass es zusätzlich Generationenschichtungen gibt. Da sitzt Wibke Bruns bei Jauch und alle sind entsetzt über ihre Konservativität und ihren Zynismus. So what? Die Frau ist über 70. Die ist zu einer Zeit ins Spiel getreten, in der im öffentlichen Diskurs eine Frau als infantiles Wesen galt. Dann sitzt Alice Schwarzer auf der anderen Seite und erklärt allen wortgewaltig, was als nächstes kommt. Eine Frau, die unerschrocken viel für die Veränderung in den Köpfen getan hat, aber tatsächliche Intimität zu Männern nie thematisiert und sehr wahrscheinlich auch nicht gelebt hat. Über den Nahkampf theoretisiert sie. Dann sitzen da junge Frauen. Anne Wizorek aka @marthadear, Silvana Koch-Mehrin und geben schlichte und sehr ergreifende Statements ab, so sie zu Wort kommen (die Erste) oder reden wollen (die Zweite).
Fällt auf, wer in der Runde fehlte? Richtig. Ein junger Mann.
Der kam am nächsten Tag zu Wort, bei ZDF login. Ein Pick up Artist. WTF? Der einzige junge Mann, der sich ein Statement zutraut, ist einer, der trainiert hat, wie man Frauen dressiert. Glaubt er zumindest.

Die Tektonik, die dieses Erdbeben auslöste, ist also viel komplizierter. Junge Frauen haben zwar keine Macht, aber jede Menge Aufmerksamkeit, meist mehr, als ihnen lieb ist. Junge Männer haben nichts dergleichen. Aber im Vakuum der Nichtachtung üben sie für die Macht. Mit jeder abwertenden Geste eines Chefs oder Professors, für den sie sich krummlegen, jedem verächtlichen Korb, den sie von einer Frau bekommen, zieht sich eine innere Feder auf. Machthunger ist auch und oft Ergebnis tiefer narzisstischer Kränkung. Dieser Artikel in Cicero spricht Bände darüber.
Den kann man mit einer knappen Geste als Schwachsinn abtun. Sollte man aber nicht. Er benennt nämlich eines sehr genau: Frauen stehen, wenn sie jung sind, eine Menge Türen offen. Katzentüren allerdings oder Portale an der Seite eines Mannes, der ihnen Zutritt verschafft. Aber sie sind erstmal drin, wo junge Männer noch an den Absperrungen rütteln.

Wie schaffen es junge Frauen, die Deko-Objekt-Phase zu überleben und tatsächlich Macht zu bekommen? Im Spiel zu bleiben? Momentan sieht das noch nicht gut aus.
In einem Präsenz-Seminar, das wir hielten, stand eine Studentin bei der Vorstellrunde auf und sagte: „Ich will in den Vorstand der Lufthansa!“, dann legte sie den Kopf schief, giggelte und machte einen Knicks. Gleichaltrige Männer hatten diese automatische Unterwerfungs-Körpersprache nicht. Ich habe das nicht als niedliche Bagatelle abgetan, sondern die Frau darauf hingewiesen. Solche Automatismen sitzen tief und sind Marker für Denk- und Handlungsmechanismen.
Wenn ich dann die Reaktionen auf meine penetranten Nachfragen bei #aufschrei, was die Frauen selbst gegen Belästigung zu tun gedenken sehe, ähneln sie sich in der strikten Weigerung, aus der nett, harmonisch & defensiv-Ecke herauszukommen und der ebenso strikten Forderung, nur die Männer hätten sich zu ändern.
So lange Frauen Männern so viel Raum und Bedeutung (kennt ihr alle: Frauen treffen sich, um über Männer zu reden) geben, haben diese gar keinen Anlass, sich zu ändern. So sitzen die alten weißen Massas breitbeinig auf ihren Thronen und die jungen Damen lagern zu ihren Füßen, machen sich schmal und sehen schön aus. Wenn die Zeit gekommen ist, ist Platz auf dem Thron für einen neuen weißen Massa. Warum bitte, sollte jemand freiwillig Macht und Mitbestimmungsrecht abgeben? Erklärt mir das!

So ereignet sich seit einigen Jahren, daß Frauen zwar ziemlich früh mit dabei sind, aber im mittleren Alter, wenn es wirklich an die Macht geht und sie aus der Deko-Objekt-Phase raus sind, zurückgefallen sind. Weil sie in den 30ern, wenn die Männer aufholen im Rennen, Familie gründen und Kinder bekommen (müssen, wann, wenn nicht dann!) oder weil es bisher noch relativ leicht war, sie aber die Herausforderungen scheuen, die jetzt kommen, die nicht mit Anpassung und Fleiß, sondern mit Exponiertheit, Härte und Chuzpe zu tun haben.
Die Welt der Führungsetagen wird sich ändern, wenn Frauen mitspielen. Aber dafür müssen sie erst dort hinkommen und vor allem, dort bleiben und wirken. Mit der Frauenquote wird ein Raum geschaffen, für den Frauen bereit sein müssen – nicht nur fachlich.

Ich bin dankbar für #aufschrei. Denn es steckt mehr dahinter, als nur die Beschwerde über Belästigungen. Es geht um Respekt, Würde und Macht. Macht bekommen wir nicht geschenkt. Die müssen wir uns nehmen.

* Ich weiß, Analysen sind kalt. Ich rede mit Absicht von den Alltagskonflikten zwischen Mann und Frau. Straftaten gehören angezeigt. Schon weil Täter sonst kein Regulativ erfahren.

edit: Interessant, zu hören, daß immer, wenn in diesen Tagen die Rede auf Angela Merkel kam, gesagt wurde: „Aber nicht die als Beispiel, nicht so!“ Wie denn bitte? Das ist die Realität. So sieht die mächtigste Frau der Welt aus. Und nur ein ziemlich unterbelichteter Typ hat mal versucht, ihr zu nahe zu treten, das war Bush jr.

Aus dem Leben einer Dame

 


Ich hatte Maikes Beitrag bei Kleinerdrei noch garnicht gelesen, da platzte mir heute morgen mittag bei Twitter dezent die Schleife am Hut. Ergebnis sind die zwei obenstehenden Tweets. Ich versuche mal, im gleichen Stil darauf zu antworten und mache mich auf die Suche nach der Ursache, daß ich im Chor der belästigten Frauen nicht mitsingen kann.

Ich hasse öffentliche Verkehrsmittel. Weil Frauen und Männer damit fahren, zu viele Frauen und Männer, die in ihrer Mitbenutzerschaft öffentlicher Verkehrsmittel meine Distanzschwelle unterschreiten. Mir sind dabei um sich schlagende alte Damen und laut telefonierende Proll-Hühner genauso zuwider, wie Männer, die stinken oder deren Eier die Größe von Melonen zu haben scheinen, wenn es nach ihrer Breitbeinigkeit ginge. Ich kann mich an Belästigung dort nicht erinnern. Doch. Einmal. Ich war 22, hatte mir die in den 80ern modernen Bermuda-Shorts aus Anzugstoff genäht und trug sie zu Pumps, Ledermantel und hautfarbenen Nylons. Das gab lautes Gegröle in der Straßenbahn im Oderkaff, das war zu Avantgarde, ich hätte dort auch nackt einsteigen können.
Wenn mir nachts jemand folgt, laufe ich langsamer, lasse mich überholen und halte meine Handtasche fester. Komischerweise erst seit dem Burnout, ich bin vorsichtiger geworden und körperlich nicht mehr so fit.
Als vor 14 Jahren während der Berlinale ein albanischer Taschendieb nachts um zwei Uhr in der Fasanenstraße sexuelle Belästigung vortäuschte, indem er den anlehnungsbedürftigen Betrunkenen spielte, mich umarmte, mir gleichzeitig die Handtasche öffnete und mein Handy klaute, ärgerte ich mich, denn das Handy war neu und teuer. Ich buchte es als Erfahrung ab, jetzt zu wissen, wie Taschendiebe arbeiten.

Mir ist es öfter passiert, dass ich belästigt wurde, wenn ich in jüngeren Jahren mit einer Freundin unterwegs war. Sie schien das anzuziehen. Wir wurden von halbbetrunkenen Männern nachts beim Nachhausegehen begleitet und zugelabert. Bis ich irgendwann stehenblieb und wütend wurde. Wenn eine Frau sich aufbaut, die Hände in die Hüften stützt und laut schreit: „Paß mal auf Freundchen, du verpisst dich jetzt! Und zwar so-fort“ oder „Ich reiß dir gleich die Eier ab!“, sieht sie nicht mehr hübsch aus. Und nett ist sie dann auch nicht mehr. Die Herren machten dann meist einen Spruch in Richtung „Ey, is ja gut!“, setzten noch irgendwas von „Blöde Lesben!“ nach, um nicht ganz das Gesicht zu verlieren und trotteten fix davon.
Was war anders zwischen uns? Hübsch waren wir beide. Ich wirkte vielleicht nicht so mädchenhaft niedlich. Und ich hatte keine Hemmungen, böse zu werden.
Das ging so weit, dass sie in der Straßenbahn neben mir saß und von einem Mann geschlagen wurde, der Wut auf Frauen hatte und sie nichts tat, sondern sogar noch zu mir sagte, das wäre ganz richtig so, dann würde sie sich mal wieder spüren. Wtf? (Das war aber schon die Zeit, in der ich mir abgewöhnt hatte, für Leute zu fighten, die das gar nicht wollen, aber das ist eine andere, sehr lange und bittere Geschichte.)

Ich bin oft allein getrampt und dabei achtzehnjährig im Hippiekleidchen mit langer blonder Mähne auf LKWs, neudeutsch Trucks, mitgefahren. Einmal fragte mich einer am Ende der Tour, als er mir die Kraxe runterreichte, ob ich denn nicht wolle. Ich erst mal: „Hä???“ und als ich kapierte, „Ach nee, lass mal, weder mein Freund, noch deine Frau würden das mögen.“ Brenzliger wurde es, als ein Fahrer auf einen Auto- und menschenleeren Waldparkplatz einbog, anhielt und meinte: „Na, wie isset?“. Ich hatte meine Menthol-Mundspray-Flasche (Pfefferspray gabs ja im Osten nicht) verdeckt griffbereit, überlegte, daß es mir nichts nutzen würde, hier aus dem Auto zu springen und sagte ihm dann ganz ruhig: „Sie fahren  jetzt wieder raus auf die Straße!“ Was er machte.
Ich bin auch in den folgenden Jahren allein in Urlaub gefahren, mir ist nie etwas passiert. Klar hat mich mal jemand angebaggert. Aber da reichte ein freundliches „Kein Interesse“, egal in welcher Sprache.

Was mir im Nachhinein fast komisch erscheint, dass ich in diesen Situationen nie Angst hatte. Ich war entweder sehr ruhig oder wütend. Hilfe von Anderen habe ich gar nicht erwartet. (In der Fasanenstraße stand 50 m von uns ein Polizist vor der Synagoge Wache.)
Die täglichen Balzfiguren von Männern nehme ich mal amüsiert-geschmeichelt zur Kenntnis, mal blende ich sie aus. Mit 48 findet Frau hinterherpfeifende Bauarbeiter witzig. Das kommt nämlich nicht mehr so oft vor. Wie überhaupt der Antrieb der Männer, sich blödsinnig und risikovoll zu benehmen, mit den Jahren nachlässt. Die Stellschraube sind Reife, Testosteronspiegel und Sozialisation. Alkohol, Herdenverhalten und Jugendlichkeit des Objekts der Begierde/Statusgefälle neutralisieren diese Faktoren wiederum.

Natürlich gab es auch blöde Erlebnisse. Das ist ja hier keine Ansammlung von Superwoman-Geschichten.
Ein nichteinvernehmlicher Geschlechtsverkehr mit 20. (Ein Kollege, der Vater eines heute als Frauenschwarm bekannten jungen Schauspielers.) Daran habe ich lange geknabbert und mich schließlich einer Freundin anvertraut. Die meinte nur: „Macht gar keinen Sinn, mit jemandem nach Hause zu gehen und zu sagen, da läuft nichts. Vor allem, wenn er völlig breit ist. Lern was draus.“ Habe ich auch. Es ist: Das tust du nie wieder! Eine ähnliche Lektion, wie sie ein Mann lernt, wenn er als Zugereister beim Tanz die Dorfschönheit anbaggert. Die Fäuste im Gesicht sind unangemessen, aber erwartbar.
Eine pubertäre Zettelgeschichte „Wer mal anfassen dürf“ Ich war erschüttert, empört, gedemütigt. So hatte ich mir den Kontakt mit dem anderen Geschlecht (das noch drei Jahre zuvor mit mir Cowboy und Indianer spielte) nicht vorgestellt. Mir schwebte etwas wesentlich romantischeres vor, ein weißes Pferd spielte die Hauptrolle. Es traf mich um so mehr, als ich mich zu dieser Zeit ohnehin ungeliebt, unsicher, nicht geachtet und furchtbar einsam fühlte.
In den Hypezeiten des neuen Marktes tanzte ich auf einer Festival-Party eine Nacht wie damals üblich mit mir allein. Heftig und exzessiv, denn ich war traurig, unglücklich verliebt, hatte einen Eisprung und sah zu dieser Zeit wahnsinnig scharf aus. Irgendjemand hatte das gerochen und meinte (wahrscheinlich mit dem geblähten Ego des weißen Stärkungspulvers): „Du steigst jetzt zu mir ins Taxi!“ Ich explodierte sofort, was der Kerl sich denn einbilde. Er versuchte, mich ins Auto zu zerren und ich hab ihm eine geballert. Mir wäre das nicht so im Gedächtnis geblieben, wenn ich an diesem Tag nicht so verletzbar und bedürftig gewesen wäre – und wenn die Szene nicht vor dem versammelten Publikums des Clubs stattgefunden hätte, das auf Taxis wartete und mich sicher den ganzen Abend beobachtet hatte. Die Szene, die ich aufführte, war mir peinlich und ich fühlte mich gedemütigt.

Ich kann keine Opfer-Geschichten erzählen, denn ich will kein Opfer sein. Vielleicht ist das extrem, mag sein.Ich bin schon als ich Mitte 20 war, für kühl und unnahbar gehalten worden. Die Leute waren distanziert und respektvoll zu mir. Für mich war das nicht immer angenehm. Nahbarkeit hat Vorteile bei der Kommunikation. Relativ dominant und initiativ zu sein, bringt einem nicht gerade Bonuspunkte in der Männerwelt. Die Herren fühlen sich schnell kastriert.

Doch zurück zur Diskussion. Zu den sabbernden Brüderles, die junge Schwesterles belästigen. Jede Frau sollte lernen, dass sie sich entweder Respekt verschafft oder geht. Keine Frau muss sich schlecht behandeln lassen. Und wenn sie sich dieser Situation entzieht und damit den Männern, die bleiben können, unterlegen ist, so hat sie andere Situationen, wo das Dasein als junge Frau von Vorteil ist. Frau kann man sein, man muss sich nur zu helfen wissen.
Ich habe in solchen Situationen meine Vorbilder. Meine Großmutter KKM, Marion Gräfin Dönhoff und das alte Fräulein K., eine Nachbarin, um  die ich mich vor 20 Jahren kümmerte, als sie erkrankt war. Die haben ganz andere Zeiten durchgemacht und haben keine Opfergeschichten erzählt.

Wir leben in Europa, nicht in Afrika, Rußland oder Indien, in einer zivilisierten Zeit, in der wir Frauen so viel Macht und Gestaltungsmöglichkeiten haben, wie nie zuvor. Die mächtigste Frau der Welt, die Kanzlerin, ist eine Deutsche. (Was Feministinnen immer gern ignorieren.) Es wäre reizend und hilfreich, wenn wir mit unserer Macht umgehen lernen würden. Natürlich ist es nicht leicht.
Haben es Männer leichter? Sie sind ohnehin völlig verunsichert, was sie tun sollen/können/dürfen. Wie sie es machen, machen sie es falsch. Wenn sie nun noch freiwillig ihre Erbhöfe aufgeben würden, hätten wir Frauen wahrscheinlich den letzten Respekt vor ihnen verloren.
Sie sollen lieben, was auch und immer noch in der Erwartung vieler Frauen heißt: bebalzen, hofieren, einladen, beschenken und im Fall einer Familiengründung maßgeblich versorgen. Madame hat irgendeinen brotlosen Job studiert und lehnt sich zurück, denn sie hat ja The Rules gelesen und ist eine Prinzessin.

Auf die Dauer geht das so nicht. Wenn wir mehr Freiheit haben als vor 60 Jahren, dann müssen wir für unsere mentale und körperliche Unversehrtheit sorgen können. Verantwortung können nur angstfreie Menschen tragen. Diese Verantwortung für uns selbst, die können wir nicht den Männern zuschieben. (Das wäre ja wieder patriarchal.) Die Männer ändern sich erst, wenn solche Worte und Taten entweder nicht mehr oder ganz schlecht ankommen. Dann ist Belästigung nämlich nicht mehr normal.

Das bin ich

Ich mag Sex, Schlaf und Essen. Die Reihenfolge wechselt manchmal. Ich habe selten Angst und wenn, dann ganz große, was nicht immer beruhigend ist. Mein Kopf ist mit Millionen von Puzzlestücken überflüssigen Wissens angefüllt, weil ich als Kind wahllos und extrem viel gelesen habe. Ich kann etwas nur lernen, wenn es mich interessiert. Ich suche mir mit untrüglichem Instinkt, wenn ich die Wahl habe, immer das Teuerste und Beste heraus. Ich habe ein hohes Ignoranzpotenial. Ich muss mein Leben lang aufpassen, nicht zu dominant zu sein. Ich hasse Teamarbeit. Ich kann mich nur an andere Menschen annähern, wenn ich weiß, was ich von ihnen will und dass sie mich wollen. Ich bestimme sehr gern Pflanzen mit systematischen Bestimmungsbüchern. Ich weiß viel über Gifte und Flugzeugunglücke. Ich habe seit früher Jugend ein Worst-Case-Überlebensszenario für den Kriegs- oder Verarmungsfall im Kopf. Ich kann Selbstversorgen, Stricken, Nähen und Landwirtschaft. Ich habe keine Ahnung von Nutztierhaltung. Ich traue mir zu, ein Tier schlachten zu können. Ich plane nicht. Oder ich plane und vergesse dann den Plan. Ich bin absolut trial and error. Ich bin leidenschaftlich analytisch. Mein Charakter ist zyklothym. Daraus wurde nie eine richtige Krankheit, weil ich angepasst lebe. Aber ich weiß, dass ich den nächsten ernsthaften Schub mit Selbstzerstörung bezahle. 8 Miles High ist vorbei, meine Reiseflughöhe ist nun moderat. Ich brauche den Flow und die Kartoffelphasen danach trotzdem, denn das bin Ich, das ist nicht zu ändern. Deshalb verweigere ich Medikamente, die die Zyklen schnurgrade ziehen. Ich halte Krankheit für Schwäche und Schwäche für Krankheit. Ich entspanne  mich beim Kochen. Der Mann meines Lebens kam spät, aber s.o. trial and error. Ich wollte eigentlich keine Kinder und meine Tochter ist trotzdem ein Wunschkind. Ich bewundere sie und liebe sie bedingungslos. Ich kann nur ganz oder garnicht. Das ist manchmal anstrengend. Ich war schon einmal verheiratet. Ich habe mich mit 10 Jahren von der Kindheit verabschiedet. Damals war ich wahrscheinlich sehr depressiv. Aber das gab es damals noch nicht. Ich habe in der dritten Klasse fast einen Monat Schule geschwänzt, weil ich den Schulstoff des Jahres schon in den ersten 4 Wochen im Kopf hatte. Ich muss aus meinem Fenster bis an den Horizont sehen können. Ich höre nicht viel Musik, weil sie mich zu sehr aufwühlt. Dafür höre ich Musik im Kopf. Ich kann eine ganze Auswahl von Musikstücken, modern und klassisch, aus meinem inneren Speicher holen. Ich hatte im ersten Lebensjahr fünf verschiedene Schlafplätze und genauso viele Bezugspersonen. Meinen Bruder habe ich erst richtig kennengelernt, da war er drei und ich fünf. Ich liebe Wasser in Form von Seen und Flüssen. Ich sorge gern für andere. Ich lebe gern in einer engen Beziehung. Ich bin unrettbar heterosexuell, auch wenn ich jahrelang dachte, es könnte anders sein. Ich fahre gern allein in Urlaub in Gegenden, die fast keine Vegetation haben. Ich lebe wie eine Feministin und bin keine. Ideologien sind mir zu kleingeistig. Ich habe Angst, dass mir zu wenig Zeit bleibt, alles zu tun, was ich tun will. Diese Angst habe ich, seit ich vier Jahre alt bin. Ich bin für Sterbehilfe. Aber ich war noch nie gut darin, etwas richtig zu beenden. Ich bin Geisteswissenschaftlerin aus Verlegenheit. Für Naturwissenschaften war ich zu faul. Seit ich keine Kinder mehr bekommen kann, habe ich genial schöne Brüste. Früher fand ich die nicht schön genug, aber sie haben sich entwickelt. Nach der finalen OP habe ich wochenlang von Schwangerschaften und Babies geträumt. Ohne Gebärmutter fühle ich mich unverletzbarer und besser. Ich nenne es den Amazonen-Effekt. Wenn ich von Männern belästigt werde, werde ich so aggressiv, dass sie sofort die Flucht ergreifen. Deshalb habe ich als Frau allein nie Angst. Ich bin von einer Jungsmutter als Junge erzogen worden. Nicht ganz. Es war nie wichtig, welches Geschlecht ich habe, mir hat nie jemand gesagt, ich wäre „nur“ ein Mädchen. Ich will seit Jahren einen Roman schreiben und weiß, dass meine Phantasie nicht reicht, mir etwas auszudenken. Ich hasse Liebesfilme. Noch schlimmer sind romantische Komödien. In Filmen identifiziere ich mich meist mit dem männlichen Helden, weil die weiblichen Figuren nicht heldisch genug sind. Ich liebe. Zum ersten Mal in meinem Leben ohne Angst, daß es enden könnte. Ich träume von einem Angelurlaub in Kanada und von einer Skitour in Norwegen.

Unsere Direktive – Kultur am Arbeitsplatz

So hieß es in den 70ern in der DDR und so stand es auch an unseren Wandzeitungen. Ein paar pubertierende Lümmel aus den höheren Klassen hatten das Wort Kultur ausgestrichen und SEX drübergeschrieben. Das gab natürlich Ärger…
Und was meinen Sie dazu?

Miz Kitty vor fast 15 Jahren, fotografiert von einem sehr geschätzten Profi. Das Foto garnierte mein jährliches Werbe-Druckwerk. Was man auf dem Foto des gedruckten Fotos nicht sieht: Es war ein bisschen „Aber Hallo!“ Mehr als Spitzenkante meines BHs blitzte dort und es wurde kurz darüber geredet, ob man das nicht retuschieren müsse. Ich wollte das nicht. Ich hatte Spaß an der Frau im Nadelstreifenanzug mit der kleinen Offenherzigkeit. Das bin ich, zart und hart.
Für das Geschäft war es natürlich nicht schlecht. Ich hatte nie wieder so viele Einladungen, die Verhandlung doch persönlich und nicht per Telefon zu führen. (Plötzlich war es dann auch der Chef und keiner seiner Indianer.) Man ging essen, redete, machte auf den Abschluss den Deckel drauf, orderte sogar nach und ich verdiente gut.
Ich führte das zunächst nicht auf das Foto zurück. Bis mir eine Freundin, die in einer der nämlichen Firmen arbeitete, sagte, ihr Chef wäre so angetan von mir, er erzähle gern, ich wäre nicht nur gut im Job, sondern auch noch attraktiv, er hätte das Foto im Katalog mit der Realität abgeglichen.
Sex Sells. Isso. Der Anlass für diesen Ausflug in die Vergangenheit ist eine junge Dame, eine Bäckerin und die Diskussion, die sich um ihre Webpräsenz entspinnt.
Aufgeschnappt hatte ich das bei der Kaltmamsell, die schrieb:

Allerdings hätte mich zudem interessiert, warum Frau Pölzelbauer ihre Bäckerei online mit erotischen Fotos von sich präsentiert.

Und ich dachte „Skandal“ und klickte neugierig die nette Bäckerin an. Was ich sah, war eine Homepage mit Fotos, die ich eher in eine Modestrecke sortieren würde. Was ich noch sah war: Die Frau ist schön! Sie ist ein bißchen unnahbar. Sie zeigt einmal nackte Füße, mal Hände voll Mehl und einmal eine nackte Schulter. Sie suggeriert dem Betrachter keine erotische Situation und auch zeigt auch keine irgendwie erotisch konotierte Körpersprache. Die Erotik entsteht – wenn überhaupt – im Kopf des Betrachters.
Ist das erotische Fotografie? Da wird schließlich nicht mit einem anonymen Tittenmädchen Brot verkauft, sondern die Macherin wird neben ihren Maschinen abgelichtet. Erinnert sich noch jemand an den Puddler von Meunier? An dieses ganzes Genre das im 19. Jahrhundert halbnackte, athletische Männer bei der Industriearbeit abbildete? Soll das eine Männerdomäne bleiben, weil Mädchen sich brav bedeckt halten müssen, weil ja jemand was denken könnte? Aber bitte!
In den Kommentaren klingt noch etwas an: Das hat sie sich doch nicht selbst ausgedacht! (Achtung, Opferalarm!) Kann sich nicht einmal eine experimentierfreudige, selbstbewußte junge Frau, die zu ihrem Äußeren steht, in einem fragwürdigen Marketingkonzept verrennen? (Zum Fragwürdigen zähle ich diese 5-Elemente-Geschichte genauso wie die extrem persönliche Verkaufe. Es wird viel behauptet. Ob sie gutes Brot bäckt, wird sich zeigen)

Selbst wenn mein Foto 1998 solche Reaktionen gehabt hätte (hatte es vielleicht auch bei einigen, aber da habe ich ein zu hohes Ignoranzpotential, um das mitzubekommen), ich wollte das. Ich fand mich schön und ich wollte etwas ausprobieren und nicht brav sein. Brav, das ist für die anderen.