Unsere Direktive – Kultur am Arbeitsplatz

So hieß es in den 70ern in der DDR und so stand es auch an unseren Wandzeitungen. Ein paar pubertierende Lümmel aus den höheren Klassen hatten das Wort Kultur ausgestrichen und SEX drübergeschrieben. Das gab natürlich Ärger…
Und was meinen Sie dazu?

Miz Kitty vor fast 15 Jahren, fotografiert von einem sehr geschätzten Profi. Das Foto garnierte mein jährliches Werbe-Druckwerk. Was man auf dem Foto des gedruckten Fotos nicht sieht: Es war ein bisschen „Aber Hallo!“ Mehr als Spitzenkante meines BHs blitzte dort und es wurde kurz darüber geredet, ob man das nicht retuschieren müsse. Ich wollte das nicht. Ich hatte Spaß an der Frau im Nadelstreifenanzug mit der kleinen Offenherzigkeit. Das bin ich, zart und hart.
Für das Geschäft war es natürlich nicht schlecht. Ich hatte nie wieder so viele Einladungen, die Verhandlung doch persönlich und nicht per Telefon zu führen. (Plötzlich war es dann auch der Chef und keiner seiner Indianer.) Man ging essen, redete, machte auf den Abschluss den Deckel drauf, orderte sogar nach und ich verdiente gut.
Ich führte das zunächst nicht auf das Foto zurück. Bis mir eine Freundin, die in einer der nämlichen Firmen arbeitete, sagte, ihr Chef wäre so angetan von mir, er erzähle gern, ich wäre nicht nur gut im Job, sondern auch noch attraktiv, er hätte das Foto im Katalog mit der Realität abgeglichen.
Sex Sells. Isso. Der Anlass für diesen Ausflug in die Vergangenheit ist eine junge Dame, eine Bäckerin und die Diskussion, die sich um ihre Webpräsenz entspinnt.
Aufgeschnappt hatte ich das bei der Kaltmamsell, die schrieb:

Allerdings hätte mich zudem interessiert, warum Frau Pölzelbauer ihre Bäckerei online mit erotischen Fotos von sich präsentiert.

Und ich dachte „Skandal“ und klickte neugierig die nette Bäckerin an. Was ich sah, war eine Homepage mit Fotos, die ich eher in eine Modestrecke sortieren würde. Was ich noch sah war: Die Frau ist schön! Sie ist ein bißchen unnahbar. Sie zeigt einmal nackte Füße, mal Hände voll Mehl und einmal eine nackte Schulter. Sie suggeriert dem Betrachter keine erotische Situation und auch zeigt auch keine irgendwie erotisch konotierte Körpersprache. Die Erotik entsteht – wenn überhaupt – im Kopf des Betrachters.
Ist das erotische Fotografie? Da wird schließlich nicht mit einem anonymen Tittenmädchen Brot verkauft, sondern die Macherin wird neben ihren Maschinen abgelichtet. Erinnert sich noch jemand an den Puddler von Meunier? An dieses ganzes Genre das im 19. Jahrhundert halbnackte, athletische Männer bei der Industriearbeit abbildete? Soll das eine Männerdomäne bleiben, weil Mädchen sich brav bedeckt halten müssen, weil ja jemand was denken könnte? Aber bitte!
In den Kommentaren klingt noch etwas an: Das hat sie sich doch nicht selbst ausgedacht! (Achtung, Opferalarm!) Kann sich nicht einmal eine experimentierfreudige, selbstbewußte junge Frau, die zu ihrem Äußeren steht, in einem fragwürdigen Marketingkonzept verrennen? (Zum Fragwürdigen zähle ich diese 5-Elemente-Geschichte genauso wie die extrem persönliche Verkaufe. Es wird viel behauptet. Ob sie gutes Brot bäckt, wird sich zeigen)

Selbst wenn mein Foto 1998 solche Reaktionen gehabt hätte (hatte es vielleicht auch bei einigen, aber da habe ich ein zu hohes Ignoranzpotential, um das mitzubekommen), ich wollte das. Ich fand mich schön und ich wollte etwas ausprobieren und nicht brav sein. Brav, das ist für die anderen.

6 Gedanken zu „Unsere Direktive – Kultur am Arbeitsplatz

  1. Pingback: Link(s) vom 31. Oktober 2012 — e13.de

  2. Wenn mir die junge Bäckerin das so erklärt hätte, hätte ich es interessant gefunden. Ich war wirklich neutral neugierig, denn dass die Art der Selbstdarstellung in diesem konkreten Zusammenhang überrascht, wirst du doch zugeben.
    Es gibt Modefotografie und Modefotografie. Die ihre gehört eindeutig in die Richtung lasziv, also laszives kleines Mädchen (gibt ja auch neutral oder fröhlich) – möglicherweise sind wir schon so abgestumpft von der kommerziellen Präsentation weiblicher Figuren, dass die Mehrheit das gar nicht wahrnimmt.

    • Ich bin Ihnen äußerst dankbar für die Diskussion. Schon weil die thematisierte junge Frau eine Menge Entscheidungsfreiheit in ihrer Selbstdarstellung hat.
      Dann habe ich mal bei Wikipedia nachgeschlagen.

      Laszivität oder auch Unzüchtigkeit ist eine eventuell beabsichtigte Wirkung auf die Wahrnehmung eines Betrachters, die von der Erscheinung eines vom Betrachter als potenzieller Sexualpartner wahrgenommenen Wesens ausgeht. Laszivität ist gegeben, wenn der Wahrnehmung der Erscheinung dieses Gegenübers sinnlich-aufreizendes oder auch sexuell anziehendes anhaftet, beziehungsweise eine solche Wirkung auf den Betrachter beabsichtigt ist. Eine laszive Wirkung kann in einem Verhalten oder einer Situation begründet liegen, die zum Beispiel als Demonstration sexueller Bereitschaft verstanden wird oder werden soll.

      Quelle
      Die Definition sagt „eventuell beabsichtigt“. Könnte man in diesem Fall als gegeben akzeptieren. Aber ist eine solche Wirkung in den Köpfen einiger als etwas Schlimmes und zu Vermeidendes zu betrachten? (Und auf mich wirkt diese Frau nicht als kleines Mädchen und fast nichts an den Motiven ist für mich sexuell konotiert, vielleicht das runtergerutschte helle Kleid über dem dunklen. Allerhöchstens… Das Motiv scheint ihr Lieblingsfoto zu sein, sonst hätte sie es kaum für die andere Pressekampagne eingesetzt.)
      Ich bin nicht abgestumpft, denn ich habe so einen Sensus nie gehabt. Auch nicht in der Zeit, in der es kaum Modefotografie in meinem Umfeld gab. Ich bin nicht so erzogen. Mir hat keiner beigebracht, mein normales Tun und Sein und mein Wohlfühlen mit mir und meinem Körper darauf zu scannen, ob es bei anderen ggf. sexuelle Assoziationen auslöst, damit ich das unbedingt vermeiden kann. Und ich bin recht froh drum.
      Und was sagen Sie dazu, daß Ihr Exkurs zum Thema halterlose Strümpfe im Job auf mich genau diese Wirkung hatte? Und ist das schlimm?
      Da müßten wir demnächst doch alle im Tschador rumlaufen.

  3. Man kann halt nicht nicht kommunizieren. Und die Art, wie sich eine Frau im Kontext ihres Berufes präsentiert (Website ihrer Bäckerei, die sie sonst mit traditioneller chinesischer Medizin und traditionellen Backverfahren verkauft), hat eine andere Bedeutung als wie diese Frau Kleidung präsentiert.

    Körpersprache ist auch ein weites Feld, dazu kommt Kleidungssemantik, die ich möglicherweise nicht in der Absenderabsicht entschlüsseln kann, weil andere Generation und Kultur. So weit verrutschte Kleidchen sehen für mich halb ausgezogen aus, vor allem in Kombination mit aufgeschnürten Stiefeln und gesenktem Köpfchen plus Augenaufschlag. Jemand aus derselben Generation und Kultur sieht vielleicht eine Anspielung auf bestimmte Popstars oder sogar konkrete Musikvideos, die ich nicht kenne.
    Doch selbst da bleibt die Frage, was das mit Bäckerei zu tun hat. Vielleicht gibt es sogar ein Musikvideo eines weiblichen Popstars, das in einer Bäckerei spielt! Und genau das hätte ich gerne gewusst.

  4. Sie sahen schon damals einfach phantastisch aus; genau diese Mischung von verschreckt-scheuem Blick und sinnlichen Lippen, die jeden normalen Mann daran erinnern, was der Sinn des Lebens ist…

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