Die Splitter des zerschlagenen Spiegels

Die letzten Tage waren ein gesellschaftlicher Ehekrach. Die Frauen schrien heraus, was sich lange angestaut hatte. Worüber sie sich permanent ärgerten oder wo sie gekränkt und verletzt wurden. Hier und da versuchten zu reden, nicht gehört oder verlacht wurden. – Ein Auslöser und dann gab es nur noch #aufschrei. Der Hashtag ist doppelt passend.
Wie in jedem Ehekrach steht der Mann da und ist geplättet, versucht noch, blöde Witzchen zu machen, keift zurück oder schweigt schlußendlich. Und nun? Vorsichtige Wiederannäherung?
Bei einem satten Ehekrach gibt es zwei Szenarien. Das erste wäre: Frau denkt, dass der Mann sich ändert und macht weiter wie bisher und Mann denkt, jetzt ist ja alles wieder ok., sie hat sich eingekriegt und macht ebenfalls weiter wie bisher. Bis zum nächsten Krach. Das zweite: Sie setzen sich an einen Tisch und reden. Lassen sich Raum, dem anderen zuzuhören, vermeiden Schuldzuweisungen und finden eine Lösung. Beide werden nicht mehr weitermachen wie bisher.

Lösung zwei findet eher im Labor statt. An der Stelle zitiere ich mal den guten alten Heiner Müller: Die erste Erscheinung des Neuen ist der Schrecken.
Der #aufschrei-Diskurs verweist auf etwas ganz anderes. Belästigung und das massenhafte Aufbegehren sind ein Diskurs um Macht und Machterhaltung, ja auch um die Struktur von Macht. Wir sehen in den Splittern des zerschlagenen Spiegels nur noch kleine Teile der Welt.*

Jakob Augstein spricht in Spiegel online von der Krise des weißen Mannes. Davon – so wie ich es verstehe – daß die alten weißen Massas, die mit Vorliebe junge Frauen ansäfteln – abtreten werden. Nur, das ist ohnehin die biologische Lösung, darum geht es nicht.
In den Diskussionen der letzten Tage wurde an einem Mann-Frau-Dissenz deutlich, dass es zusätzlich Generationenschichtungen gibt. Da sitzt Wibke Bruns bei Jauch und alle sind entsetzt über ihre Konservativität und ihren Zynismus. So what? Die Frau ist über 70. Die ist zu einer Zeit ins Spiel getreten, in der im öffentlichen Diskurs eine Frau als infantiles Wesen galt. Dann sitzt Alice Schwarzer auf der anderen Seite und erklärt allen wortgewaltig, was als nächstes kommt. Eine Frau, die unerschrocken viel für die Veränderung in den Köpfen getan hat, aber tatsächliche Intimität zu Männern nie thematisiert und sehr wahrscheinlich auch nicht gelebt hat. Über den Nahkampf theoretisiert sie. Dann sitzen da junge Frauen. Anne Wizorek aka @marthadear, Silvana Koch-Mehrin und geben schlichte und sehr ergreifende Statements ab, so sie zu Wort kommen (die Erste) oder reden wollen (die Zweite).
Fällt auf, wer in der Runde fehlte? Richtig. Ein junger Mann.
Der kam am nächsten Tag zu Wort, bei ZDF login. Ein Pick up Artist. WTF? Der einzige junge Mann, der sich ein Statement zutraut, ist einer, der trainiert hat, wie man Frauen dressiert. Glaubt er zumindest.

Die Tektonik, die dieses Erdbeben auslöste, ist also viel komplizierter. Junge Frauen haben zwar keine Macht, aber jede Menge Aufmerksamkeit, meist mehr, als ihnen lieb ist. Junge Männer haben nichts dergleichen. Aber im Vakuum der Nichtachtung üben sie für die Macht. Mit jeder abwertenden Geste eines Chefs oder Professors, für den sie sich krummlegen, jedem verächtlichen Korb, den sie von einer Frau bekommen, zieht sich eine innere Feder auf. Machthunger ist auch und oft Ergebnis tiefer narzisstischer Kränkung. Dieser Artikel in Cicero spricht Bände darüber.
Den kann man mit einer knappen Geste als Schwachsinn abtun. Sollte man aber nicht. Er benennt nämlich eines sehr genau: Frauen stehen, wenn sie jung sind, eine Menge Türen offen. Katzentüren allerdings oder Portale an der Seite eines Mannes, der ihnen Zutritt verschafft. Aber sie sind erstmal drin, wo junge Männer noch an den Absperrungen rütteln.

Wie schaffen es junge Frauen, die Deko-Objekt-Phase zu überleben und tatsächlich Macht zu bekommen? Im Spiel zu bleiben? Momentan sieht das noch nicht gut aus.
In einem Präsenz-Seminar, das wir hielten, stand eine Studentin bei der Vorstellrunde auf und sagte: „Ich will in den Vorstand der Lufthansa!“, dann legte sie den Kopf schief, giggelte und machte einen Knicks. Gleichaltrige Männer hatten diese automatische Unterwerfungs-Körpersprache nicht. Ich habe das nicht als niedliche Bagatelle abgetan, sondern die Frau darauf hingewiesen. Solche Automatismen sitzen tief und sind Marker für Denk- und Handlungsmechanismen.
Wenn ich dann die Reaktionen auf meine penetranten Nachfragen bei #aufschrei, was die Frauen selbst gegen Belästigung zu tun gedenken sehe, ähneln sie sich in der strikten Weigerung, aus der nett, harmonisch & defensiv-Ecke herauszukommen und der ebenso strikten Forderung, nur die Männer hätten sich zu ändern.
So lange Frauen Männern so viel Raum und Bedeutung (kennt ihr alle: Frauen treffen sich, um über Männer zu reden) geben, haben diese gar keinen Anlass, sich zu ändern. So sitzen die alten weißen Massas breitbeinig auf ihren Thronen und die jungen Damen lagern zu ihren Füßen, machen sich schmal und sehen schön aus. Wenn die Zeit gekommen ist, ist Platz auf dem Thron für einen neuen weißen Massa. Warum bitte, sollte jemand freiwillig Macht und Mitbestimmungsrecht abgeben? Erklärt mir das!

So ereignet sich seit einigen Jahren, daß Frauen zwar ziemlich früh mit dabei sind, aber im mittleren Alter, wenn es wirklich an die Macht geht und sie aus der Deko-Objekt-Phase raus sind, zurückgefallen sind. Weil sie in den 30ern, wenn die Männer aufholen im Rennen, Familie gründen und Kinder bekommen (müssen, wann, wenn nicht dann!) oder weil es bisher noch relativ leicht war, sie aber die Herausforderungen scheuen, die jetzt kommen, die nicht mit Anpassung und Fleiß, sondern mit Exponiertheit, Härte und Chuzpe zu tun haben.
Die Welt der Führungsetagen wird sich ändern, wenn Frauen mitspielen. Aber dafür müssen sie erst dort hinkommen und vor allem, dort bleiben und wirken. Mit der Frauenquote wird ein Raum geschaffen, für den Frauen bereit sein müssen – nicht nur fachlich.

Ich bin dankbar für #aufschrei. Denn es steckt mehr dahinter, als nur die Beschwerde über Belästigungen. Es geht um Respekt, Würde und Macht. Macht bekommen wir nicht geschenkt. Die müssen wir uns nehmen.

* Ich weiß, Analysen sind kalt. Ich rede mit Absicht von den Alltagskonflikten zwischen Mann und Frau. Straftaten gehören angezeigt. Schon weil Täter sonst kein Regulativ erfahren.

edit: Interessant, zu hören, daß immer, wenn in diesen Tagen die Rede auf Angela Merkel kam, gesagt wurde: „Aber nicht die als Beispiel, nicht so!“ Wie denn bitte? Das ist die Realität. So sieht die mächtigste Frau der Welt aus. Und nur ein ziemlich unterbelichteter Typ hat mal versucht, ihr zu nahe zu treten, das war Bush jr.

Epilog

als zufällig selbstbewusste Frau

ich möchte mich nicht wehren müssen

was soll ich denn machen?

victim blame

er wurde von mir zurechtgewiesen … ich weigere mich aber, das als normal zu betrachten … Kann ich jetzt stolz auf mich sein?

ich streite nicht gerne

erwachsene Männer möchte ich nicht erziehen (sinngem.)

die Verantwortung liegt doch wieder bei denen, die die Hand am Po wegschieben müssen

das Problem ist das gesellschaftliche Klima

Wehrhaftigkeit kann nicht Bedingung einer gleichberechtigten Gesellschaft sein

es ist Aufgabe der Angreifer aufzuhören

Wer, wenn nicht wir?
Das nimmt uns keiner ab.Ein Anfang ist gemacht. Ich hoffe, es versackt nicht im drüber reden. Handelt, um euch und eure Kolleginnen, Freundinnen, Töchter zu schützen. Und lasst euch nicht behandeln.