Auf Neuland mit den Anderen

Ich kenne eine Person, die hat feste Werte und Prinzipien. Wenn diese Person mit jemandem zu tun hat, der diese Werte und Prinzipien nicht teilt, sei es durch Worte, Bilder, Handlungen, gibt es zunächst eine Diskussion, in der diese Person ziemlich eindringlich versucht, das Gegenüber von seinen Werten und Prinzipien zu überzeugen. Auch wenn das Gegenüber diese Diskussion weder will, noch sie irgendwie überhaupt in die andere Konversation passt.
Gelingt das nicht – das Gegenüber sieht oft trotz überzeugender Argumente keinen Anlass, von seiner Meinung zu lassen – distanziert sich diese Person konsequent und absolut. Sie ignoriert das Gegenüber den Rest der Zeit, spricht nicht mehr mit ihm und meidet Orte, an denen sie das Gegenüber wieder treffen könnte. Was sie nicht tut – das scheint mir selten – sie redet nicht schlecht über die Andere in Gegenwart von Dritten, sie denunziert niemandem mit den Worten: Mit X.Y. rede ich nicht mehr, weil X.Y. das und das denkt/sagt/tut.

Das spricht von Haltung und Größe. Oder?

Neuland ist Einwanderungsland

Das Internet ist unser neuer Kontinent, unsere Neue Welt. Grenzenlose Freiheit. Zuerst kamen die Erbauer und Entdecker. Recht bald zogen die Freiheitsliebenden, Spielkinder und Abenteurer nach. Gefolgt von Utopisten, Phantasten, Religiösen und anderen Ideologen. Die Entrepreneure kamen. Die Goldgräber und Gangster waren nicht weit.
Als die Passage nicht mehr so schwierig und das Leben dort leichter war, kamen die Normalen, die eine neue Heimat haben wollten, Arbeit, Sex , Spaß und ein paar nette Bekannte.
Natürlich gab es Streit mit den Kolonialmächten der Alten Welt. Die regulierend eingreifen, Kontrolle und Gesetze schaffen wollten. Die Siedler lachten. Was verstanden die schon von der Neuen Welt? Sie hatten hier ihre eigenen Gesetze und Prinzipien. Man konnte selbst Ordnung schaffen. Hier ein kurzer Flamewar gegen gegnerische Banden, dort das von vielen beobachtete Duell zweier Widersacher. Der Sargtischler reibt sich die Hände und der Prediger tritt auf.
Oh, ja, es wird viel gepredigt dorten. Denn die Welt soll besser werden. Wie diese Welt aussehen soll, das wechselt von Region zu Region, denn jeder meint für sich, zum auserwählten Volk zu gehören. Mal singt man, vermeidet oder benutzt bestimmte Worte/Handlungen/Speisen, redet in fremden Zungen oder jagt Eingeborene oder Hexen und vernichtet sie und ihre Unterstützer.

Immer dann, wenn die Freiheit keinen Mehrwert für das Individuum verspricht, wenn sie nicht mehr angenehm sondern beängstigend ist, ist puritanische Hysterie nicht weit.
Dann gilt es jeder gegen jeden, im Namen der $Sache. Der Zweck heiligt die Mittel.

Ideologie-Container

Bei allem, was du sagst, denkst und tust, überlege dir zuerst: Nutzt oder schadet es der Arbeiterklasse?

Mit dieser Maßgabe bin ich aufgewachsen. Dazu kamen noch weitere unangenehme Umarmungen im Stil von:

Unsere gerechte Sache.

Nachdenken darüber, ob etwas gerecht ist, ob die Sache unser ist, war gefährlich, verpönt und verboten. Abweichler wurden bestraft. Mit Belehrung, Ausschluss, Kontaktabbruch und Schlimmerem.
Austauschbar. Die Formel hätte auch Gottgefällig lauten können. Oder wie auch immer. Ideologie ist ein Container, der nur verschieden befüllt werden muss mit den entsprechenden Definitionen von Gut und Böse.
Irgendjemand auf der Suche nach Abgrenzung definiert immer das große neue Ding. Ist er charismatisch, verrückt und kompromisslos genug, verspricht der Entwurf Halt, Akzeptanz, Wohlgefühl und Orientierung, finden sich genügend Haltlose, Einsame und Unzufriedene als Mitläufer und Unterstützer.

Unbenommen, um gesellschaftliche Veränderung zu beginnen, um Neuland zu besiedeln, braucht es Verrückte und ihr Gefolge. Narzissten, Maniker, Paranoide, Borderliner und ihre depressiven oder zwanghaften Groupies. Revolution ist selten etwas für Normale. Oder besser: Wenn für so etwas Normale zwangsverpflichtet werden, läuft etwas gewaltig schief.
Zeiten der Intoleranz, in denen die Guillotine heiß läuft, wird es immer geben. Geschichte verläuft in Wellenbewegungen, Neues gebiert sie unter Schreien und heftigen Kontraktionen.

Die Anderen

Wenn du existierst, wird es immer den Anderen geben. Es sei denn, du bist – wie am Ende der Mars-Chroniken – völlig allein auf deinem Planeten. Du wirst immer den Wunsch haben, dich in dem Anderen zu spiegeln, die Hoffnung, dass der Andere so liebt und hasst, denkt und handelt wie du. Das Sehnen, dass der Andere wie ein Teil von dir agiert, ist tief in dich eingeschrieben.
Die aggressive Verzweiflung darüber, dass es selbst in der eigenen Wohlfühlzone Menschen gibt, die alle diese Erwartungen enttäuschen, gleicht der Wut des Kindes, das realisiert, dass die Mutter nicht ein Teil seiner selbst ist.
Auszuhalten und zu akzeptieren, dass der Andere nicht denkt und handelt wie der Selbst* ist genauso die Tat eines Erwachsenen wie die Grenzziehung zu den Erwartungen der Anderen und die Leistung, den Anderen im Anderssein zu akzeptieren.

Es kann der Frömmste nicht in Frieden bleiben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt

(Friedrich Schiller übrigens, Wilhelm Tell, das Lehrstück der klassischen Demokratie, nicht Roland Kaiser)
Wie lässt es sich damit leben? Lässt es sich damit überhaupt leben? Ist das auszuhalten?
Ein geschätzter Freund und Kollege von mir, aktiver Grüner, arbeitet gerade an einem Kunst-Projekt für die Vatikanische Akademie. Nach dem Common Sense meiner Umgebung müsste ich, ohne mich zu interessieren, was und warum er das tut, in das übliche Anti-Religions-Tourette verfallen und – nachdem ich versucht habe, ihn zu überzeugen, dass Arbeit für die katholische Kirche etwas verachtenswertes ist – mich distanzieren. Schon um mein Seelenheil zu retten. (auch wenn diese Metapher etwas schräg ist)
Ich tue es nicht.
Ich diskutiere nicht mit ihm, ich respektiere ihn, genauso wie ich den freundlichen SPD-Parteisoldaten respektiere, der gerade meine gesamte Umgebung mit Wahlwerbung zuspammt. Ich unterhalte mich mit dem Assistenten einer linken Politikerin ebenso wie mit der jungen Frau, die im CDU-Online-Wahlkampfteam arbeitet, trinke Bier mit Piraten, singe mit Baptisten und spreche mit einem Kurden über den langen schwarzen Mantel seiner Mutter.
Wer anders denkt als ich, andere Werte hat, wird trotzdem von mir geschätzt. Wenn ich das Gefühl habe, da braucht jemand noch einige Entwicklungsschritte, kann ich ihm das leider nicht abnehmen.
Wem es gerade schlecht geht, wer Orientierung sucht, um sein Leben zu ändern und die Wärmestube einer ideologischen Gruppierung braucht, hat mein Mitgefühl und trotzdem meinen Respekt. Es werden auch wieder andere Zeiten kommen, in denen das Leben wieder autarker verläuft.
Mein Weltbild hält das aus. Ich bin mir meiner selbst und meiner Werte sicher.**
Und genau so möchte ich von anderen behandelt werden.

Schlagen wir den Bogen

zurück zum Ausgangspunkt. Die Person über die ich schrieb, ist mittlerweile ziemlich einsam. Partner und Verwandte bleiben loyal und halten sie irgendwie aus, aber aus der selbst gewählten Ecke wird sie wohl nicht mehr rauskommen.
Der Ismus, an dem diese Person krankt, äußert sich in Syptomen wie: Ausländerhass, Kommunistenhass bis ins dritte Glied und Ablehnung vor selbstbewusster Frauen als Schlampen.
Aber die Symptome sind austauschbar, wie mir meine Umgebung zeigt.

 

* Nehmen wir hier das, was vom Code Civil und seinen Ableitungen als gesellschaftliche Spielregel definiert wird. (Im übrigen auch initiiert von einem begnadeten Maniker, Napoleon Bonaparte.) Aber auch Normen sind austauschbar.

** Das war nicht immer so. Es gab verzweifelte Zeiten, in denen ich dringend Halt brauchte und darauf hoffte, dass ich Menschen treffe, deren Leben in festeren Grenzen läuft als meines.

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… dass ihr armes Wandern mit keinem Dinge rings zusammenhängt

In letzter Zeit passiert es des öfteren, daß ich Geschriebenes wieder Offline nehme, so wie gestern den Linsen, Schnitzel, Igelbraten-Text. Die Hausfrauen- und Lebensdinge, die ich schreibe, scheinen mir akzeptabler. Braves Mädchen, sag lieber nichts. So ist fein.
Dabei hätte ich zu Sprache und Kultur so viel zu sagen. Über Spaltung von Sprache und Realität. Weil die Träumer sich in Despoten verwandelt haben, die nichts mehr zulassen als sich und ihren Entwurf der Welt. Die zuletzt glauben, dass die Welt wie sie ihnen gefällt, die Wirklichkeit ist.

Menschen, die glauben, die Welt zu besitzen, wenn sie die Dinge, die sie umgeben neu benannt haben.*

Über Sklavensprache, die versucht die Dinge, über die heimlich gesprochen wird in der öffentlichen Kommunikation zu platzieren, aber so, dass die, die die Macht haben über die Sprache es nicht merken. Über die Macht des Dokumentarischen. (Die wichtigsten Filme in der DDR waren am Schluss Dokumentarfilme, die eine ganz andere Welt zeigten, als öffentlich kommuniziert wurde. Helke Misselwitz, Petra Tschörtner, Frauen die es nicht nötig hatten, in irgendjemandes Arsch zu wohnen und davon profitierten, dass die männlichen Filmemacher gaaanz wichtige Dinge taten und sie aus dem Radar waren.)
Über Literatur, die plötzlich welk und kraftlos wird, weil Ambivalenz im Storytelling beim Bau der perfekten Zukunft stört. Beste Beispiele: Willi Bredels Trilogie „Verwandte und Bekannte“ oder noch besser „Der stille Don“. Ich habe mir vorgenommen die letztere Tetralogie im Winter wieder zu lesen. Als Mittzwanzigerin hatte ich den ersten Band verschlungen. Ein wahnsinniger Heimatroman, ein Blut- und Boden-Epos der anderen Art mit einer irrsinnig starken Frauengestalt. Der zweite Band hatte einen ähnlichen Drive, ich wurde aber schon skeptischer, den dritten las ich nur an. Aus den prallen Figuren wurden allmählich sprechende Propagandaplakate. Hatte man den Autor einer Hirnwäsche unterzogen?*
Ich lehne Sprachmanipulation rigoros ab. Sprachmanipulation ist Denkmanipulation. Um den Zugriff auf mein Hirn zu unterbinden, bin ich in den 80ern zum Theater geflüchtet, da hatten wir den Status von Hofnarren. Als die Mauer fiel, war ich froh, frei denken zu können, ich wäre in diesem Land früher oder später wahnsinnig geworden. Ein zweites Mal lasse ich mir das Hirn nicht spalten.

Jeder, der Sprachmanipulation betreibt, behauptet, er täte es für eine gute und wichtige Sache. Jeder. Das ist das Gefährliche daran.

*Die Geschichte dahinter ist weitaus komplizierter. Scholochow hat scheinbar den Roman eines weißgardistischen Offiziers plagiiert und als Spinoff verlängert.

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Linsen, Schnitzel, Igelbraten

Erkenntnis des Tages: Eine Prise Natron macht nicht nur Hülsenfrüchte schneller weich, sondern die befördert die Hülsenfrüchte beim Aufkochen auch ganz oben auf einem beeindruckenden Schaumpilz aus dem Topf heraus. Also das Ganze noch mal neu aufsetzen, aber vorher den Herd putzen.
(Grade gelesen, ich hätte die linsen in Natron einweichen und das Wasser wegschütten müssen. Gnaaa….)

Bleiben wir beim Essen.

Triggerwarnung: Es geht hier explizit um Tiere essen. Außerdem kann der Beitrag Spuren von Ironie enthalten.

Professor Anatol Stefanowitsch stellte dieser Tage fest, dass es vor den 50er Jahren in Deutschland kein Z…schnitzel gegeben hat. Das ist sehr wahrscheinlich richtig.
Die Argumentation der Gegenseite „das hat es doch schon immer gegeben“ stimmt nicht.
Außerdem ist völlig klar, wenn Betroffene einen Begriff nicht mehr haben wollen, kommt er weg und wenn diese sich einig sind, wird das auch passieren.
Und trotzdem macht es sich der Herr Professor etwas leicht. Essen ist eine hochgradig komplexe Angelegenheit. Sprache und Bräuche sind lebendig, es gibt die anarchischsten Bedeutungsverschiebungen.

Kennen Sie noch den?

Warum?
1. Kochbücher und überhaupt alles um Küche und Haushalten in Deutschland war seit der Jahrhundertwende dem Zeitgeist folgend sich steigernd deutsch-national. Schon deshalb hätte es vor 1945 kein Z…schnitzel geben können.
In meiner Berta-Dissmann-Ausgabe „Ratgeber für Herd und Haus“ von 1918 wird der in der Küche völlig gebräuchliche Begriff „Soße“ (weil französischen Urspungs) durch den Kunstbegriff „Beiguss“ zu ersetzt. Man wünscht nichts mehr zu hören, das an die Schmach von Versailles erinnert. Der Versuch, mit dem Austausch von Worten ein Mindset zu ändern ist keine Neuheit, wie wir sehen und Sprachpolizei konnten die Deutschen schon immer gut.
Eine Frau, die in dieser Geisteshaltung mitläuft, würde ihrem Mann nie ein Z…schnitzel servieren. Außerdem hatten … mit bürgerlichem, fettem, pikantem habsburgischem Essen nichts, aber auch nichts zu tun. Das Volk war assoziiert mit Hunger, schwierigen sozialen Verhältnissen und essen, was man kriegen kann bis hin zu für uns recht sonderbaren Eßgewohnheiten.
In einem Zwieselchen-Band von Werner Bergengruen (ich hoffe, ich erinnere mich richtig und es war nicht ein anderes Buch aus der Kindheit meiner Oma), einem Kinderbuch aus den 30ern, schildert eine Figur, ich glaube die Mutter des kleinen Jungen, sehr empathisch ihre Kinder-Freundschaft mit einem …jungen. Die Schilderung gipfelt darin, dass die Mutter erzählt, dass sie mit dem Jungen zusammen einen Igel in Lehm gehüllt im Feuer brät, isst und es ziemlich schmackhaft findet.
So eine Episode in den 30ern in ein Bestseller-Kinderbuch zu schreiben, das ist wie Jazz hören (wir erinnern uns, in dieser Zeit schon zunehmend als N…musik verpönt) oder 12 Jahre später einen Schrammel-Film zu drehen, gerade Abwendung von deutscher Dumpfheit und Herrenmenschenmentalität.
Dieser Impuls sickert nach 1945 in die Massenkultur und kippt ins sentimental-romantische mit Zirkusromanen, den Wandteppichen mit glutäugigen Schönheiten, denen die Bluse von der Schulter rutscht, jeder Menge Musik, dazu Z-spießen, -soße und eben dem unseligen Schnitzel.
Es zeigt die trampelige, verdrängungsaffine Art der Deutschen, nachdem sie sich als Nazimitläufer oder FaustinderTascheBaller profiliert hatten, nach Kriegsgefangenschaft und Trümmerfrauenkarriere, mitten im Wirtschaftswunder so etwas war wie Weltoffenheit zu schaffen. Es hat sich damals keiner Gedanken darum gemacht, daß dieser Name ein Maledictum ist. Er war in der Phase der romantischen Verklärung angekommen. Du benennst kein Essen nach dem, was du ablehnst.

2. Und das Paprikaschnitzel? Das sich seinen Namen aber auch nur geborgt hat von dem, was wir in Deutschland Gulasch nennen und im Ursprungsland Ungarn Paprikas oder Pörkölt heisst.
Gulyas, also das, was in Ungarn Gulasch ist, war der Eintopf der Puszta-Rinderhirten, Rindfleisch von einem notgeschlachteten Tier, oft ein Kalb, dazu Zwiebeln und Kartoffeln, gewürzt mit Kümmel- und Paprikapulver und ab mit dem Kessel übers Feuer. Wer kein Rinderhirte war, nahm anderes Fleisch, das Gericht eignete sich auch hervorragend zur Heeresverpflegung, (daher kommt der Begriff Gulaschkanone) denn irgendein Pferd musste immer geschlachtet werden.
Das Paprikas war ein Schmor-Gericht aus Kalbs- oder Rindfleisch (ärmere Leute nahmen gern Schweinefleisch), das Paprikafrüchte und saure Sahne enthielt. Das, was wir heute Gulasch nennen.
Schnitzel war ein Gericht für Leute, die sich besseres Fleisch leisten konnten. Im Gegensatz zum weniger edlen Fleisch der Schmorgerichte konnte es kurz gebraten werden und war trotzdem zart und ohne Knorpel und Zadder. Paprikaschnitzel ist also ein Paprikas für bessere Leute, ein dekonstruiertes Gulasch. Darauf beziehen sich auch die Fundstellen des Herrn Professor.
Aber ein Z…schnitzel ist kein Paprikaschnitzel. In den 50ern wurde entweder irgendein Paprikaschnitzel-Rezept aus der hautesten cuisine der Vorkriegszeit adaptiert, das die Paprikasoße zusätzlich mit Zungenwürfelchen, Schinken, Champignons und Trüffeln versieht. Oder aber es ist eine Erfindung der Freßwelle der 50er. Zumindest hat das Z…schnitzel mit dem Paprikaschnitzel höchstens noch 3 oder 4 Zutaten gemein.
Die Behauptung, das Z…schnitzel hätte vor dem Krieg regulär Paprikaschnitzel geheißen, hält einer tieferen Recherche mit Sicherheit genauso wenig stand, wie die der Gegenseite, dass es das Z…schnitzel bereits immer gegeben hätte.
Egal wie wir es nennen, es ist sehr wahrscheinlich eine verfressen-romantisierende Erfindung der 50er und kein Paprikaschnitzel.

edit
tl;dnr
Gulyas (Österreich-Ungarn) -> Eintopf für Hirten und Soldaten
Paprikas (Österreich-Ungarn) = Gulasch (Deutsch)
Paprikaschnitzel (Österreich-Ungarn) -> Paprikas für feine Leute
vor ca.1950: Escalope Tsigane (französische Kreation von Escoffier & Co.) -> Paprikaschnitzel für ganz feine Leute (aber never-ever für stramme Deutsche, weil Frankreich bäh, Z… bäh)
nach 1950: Z…schnitzel (Deutsch, mit vulgarisierten Zutaten, weil man ist ja jetzt weltoffen)
Selbst in der Kurzfassung ist es kompliziert.

Ich habe übrigens heute ein Curry-Gericht gekocht. Mit Hähnchenfleisch, Linsen, Mango aus der Dose, Kokosmilch, Zuckerschoten und Hokkaido-Kürbis. Jeder Inder würde sich totlachen. Und jeder Inder würde sagen, er sei kein Inder, sondern (Volksangehörigkeit einfügen). Das ist meine verfressen-romantisierende Vorstellung von indischem Essen.

PS: Da es relevant scheint (das war zumindest der Tenor der Diskussion auf Twitter), dass man für das Recht, sich kommentierend im Blog des Herrn Professor zu äußern, ausgewiesenen Sachverstand haben müsste: 2 Semester Kulturgeschichte des Alltags sollten doch wohl reichen oder?
Ich hatte keine Lust darauf, per Kommentar Stichwortgeber für seine Sommerloch-Profilierung zu sein. Ich lasse lieber selbst hängen.

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Ich habe nichts zu verbergen? – Prism und die Konsequenz

Wir müssen uns gerade damit beschäftigen, dass Geheimdienste alle unsere für sie erreichbaren Informationen speichern. Ein Vorgang, der in seiner Dimension ein Pendant zur atomaren „Abschreckung“ des Kalten Kriegs ist. Aber Prism ist kein rein politisches, sondern ein ethisch-moralisches Thema.

Wenn es um sie Speicherung meiner Daten ging, zuckte ich früher die Schultern. Sollen sie doch daran ersticken. Kein Mensch kann diesen Wust gespeicherter Daten auswerten. Kein Mensch. Maschinen schon. Auch wenn Targeting derzeit noch hilflos ins Dunkle schießen ist, diese Technologie ist erst am Anfang.

Atomspione

Als Snowden auf der Flucht war, hatte ich ein Déjà Vu. Nein, keines, das die Stasi betraf. Ich dachte an Ethel und Julius Rosenberg, die Atomspione. Wir haben heute zwar keine klar territorial und ideologisch abgegrenzten Fronten mehr, aber der Vorgang ist ähnlich: Es riskiert jemand sein Leben, um essentielle Geheimnisse zu verraten, die die Welt tiefgreifend ändern werden.
Wie die Atombombe ist die Speicherung und automatische Auswertung aller digitalen Daten ein Instrument, um Macht und Bedrohung gegenüber Menschenmassen ausüben zu können. Wir haben uns weiterentwickelt. Wir strafen nicht mehr, indem wir Leben und Körper zerstören, wir haben nun die Möglichkeit, Krieg zu führen, ohne dass Blut fließt.
Das „ich habe dich in der Hand und kann dich zerquetschen“ heißt nun „ich weiß alles über dich, du hast keine Chance zu leugnen“.
Wie auch zu Zeiten der atomaren Bedrohung ist die Waffe so überdimensioniert und von so absurdem Wirkungsgrad, dass sie kaum einsetzbar ist, denn technologische Vorsprünge werden schnell von allen Seiten eingeholt sein. Wenn alle alle Informationen haben, neutralisieren sie sich. Aber bis dahin wird es zu unheimlichen Scharmützeln kommen.
Wie zu Zeiten der atomaren Bedrohung war die Technologie schon lange da und es wurde euphorisch mit ihr herumexperimentiert. Was hat man in den 50er und 60er Jahren nicht alles zu bestrahlen versucht?
Ich habe das ungute Gefühl, dass die Zeit unserer euphorischen Daten-Experimente bald vorbei sein wird. War mein Vater als Kernphysiker in unseren Tischgesprächen der Apologet der atomaren Zukunft, war ich es in Sachen digitaler Information. Technologiegeschichte auf eine Familie gespiegelt.
Nicht von der Hand zu weisen: Das Leck eines großen Speichers mit heißen Daten hat die Dimension eines Reaktorlecks.

All you can watch oder das Aleph

Marginalie am Rande: Ich bekomme gerade eine Einladung zu einem Kongress, dessen Leitthema: All You Can Watch lautet. In dem Fall geht es um audiovisuelle Programm-Medien, nicht um Sicherheit. Doch die Muster gleichen sich:

(Ich) sah das Aleph aus allen Richtungen zugleich, sah im Aleph die Erde und in der Erde abermals das Aleph und im Aleph die Erde, sah mein Gesicht und meine Eingeweide, sah dein Gesicht und fühlte Schwindel und weinte, weil meine Augen diesen geheimen und gemutmaßten Gegenstand erschaut hatten, dessen Namen die Menschen in Beschlag nehmen, den aber kein Mensch je erblickt hat: das unfaßliche Universum
Jorge Luis Borges Das Aleph*

Ich kann mich nicht mehr erinnern, wie die Geschichte ausging, den Erzählband habe ich verborgt und nie zurück bekommen. Ich glaube, dass der Erzähler von dem Mann, der ihm das Aleph gezeigt hat, erpresst wird und das Haus mit dem Keller, in dem es sich befindet abreißen lässt.

Die Konsequenzen?

Kann man aus der Vergangenheit lernen? Vom ersten Einsatz der Atombombe bis zum Verzicht auf die Hochrüstung sind über 40 Jahre vergangen. Zwischendurch lagen Hiroshima und Nagasaki, viele Atomtests und die roten Knöpfe/Koffer/Telefone der Supermächte.
Lässt sich wirkungsvoll aus der Erkenntnis, wie unsouverän die Drohung „ich hab einen großen Bruder, der ist Boxer und der verhaut dich“ auf die absurde Angstbesetztheit der Formel „Big Brother is watching you“ schließen?

Ab 5 Uhr 45 wird zurückgepeichert

Der deutsche Wahlkampf ist durch das Thema internationale Überwachung in Schockstarre verfallen. Keine der Parteien (ich lasse die Piraten, die mittlerweile kaum noch handlungsfähig sind, mal aus) kann das Ende der Komplettüberwachung und -speicherung unseres Informationsverkehrs zum Wahlkampfthema machen, weil der Betrugsversuch zu offensichtlich wäre. Bisher hat jede Regierungspartei sehr wahrscheinlich davon gewusst. Bisher hat es sich keine Partei zu politischen Aufgabe gemacht, die alten Leichen, sprich Überwachungsklauseln aus den Verträgen der Alliierten von 1945 und 1990 herauszuholen und zu beerdigen. Oder auch nur über die Konsequenzen nachgedacht, die Überwachungsprogramme haben können. Unsere Daten sind wie atomarer Müll auch noch Jahrzehnte hinterher aktiv. Dass in Europa Demokratien in Regimes abdriften, ist noch nicht so lange her und massenhaftes Verschwinden von Daten wie zum Beispiel Kreditkartennummern ist gang und gäbe. Wer garantiert uns die Sicherheit unserer Daten bei der NSA und beim britischen Geheimdienst?
Es reift gerade ein zaghaftes Bewusstsein dafür, welche Dimension Big Data hat. Der sich vielleicht mit dem Ärger Einzelner mischt, dass die deutsche Politik so technikfeindlich gestimmt ist, dass sie scheinbar (?) vom Umfang der Schnüffelaktion überrascht war und vermutlich solche Mittel nicht einsetzen kann.

Es ist eine Frage der Moral

Der Umgang mit Informationsspeicherung ist ein gesellschaftliches Thema. Diejenigen, die sich hinstellen und sagen „Ja, und deshalb mach ich nichts mit diesem Internet!“ werden ohnehin aussterben und vorher nur matt abwinken, wenn sie gesagt bekommen, dass selbst ihre von ihrem Arzt per Mail verschickten CTGs auf irgendeinem amerikanischen Server liegen.
Sich als Deutsche mit den Amerikanern anzulegen, ist … nun ja, sportlich. Ich traue das keinem Politiker in diesem Land zu. Ich traue es auch keiner europäischen Politik zu.
Per Gesetz verbieten ist sowieso keine Lösung oder nur eine Hilflosigkeit. Das hat bei illegalen Downloads auch nicht funktioniert. Die Technologie ist da. Die Frage ist, wie sie eingesetzt wird und das ist eine Frage von Ethik und Moral.

Eine mutierte Spezies, die durch Wände schauen kann und sieht, wie die Nachbarin nackt ist und wo der Nachbar sein Geld versteckt hat, könnte per Gesetz geblendet werden, aus Angst, sie fängt an zu vergewaltigen und zu stehlen. Oder sie lernt, dass die nackte Nachbarin und das Geld des Nachbarn zwar sichtbar sind, aber nicht zu Handlungen berechtigen.

Nicht das Wissen, sondern die Tat ist strafbar

Als ich mich von meinen frühen politischen Prägungen löste, ging es mir vor allem darum, die Verfügungsgewalt über meine Gedanken zu bekommen. Der Kommunismus versucht wie jede andere Religion, tief ins Denken der Menschen einzudringen. Wenn sich diese Lehre verselbständigt, dann wird wie in der Inquisition oder im Stalinismus bereits der nonkonforme Gedanke strafbar, lange bevor er zur Tat wird. – Und das im Namen einer ominösen, von Machthabern definierten Sicherheit, denn schon anders Denken ist Bedrohung.
Plötzlich bin ich doch bei den Erinnerungen an die Stasi. Die Überwachung war uns so bewusst, wie uns nun bewusst ist, dass unser Datenverkehr auf Geheimdienstspeichern landet. Wir grüßten unseren Spion am Telefon, bei Veranstaltungen der Jungen Gemeinde wurden die Herren mit den Kameras nach vorn gebeten, damit sie besser fotografieren konnten, manchmal sagte man die eine oder andere politische Äußerung noch mal extra laut mit Blickkontakt in Richtung desjenigen („zum Mitschreiben, du Depp!“), der vermutlich unser IM war.
Der Spaß hörte auf, wenn sie jemanden am A… hatten. Wenn es nicht mehr das imaginäre riesige Ohr an der Wand war, sondern die grauen Männer kamen, die den Kollegen aus der Theater-Probe abholten. Wenn man nur noch gerüchteweise hörte, er wäre wegen illegaler Gruppenbildung (was immer das war) angeklagt, in Bautzen verschwand und abgeschoben wurde und wir nur dachten: „Der? Gruppenbildung? Der bumst doch nur den ganzen Tag schöne Frauen!“ Es gibt ihn noch, den Kollegen, er will über die Vergangenheit nicht reden. Meine Vermutung und die einiger anderer ist, dass es hier einen klassischen Fall von Informationsmissbrauch gegeben hat. Er hat ziemlich wahrscheinlich die falsche Frau im Bett gehabt.
Wer garantiert, dass so etwas oder ähnlich „banale“ Katastrophen nicht passieren?

Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast

Ich habe bereits so viel zum Thema gelesen, dass ich nicht mehr weiß, in welchem Blog jemand schrieb (ich wäre dankbar für einen Hinweis, wer das war), dass das, was die NSA tut, nur Ausdruck einer unser Leben stark prägenden kulturellen Tendenz ist: Überwachung aus Sicherheitsgründen. Sicherheit, die neuerdings zum Supergrundrecht geworden ist.
Das fängt bei der Mutter, die ständig das Babyphon am Ohr hat oder ihr Kind nie aus den Augen lassen will an. Das geht weiter, wenn größere Kinder keinen Gang mehr allein tun dürfen, jedes Spiel überwacht werden muss. Das endet bei Friendly Stalking, Handyortung des Partners und Kameraüberwachung öffentlicher Plätze.
Das, was wir an Freiheit gewonnen haben, indem wir jungfräuliche Bräute, die Angst vor der Todsünde und den kritischen Blick in den Garten des Nachbarn, der die Wäsche falsch aufhängt, abgeschafft haben, vernageln wir uns gerade wieder mit digitalen Brettern. Vielleicht brauchen wir das auch.
Mir aber ist unwohl dabei. Ich fürchte mich davor, dass gut abgehangene Informationen plötzlich ganz anders goutiert werden. Ich dachte, ich hätte die grauen Männer in meinem ersten Leben gelassen.

Ich weiß schon, warum ich Borges so liebe. Ist „Die Bibliothek des Universums“ eine Methapher für das Internet, ist „Das Aleph“ eine für das Phänomen, zu jeder Information Zugang zu haben.