Vigil 73

Da habe ich doch beträchtlich etwas zum Nachdenken. Als am Samstag der starke Wind Staub und die Pollen der blühenden Bäume durch Berlin wehte, war ich kurz vorm Ersticken. Deshalb hatte ich mich heute schon auf übles Krächzen, Niesen und Husten vorbereitet, weil der Graf und ich zu den Eltern fuhren, um Ihnen im Garten zu helfen. Sie haben ein kleines Häuschen am Rand eines Eichwaldes. Die Eichen blühen gerade. Ich reagiere furchtbar allergisch auf Eichenpollen.
Dort im Grünen waberten gelbe Schwaden. Die Eichen blühten, die Kiefern, diverse Blumen und die Katzen sprangen mittendrin herum. Für mich ein wunderbarer Allergie-Cocktail.
Aber es passierte nichts. Absolut nichts. Erst spät am Nachmittag, nach dem mich eine der Katzen zweimal besprungen hatte, fing mein Hals an, ein wenig zu kratzen. Ansonsten habe ich den Tag ohne irgend eine Allergie-Symptom überstanden.
Das bestätigt wieder einmal meine Vermutung, dass der Berliner Feinstaub einen ziemlich großen Anteil an meinen mit den Jahren schlimmer werdenden Allergien und vielleicht auch an den unangenehmen Haut-Problemen hat. Denn auch meiner Haut geht es wesentlich besser, wenn ich irgendwo auf dem Land bin.

Müssen wir jetzt aufs Dorf ziehen?

Vigil 72

Heute vormittag im Schwimmbad. Ich suche verzweifelt meine Chlorbrille und habe den Spind und alle Stellen, an denen ich war, mehrmals umgepflügt. Die Umkleide ist fast leer, aber irgendwer muss sie mitgenommen haben, vorhin lag sie auf dem Sitz da.
Schließlich beschwere ich mich bei einer Frau, die gerade aus dem Becken kam und mein Gewusel beobachtet.

Ichso: Das ist ja so was von krass, irgendwer muss mir die Schwimmbrille geklaut haben! Die ist weg!
Sieso: Naja, eine haben sie da auf dem Kopf.
Ichso: Hrmpf!

(Hatte ich behauptet, ich wäre mit dem Hirnschrumpf durch?)

Rites de Passage

Die Kaltmamsell fragte, warum Bloggerinnen, obwohl sie im richtigen Alter sind, nicht über die Wechseljahre schreiben.

Ich habe darüber nie geschrieben, weil ich den Wechseljahren in meinem Leben nicht viel Raum und Bedeutung gegeben habe. Wie ich aber im folgenden Text merke, war das ein tief einscheidender Lebensblock, dem ich teilweise nur einen anderen Namen gab.

Aber erstmal ein Intro:

Wir leben in einer Gesellschaft, die so lange wie möglich jugendlich bleiben will. Die das auch kann, weil die Jugend konsequenzenlos ausgedehnt werden kann.
In früheren Zeiten konnten erst Erwachsene verantwortlich an der Gestaltung der Gesellschaft teilnehmen. Erwachsen sein hieß, Sex haben dürfen und dessen Konsequenzen tragen – verheiratet sein, Kinder haben, die Familie ernähren. Wenn Sex keine unbeeinflussbaren Konsequenzen mehr hat, ist Familie und ihr ganzer organisatorischer Überbau eine private Entscheidung.

Auf privater sozialer Seite verbleiben viele Menschen in einem Status zwischen Jungendlichem und Erwachsenem nach alter Definition, obwohl sie bei der Arbeit hochgradig erwachsen und verantwortlich handeln müssen.
Wie kann sich eine Frau in so einer Umgebung damit auseinander setzen, dass sie merklich und sichtlich in die Wechseljahre kommt? In einer Gesellschaft, die verkündet „du kannst alles, wenn du dir nur Mühe gibst, hart arbeitest und es richtig willst“, ist ein Vorgang, der nicht umzukehren und auch nur marginal zu beeinflussen ist, kein attraktives Thema.

Denn mit den Wechseljahren ist eine Frau offiziell alt, sagt zumindest die Überlieferung. Wir wollen heute die Freiheit haben, uns so jung betragen, wie wir uns fühlen. Kinder bekommen mit über 40, mit 50 noch mal richtig wild durchstarten. Arbeiten und Leben wie Männer sowieso.

Unsere Körper sagen etwas anderes und wir respektieren das meiner Meinung nach viel zu wenig. Der Körper einer Frau hat eine ziemlich klar beschränkte und nur mittels schwerer Eingriffe veränderbare Fruchtbarkeitsphase, die unsere Existenz rhythmisiert und an ihrem Ende wendet.
Wir haben in der Fruchtbarkeitsphase nicht nur einen großen bogenhaften Biorhythmus, wir haben einen Zyklus, wir bluten jeden Monat oder werden schwanger. Wir lösen, wo auch immer wir sind, diesen kurzen männlichen „I nteressant für Paarung?“- Reflex aus. Ein Teil von uns ist immer verletzlich und in Reserve, denn innerhalb von drei Wochen könnte unser Leben durch ein Kind über lange Jahre anders verlaufen. Und mit Ende 40 ist diese Phase vorbei.

Ich habe diese Seite der Weiblicheit, als ich jünger war, vehement abgelehnt. Mein Frauenkörper, der diese Reaktionen von Männern auslöste, konnte von mir wie eine Waffe benutzt werden. Aber im tiefen Inneren wäre ich, breithüftig und weichhäutig wie ich außen war, lieber ein Mann gewesen. Ich habe mich lange als Hirn und Seele eines Mannes im Körper einer Frau gesehen.
(Keine der modernen Transgenderschicksalsspielchen. Ich habe es abgelehnt, eine Frau zu sein, mehr nicht. Wie wahrscheinlich viele heute auch, die an sich herumdoktern lassen, um ein Mann zu werden.)

Die erste Begegnung mit dem Thema Wechseljahre hatte ich mit 37. Da sagte mir meine Internistin, es wäre so weit, ich würde alt und meine Müdigkeit, Erschöpfung und Lustlosigkeit wären der Beginn der Wechseljahre, ich solle mich schon mal dran gewöhnen. Ich verließ heulend die Arztpraxis.
Das klärte sich mit anderen Ärzten im Verlauf eines Jahres. Ich hatte Hashimoto, eine Autoimmunerkrankung der Schilddrüse und männerfaustgroßes Myom im Muskelgewebe der Gebärmutter. (Die Ersatzhandlung des Körpers für nicht geborene Kinder, sage ich mir immer.) Ein heftiger Energiesauger.
Nachdem ich Jod wegließ und die Schilddrüse weitere Hormonhilfe von außen bekam, wurde es besser und als ich mit 40 dann das Myom mitsamt der Gebärmutter wegoperieren lassen musste (weil es sich plötzlich explosionsartig vermehrte und entzündete, bis das Organ wie ein Kartoffelsack aussah), kam ich in eine Lebenszeit, die ich als meine Amazonenphase bezeichnete.

Ich hätte nicht so lange warten sollen. Immer, wenn mein Gynäkologe mich darauf hinwies, dass das Myom besser raus sollte, weil es immer weiter wachsen und sich ggf. auch in etwas Bösartiges verwandeln würde, winkte ich ab. Jetzt noch nicht. Ich hatte über Frauen mit Total-OP, wie es damals fälschlich hieß, denn eigentlich werden bei dieser auch die Eierstöcke entfernt, aus allen Lagern Horror-Meldungen gehört.
Der Arzt meiner Mutter und Großmutter empfahl es allen Frauen ab 40, denn ein funktionsloses Organ, das zu Krebs neigt, müsse besser raus. Mit Sex sei dann sehr wahrscheinlich Schluss, das ginge nur noch unter Schmerzen, hieß es auch hinter vorgehaltener Hand. (Was viele Frauen auch begrüßten, endlich ist Schluss mit dem Schweinkram, den frau eh nur für die Männer macht.) Ein feministisches Beratungszentrum waberte argumentativ herum, dass Frauen nach so einer OP ihre innere Mitte und das Gleichgewicht verlieren würden und nicht mehr auf einem Bein stehen könnten. Als ich eine Beratungsstunde buchte und konkreter nachfragte, hatte man nur wenig Ahnung, aber viel Meinung, nämlich das solche Kastration eine männliche Attacke auf die Weiblichkeit sei.
Dann sagte mir eine ältere Kollegin: „Hab keine Angst. Bei mir war es das Beste, was mir passieren konnte.“ Sie hatte sich von diesem schmerzenden, wilde Blutungen erzeugenden Organ und der Verhütung befreit gefühlt und ihre zwei Söhne hatte sie schon mit Mitte Zwanzig bekommen.
Das half mir weiter.

Fun Fact: Als ich auf die OP wartete, begann ich zu bloggen. Alles, was ich in den letzten 12 Jahren schrieb, schrieb ich als Frau, die keine Kinder mehr bekommen konnte. Edit: Noch ein Fun Fact. Mein Blog sollte eigentlich Rites de Passage heißen, aber die url gab es nicht mehr. Das erste Blog hieß deshalb Durchgangsverkehr. Ich fühlte mich auf dem Weg zu etwas anderem, ohne das an den Wechseljahren festzumachen.

Als ich mich ein paar Monate nach der OP wieder berappelt hatte (das wäre einfacher gewesen, wenn ich nicht so viel gearbeitet hätte und nebenher noch ein Umzug anstand), verabschiedete ich jeden der unzähligen Tampons, den ich auch noch Jahre hinterher in diversen Taschen fand, mit fettem Grinsen. Mal abgesehen von häufigen Träumen über Babies und Schwangerschaften in den ersten Wochen, fühlte ich mich gut und weniger verletzbar. Es war vorbei. Der Gang tief ins Innere meines Körpers – eine Vagina ist ein Delta, kein Fjord, es hört ja nach der Gebärmutter nicht auf, danach kommen die Tuben und die sind offen in Richtung Eierstöcke und Bauchraum – war nun eine Sackgasse. Die Gezeiten von Blut und Säften waren eingedämmt.
Ich musste nicht mehr über Verhütung nachdenken und bemerkte den Zyklus nur noch an meiner Verfassung. Wenn ich das hohe C problemlos bekam und junge Männer beschnurrte, hatte ich einen Eisprung. Es gab immer mal Blutschatten, weil ich mich für die den Muttermund erhaltende OP entschieden hatte und das wars.
Ich mochte diesen Zustand sehr. Ich ging damit vor Männern aber nicht hausieren. „Dich hamse ausgenommen, du bist ja jetzt keine Frau mehr.“, war der naiv-ehrlich Satz eines, der aussprach, was wahrscheinlich einige Männer in meiner Umgebung dachten.
Es war meine Freiheit, meine Unverletzbarkeit, die ging niemanden etwas an.

Eine Nebenwirkung der Gebärmutterentfernung war, dass die Wechseljahre etwas eher und auch unmerklicher einsetzen. Der langsam endende Zyklus ist nicht offenkundig zu bemerken.
Mit der Sicht auf die letzten sieben Jahre glaube ich, dass ich viele Erscheinungen der Wechseljahre für Krankheitssymptome meines Burnouts gehalten habe. Oder besser, es war nie so recht zu trennen.
Ich habe über ein Jahr lang jede Nacht das Kissen naßgeschwitzt und dachte, das wären Nebenwirkungen von Medikamenten, die ich nahm. Ich war niedergeschlagen, ängstlich-panisch, müde, wenig belastbar, vergesslich und oft ziemlich matschig im Kopf – was hat das verursacht?
Ein Burnout als die Krankheit der Helden der Arbeit klingt im Heute gesellschaftsfähiger als der Fall einer Frau ins unattraktive Alter.
In der psychosomatischen Klinik, in der ich 3 Monate war, galten klimakterische Frauen als Normalfall. Nach einer heftigen Blüte in den 40ern kommt zum Ende des Lebensjahrzehnts die Krise und die hat eben häufig drastische psychosomatische Auswirkungen, das war dort der Tenor.

Einiges habe ich tatsächlich als völlig neu empfunden. Ich wurde wütend, konsequent und kompromißarm, die mentale Weichheit, die übergroße Antennen für andere hat und sich selbst zurückstellt, wurde geringer. Die Lust veränderte sich, wurde auch konsequent, kompromißarm und geradeaus. Das gefiel mir wesentlich besser als diese innere Programmierung „ich bin Gefäß, du weißt, was du von mir willst“, die mich in der Zeit als junge Frau beherrschte.
Ich glaube, eine gewisse Grund-Aggressivität geht tatsächlich auf das Konto des veränderten Hormonmix.
Ein anderer Teil an Verhaltensänderung wird sicher ausgelöst, weil sich das Spiel zwischen Männern und Frauen ändert. Wer ständig belagert wird, kommt gar nicht zum Agieren, sondern kann nur Reagieren. Nicht mehr unterschwellig in der sexuellen Aufmerksamkeit vieler Männer zu stehen, hat mich sehr entlastet.

Die Hitzewallungen sind ein eindeutig den Wechseljahren zuzuordnendes Symptom. Während meine Großmutter sich alle halbe Stunde entnervt das Gesicht abtrocknen musste und deshalb bald auf Make up verzichtete, habe ich nur das Gefühl, da schaltet jemand in Höhe des Nabels einen großen Brenner an und ich muss sofort meine Jacke abwerfen, weil es mich einmal richtig durchheizt. Während ich von der Pubertät bis Mitte 30 bei jeder Gelegenheit fürchterlich gefroren habe – Bettsocken ab September, drei Schritte auf kaltem Fliesenboden gaben eine Blasenentzündung – ist mir jetzt immer gut warm und ich mag das.
Ach ja und Brüste. Üppige Brüste. Auch nicht schlecht.

Die Hormonersatztherapie war in meiner Umgebung nie Thema. Ich habe es zu Anfang mal mit Mönchspfeffer etc. versucht, aber wenn ich nicht daran glaube, vergesse ich meist, das ich da etwas einnehmen sollte. Die Pille hat mir nur Probleme gebracht, Depressionen oder leicht manische Anwandlungen (je nach Präparat), Lustlosigkeit, Gewichtszunahme, da wollte ich nicht noch in den Jahren, in denen ich sowieso Achterbahn fuhr, noch an dieser Seite des Hormon-Mobiles herumspielen.

In diesem Lebensjahr bin ich wohl so langsam mit den Wechseljahren durch. Mein Kopf ist klarer, ich bin wieder belastbarer, nun auf eine zähe, langsame Art. Ich habe mein Verhalten, wie es scheint, endlich der neuen Existenz angepasst.

Bestimmte Dinge sind nicht schick, aber sind halt so. Dieser präsente Bauch, der einem wächst, zum Beispiel, während die Beine schlanker werden. Und erzähle mir keiner, da müsse man nur diszipliniert weniger Kalorien aufnehmen als man verbraucht und dazu ordentlich Krafttraining machen. A…lecken! Das habe ich mit Anfang 40 auch noch geglaubt.
Wenn dein Stoffwechsel Achterbahn fährt, hast du zu den unmöglichsten Zeiten Heißhunger und da du ständig müde bist, verbrennst du kaum etwas. Krafttraining? Mit welcher Kraft? Die braucht dein Körper, um die erlahmende Fruchtbarkeit in Gang zu halten – mit Nebenwirkungen wie Östrogenüberproduktion, Zysten und Myomen. Bis dann ruhigeres Fahrwasser kommt und dann kann man ja mal schauen, was geht.

In der guten alten Zeit waren die Wechseljahre für Frauen der Moment, wo sie kürzer treten konnten. Oft mit viel Drama. Ich hörte öfter, dass es die eine oder andere Oma oder Tante gab, die sich dann einfach dauerhaft ins Bett legte und erklärte, sie sei jetzt schwer krank und die anderen könnten allein weitermachen.
In der guten alten Zeit waren die meisten Frauen aber auch von vielen Schwangerschaften und harter Haus-, Garten- und Hofarbeit ausgepowert. Viele erlebten das Ende ihrer Fruchtbarkeit gar nicht mehr, weil sie vorher im Kindbett starben.

Im Zeitalter der möglichst restlos vermarktbaren Arbeitskraft, flexiblen Bindungen (damit der Partner-Konkurrenz der Frauen untereinander auch noch im mittleren Alter) und demonstrativen, willenskraftgesteuerten Jugendlichkeit ist diese kräftezehrende Phase schwierig zu bewältigen. Darüber zu reden, hieße ja, zuzugeben, dass man aus dem Club der Turnschuhträger aussteigt.
Meist kommen die Wechseljahre zusammen mit gerade schulpflichtigen/pubertierenden Kindern und dem Wiedereinstieg in die Arbeit oder mit Veränderungen im Job – das Arbeitsfeld ist durchgespielt oder der Sprung auf die nächsthöhere Karriere-Stufe steht an.
Was tun, wenn der Run um den Geschäftsführerposten ansteht, frau vielleicht nun auch die nötigen Eier dafür hat, es mit der männlichen Konkurrenz aufzunehmen, aber am liebsten ganze Tage schlafen will und alles vergisst? (Ich habe übrigens öfter darüber nachgedacht, wie Angela Merkel das geschafft hat.)

Wer vorher auf dem Ticket Aufmerksamkeit durch Schönheit und Weiblichkeit gereist ist, bekommt meist ernste Probleme, die sich zu tiefen Identitätsproblemen auswachsen können. Die reflexartige Aufmerksamkeit und Wertschätzung fällt weg. Wer das nicht durchschaut hat und die Attraktion zum Kern seines Selbst gemacht hat, fällt ins Leere. (Ich habe jahrelang mit Schauspielerinnen gearbeitet, ich weiß, wovon ich rede.)

Da Ehen nicht mehr für die Ewigkeit geschlossen sind und ggf. erduldet werden müssen, fangen nicht wenige Männer ein neues Leben mit einer jüngeren Frau an (neben exzessivem Fahrrad fahren in engen Spandexklamotten etc.) und gehen in die zweite Brutphase.
Männer kamen später in die Pubertät und ihr Fall ins Alter kommt meist mit dem Ende des Arbeitslebens. Frauen haben 8-10 Jahre Vorsprung und in vielen Partnerschaften gibt es darum Zoff und Desillusionen. – Klassiker: Mann in der Midlifecrisis wirft Frau vor, mit ihr sei nix mehr los.

In auf Familienverbänden aufbauenden Gesellschaften haben die älteren, nicht mehr gebärenden Frauen große Macht in der (weitläufigen) häuslichen Sphäre. Sie haben sich mit Söhnen bewiesen und können nun ihren Schwiegertöchtern Anweisungen geben, die für sie arbeiten. Der Mann ist meist in aushäusigen Geschäften unterwegs oder bei seiner Geliebten, die er schon wegen seines Status haben sollte und stört nicht.
Witwen verfügen allein über ihr Vermögen (so es eines gibt) und sind über dessen Verwendung keinem männlichen Familienmitglied Rechenschaft pflichtig, außerdem dürfen sie in aller Diskretion auch Liebhaber haben.

In der modernen Industriegesellschaft steht die klimakterische Frau zwischen allen Stühlen. Das emotional-körperliche Drama fängt die Krankenkasse auf, nicht die Familie. Frau muss funktionieren, wie alle anderen um sie herum auch. Ich sehe kaum ein normales Rollen-Vorbild für die Zeit nach den Wechseljahren. Das ist entweder die verrückte, schrille Alte mit den Tarotkarten im Anschlag oder das verblühende Wesen mit der praktischen Kurzhaarfrisur und dem Dauerabo auf Katzenwaisen. (ja, das sind Klischees, ich weiß)
Christine Lagarde wäre es für mich vielleicht, überhaupt die ganze Damenfraktion. Aber wo werden im heutigen Deutschland Damen gebraucht?

Vor einer ganzen Weile sagte mir eine Freundin, ich würde mich mit Lust zu alt machen. Es kamen noch andere Rückmeldungen von anderen: zu wild, zu weite Röcke, zu ungebändigte Haare… Ok., das war wohl der Ausschlag in Richtung Schrille Alte ohne Tarotkarten. Und Ende letzten Jahres sah ich älter aus als heute, weil durch zu viel Arbeit völlig fertig. Das hat sich ja Gott sei Dank geändert. Schauen wir mal, wo es hingeht.

Ich hatte auch den Grafen zum Thema Frauen und Wechseljahre befragt, weil er ein guter Beobachter ist. Er meinte, es wäre interessant zu sehen, wie Frauen mit der Herausforderung Altern (für jemand Außenstehenden sind die Wechseljahre Altern, nichts anderes) fertig werden.
Dass manche über diese Phase fast unmerklich hinweg rutschen und gut altern, andere verlieren viel von ihrem Wesen und ihrer Ausstrahlung und gewinnen nichts hinzu. Dass man es Frauen, die ohnehin unter großer Belastung stehen, ansieht dass diese Phase extrem anstrengend ist.

Er sagte, Frauen würden so unterschiedlichen altern, wie es Lebenskonzepte und -schicksale gibt.

Veröffentlicht unter Exkurs

Vigil 71

Eine kurze Tour ins Oderbruch mit dramatischem Himmel, frischem Grün, Rapsgelb und prallen, duftenden Fliederbüschen.
Es sieht besser aus als vor 10 oder 20 Jahren. In den Neunzigern gab es viel agrarsubventionierte Grünbrache (eine Schande bei diesen fruchtbaren Böden) und den Dörfern sah man Frustration und Armut an. Vor 10 Jahren rappelte es sich langsam zusammen und jetzt scheint es denen, die übrig geblieben sind, gut zu gehen. Es gibt keinen Gemüseanbau mehr, sondern nur Hochleistungsgetreide und Raps. Warum?, frage ich mich. Diese wunderbare lehmige Erde ist ideal für Tomaten, Bohnen und Kohl jeder Sorte.
Die Gutshäuser und Schlösser, so es sie noch gibt, sehen mittlerweile proper aus. Wer eine ganz skurrile und ohne Subventionen auskommende Location sehen  will, sollte sich das uralte Schloss Gusow ansehen. In Neuhardenberg sah der Graf ein Schild „Geschlossene Gesellschaft“ vor der Orangerie und sagte: „Sparkasse!“. Wie er darauf kam, muss er selbst erzählen.
Wir machte auch einen kurzen Abstecher nach Golzow, wo ich 1982/83 Landarbeiterin war. Der alte Speicher, in dem auch ich wohnte, ist noch immer Lehrlingswohnheim.

Dann fuhren wir nach Küstrin, aber die Supermärkte haben in Polen am Pfingstsonntag selbstverständlich zu. Also gab es weder Wodka noch Krakauer Würstchen. Wir beschlossen, uns die Altstadt anzusehen, die auf der Insel zwischen Oder und Warthe lag und zu der uns ein Verkehrsschild führte. Es gab auch Straßenschilder und Gehwege. Es gab nur keine Altstadt und kein Schloß mehr. Ein paar Eingangstreppen und Kellerfenster waren noch zu sehen und dazu zugewucherte Schuttberge. Eine Geisterstadt. Ich wußte das nicht. Kiez, der Stadtteil auf der anderen Seite der Oder und die Festungsteile von Küstrin waren zu DDR-Zeiten militärisches Sperrgebiet der Sowjetarmee.

Wir fuhren bald auf der völlig leeren Bundesstraße 1 in Rekordzeit zurück nach Berlin.