Berlin-Grünau

Als ich in das Haus am Fluß zog, musste ich vielen erst einmal erklären, wo ich wohne.
„Regattastraße? Ist das am Wannsee?“
„Nein, im Südosten von Berlin, an der Dahme.“
„Ach in Köpenick am Müggelsee?“
„Nein, südlicher.“
So richtig schön ist es in Berlin-Grünau erst mal nicht, nicht mehr, denn der Ort hat bessere Zeiten gesehen. Eine Straße, die zunächst Regattastraße, dann Grünauer Straße heißt, zieht sich vom Waldgebiet im Süden mäßig weit vom Ufer entfernt die Dame entlang in Richtung Köpenick, unterbrochen von der Mündung des Teltowkanals. An manchen Stellen weitet sich die Straßenbebauung zu kleinen Häuschenansammlungen, die eine oder andere repräsentative Villa steht am Wasser, aber ansonsten ist hier viel halbindustrielle Architektur, die oft 150 Jahre alt ist, jede Menge riesiger, aber oft runtergekommer Segel- und Ruderclub-Gebäude, die übliche 60er-Jahre-DDR-Wohnblockbebauung und ein paar „investieren Sie mit Sonderabschreibung in der Zone“-Bauten zu finden.
Friedrich der Große hat hier zuerst Kolonisten angesiedelt und die bauten Boote und wuschen und bleichten Wäsche. Viele der alten Fabrikgebäude sind Wäschereien und Bootsbaubetriebe gewesen. Die eine oder andere Yacht-Werft hat die Zeiten überdauert und neben dem Asylbewerberknast, der zu DDR-Zeiten Frauenknast war, steht eine Großwäscherei.
Je größer Berlin wurde, desto höher stieg der Freizeitwert der mit der Bahn bzw. S-Bahn und der mit der Schmöckwitz-Grünauer-Uferbahn (im übrigen eine der schönsten Straßenbahnstecken Berlins) erreichbaren Region im Grünen. Man konnte im späten 19. Jahrhundert vom Görlitzer Bahnhof in Kreuzberg (man erinnere sich: Wohngegend der Offiziere) aus in Richtung Süden, nach Grünau und vor dort aus mit der Straßenbahn und der Grünauer Fähre hinüber in Richtung Wendenschloß in die zahlreichen Segel- und Ruderclubs an der Dahme  oder auch bis in die Müggelberge fahren. Neben der exklusiven Freizeitsportmeile lag die Partymeile in Form von vielen Tanz- und Festsälen am Wasser, die Namen wie Schmetterlingslust und Marienlust trugen. Ein besonders schöner Bau war das Gesellschaftshaus Grünau (im übrigen steckt hinter diesem Link eine schöne Sammlung von historischen Grünauer Bildern) und das Bellevue mit den Wandmalereien, das bis in die 80er Jahre noch Diskothek war und nun leider jammervoll verfällt.
Zu dieser Zeit wurde das Haus, in dem ich wohnte, das als Brauerei gebaut war, von einem Bootsbaubetrieb in eine kleine Pension für Wassersportler umgewandelt, mit nebenliegendem Bootshaus. Sport muss der Hype gewesen sein. Für arme, wie auch für reiche Berliner. Die Armen fuhren nach Schmöckwitz in die Palme, zum Schwofen, Wandern und Baden, die Reichen kamen zum Teil mit Dampfern aus Berlin, gingen Rudern und Segeln und nahmen an Gesellschaftsabenden teil, sogar der Kaiser kam regelmäßig. Ich glaube, man kann die Freiluft-Sportkultur (mit allen Seiten-Zweigen, zum Beispiel die Arbeiter-Camper in Kuhle Wampe, die Wandervögel, Reformler und Nudisten, die genauso dort unterwegs waren) der Jahre 1890-1930 ähnlich bewerten, wie den Bike- und Surf-Hype der Gegenwart und die daran hängende Konsumkultur, der nur durch bessere Mobilität nicht mehr auf ein Einzugsgebiet beschränkt ist.
Mein Großvater kam aus so einer Körperkult-Ecke. Er gehörte als junger Mann zu den Roten Bergsteigern im Elbsandsteingebirge (man erinnere sich, da gab es das erste Freeclimbing), zu Ruder- und Segelclubmitgliedschaft hat es für den Arbeitersohn nicht gereicht, aber ich habe in vielen Dingen gesehen, dass es das toll fand. Er ruderte gern, spielte Tennis, war auf Skiern unterwegs.
So, zurück nach Grünau. Es gab das Sportdenkmal und 1936 wurden die Olympischen Ruderwettbewerbe auf der Dahme ausgetragen. Ein Bekannter, der in einem Haus in Wendenschloß am anderen Ufer wohnte, hatte mir erzählt, dass der alte Hausbesitzer 1936 eine Terrasse aufs Wasser gebaut hatte und dort meistbietend Gäste bewirtete, weil der Blick fast so gut wie auf der offiziellen Tribüne war.

In der Nachkriegszeit wurde vieles anders. Es gab Kriegszerstörungen wie überall. Die Grünauer Vermieterin berichtete, daß das alte Fabrikgebäude auf ihrem Grundstück für sowjetische Reparationen völlig leergeräumt wurde. Selbst die Stahltäger wurden wegen des Schrottwerts aus den Decken gerissen.
Die Ruder- und Segelclubs gingen in die Hand von Betriebssportgemeinschaften und man lebte von der vorhandenen Substanz oder kultivierte die Nische, indem man auf den Grundstücken halblegal Datschen baute, auf der Rohrwallinsel in Richtung Köpenick saß ein Kleingartenverein, auf dem Großen Rohrwall im Langen See ein Segelclub, jeder machte kleinbürgerlich seins. Die große Gesellschaft und deren Repräsentation waren weg, erinnerte doch zu vieles inakzeptabel an Kaiserreich und Nazizeit. Einzig das Café Liebig hat noch immer die original Jugendstileinrichtung, wenn es auch sonst ziemlich runtergekommen ist. Vieles erzählt von vergangenen Zeiten, wie das Sport- und Erholungsheim der Dresdner Bank, später Funkhaus des DDR-Rundfunks, Sitz des Freiheitssenders 904 und des DDR-Fernsehballetts und jetzt immer noch leerstehend und verfallend, so weit ich weiß.
Als ich von 1997 bis 2003 in Grünau wohnte, war die Gegend am Tiefpunkt angekommen und arbeitete sich gerade wieder langsam hoch. Es gab eine runtergekommene Konsum-Kaufhalle und üble Kneipen, die versuchten, Weststandard zu kopieren, mit Spaghetti Melanese (Sic!), oder Aglio Olio mit Brokkoli, die in der Gegend wohnenden Leute versorgten sich sowieso mit Bofrost. Ein paar Nachwende-Investment-Wohnanlagen im 80er-Jahre-Stil der Westdeutschen Provinz versuchten, ihre Mieter zu halten. In den Einfamilienhäusern machten sich pensionsmäßig gut versorgte Leute aus der Kultur- und Wissenschaftsschickeria für den Lebensabend bereit. Die einzige funktionierende „Industrie“ der Umgebung waren die große Bundeswehrkaserne und der Knast. Die Ruder- und Segelclubs waren in abwartender Starre, denn oft kamen die alten Vereine zurück. Gut für die Investitionskraft des Vereins, schlecht für die Ostmitglieder, die meist aus dem Beruf geflogen waren und tief verunsichert und gekränkt den Einmarsch der neuen alten Mitglieder erlebten.
Es war die Zeit, in der die heute im Ruhestand befindlichen DDR-Bürger nach der Euphorie des Mauerfalls ein heftiges und nachhaltiges Aufklatschen erlebten. Im Bürgerhaus Grünau, ehemals Stasi-Büro, dann von Bürgerrechtlern besetzt, residierte die intellektuelle Dissidenteria, war von Jahr zu Jahr enttäuschter und kultivierte die Ostalgie. Ich erinnere mich, daß ich dort mal einen Aushang mit einem Stellengesuch (also ich bot eine Vollzeitstelle an) machen wollte und rausflog, weil da könne ja jeder kommen. Die wenigen Arbeiter aus dem Betonwerk und die niedrigen Chargen aus dem Umkreis der NVA, die in den 60er-Jahre-Bauten oder in kleinen Häuschen wohnten, hingen meist rum, versuchten mal hier mal da was und verfielen dem Nachwendehospitalismus.
Diejenigen, die schon in der DDR auf sich gestellt arbeiteten: Handwerker, Künstler, Gastronomen, bestimmten nach und nach wieder den Ort, aber das hielt nach meinem Wegzug scheinbar nicht lange vor. Vor dem Bürgerhaus auf dem Wasser gab es das Schiffsrestaurant Huckleberry, das ist zu, in einem Souterrain der Regattastraße eröffnete das Chateau 105 mit ziemlich anspruchsvoller Küche, gibts auch nicht mehr – der Tross geschäftlich fitter Leute scheint sich die Spree hoch in Richtung Treptow zu bewegen.
Der Impuls ist also schon wieder weg. Ein Bürgerverein schlägt Alarm, zu recht, wie ich finde. Heute ist Grünau alt und hip ist es schon garnicht, auch wenn es nicht mehr am A… der Welt liegt und mittlerweile verkehrstechnisch hervorragend erschlossen ist. Als ich dort hinzog, habe ich tagsüber meist mehr als eine Stunde nach Charlottenburg gebraucht, heute geht das mit der Autobahn fix. Aber der Ort scheint auf hohem Preis- und niedrigem Investitionsniveau zu stagnieren. Schade.
Warum ich dort gewohnt habe? Oma wohnte zwei Orte weiter, in Schmöckwitz, das war mein alter Kiez. Ich liebte das Wasser und die Natur. Das Kind konnte sich auf der Straße rumtreiben. Und fraternisieren ist ohnehin nicht meins. So saß ich im Oberstock der Villa am Wasser und schaute auf die Dahme…

Der Text gehört zu den von von Maximilian Buddenbohm angestoßenen Stadtteilgeschichten.

Veröffentlicht unter Exkurs

November

Eigentlich mag ich Herbstnebel und Blätterrascheln. Aber dieser düstere November geht mir dieses Jahr so ziemlich an die Nieren – oder aufn Kopp, auch egal.
Ich sitze immer noch am Projekt Lebensbewältigung. Es sind eine Menge Formulare in alle Himmelsrichtungen gegangen und ich warte auf Feedback. Von Formularkrieg Nr. 1 weiß ich, das er wahrscheinlich bis Frühjahr nächsten Jahres vertagt wird und ich dann noch einmal loslegen darf. Nr. 2 ist im Grunde ein Schuss und der trifft oder nicht. Wenn eine Absage kommt, kann ich nur noch mit dem Anwalt nachlegen.
An diesen beiden Sachen hängt eine große Lebensentscheidung. Naja, nicht so ganz. Die Entscheidung ist schon gefallen, die Ausführung erfolgt im Frühjahr, aber der Ausgang von Formularkrieg 1 und 2 beeinflussen, wie die Zeit nach der lebensverändernden Entscheidung aussehen wird.
Und von anderen abhängig sein, ist ja so gar nicht mein Ding.

Dann kommt Weihnachten. Auch nicht meins. Die Zeiten sind vorbei, als ich am 6. Dezember aus Deutschland flüchten konnte. Ich würde gern nach ein paar netten Weihnachtsmarktbesuchen und einer Portion Gänsebraten in Winterschlaf fallen und erst Ende Februar wieder aufwachen.

Den erste Gänsebratenversuch hatten wir vorgestern schon.
Aber erst waren wir auf dem Friedhof. Zum ersten Mal war ich diejenige, die den Auftrag hatte, das Familiengrab im südöstlichen Berlin zu besuchen. Die Eltern sind nun nicht mehr so gut beisammen, sonst haben sie es gemacht. Ich weiß doch nicht einmal, wann Totensonntag ist. Komische Sache, ich hatte damit gerechnet, daß es mich umhaut. Ich träume immer wieder von KKM, habe immer noch eine enge Verbindung zu ihr, aber das Grab da draußen auf dem Friedhof hätte auch ein Verkehrsschild sein können. Da war nichts mehr. Der Geist ist irgendwo anders.
Nach dieser ernüchternden wie erleichternden Feststellung drehten wir eine Runde durch den Grünauer Herbstwald, die Dahme entlang. Es war recht nebelig und die Geräusche der im Dunst nicht sichtbaren Flugzeugen, die Schönefeld anflogen, waren überpräsent. Dabei fliegen sie noch immer reduziert den alten Flughafen an, alle 5 Minuten. Wenn sie im Minutentakt fliegen, wenn der neue Flughafen irgendwann kommt, Gute Nacht! Das ist nicht gut für die Hausbesitzer von Wendenschloß, Grünau, Karolinenhof, Schmöckwitz, Bohnsdorf und Eichwalde.
Auf dem Rückweg sind wir kurz in Hanffs Ruh eingekehrt. Eigentlich gibt es dort nach einem Herbstspaziergang immer Soljanka zum Aufwärmen. Aber dann stand Gänsebraten zu erschwinglichem Preis auf der Karte und ich hatte Hunger, großen Hunger. Als die viertel Gans auf dem Tisch stand und ich das Messer drin versenkte, hatte ich was gelernt: Geh zum Gans essen nur in Läden, wo du weißt, dass sie gut ist. Das Vieh war bretthart, trocken und zäh. Ich weiß nicht, was sie damit angestellt haben. Vielleicht sollte sie am Montag zu von Hagens zum Plastinieren geschickt werden.

Am Sonntag war Schwiegereltertreffen dran. Bei der Jugendliebe, mit der das Kind 7 Jahre zusammen war, hat es sich nie ergeben, dass ich die Eltern kennenlernte. Irgendeiner von uns war immer auf den Parties, wo wir uns hätten begegnen können, abwesend.
Die Zeit schreitet voran und man geht es anders an, etwas offizieller. Und so saßen wir denn gestern zu sechs um einen Tisch und widmeten uns einem göttlichen orientalischen  Brunch. Das war wunderbar und angenehm, machte mir aber schon mal dezent die Tür zur Weihnachtshölle einen Spalt weit auf: Düster, um Tische sitzen, essen, Verwandtschaft.

Veröffentlicht unter Leben

Die Drei-Minuten- Braut

Frau Nessy schrieb heute über ihr Theater-Debüt als Mutterkuh im Kindergarten.
Es hat einen großen Vorteil, als Kind zurückhaltend und etwas trampelig zu sein. Man kam nämlich nie auf die Idee, mich in Theaterstücken zu besetzen. Einmal war ich in einem Formationsmassentanz mit ca. 400 anderen Mädchen besetzt, der anlässlich eines Pfingsttreffens im Oderkaff aufgeführt wurde (Dean Reed !!!! winkte mir von der Zuschauer-Tribüne zu, glaubte ich jedenfalls), aber da ging kleines dickes Kitty in der Masse unter.
Als aus dem kleinen pummeligen Entlein ein leidlicher Jungschwan metamorphierte, wurde ich Komparsin am Stadttheater. Ich hatte mein Debüt in der Finalszene einer Molière-Komödie. Da sie sich am Schluss alle kriegen, musste noch eine Braut für einen leer ausgegangenen Bewerber aus dem Hut gezaubert werden. (Im Original hatte die Maid auch noch vorher eine Szene, die war aber gestrichen.)
14 Tage vor der Premiere musste ich zur Kostümanprobe. Da der Kostümbildnerin nichts gefiel, was im Fundus hing, bekam ich ein Korsagenkleid aus weißer Spitze im Dior-Stil maßgeschneidert. Zwar aus Dederon, aber das sah ja keiner. Dann knüpfte man mir eine Perücke mit einer blonden Wallemähnen-Bardot-Frisur. Nur die Schuhe waren nicht so hot, die waren im Maalsaal mit weißer Lackfarbe gespritzt, die nach drei Schritten abplatzte, die geplanten weißen Seidenschuhe waren mal wieder Mangelware. Die Maskenzeit dauerte eine halbe Stunde. Lidstrich, angeklebte Wimpern, Schmoll-Lippen, Perücke… Ich sah so aus, wie in meinen pubertären Hollywoodstar-Träumen. Für jemanden, der sich unter dem Joch von Hässlichkeit und Unansehnlichkeit durch die Pubertät gequält hatte, war das Seelenmassage
Ich war die mit dem kürzesten Auftritt, der längsten Vorbereitungszeit und der tollsten Klamotte. Die Damen, die auf der Bühne im Schweiße ihre Angesichts ihren Beruf ausübten, waren not amused. (Unter anderem die Mutter eines heute recht bekannten Jungschauspielers.)
Ich stand drei Minuten auf der Bühne, wurde einem Herren zwecks Heirat zugeführt, alle riefen „Wie schön sie ist!“ und dann durfte ich noch den Schlussapplaus und alle Verbeugungen mitnehmen, weil die immer paarweise erfolgten. Ich lernte – statt brav zu knicksen – mich lächelnd gemessen zu verbeugen, mit der Hand auf der Brust, damit man mir nicht ins Dekolleté schauen konnte.
Einziger Wermutstropfen: Der Typ, an den ich verheiratet wurde, war doof und alt und er sollte mich auf der Bühne küssen. O-o. So weit war ich der Pubertät nun doch noch nicht entwachsen, so dass ich auch mit einem Bühnenkuss nicht zurecht kam. Dazu mag auch beigetragen haben, dass die Jugendliebe während der Proben im Zuschauerraum saß, die Szene eifersüchtig beäugte und ein rechtes Sensibelchen war. (Heute würde man Emo dazu sagen.)
Der Typ (im übrigen später mein erster Sprecherzieher und lediglich erwachsen, aber nicht alt) machte sich natürlich manchmal einen Jux draus, mich zu veralbern, wenn ich erst mal auf der Bühne stand und mir nichts anmerken lassen durfte. Mal schminkte er sich einen Frontzahn weg und grinste mich grenzdebil an, mal knutschte er mich zu Boden und ich musste mitmachen, irgendwas fiel ihm immer ein.
Als das Stück abgespielt war und meine Jugendliebe mich unbedingt nach meinem 18. Geburtstag heiraten wollte, schlug er vor, das Kleid aus dem Fundus zu kaufen, damit ich es zur Hochzeit tragen könne. Aber irgendwie hatten wir kein Geld. Aber wer den obenstehenden Link gelesen hat, weiß, dass da ohnehin bald etwas dazwischen kam. So daß LaPrimavera einige Jahre später mein Hochzeitskleid entwarf…

Veröffentlicht unter Leben

Oper 2012

Ich bin nun seit gut 15 Jahren audiovisuell erkrankt besonders gefordert. Was heißt, ich kann Filme nicht mehr auf die normale Tour sehen, sondern ich sehe die Baubühne, schaue, wann der Schnitt kommen muss, damit der Schauspieler seinen Text auf einen langen Gang hinbekommt, sehe mir das Licht in einer Nacktszene daraufhin an, ob da grade ein Bodydouble am Werk ist, sehe in den Actionszenen in die Augen der Stuntmen und so andere Behinderungen der wahren Kinolust.
Bei Skyfall war das seit langer, langer Zeit mal wieder anders. Ich schwebte in meinem Kinosessel wie in einem Floating-Tank. Vor mir pure Fiktion, bigger than life. So muss es sein. So war es in meinen Anfangszeiten, als ich wochentags am Nachmittag manchmal eine von zehn in einem großen Kinosaal war (das war ja noch die Zeit der großen Lichtspielhäuser), das war so bei Star Wars, Terminator II, bei Blade Runner und und. Irgendwann wurde es schwieriger, da war nur noch die ganz harte Droge wirksam. Erzählweisen, die ich noch nicht kannte. Historische Kung Fu-Filme, russische Action wie Notchnoi Dozor, völlig Raum und Zeit sprengende Japaner.
Jetzt bin ich wieder an meinem Urgrund angekommen. Ich bin Zuschauerin. Klar kriege ich noch mit, dass das deutsche Casting des Films eine Freundin gemacht hat, mit der ich gemeinsam meinen Berufsweg begann und die ich mittlerweile aus den Augen verloren habe. Aber es ist nicht mehr wichtig.
James Bond, das ist wie Oper. Große Leitmotive: Tote leben länger. Geh in den Schatten, um zu sehen. Den größten Kampf kämpfst du im eigenen Haus. Die Dialoge kurze, spitze Rezitative. Die Duette der Flirts und Sexszenen. Und immer wieder große Arien aus Licht, Action und Ton. Das mag ich.
Wahrscheinlich werde ich mich nie für Serien begeistern können. Das  ist mir zu anstrengend, da bin ich dramaturgische Erbsenzählerin zu gefordert. Dann lese ich lieber ein Buch und baue meine eigenen Bilder im Kopf.

Wenn ich mir etwas wünschen könnte, dann wäre ich gern eine der verschollenen Paul Auster-Gestalten. Ich würde in einem Desert Home leben, in dessen kühlem Felsenkeller ein Kinosaal ist. Nachts käme ich manchmal nach draußen, in der Hand einen Martini – gerührt, nicht geschüttelt – liefe ich mit meinem schwarzen Abendkleid einmal quer durch den Pool.

Und der Film? Ansehen!

Veröffentlicht unter Exkurs