Gangbangs unter Enten

Jetzt wird es romantisch und sentimental.
Ich wollte aus dem Käsekästchen raus, wo wir in Ermangelung einer Couchzu dritt im Bett vor dem Fernseher saßen und unser sonntagabendliches Kartoffelgratin aßen. Die Berliner Wohnungskrise war 1996 noch nicht absehbar, allein in Potsdam gab es den einen oder anderen Leerstand. Den wir pflichtschuldigst besichtigten und uns dann gegen eine Residenz vor den Toren Berlins entschieden, Marmorbad hin oder her.
Am liebsten wäre mir eine der großen Altbauwohnungen am Schöneberger oder Wilmersdorfer Stadtpark gewesen. Aber die gingen zu dieser Zeit nur mit horrenden Abstandszahlungen über den Tisch.
Und so begann ich am Stadtrand zu suchen, auch mit dem Gedanken, daß es nicht schlecht wäre, wenn das Kind die Straße auch mal ohne Geleitschutz eines Elternteils betreten könnte.
Und dann fand ich Teilgewerbe auf Gewerbehof, Wasserlage, 150 qm.
Als ich anrief, versuchte die Verwalterin, mir die Sache auszureden. Das wäre ein verkommener Hof, viel zu weit draußen, warum ich denn von Schöneberg weg wolle, etc. pp.
Von der Straße liefen wir 250 Meter in einen Fabrikhof, ca. Mitte 19. Jhd., eine große Backsteinruine stand dort, aber die alten Ställe und Remisen waren ausgebaut. Zehn Meter vom Fluß entfernt war dann eine kleine, zweistöckige Villa. Das zweite Stockwerk sollte für die nächsten sechs Jahre unser Zuhause werden.
Meine Oma schüttelte den Kopf. Sie hatte zwei Jahre auf einem Wassergrundstück gelebt und meinte, das Wasser wäre irgendwann langweilig und der Dreck von Schwänen und Enten, die Wasserratten und der ständige Schiffsverkehr würden nerven.
Nichts von dem war der Fall. Das Haus am Fluß lag zwar am A… der Welt, aber der Blick nach draußen entschädigte für jede einstündige Fahr nach Charlottenburg (mittlerweile geht es über die neugebaute Stadtautobahn wesentlich schneller). Schien die Sonne auf das Wasser, tanzten Lichtkringel an der Decke. So bin ich morgens aufgewacht. Der Vollmond machte den Fluß zu geschmolzenem Silber. Im Herbst waren die Kastanienbätter vor dem Schlafzimmerfenster zwei Wochen lang goldgelb und wenn sie abfielen, gaben sie einen Panorama-Blick zwei Kilometer flußaufwärts frei, in dem sich an Wintermorgen auf dem Eis die Sonne spiegelte. Winters weckte mich um 6 Uhr der Eisbrecher, im Sommer kam die Ruderolympiaauswahl vorbei. Der Männer-Achter, verfolgt vom brüllenden Trainer, war schneller als der Wind.
Unsere Grillpartys dauerten bis tief in die Nacht. Wenn es windstill war, stellten wir manchmal die glühende Holzkohle auf den Steg, setzten uns daneben und schauten in die Sterne.
Morgens joggte ich eine halbe Stunde durch den Wald und im Sommer schwamm ich. Es kam ein Kajak dazu, mit dem ich viel unterwegs war.
Ich hätte nie gedacht, daß die Natur in einer Industriegegend so überwältigend sein konnte. Schließlich waren wir umlagert von Werften, Yachtclubs und Bootsheimen. Den Tieren war das egal.
Morgens, in der Dämmerung stand ein Graureiher auf dem Steg. Im Winter knackten die Krähen am Ufer Muscheln und wenn es ganz kalt war, kamen Bisamratten flußabwärts. Wenn die Schwäne Junge hatten, gab es manchmal Gartenverbot, weil sich eine Familie mit ihren drei Jungen zu gern unter dem großen Weidenbaum ausruhte. Schwaneneltern können übel aggressiv werden. Und ganz junge Schwanenkinder, die noch Flaum haben, sind wirklich unglaublich häßlich.
Wir merkten immer daß es Frühling wurde, wenn die Enten anfingen zu … vögeln. Entensex ist brutal. Wenn Weibchenmangel herrscht, kommt es zu Gangbangs. Eine Ente, die besprungen wird, wird gleichzeitig unter Wasser gedrückt. Nach drei oder vier Mal findet die Entendame das dann garnicht mehr geil, sondern haut ab, wenn ihr ihr Leben lieb ist.
Es gab wenig, was in dieser Gegend genervt hat. Im Sommer wurden in den Bootsheimen Partys gefeiert, wenn dann Livebands spielten, war das schon Horror. Die schafften es immer wieder, die totgespielten Popsongs der letzten 30 Jahre ein paar Töne daneben zu spielen. Außerdem verwandelte sich der Fluß, sobald es wärmer war, in eine stark befahrene Straße. Um auf die Berliner Außenseen zu kommen, mußte man bei uns vorbei. Segler, Paddler, Motorboote, Schubkähne.
Das Kind fühlte sich bis zum Ende der Pubertät sehr wohl. Die disziplin- und leistungsorientierte Ostschule mit ihren kompetenten und engagierten Lehrern bekam ihr besser als die „wenn du magst, kannst du ja ein bißchen mitlernen“-Philosophie in Schöneberg (Lesen, Schreiben und Rechnen durften wir ihr in den Ferien beibringen.). Das mag sicher Widerspruch erregen. Aber exemplarisch war, daß die Klassenlehrerin den Lebenskundeunterricht dazu verwendete, den Kindern ein bißchen Elektrotechnik beizubringen, damit sie wenigstens wissen, wie eine Taschenlampe funktioniert.
Das soziale Umfeld war zwiespältig. Obwohl ich mit den Leuten (sehr viele wohlhabende Rentner und Wendeverlierer aus Führungspositionen), die um uns herum wohnten, nicht viel zu tun hatte, rastete ich ein wie ein Legostein. Hier im Osten waren meine Wurzeln, hier wurde jede Geste, jedes Wort verstanden. Selbst mit meiner kleinen Klitsche war ich hier wohlhabend. Denn ich hatte Arbeit und kein Problem damit, mich auch „drüben“ zurecht zu finden. Mitte der 90er war das durchaus noch ein Thema. Ich glaube aber, daß mittlerweile tatsächlich ein starker Vermischungsprozeß stattgefunden hat.

Kleine Anekdote am Rande:
Der junge Banker kam zum ersten Mal mit zu Omas Geburtstag. Am Tisch saß verflossene DDR-Nomenklatura, mittlerweile hochbetagt. Eine der Damen eröffnete das Gespräch mit: Und sie sind also von drüben, junger Mann! und der junge Mann schloß es sofort wieder mit den Worten: Nee, sie sind doch von drüben!

Meine sozialen Kontakte waren fast Null. Was mich nicht störte, ich bin ohnehin nicht so umtriebig. Und mit den frustrierten, jammernden Menschen konnte ich so gut wie nichts teilen.
Natürlich war es hart. Und ich hatte Glück gehabt. Eine der Schulfreundinnen des Kinds war Halbwaise. Ihr Vater hatte Arbeit gefunden. Um nicht zum Arbeitsantritt zu fehlen, ging er mit einer schweren Grippe auf den Bau. Eine Woche später starb er an einer Herzmuskelentzündung. Die Mutter hat das nicht verwunden und fing an zu trinken.
Als meine Tochter auf ein wertkonservatives Privatgymnasium wechselte, wechselte auch ihr Umgang radikal. Die Kinder ostdeutscher Unternehmer gingen auf diese Schule. Leute, die sich wie die Schneekönige über ihren Erfolg und ihren Wohlstand freuten und das auch zeigten. Nicht immer mit erlesenem Geschmack. Ihr Lehrer sorgte dafür, daß aus ihnen keine elitären Schnösel wurden, sondern streitfreudige Menschen mit sozialer Kompetenz.
Nun bleibt zu fragen, warum ich nicht im Haus am Wasser geblieben bin. Ich habe zwei Jahre gewußt, daß eine Veränderung nötig ist und konnte mich nicht losreißen. Die Firma war einfach zu weit draußen, jeder Publikumsverkehr war kompliziert. Ich hätte mich gern dafür entschieden, dort nur noch zu wohnen und ein Büro in der Stadt zu betreiben. Doch dafür war die Wohnung zu teuer, es war die Zeit, in der der neue Markt in den Keller rauschte und die überhitzte Medienbranche kollabierte. Selbst wenn ich es mir damals hätte leisten können, hätte es letztlich bedeutet, täglich zwei Stunden auf der Straße zu verbringen und den Freizeitwert der Gegend dort draußen nur noch am Wochenende zu haben. Auch das Kind war mittlerweile in dem Alter, wo ihr etwas städtisches Ambiente gut tat. Mir war lieber, daß sie, wie andere, einen längeren Schulweg hatte, als sich nachts auf dem Nachhauseweg von einer Party mit einem Fahranfänger und dessen Auto um einen Laternenpfahl zu wickeln.
Außerdem war alles anders. Ich hatte mich getrennt. Leichtfertig, wie ich jetzt mit dem Abstand von acht Jahren sage. Diese Phase von Langeweile und Überdruß erlebt jede Beziehung. Ich gab auf.
Es gab eine neue Beziehung und – was ich nicht kannte – jede Menge Psychokrieg. Wir waren emotional völlig ineinander verbissen. Ich wollte und konnte mit diesem Mann nicht dauerhaft unter einem Dach leben. Damit war die Entscheidung getroffen: 150 qm für zwei Leute – und nur einem (wackeligen) Verdiener, das geht nicht.
Und so ging es nach mehr als 10 Jahren zurück in den Prenzlauer Berg. Und dort war inzwischen alles anders.

Ich war doch kein Punk

Es war Anfang der 90er noch nicht schwer, in Ostberlin eine Wohnung zu besetzen. Es stand genug leer und mit geringen Eigeninvestitionen konnten Bad, Innenklo und Etagenheizung eingebaut weden. Die Miete wurde danach b.a.w. eingefroren. Wovon mancher Hausbesitzer aus Wessiland ein Lied singen kann, denn diese Mieter versauen ihm die Kalkulation, die trägt er erst mit den Füßen voran wieder raus.
Nun bin ich damals kein Punkmädchen gewesen, das mit anderen in ein leerstehendes Mietshaus einfiel, um mit viel Bier und lauter Musik den Aufstand zu proben. Ich war eine nicht mehr ganz junge alleinerziehende Studentin, die ein halbwegs normales Umfeld brauchte.
Eine Komilitonin gab mir den Tip: in der Grünberger Straße stehen seit zwei Jahren 70 qm frei, zwei Zimmer Balkon, Mädchenkammer, Innenklo. Der Freund, zu dem ich nach den Schüssen im Treppenhaus gezogen war, nahm seinen Werkzeugkasten und ich schnappte mir meine Tochter und zog ihr ein rosa Kleidchen an.
Wir brachen die Tür am Samstag vormittag auf und ich sagte jedem, der die Treppe hochkam: Hallo, ich bin die neue Mieterin und das ist meine Tochter. Wir bauen grade ein neues Schloß ein, in diesen Zeiten weiß man ja nie…. Jeder pflichtete mir bei.
Ein guter Onkel aus dem Westen, der Vorsitzender eines Kinderhilfsvereins war (Machen wir uns nichts vor, er war ein Pädo und scharf auf meine Tochter.) ging mit uns zum Wohnungsamt und zwei Stunden später hatten wir den Mietvertrag.
Das Haus ist heute teuer saniert und in Eigentumswohnungen aufgeteilt. Aber es gibt noch immer keinen einzigen Baum in der Umgebung, weder auf dem Hof noch auf der Straße. Dafür einen Dauerstau an der Ampel und eine Einflugschneise für die nahegelegene Feuerwehr. Sondersignal mindestens zehn Mal täglich. Wir kamen gut zurecht. Der Kindergarten hatte die weltbeste Erzieherin und angenehme Miteltern. Meine Komilitonin war meine Nachbarin und wir hatten sehr viel Spaß miteinander.
Aber wie das Leben so spielt. Der junge Mann, der mittlerweile ernsthaft bemüht war, mein Leben zu teilen, sah sich nicht in der Lage, zwischen Zehlendorf und Friedrichshain zu pendeln. Als er dann auch noch beim morgendlichen Weg zur Arbeit eine alte Dame unter einem Bus hervorzog, die überfahren worden war und deren Tochter zwei Stunden später nur noch eine Todesnachricht überbringen konnte, willigte ich in die gemeinsame Wohnungssuche ein.
Ich schloß Bekanntschaft mit Westberliner Sozialwohnungen.
Wenn dir ein Banker, der an der Börse arbeitet, sagt: Baby, laß uns zusammenziehen!, rechnet man nicht unbedingt damit, vier Monate später in einer 45qm-Wohnung aus dem Nachkriegsaufbauprogramm, einem Käsekästchen mit papierdünnen Wänden zu sitzen.
Ich mag mir zugute halten, daß ich zeitlebens ebenso naiv wie risikofreudig war. Ich war verknallt und traute mich nicht, dem Mann und seiner Mutter, der das Haus gehörte, zu sagen, daß ich im Osten nie im Leben in so eine Wohnung gezogen wäre.
Für ihn, der liebevoll, aber auch krankhaft geizig war, war es wohl die billigste Wohnung seines Lebens.
Die Lebensumstände wurden komplizierter. Der Kindergarten hatte eine Wartezeit von 8 Monaten, die Kinder wurden dort mehr schlecht als recht aufbewahrt und das soziale Umfeld war eine Katastrophe. Ich saß zwischen allen Stühlen und paßte in keine Gesellschaftsschicht. Von den Arztgattinnen und Beamtinnen, deren Kinder in die Klassen meiner Tochter gingen, trennten mich viele Lebensjahre und finanzielle Welten. Von den Friseusen und Postzustellergattinen intellektuelle. Wenn es was gebracht hat, dann, daß mein Kind und ich uns mit einem Crashkurs in den Westen assimiliert haben.
Glücklich war ich dort nicht. Ich fühlte mich asozial. Und doch blieben wir sieben Jahre. Als ich dann fertig war mit dem Studium und die Firma auf den richtigen Weg gebracht hatte, meuterte ich. Ich hatte ein Altbaubüro mit vier Meter hohen Decken ein paar Straßen weiter. Die Wohnung betrat ich nur noch zum Schlafen, ich hielt die mit Möbeln vollgestopfte Enge nicht mehr aus.
Und so kam ich zu meinem Flußparadies.
Davon später.

Endstation Gleimkietz

Die Traumwohnung

war langweilig, sobald sie bezogen und eingerichtet war. Wie das so ist mit erreichten Sehnsuchtszielen. Obwohl sie wunderschön war. 90 qm Stuckaltbau, drei Zimmer, freier Blick nach hinten und vorn, da auf einer Anhöhe bzw. an einem wenig befahrenen Platz gelegen. Die Katze hatte ihre Schlupflöcher nach draußen und residierte entweder auf der Mülltonne des nahen Fischladens oder vor den Mäuselöchern des hinteren Gartens.
Auf dem freien Platz nach vorn zu kreisten im Sommer hunderte Fledermäuse. Eines Nachts randalierte die Katze im Nebenzimmer. Ich schlich schlaftrunken herüber. Sie saß fauchend auf der Fensterbank, den Schwanz zur schwarzen Flaschenbürste gesträubt und schielte in Richtung Decke. Als ich nach oben sah, standen mir binnen Sekunden ebenfalls alle Haare zu Berge. Im Wohnzimmer flatterten vier Fledermäuse, schweigende Schattenrisse. Ich hatte die Fenster weit offengelassen, sie hatten sich scheinbar verflogen. Mit Gruseln stieg ich auf einen Hocker und öffnete die Oberlichter, dann verbarrikadierte ich mich wieder im Nebenzimmer. Am nächsten Morgen waren sie weg. Ich hatte schon befürchtet, sie von der Messinglampe pflücken zu müssen.
Einen Sommer später kamen wir (ziemlich betrunken) mit Freunden, die bei uns schlafen wollten, nachts von einer Premiere und saßen noch etwas in der Küche. T. kam kreidebleich aus dem Wohnzimmer. Da drin liegt eine tote Fledermaus! Mein schwarzes Monster hatte sich scheinbar auf dem Fensterbrett postiert und so lange gelauert, bis eine die Kurve nicht bekam. Ich nahm das Kehrblech, schob das kleine Bündel Fell und Leder mit dem Handfeger drauf und legte es vor die Wohnungstür. Die schwer beleidigte Katze schnappte ich am Nackenfell und setzte sie daneben. Aufessen!, war meine kategorische Anweisung. Eine Stunde später sah ich noch mal nach: Die Ohren auch! Am nächsten Morgen saßen wir in der Küche und fragten uns gegenseitig, ob wir das heute nacht geträumt hätten. Dann hätten wir nämlich alle den selben Traum gehabt. Denn die Katze war so brav, daß weder ein Fellpuschel noch ein Blutfleckchen zurückgeblieben waren.
Was so idyllisch klingt, war im Winter überlebenstechnisch anstrengend. Es war zwar nicht so kalt wie in der Wohnung vorher, wo ich grundsätzlich mit Pullover, Wärmflasche, Socken und zwei Federbetten schlafen gegangen war. Ein Kachelofen ist zwar wunderbar zum drankuscheln und träumen, hat aber einen entscheidenden Nachteil: Eine Person muß tagsüber anwesend sein, um das Feuer zu unterhalten. Wer schon einmal bibbernd morgens Asche gekratzt hat um abends in eine ausgekühlte Wohnung zurückzukommen, weiß wovon ich rede. Noch schlimmer ist es, wenn das zur Familie gehörige Kleinkind in der Kinderkrippe dreißig Grad Raumtemperatur geboten bekommt. Da der Bauschaum noch nicht erfunden war, pfiff in der Nähe der Fenster die Kaltluft in nadelfeinen Strahlen herein.
(Kleiner Exkurs. Wenn die Kanzlerin, gefragt, was sich positiv verändert hätte mit dem Fall der Mauer, antwortet: Schöne dichte Fenster. so kann das nur derjenige lächerlich finden, der sich nie – unfreiwillig wohlgemerkt – in einer baufälligen Wohnung den A… abgefroren hat.)
In meiner Leseecke stopfte ich einmal eine ganze Zeitung in eine Lücke zwischen Kastenfenster und Mauer. Der Putz war schon lange vom Haus abgefallen und die Fensterscheiben wurden nur noch von brüchigen Kittresten an ihrem Platz gehalten, daher gehörte Fensterkitt zu meinem normalen Reparaturset wie Sicherungen oder Glühbirnen.
Bald kamen unruhige Zeiten. Ich begann zu studieren und schaffte den Spagat zwischen bürgerlichem Ehefrau- und Mutterdasein in einer brandenburgischen Stadt und dem Studentenleben und meinen kreativen Projekten in Berlin nicht mehr. Mein Mann wiederum arbeitete sich an seinem ersten Job und dem Dasein als plötzlich sorgeberechtigter Vater ab, das Studentenleben war für ihn einfacher gewesen. Wir waren Mitte 20 und überhaupt noch nicht fähig, uns solchen Problemen überlegt zu stellen. Als die Mauer fiel, rutschte auch diese Ehe im Zeitlupentempo zusammen wie ein Kartenhaus.
Die Zeit der

Berliner Bruchbuden und Provisorien

war gekommen. Da war alles dabei. Ein Zimmer Hinterhaus im Gleimviertel, Klo halbe Treppe. Ich ließ den Schlüssel an der Klotür stecken, so wie alle im Haus. Eines Tages war er weg, lag in der Waschküche versteckt (die sich witzigerweise in diesem Haus auf dem Dachboden befand). Ich habe lange gebraucht, um zu realisieren, wer sich warum rächen wollte. Es war ganz einfach. Ich hatte mit Freunden nachmittags auf dem Dach gesessen. Damals war Fußball für angehende Theaterwissenschaftler igitt. Deshalb hat es uns nicht die Bohne interessiert, daß Weltmeisterschaft war und justament Deutschland spielte. Den Nachbarn, neben dessen Fernsehantenne wir saßen, interessierte es durchaus.
Überflüssig, zu sagen, daß der ganze Kiez mit dem heutigen nichts mehr zu tun hat. Gleimkiez das war Bronx, mit Asis, Alkoholikern, Halbnutten, verkommenen Kindern, desillusionierten alten Leuten und ein paar studentischen Spinnern wie mir.
Nach den Semesterferien empfing mich ein trautes Bild. Im Hof spielte eine Ratte und gegenüber trugen sie grade einen Leichensack aus dem Seitenflügel. Ein bis heute ungeklärter Mord.
Ich verließ die Gegend fluchtartig, als ich eine engere Begegnung mit einem Nachbarn im dritten Stock hatte. Er stand schwankend auf dem Treppenabsatz, in der Hosentasche trug er eine Pistole. Nölte mir irgendwas Öbszönes mit Schnapsgestank entgegen. Ich ging an ihm vorbei: Laß mich in Ruhe! und stieg die Treppe hoch. Er grölte einen der üblichen Sätze, in dem natürlich die Wortverbindung blöde V… vorkam und dann knallte es.
Mein Herz setzte für ein paar Sekunden aus. Ich stieg weiter wie in Trance. Stufe für Stufe, endlos. Mein Hirn recherchierte. Kein bröckelnder Putz, keine Holzsplitter. Dir geht es auch noch gut. Du kannst sehen, du kannst laufen. Einatmen, ausatmen. Das Herz schlägt wieder und ich begriff: es war eine Schreckschußpistole.
Trotzdem packte ich noch in der selben Nacht meinen Koffer und zog zu einem Freund.
Es folgte eine Wohnungsbesetzung im Friedrichshain. Aber davon später.

Brandstiftungsversuch im Hochhaus

Hier las ich heute ein paar sehr schöne Nachbarschaftsgeschichten.
Meine habe ich im letzten Jahr alle schon geschrieben. Aber ein Entwurf für Wohnungsgeschichten liegt noch herum.
Also dann in chronologischer Reihenfolge, mit einigen Auslassungen, denn ich bin in meinem Leben bestimmt schon zwanzigmal umgezogen:
Aufgewachsen
Das erste Jahr in Körbchen und Lauftstall an ständig wechselnden Orten: Omas Küche, Tantes Küche, Mamas Dachkammer, Nachbarins Küche…
Die nächsten 4 Jahre in einer 7 Zimmer-Villa am See mit Riesengarten und Chauffeur.
Dann Plattenbauwohnung im Plattenbauviertel bis zur Volljährigkeit. Vier Personen auf 60qm, heute undenkbar, es sei denn, man gehört in Migrantenkreise. Das Viertel war neu gebaut, eine Matschwüste mit Neubaublockquadraten bepixelt. Genormte Wohnungen, überall standen Tisch, Bett und Sofa an der selben Stelle. Gott sei dank werden diese Ghettos der entarteten Moderne mittlerweile abgerissen. Das einzige bemerkenswerte an dieser Art zu leben, war daß der Fabrikdirektor neben seinem Hausmeister und der Polizeichef neben dem Feuerwehrmann wohnte.
Weg von zu Hause
Ein Zimmer Plattenbau im 8. Stock vom besten Kumpel meines Freunds. Die beiden waren beim Wehrdienst, später studierten sie in Leipzig. Wenn der Kumpel alle drei, vier Wochen kam, ging ich für ein Wochenende zu meiner Mutter.
Herrgott, war das damals alles unkompliziert. Ich überwies die Miete, er zahlte den Strom. Es gab einen Stuhl und keinen Tisch. Fehlende Matratzen holte ich mir gegen Spende aus dem naheliegenden Krankenhaus. (Die Sprüche meiner Oma: Wer da alles drin gestorben ist! ignorierte ich.) Mein Revier markierte ich mit einem bleistiftgeschriebenen Shakespeare-Zitat an der Wand. ( …life is a walking shadow, a tale told by an idiot… – Glam, you know.)
Einen Fernseher gab es nicht. Nur ein gut sortiertes Bücherregal, meine Lieblingslektüre waren die medizinischen Fachbücher meines Hauptmieters, ein altes halbtotes Röhrenradio, einen Plattenspieler und ein Stapel Platten: Santana, Brian Eno, Van Morrison, Czezlaw Niemen. Als ich einmal im Theater einige Zeit nicht gebraucht wurde, bemerkte ich nach zweieinhalb Wochen zu meinem Erschrecken, daß ich in dieser Zeit kein Wort gesprochen und die Wohnung nur verlassen hatte, wenn ich einkaufen mußte.
In meinem jugendliche Leichtsinn stellte ich eines Abends einen Topf Kochwäsche auf den Herd und ging zur Arbeit. Wer Theaterberufe kennt, weiß, daß eine Souffleuse nicht bei laufender Vorstellung ihren Platz verassen kann, schon garnicht, wenn sie offen vor dem Publikum sitzt. Und so hielt ich aus, denn gleich als das Stück begann, war mir eingefallen, daß ich vergessen hatte, den Herd auszuschalten (Gott sei Dank Elektro). Nach der Vorstellung fuhr mich eine Kollegin mit ihrem Auto schnellstens nach Hause. Keine Feuerwehr vor dem Haus, Gott sei Dank! Ich steig aus dem Fahrstuhl und sah, daß die Wohnungsstür mit Schrauben reparierte Risse hatte. Drinnen stank es infernalisch nach versengter Baumwolle. Auf dem Balkon stand der Topf, in ihm verkohlte Unterwäsche. Der Nachbar war am Sonntagabend von der Arbeit gekommen, hatte den Qualm bemerkt und zusammen mit dem Hausmeister die Tür eingetreten und den brennenden Topf auf den Balkon gestellt. Das fällt für mich in die Kategorie mehr Schwein als Verstand. Das wäre ein zweifelhafter Ruhm gewesen, mit 20 ein Hochhaus angezündet zu haben.
Meine Heirat mit 21 berechtigte mich/uns zum Bezug einer ersten eigenen Wohnung (mein Mann studierte noch immer anderswo).
Nach etlichen Rattenlöchern, die uns angeboten wurden, zogen wir in eine Küche-Stube-Kammer-Kombi mit Klo auf der halben Treppe. Ein nettes, nicht allzu baufälliges Haus mit sechs Mietsparteien und nicht allzu viel Leerstand. Die Nachbarn waren nett, aber sehr … bodenständig. Die Geschichten über die Nachbarn muß ich mal in eine extra Geschichte auskoppeln, die sind einfach zu scharf, um sie kurz abzuhandeln. Nur soviel: Es gibt Menschen, die am liebsten bei offener Klotür schei*en, auch wenn das Klo auf dem Treppenabsatz ist.
Zwei Jahre später siedelten wir ins bürgerliche Leben um: Herrschaftlicher Altbau.
Die Geschichte folgt in einer Fortsetzung, ich muß aus dem Haus!