MMM – Die Zufallstracht

Burda 7078Das Kleid stammt von der Spätherbstnähaktion letzten Jahres. Der Schnitt ist Burda 7078, die weiße Variante gefiel mir ausnehmend gut. (Fotos lassen sich mit anklicken in den Galeriemodus bringen.)
Ein bißchen hatte ich Zweifel, daß das, was an dem sehr dünnen, großen Model gut aussieht, an mir auch funktionieren würde, aber probieren geht über studieren.
Natürlich sollte mein Kleid schwarz werden. Ich hatte am Maybachufer einen dünne, aber sehr fest gewebten Baumwollstoff gekauft, der auch nach dem Waschen noch steif war und raschelte. Das fand ich sehr schön.

Burda 7071

Ich änderte das Übliche: Erweitere den Brustumfang, verlängerte das vordere Oberteil und den Rock und machte die Ärmel weiter, die mir viel zu eng erschienen. Hinten setzte ich Abnäher ein, die es nur beim anderen Modell gab.

Burda 7071Mittlerweile habe ich etwas mehr Übung, hier sieht man recht genau, was nicht stimmt – der Rücken ist viel zu weit und die Schultern zu breit. Ich habe nun mal auf dem Rücken und bis zur Brust die 42, danach wird üppiger.
Mittlerweile gehe ich tatsächlich von der 42 aus und erweitere den Bauch und die Hüften.
Die vordere Verlängerung reicht auch nicht aus und am Rücken hätten 2 cm weggekonnt, wegen des Hohlkreuzes.
Letztes Jahr hatte ich Angst, den Stoff zu verschneiden, weil der kein bisschen nachgibt. Klamotten, die um Rücken und Schulter zu eng sind un dich nicht mal den Arm heben kann, habe ich noch massenhaft im Altbestand (das ist dann aber die 40).

Burda 7071 Burda 7071

Da mir das Schwarz zu kahl erschien, überlegt ich, wie ich es aufpeppen könnte – die üblichen Paspeln waren mir zu langweilig – und kam auf eine rote Borte. Richtige Borten erschienen mir zu kunstgewerblich (außerdem sind sie schwierig in die Kurve einzupassen), daher kombinierte ich zwei Zierstiche miteinander. Das gleiche Muster kam noch auf die Ärmel. Ich verkniff mir, noch eine Runde um den Rock zu machen, denn als ich ein Foto auf Twitter zeigte, kam aus Nähnerdrichtung: „Sieht nach Tracht aus!“ So ganz verjodelt wollte ich nicht durch Berlin laufen. Ich machte noch rote Knopflöcher und nahm ein paar Wildwestknöpfe ebenfalls vom Maibachufer.
Burda 7071
Burda 7071Die inneren Nähte versäuberte ich mit rotem Satin und ein Label gab es auch (meistens vergesse ich das).
Burda 7071
Zuerst fremdelte ich mit Schnitt und Dekor, doch als mir einfiel, daß ich den weißen Unterrock, den ich mir für einen Stufenrock genäht hatte, darunter tragen konnte, gefiel mir das besser.
Die Feuertaufe hatte das Kleid bei einem Folkkonzert, in das ich mehr oder weniger durch Zufall geriet. Ich dachte, das Kleid wäre angemessen, aber mir wurde stutenbissig auf dem Klo hinterhergezischt. (Hamburger Umland, die Damen waren samt und sonders in Jeans, Fleece und Steppwesten erschienen.) Das war ein gutes Kompliment, fand ich und mochte das Kleid ab da.

Hier geht es zu den anderen Damen, die ihre Kleider beim Me Made Mittwoch vorstellen.

Ein kleiner Meilenstein

Gestern habe ich es tatsächlich geschafft, den Grundschnitt für einen schmalen Rock fertigzumachen. Der Oberteilgrundschnitt ist auch noch mal revidiert. Vielleicht schaffe ich es innerhalb des nächsten Vierteljahrs ein paar Ärmel zu bauen.
Dann ist alles, was irgendwie körpernah ist, machbar. (Die Langstreckenfrustration Hose spare ich mir.) Hätte ich dazu dann noch genügend Augenmaß, könnte ich freestyle Längen und Tüdelüt zuschneiden und dann auf den Leib schneidern. Aber vielleicht ist das der Moment, wo ich mir Helfer zusammensuchen sollte, die mich mit Gipsbinden umwickeln, damit ich eine ordentliche Schneiderpuppe bekomme.

Ich träume ja immer noch von 3-D-Scanner und -Drucker zu diesem Zweck.

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Dirndl Sew Along: Das Mieder/Leibchen

Vorab, ich muss enttäuschen, hier wird es nix Genähtes zu sehen geben. Ich peile das Finale der Herzen an.
Würde ich in Bayern wohnen, sähe das sicher anders aus. Aber ich bin noch mal sehr in mich gegangen und habe darüber nachgedacht, warum ich meine Königsee-Dirndl nie in Berlin trug und warum das (schöne!) ländliche Hirschlederkleid im böhmischen Wintersportort eher ein Lacherfolg war.
Klar, in Berlin kann man alles tragen. Letzten Winter lief eine Italienerin durch unsere Straße, die trug eine peruanische Indiotracht. Aber ich käme mir doch sehr verkleidet vor.
Also geht es mir grade nicht um die Frage: Balkon oder nicht, Puffärmel oder keine und welche Stoffe kombinierte ich? Ich frage mich immer noch, welche Elemente von Tracht für eine Frau in der preußischen Großstadt verwendbar sind.
Auf jeden Fall alles, was weibliche Formen bekleidet, ohne sie einzuengen (oder nur an den richtigen Stellen) – Mieder und weiter Rock gehören für mich dazu und was weiblich, aber praktisch ist* – dazu zählen für mich die Möglichkeit, Schichten übereinander zu tragen, ohne die weibliche Silhouette zu verlieren.

*ein Großteil weiblicher Mode ist entweder so, dass Frau ausgezogen oder hauteng umwickelt ist und auf ihren (möglichst Idealnormen entsprechenden) Körper hinweist oder aber durch diverse Accessoires hilflos wird, so dass sie weder richtig laufen noch arbeiten kann.

Erstmal kommt ein kleiner Exkurs. Der Graf hatte mit ein sehr schönes Buch über die sorbische katholische Tracht geschenkt. Es basiert auf Bildersammlungen und Aufzeichnungen von Jan Meschgang (oder Meskank), einem Lehrer und Volkskundeforscher und wurde in den 80ern noch einmal von Lothar Balke, ebenfalls einem Trachtenforscher und Heimatkundler ergänzt.
Tracht der katholischen Sorben
Dazu muss man wissen, dass solche Veröffentlichungen in der DDR nicht sooo üblich waren, weil rückwartsgewandt und konservativ im Wortsinne, und i.d.R. die Minderheit der Sorben als politisch korrektes Traditionssgebiet galt, weil diese in der Nazizeit diskriminiert und germanisiert wurden. (Sozusagen das Arbeiterundbauern-Wiedergutmachungsprojekt der DDR, mit den Juden hatte man es ja nicht so, Stalin mochte die schließlich auch nicht.)
Klar gab es Trachten- und Traditionsgruppengruppen und Besinnung auf den bäuerlichen oder handwerklichen Ursprung der Arbeiter, dazu auch jede Menge universitäre Forschung. Aber Volksgut wurde nur noch festtags inszeniert und nicht mehr gelebt und stand ziemlich unter Beobachtung, damit nicht zuviel „gute alte Zeit“ hochgeholt wurde und wurde in der Regel begleitet von dem oft berechtigten Satz „Wie gut es uns heute dagegen geht!“, denn salonfähig war nur die Vergangenheit der Armen und Entrechteten. Alle diese Dinge wurden ganz streng in den politisch korrekten Kontext gestellt, sonst ging das gar nicht.
Bestimmte vom Staat respektierte Traditionen wurden von den Menschen ausgiebig gelebt, um zumindest eine gefühlte Autonomie zu bewahren und nicht alles ideologisch glattzubürsten. Dazu hat der Spiegel gerade eine sehr schöne Geschichte, die von den Katholiken des Eichsfelds handelt.
In dem Buch tauchen so schöne Fotos auf wie dieses:
stirntuch
schaut man genau hin, stammt das Brusttuch mit den grafischen Dekors aus den 60ern.
Aber auch Zeitdokumente wie dieses:
familienfoto

Das muss in den 80er Jahren gemacht worden sein, wenn man sich die Krawatten der Männer anschaut und in die Datierung die Fakten Provinz und DDR mit einbezieht. Der Kontext ist leider unbekannt (es könnte sich natürlich auch um ein Trachtenfest handeln), aber auch damals trugen die Frauen in der Gegend um Bautzen und Hoyerswerda bei Festen individuelle Trachten.
Außerdem enthält das Buch Zeichnungen für die einzelnen Kleidungsstücke.mieder
Und mit diesem Mieder bin ich zum Thema zurückgekehrt. Ein simpler Schnitt, der alte Händnähtechniken verrät – das Mittelteil des Mieders wird so angesetzt, dass es der Trägerin auf den Leib angepasst werden kann, meist mit satten Nahtzugaben, damit die Teile ausgelassen werden können, denn sie sollten Jahrzehnte halten.
Was mich bei aller schönen Schlichtheit ein bisschen stört, ist der „Balkon“, denn diese Mieder sollten prächtig bestickte Brusttücher präsentieren. Ich werde doch auf meinen gut angepassten Oberteilschnitt zurückgreifen und den Ausschnitt etwas hochziehen. Die gerade Kante wiederum gefällt mir und auch das Schößchen, das aber eine Rundung bekommt und keine steifen Falten.

Warum ich nun so ein Gedöns mache? Darum: Zu diesem Mieder gehört ein schönes schlichtes, gewickeltes Leinenhemd.spenzer

und ein Spenzer. Der mittlere ist mir zu kurz, der untere gefällt mir gut. Den Spenzer tragen ältere Frauen oft nur noch oben zugeknöpft, aus Paßformgründen und dazu fiel mir etwas ein, das ich bei Mama macht Sachen** (große Leseempfehlung übrigens!) gesehen hatte: Dieses freigestellte graue Kostüm in der Mitte des Moodboards. Knöpf die Jacke einfach an die andere Klamotte, statt dich überm stattlichen Bauch zuzuwürgen.
Unterm Mieder und überm Dekolleté wird es daher was Gewickeltes geben und der Spenzer wird links und rechts angeknöpft, das Schößchen vom Mieder schaut unten hervor.

So.

Und hier geht es zu den anderen Näherinnen, die natürlich viiiiel weiter sind.

 

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