Vigil 61

Bei einem Spaziergang sind wir heute in der Kulturbrauerei in eine Sonderausstellung der Sammlung industrielle Gestaltung der DDR geraten.

Ich bin immer vorsichtig mir solchen Ausstellungen, weil ich von hochemotionalen Flashbacks überfallen werde.* Ich hatte die mentale Tür zur DDR 1990 einfach zugemacht. Trotzdem steckt da noch einiges dahinter, das mich manchmal anspringt.

Aber die Ausstellung zum Amt für Formgestaltung war ok. Ich habe mich nur daran erinnert, dass ich die Vorliebe des Großvaters und der Eltern für extrem reduziertes, sachliches Design überhaupt nicht teilte. Ich wollte Opulenz und Schnörkel, Varianten und Materialpomp statt sparsamem Leichtdesign. Das war mir alles zu schmallippig.
Wie kann man sich noch voneinander unterscheiden, wenn man schon in Wohnungen wohnt, die alle den gleichen Grundriss haben und alle gleich eingerichtet sind, weil die Möbel nicht anders gestellt werden können. Dann noch alle die gleichen Kaffeetassen auf dem Tisch? Furchtbar.
Irgendwo in der Ausstellung fiel der Satz,  es hätte ein typisches erkennbares DDR-Design gegeben. Oh doch. Sachliche, sehr schlichte Gegenstände, die zum Teil völlig unpassend ornamental bebildert waren, sind für mich typisches DDR- Industriedesign. Da die Entwürfe mal ganz anders gemeint waren, sei dahingestellt. Aber wenn man ein paar Motive draufklebt, verkaufen sie sich besser.

Quelle: http://ddr-design.info/

 

*So ein bisschen wie die Omma in Hape Kerkelings „Kein Pardon“, die immer erzählt „Wir sind mitm Bollerwerwagen sind wir…“ und in Tränen ausbricht.

Vigil 59

Heute Nachmittag im Kaisers hinter dem Hackeschen Markt. Das Regal mit dem Sekt ist fast leer. Als wir an die Kasse kommen, bezahlt dort gerade eine nette alte Omi, ganz in beige und mit Hackenporsche, ihren Korb voll Rotkäppchen-Sekt.

Was die wohl zu feiern hatte?

Übrigens hatte es vor genau 4 Jahren über 25 Grad.

Vigil 58

Bei Vorliebe für schwarze Kleidung ist abendliches Stricken und Nähen einfach die Pest.

– Mit ganz kleinen Augen gesendet.

Vigil 57

Als die Nachrichten über einen atomaren GAU irgendwo in der Sowjetunion im Westfernsehen berichteten, ging das Abwägen los. Ist es die Hysterie der Öko-Fredis? Ist halb Sibirien am Schmelzen? Ist denen eine Atombombe aus dem Flugzeug gefallen? Oder Plutonium ausgebüxt?
In diesen Zeiten war es nicht einfach, Informationen zu generieren. Die Medien im Sozialismus waren darauf trainiert, unliebsame Wahrheiten zu verschweigen oder so zu verdrehen, dass noch Jubelmeldungen oder Fehlmeldungen des Gegners der hehren großen Idee daraus wurden.

Am 26. April nachts, als der Reaktor in die Luft flog, wußte niemand etwas davon. Erst zwei Tage später ahnten die Schweden, dass etwas passiert sein musste, erst einen Tag später wurde es offiziell zugegeben. Erst 10 Tage nach der Explosion wurde kein strahlendes Material mehr in die Atmosphäre freigesetzt.

Ich war schwanger, besser, ich ahnte, dass es so war. Es war noch ganz früh, in der Phase, in dem atomare Strahlung schwerste Schäden an einem Fötus anrichtet.
Mein Vater wiegelte ab. Alles nicht so wild, ich solle mir keine Sorgen machen. Da wäre die Radonstrahlung in den alten Häusern im Erzgebirge höher oder die Strahlenbelastung auf einem Flug.

Ich starrte nachts die Decke an und fragte mich, was passiert war, was uns verschwiegen wurde und welche Konsequenzen das für das ungeborene Kind haben würde.