Müde

Wieder eine wilde Woche. Ich hoffe, das wird demnächst wieder ruhiger.
Das Enkelkind durch Weißensee getragen, Heizkörper aus Weimar geholt, inspirierende Gespräche gehabt, bei einer Vernissage im Jandorf gewesen.
Die Nachricht erhalten, daß es wohl diesmal doch einen Baum im zukünftigen Garten erwischt hat.
Ich hätte gern einen Zusatztag zum Schlafen.

Herbstsonntag

Am Montag eine Badewanne aus den 40er Jahren aus einer Gentrifizierungswohnung geholt. Diese Badewanne am Donnerstag aufs Dorf gebracht und beim Transport in die Scheune prompt von den Ortsansässigen belächelt worden. Wer nimmt so alten Schrott, wenns super Acrylwannen im Baumarkt gibt?

Am Samstag unbändig geärgert. Über einen Menschen, der auf Twitter zuerst von sich gab, er wäre unerträglich gelaunt, weil er wegen seines Babies nicht genug Schlaf bekäme. Der danach auf üble, herablassende Art und Weise eine Kollegin, die Opfer eines Verbrechens geworden war, maßregelte, weil sich nach seinem Ermessen nicht politisch korrekt genug ausgedrückt hatte. Die Frau zog sich daraufhin tief verletzt unter Löschung der Tweets der letzten anderthalb Jahre zurück. Er löschte ein paar Stunden später seine Statements. Victim blaming zur Verbesserung der Laune. War was?

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Sonntagsmäander in kurzem Scheinsommer

Mittlerweile stricke ich seit 6 Wochen an einem Paar Socken. Die haben zwar ein Muster, aber das kann ich schon auswendig und auftrennen musste ich auch, weil Sock Nummer 2 enger war als Sock Nummer 1, das ist schon ein Zeichen, dass rundherum extrem viel los ist.

Der beste Zahnarzt der Welt hat einen Zahn repariert und nun kaue ich wieder freiwillig auf dieser Seite des Kiefers. Es ist schon bemerkenswert, was man so alles verdrängen kann. Ich ging hin mit „irgendwas ist da“. Es war nicht nur irgendwas, sondern schon ein Loch im Kiefer und ich kann froh sein, dass es mir nicht mehr in einem halben Jahr weit weg vom Zahnarzt um die Ohren fliegen kann.

Dann warten Nähpläne mit anklagendem Blick auf den Beginn. Ein warmer Morgenmantel, eine Fleecejacke für den Grafen und (aber das ist schon Zugabe) eine Weste zum Tweedrock aus dem letzten Jahr. Auch die Strickmaschine klappert ungeduldig mit den Nadeln. Ein schlichter schwarzer Pullover, bei dessen Handfertigung ich mich zu Tode langweilen und eine bunt gemusterte Jacke in diesem Stil, die mich wiederum mit Zählen und auf die Spannfäden achten in den Wahnsinn treiben würde, stehen auf der Liste.
Letzte Woche habe ich sogar Konfektion gekauft. Ich probierte mich in einem Laden, der meine Größe führt, weil die Zielgruppe generell nicht dünn und durchtrainiert sondern normal bis moppelig ist, durch das Jeanssortiment und erstand drei Stück davon zum Preis, die mich vor 10 Jahren eine halbe mit irgendeinem coolen Etikett gekostet hätte. Ob das jetzt so gut ist, wenn ich an die Produktionsbedingungen denke (die für billige und teure Klamotten leider erschreckend gleich sind), aber ich mag im Moment nicht noch an einem Hosenschnitt arbeiten.
Die Zeichen der Zeit stehen auf einen robusteren Look. Wasserfeste Schuhe, Röcke und Hosen, die nicht gleich im Dreck schleifen, warme Jacken, in denen einem der Wind entgegenblasen kann.

Menschen aus dem Internet bedenken uns mit Umzugskartons. Einer sogar mit ladenneuen, die eine Firma ihm und diversen Freunden als Dank für einen Vertragsabschluß offerierte.

Am Freitag fuhren wir kurz entschlossen zu einer Tagung zum Thema alte Häuser und Gärten in McPomm und was wir mit zurück nahmen war nicht immer neu, aber interessant:
Je mehr du dich um Subventionen bemühst, desto mehr bürokratische Institutionen dürfen mitreden. Das geht bis zu der Frage, inwieweit ein im Zugang wehrhaft und abweisend gestalteter Renaissancebau behindertengerecht sein kann. (Mit dem Etat der Elbphilharmonie lassen sich überall Fahrstühle einbauen, keine Frage. Aber der lässt sich bei solchen Projekten nicht voraussetzen.)
Oder ob, obwohl es seit 600 Jahren da steht, da überhaupt noch ein großes Haus stehen darf, weil der Park hinterm Haus in einen Wald zugewuchert ist und es Abstände zwischen Wald und Haus als ehernes neues Gesetz zu beachten gilt. (Und nein, einfach roden geht nicht, die Besitzerin weigert sich. Der Wald aka Park gehört nämlich durch eine politische Volte nicht mehr zum Haus.)
Wie man Subventionen, die oft nicht einmal abgerufen werden, erschließen kann. Für ein fast zusammenstürzendes Baudenkmal von hoher regionaler Bedeutung gibt es keine Kohle. Findet man aber heraus, dass es im Umkreis von 40 km kein öffentliches Klo für Touristen gibt, ist einiges an Geld da. Man muss sich nur zu helfen wissen. (Eine Karte, die wir leider nicht mehr ziehen können, denn in unserem Örtchen wurde im Sommer ein öffentliches Kompostklo errichtet.)
Eine Kabarettnummer für sich ist die Sache mit dem Energieausweis. Im Gesetz steht eindeutig, dass denkmalgeschützte Gebäude keinen brauchen. Was aber, stellt man einen Antrag, für dessen Genehmigung ein Energieausweis als unabdingbar gilt? Dann kann man nur hoffen, einen Landkreis erwischt zu haben, der diesen Widerspruch als gegeben hinnimmt und nicht sofort im Verfahren stehenbleibt und wartet, bis das von höherer Stelle entschieden ist. Nicht vergessen: Andere bereits beantragte Mittel laufen irgendwann ab und verfallen. So kann es passieren, dass 4 Millionen, für deren schrittweise Einwerbung über 10 Jahre vergingen, innerhalb eines reichlichen Jahres verbaut werden müssen.
Dass es dann in einem Landstrich, in dem viele Leute keine und noch mehr Leute keine so gut dotierte Arbeit/Rente haben und Kapitalvermögen ein Fremdwort ist, Menschen gibt, die fragen, warum dafür Geld da ist, aber für (hier dringendes Versorgungsbedürfnis einsetzen) nicht, das hat man umsonst. Und dass die, die das Geld verteilen und erhalten, dann auch noch von woanders kommen, es einfach geschmeidiger können und man als Eingeborener halt so rumsitzt in seinem Reservat und säuft, weil man glaubt, dass man das nie hinkriegt, da mitzuspielen – plus die daraus resultierenden Mikroverwerfungen und -aggressionen, das hat man auch umsonst.

Energieausweis. Dämmen. Auch ein Kapitel für sich. Unsere Nachfahren werden über diese Ära mal sagen, dass die Deutschen einst alle sehr alt wurden und aus Angst, im Alter zu frieren und die Heizung nicht mehr bezahlen zu können, für viel Geld ihre Häuser warm einpackten, die Zugluft erfolgreich bekämpften, mit abenteuerlichen Heizungen experimentierten, die irgendwie Grundwärme schufen, damit nix einfriert. Da sitzen sie dann in ihren lauwarmen Investitionspaketen und es breitet sich Feuchtigkeit, Schimmel und Holzfäule aus wie Alteleutegeruch.
Ich habe in der DDR schon in ziemlichen Bruchbuden gelebt. Dichte Fenster und funktionierende Heizungen sind ein Segen. Aber bevor ich für viel Geld den Schwamm einlade, es sich hinter einer Dämmung gemütlich zu machen, dämme ich mich lieber selbst, ziehe mir Filzschuhe und einen dicken Pullover an und fluche über die verdammte Kälte.

Mir wird immer bewusster, mit der Phase, die jetzt beginnt, werde ich unweigerlich die Nachwendezeit aufarbeiten müssen, der ich in den 90ern mit dem Umzug nach Westberlin und der Beziehung zu einem in München aufgewachsenen Mann entflohen bin.
Was habe ich über „Jammerossis“ die Augen verdreht, verlangt, dass man halt den A… bewege und sich der neuen Zeit stelle.
Als ich am Freitag die Schilderung eines in den 90ern in den Nordosten Zugezogenen hörte, der dort mit seiner Familie ein großes Projekt begann, bekam ich einen dicken Hals vor Wut. Dass man die in der Gegend zahlreichen Säufer sofort feuerte, wenn man sie mit der Flasche während der Arbeit erwischte, das mag ja noch – irgendwie – angehen. Die hatten halt keine Ahnung von Arbeitsgesetzgebung, ihr Pech. Aber der Satz „Zuerst haben wir denen ausgetrieben, sich morgens die Hand zu geben, das tut man im Rheinland nicht.“ zeigt die Situation von nicht nur wirtschaftlichem sondern auch kulturellem Machtgefälle, verbunden mit tiefen Demütigungen, deutlich. Das klingt, wie wenn Opa aus der Kolonialzeit erzählt, als man „den Negern auch erst mal beibringen musste, sich eine Hose anzuziehen“.
Vorpommern war in den 80ern wirtschaftlich und sozial der Arsch der DDR. Irgendwer war da immer Verschiebemasse. Erst waren sie Büdner und Mägde und Knechte. Dann durften sie Bauern auf eigenem Land sein und kurze Zeit später kam schon wieder die Kollektivierung. Da machte jeder seins und wenn es unvermeidbar war, das, was einem vorgeschrieben wurde. Das war keine gute Basis für eine neue Zeit und eine neue Herrschaft. Es ist wie mit dem, was Opa aus der Kolonialzeit erzählte und den Folgen. Man kann sich auch in Hosen mit Macheten in Stücke hacken. In Vorpommern gab man sich nun zwar nicht mehr die Hand, trat dafür Leute, die genauso am A… waren, tot und schrie „Sieg Heil!“
(Ich schramme an der Oberfläche von Geschichten, mehr nicht.)

Es gibt ein Buch von Marten t’Haart „Der Psalmenstreit“ [Affiliate-Link], das nur auf der oberen Folie ein historischer Roman ist. Es geht um gesellschaftliche Konvention, um den schmalen Grat zwischen Übersättigung und Angst vor dem Verlust von Wohlstand und um privilegierte Menschen mit offenem Geist, denen wütende Zukurzgekommene die Hölle heiß machen. Lesen Sie es. Denn alles hängt mit allem zusammen. Es gibt keine einfache Wahrheit und noch weniger gibt es Gut und Böse in Reinform.
Das macht es so schwer, zu begreifen, was auch im Moment in der Welt abläuft. Gemessen an meinen moralischen Maßstäben und aus meiner lokalen Perspektive habe ich eine Meinung dazu, auch wenn sie hier und da nicht unbedingt Mainstream ist.
Aber wenn aus alten Schneebrettern und Frühlingswärme eine Lawine wird, nutzt es auch nichts, der zu sagen, dass man diese zutiefst verachtet. Schon weil man sich massiv selbst überschätzt in dem Empfinden, für diese Lawine irgendwie verantwortlich zu sein. Sie ist da. Sie ist Ergebnis von Zusammenwirken so vieler kleiner Elemente, daß sie nicht beeinflußbar ist. Wirklich? Sind wir Menschen nicht das Größte? Das Herrschaftstier?
Ich merke, wie ich in die Empfindung des existenziellen Geworfenseins kippe.
Sehen wir es mal so. Menschen denken und handeln in großen Gruppen nicht immer gleich. In einer anderen Gemengelage als am 9. November 1989 hätte der Satz „Das gilt meiner Meinung nach sofort, unverzüglich!“ nur anderntags lange Schlangen an den ostdeutschen Meldeämtern ausgelöst, und keine schreienden Menschenmassen an Grenzübergängen. Aus der Sicht von Recht, Ordnung und moralischen Werten ihrer Heimat waren die vielen lauten Grenzüberschreiter (im wahrsten Sinne des Wortes) Verbrecher. Es ist also alles nicht so einfach.
Was man dazu auch lesen könnte: Georg Diez, schon weil er sich auf den von mir sehr verehrten James Baldwin beruft.

Weiter im Text. Der Freitag hatte eine hohe Tweedjackettdichte, wir merkten, dass wir in der Gemeinschaft noch zu den Jungen gehören. Und wir wurden bereits erkannt und sind bei einigen als Nachbarn einsortiert. Die alten Häuser sind ja oft nur ein paar Kilometer auseinander.
Überhaupt. Mit einer Besiedelungsdichte von 70 Leuten pro Quadratkilometer steht man dann auch ganz fix als „die Neuen“ mit einem Satz, der vor Monaten so nebenher gesagt wurde, in der Regionalzeitung.

So isses in diesem Lebensroman.

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WMDEDGT Oktober 2017

Frau Brüllen fragte wieder, was wie am Monatsfünften getan haben. Das war gestern und ich komme erst jetzt dazu, es aufzuschreiben, denn das Leben hat derzeit eine hohe Schlagzahl.

Um 8 Uhr war ich wach und stand auf. Ich drehte die Heizung, das Warmwasser und die Kaffeemaschine an. Wegen zweier temporärer Mitbewohnerinnen ist das derzeit Teil meines Morgenprogramms, denn die Heizung hat die eine oder andere Besonderheit.
Gegen 9 Uhr aß ich Joghurt mit Birne, Banane und Dattel und trank zwei Tassen Kaffee.
Dann schaute ich nach der Wäsche, bei der ich im Moment kaum hinterher komme und putzte kurz das Bad.
Der Graf war um 10:30 Uhr auch fertig, wir klärten noch die eine oder andere Sache, holten Post vom Bezirksamt mit dem Anwohnerparkausweis aus dem Briefkasten und machten uns im Regen auf den Weg in die Demminer Straße, ca 800m von uns entfernt, wo mangels besagten Anwohnerparkausweises der neu erstandene Transporter parkte.
Ein wegen angedetschten Schalldämpfers beeindruckend röhrendes Gefährt, das auf der Rückscheibe  „Rasselbande an Bord“ in Fraktur stehen hat. Die Vorbesitzer sind ländliche Sachsen mit 4 Kindern.
Wir parkten ihn in einer Einfahrt vor der Haustür, räumten noch einmal die Ladung – gebraucht erstandene Haushaltsgeräte – um, fixierten sie mit Spanngurten und montierten einen neuen Plattenwagen, um sie im Norden in die Scheune zu bekommen.

Dann erstanden wir noch beim Weinhändler unseres Vertrauens 2 Europaletten und los gings. Es war schon 13:30 Uhr, es regnete noch immer und machte der Unwetterwarnung alle Ehre und ich war gut durchgefeuchtet am dauerfrösteln.
Wir fuhren die A19 entlang, überlegten, was wir tun wollten, wenn wir zu früh im Norden ankämen und keiner uns die Scheune aufmachen könnte, da verwandelte sich der stramme Wind in den angekündigten ernsthaften, bösen Orkan und der Regen in einen Wolkenbruch. Der Sturm drückte Unmengen von Wasser auf dem Asphalt fest und das Auto schusselte drüber. „Der nächste Parkplatz ist unserer.“, meinte der Graf und so saßen wir irgendwo nördlich der Müritz anderthalb Stunden im Auto, aßen unsere Reisevorräte und der Sturm rüttelte und schüttelte uns. Gott sei Dank gab es weit und breit keine Bäume.

Gegen 16:00 Uhr ließ der Wind nach und wir fuhren weiter. Diesmal nahmen wir eine Abkürzung auf der Landstraße, die uns am Haus eines Menschen vorbeiführte, den wir im Sommer bei einem Fest kennengelernt hatten. Wir fuhren mal ran, wie man das auf dem Dorf so macht und ließen uns das große alte Haus zeigen (das aber im Gegensatz zu unserem als Neubau bespöttelt wird, da in der Mitte des 19. Jahrhunderts gebaut).
Da steckt durch 10 jährigen Leerstand viel, viel Arbeit drin, die er größtenteils allein macht, aber die Substanz ist sehr solide.
Er meinte: „Wer sagt, er hätte Gott sei Dank keinen Schwamm im Haus, hat ihn nur noch nicht gefunden.“ und zeigte uns einen freigelegten Balken, über dem jahrelang eine Badewanne gestanden hatte, der bröselig wie Zunder war. Schwamm, durch den Leerstand wahrscheinlich abgetötet, der mag es nämlich warm, aber den Balken hat er vorher aufgefuttert.

Nach dem Rundgang stiegen wir wieder ins Auto und beeilten uns, weiterzukommen, denn es wurde bald dunkel. Der Sturm hatte aufgehört, es kam sogar etwas die Sonne und der blaue Himmel zwischen dramatisch jagenden Wolken durch. Wir ritten in unserer zukünftigen Heimat in der Dämmerung um 18:30 Uhr ein. Die Verkäuferin unseres Hauses, die gerade ihre neue Wohnstatt ausbaut, hatte uns gesehen und kam mit ihrem Auto angebraust, um uns zu begrüßen, sie hatte bei dem Wetter nicht mehr mit uns gerechnet. Wieder was gelernt, auf der Stichstraße ins Dorf sieht man jeden, der kommt.
Die Hausdächer waren intakt und alle Bäume rund um Haus und Scheune auch, das ist beruhigend. Ein guter Ort, wenn auch nicht mit exponierter Lage und weiter Sicht. Dafür aber windgeschützt. Die Alten wussten in den Zeiten vor den Versicherungen ganz gut, wohin sie schadlos bauen können.
Wir sprachen kurz mit dem Mietern des kleinen Hauses an der Scheune, die uns eigentlich jetzt im Herbst Platz machen sollten, denn ihr eigenes Haus am Dorfanger ist seit Jahren in der Fertigstellung. Aber wie das so ist in Vorpommern. Da geht die Welt hundert Jahre später unter. Es sei auch mit zweimonatiger Verschiebung nicht zu schaffen, obwohl man sich bemühe, hieß es.
Der Mann des Hauses trug mit uns die Küchengeräte in die Scheune. Sie kamen auf die Paletten und wurden mit einer Plane bedeckt. So haben wir zwar schon eine Heißmangel, einen Kühlschrank und eine Tiefkühltruhe dort, aber noch keine freie Wohnstatt.
(Eigenbedarfsklage oder so Zeug wollen wir nicht. So tritt man nicht im Dorf an.)

Um 19:30 Uhr fuhren wir wieder los. Wir wollten in Richtung Ostsee, auf den Darß. Der Graf wollte die Füße ins Meer stecken und Hunger hatten wir auch. Als wir nach 20 Uhr ankamen, plädierte ich für erst Essen. Weniger aus naturgegebener Verfressenheit als aus dem Wissen, dass es in den Ostseeorten in der Nebensaison keine Berliner Küchenöffnungszeiten gibt. Wir gingen in 5 noch offene Restaurants und alle winkten ab. Man warte nur bis die Gäste fertig wären, die Küche hätte längst aufgehört. In einem Laden mit Ambiente und guter Karte entfuhr mir ob dessen das Wort „Sch…!“ und im Dönerimbiß, der auch gerade schließen wollte, lachte ich nur noch irre.
Als wir mit hängenden Ohren zur Seebrücke fuhren, um etwas stürmisches Meer zu tanken (also der Graf, ich war viel zu durchgefroren), um hinterher zum nächsten McDonalds zu fahren, der von dort auch gut 40 km entfernt ist, sahen wir noch einen Griechen, der tatsächlich die Küche bis 23 Uhr offen hielt. Also gab es Gyros mit Pommes und hinterher für mich zwei Ouzo, denn der Graf wollte ja noch fahren und mir war zum ersten Mal am Tag warm.
Auf das Meer verzichteten wir dann beide und machten uns gegen 22:30 Uhr auf den Heimweg nach Berlin. Der Vollmond war aufgegangen und beleuchtete jagende Wolken. Die Autobahn war recht leer. Viele hatten heute auf Reisen verzichtet und sogar LKWs waren im Stall geblieben. Wir schnurrten in amerikanischem Tempo unsere Kilometer runter, ich nahm zwischendurch eine Mütze Schlaf, denn nach Mitternacht kann ich mich nur noch mühselig wachhalten, während der Graf ein Nachtmensch ist.
Um 1 Uhr hielten wir kurz auf einen Red Bull und etwas Bewegung an frischer Luft und klebten die Anwohnerparkpakette an die Scheibe.
Jetzt haben wir auch die Lösung, warum sie bei so vielen Berlinern an einer Seite schlapp rumhängt.

Früher nahmen die Damen im Amt nämlich, nachdem sie das Kennzeichen mit Filzstift auf die Sichtseite eingetragen hatten, die Schutzfolie von der Klebeschicht ab, pappten diese auf die Sichtseite und verwandelten die Vignette in etwas, auf dessen Beschriftung man nicht mehr rummalen kann und von dem man eine weitere Schicht abzieht, um sie ins Fenster zu kleben.
Heute wird die Vignette im Stück per Post geliefert, den Trick mit der Aktivierung der Klebefolie weiß aber niemand. Und so hängen die Parkvignetten lappig in den Fenstern, die eine oder andere mitleidige Seele spendiert ihnen vielleicht noch etwas Klebestreifen.
Man hat scheinbar im Amt weder Zeit, die Schutzfolie abzuziehen, noch den Bürgern eine Erklärung mitzuliefern, wie das Ding zu bedienen ist.

Dit is Berlin.

Wir kamen gegen 2:30 Uhr dann in Berlin an, fanden unsere Straße unversehrt vor und auch glücklich einen Parkplatz und ich fiel sofort ins Bett.

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