WMDEDGT Mai 2016

Heute war alles einfach, denn heute ist Feiertag.
Ich stand trotzdem um 9 Uhr auf (ich wollte eigentlich bis 10 schlafen), ich war wach.
Dann pusselte ich vor mich hin: Buchweizenbrei zum Frühstück kochen, Spülmaschine und Waschmaschine anmachen, dem Grafen Kaffee bringen, frühstücken, ein bisschen lesen…
Der Graf zog sich derweil in sein Büro zurück und schraubte an einem Buch.
Gegen halb 11 hatte ich kalte Füße und versuchte, schnell meine neusten Socken fertigzustricken, um sie anzuziehen. Es waren nur noch ein paar Reihen, aber wie das so ist, genau dann zieht sich das hin.
Ich zog mir dann lieber andere Socken an und setzte mich an die Nähmaschine.
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Der mit eigenem Muster bedruckte Seidenstoff wollte endlich verarbeitet sein. Nachdem alle anderen Vorarbeiten so lange gedauert hatten, ging das aber ganz schnell, denn der Schnitt des Rockes ist sehr einfach. (Zum Stoff bedrucken gibt es noch einen ausführlichen Artikel.)

Gegen 14:30 Uhr war der Rock bis auf den Handsaum fertig, den ich am offenen Fenster in der Sonne sitzend, nähte. Zwischendurch machte ich mir einen Linsenpuffer mit Salat und Blumenkohl.

Danach machte ich mich an die Endfertigung des schwarzen Sweat-Jerseyjacketts. – Letztes Paßformfeintuning und das dünne hellgraue Jersey-Futter an der Overlock zusammentackern.
Durch zu viel Bequemlichkeitszugabe musste ich ihn schnittweise viel enger machen. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass der doch recht feste Stoff so nachgibt. Um 19:30 Uhr fehlten nur noch ein paar Schulterpolster, die wollte ich aber nicht mehr machen, denn ich hatte Hunger.

Der Graf hörte auch auf zu arbeiten und wir gingen etwas essen, danach drehten wir eine Runde um den Block. Es war angenehm, wenn auch frisch und die Straßen waren voller Menschen. Er zog noch etwas weiter und ich ging nach oben. Ich war ganz optimistisch, nun die letzten 7 Reihen an der Socke fertig zu bekommen, aber nach kurzer Zeit trennte ich das Stück zum dritten Mal auf. Inzwischen war es auf kurz vor 12, ich schreibe also noch kurz diese Aufzeichnung und gehe jetzt ins Bett.

Eine Erinnerung habe ich noch. Der langjährige Lebensgefährte, in Bayern aufgewachsen, kannte ostdeutsches Herrentagsbrauchtum nicht und machte mit einem aus England kommenden Freund an diesem für ihn kirchlichen Feiertag eine Dampferfahrt auf dem Müggelsee. Als sie heimkamen, waren sie völlig entnervt. Kein EC-Automat war zugänglich, damit niemand in die Banken pinkelte, alles war hackestrackezu und der Dampferkapitän holte zweimal wegen Schlägereien der betrunkenen Passagiere die Wasserpolizei.

Die anderen Aufzeichnungen sind wie immer bei Frau Brüllen zu lesen.

Vigil 64

Die Erkenntnisse der letzten Tage sind: Ich habe die Phase Chatkommunikation, Pinboards und Mailinglisten völlig verpasst. Ich bin erst auf die Blogs aufgesprungen, obwohl ich damals schon intensiv im Netz unterwegs war – die erste Firmenseite schrieb ich 1997.
In den Zeiten vorher habe ich am Arbeitstag so viel telefoniert (man telefonierte ja damals noch), dass ich abends gar nicht mehr kommunizieren wollte. Erst als man sich in der Filmbranche ebenfalls vor allem Mails schickte, wuchs mein Kommunikationsbedürfnis wieder, mein Bedürfnis nach menschlicher Gesellschaft aber nicht.

Videospiele. Interessante, anziehende Sache. Aber ich habe keine Zeit dafür.

Inspirierende Gespräche geführt, lange und ausgiebig.

Völlig verpeilt, dass sich die Liefertermine für die Biokiste durch die Feiertage verschoben haben. Keine richtige Bestellung losgeschickt. Also gibt es weder Joghurt noch Brötchen. Meh.
Und warum es in diesem Shop keine Möglichkeit gibt, Standardeinkaufslisten zu speichern, verstehe ich auch nicht.

Vigil 63

Sie wissen ja, die Sache mit den Erlebnissen beim Einkauf.

Ich stehe am Spargelbüdchen am Alexanderplatz. Ein älterer Herr (in dieser Gegend gibt es noch Ureinwohner) verlangt 4 Stangen Spargel, nicht so teuren. Die Verkäuferin sucht den billigste und besten raus, er zahlt 1,85€, scheint nicht viel Geld zu haben und hatte sicher mal bessere Zeiten. Er fragt die Verkäüfern, weshalb sie sich diesen Job in der zugigen Plastikhütte antut, obwohl sie erkältet ist. Sie kommt ins Reden.

Nee, nee ick komm von Cottbus. Ick mach dir hier jerne. In Cottbus jibts nüscht, keene Arbeet.
Wollt dit Jobcenter mir 12 Stunden die Woche nach Hoyerswerda schickn. Zwee Stundn Fahrt sind zumutbar, ejal für wie viel Arbeitsstundn.
Da hab ick jesacht, da jeh ick lieber für die Saison hierher. Fahr ick einundneviertel Stunde. Außadem kannick hier bei’n Kindern schlafn.
Sacht dit Jobcenter, dit könn sie nicht untastützn, Berlin wird nich jenehmicht.
Als würdick dit brauchn. Ick schlaf schon nicht unter de Brücke hier.
Ick hab noch 9 Jahre bis zur Rente, die kriegn mich nich kleen!

Ansonsten war der Tag ein schöner. Mit einem Nähnerdtreffen bei der GLS-Bank. Endlich Frau Suschna und Die Linkshänderin kennengelernt. Es war mir eine große Freude.

Vigil 62

Da habe ich gestern nach etwas Gartenarbeit eine Vigilie verschlafen. Tja.

Dafür habe ich mir eine Doku über den Vokspark Friedrichshain angesehen. (via @berlin_ild), die unbedingt zu empfehlen ist.

Was mir auffiel: Wie viel heftige Ereignisse in reichlich 100 Jahre passen und an einem Ort kondensieren. Von der Märzrevolution 1848 bis zum Wiederaufbau nach 1945.
Wie schnell politische Wenden geschehen können. Vom roten zum braunen Friedrichshain (oder umbenannt: Horst-Wessel-Stadt) in knapp 5 Jahren.

Wahrscheinlich würde niemand behaupten, das Aufkommen des Faschismus in den 30ern hätte seine Ursache in der rasenden Dummheit, massenhaft schlechten Benehmen oder beklagenswerten Wertevakuum seiner Anhänger. Genauso wenig wie die französische Revolution getragen war von Leuten ohne Respekt vor altem Gemäuer und mit unmoralischer Freude an öffentlichen Hinrichtungen. Volk ist Volk, Pack ist Pack.
Hätte die französische Revolution, die Akkordarbeit der Guillotine und Napoleons Feldzüge mit moralischen Appellen an das Volk netter ablaufen können? „Wenn sie kein Brot haben, sollen sie Kuchen essen!“ hat es schon mal nicht gebracht.
Die Ursache für den massenhaften Zulauf an die Leute mit den starken Versprechungen und einfachen Lösungen waren in jeder Hinsicht handfest. Die französische Revolution war die blutige Dämmerung der Moderne, die Nachwirkungen der Napoleonische Kriege modernisierten auch das kleinstaaterische Deutschland.
Im Falle des deutschen Faschismus war die Arbeiterschicht nach der Inflation in die Weltwirtschaftskrise gefallen und sah keine Zukunft ohne massive gesellschaftliche Veränderung.

Springen wir ins Heute. Gibt es heute handfeste Gründe für eine massenhafte faschistische Bewegung? Wenn ja, sollte im Bundestag die Alarmglocke läuten und nach den genauen Ursachen* von rechten Protestbewegungen gesucht werden, um umzusteuern. Denn dann gibt es tatsächlich ein ernsthaftes Problem.
Wenn es sich um eine reine Aufmerksamkeits-Protestkultur Unzufriedener und Zukurzgekommer handelt, bekommt sie zu viel Aufmerksamkeit und hat damit ihr Ziel erreicht.

*und die sind sicher nicht die Aufnahme von 1 Mio Menschen. Das liegt tiefer.