Im Novemberfrühling

Eine komplett verhackstückte Woche, weil so viele Arzttermine mitten im Tag lagen.
So ist es nun, ich schaue, dass ich wieder auf die Füße komme. Ganz so dramatisch wie befürchtet war der Rückfall nicht, aber da liegt noch vieles im Argen, die Schwindelanfälle gehen nicht weg und das Seelchen hängt sehr durch und mir geht immer mal wieder die Kraft aus.
Ich habe dem halben Jahr Hochdruckarbeit viel zu verdanken. Jetzt will ich schauen, dass ich anders weitermache, aber nicht in die Schonhaltung verfalle, zu der ich gern neige, wenn ich mir zu viel angetan habe. 4-5 Stunden am Tag scheinen realistisch oder besser wären 2-3 8-Stunden-Tage pro Woche. Denn machen wir uns nichts vor, wo 6 Stunden draufsteht, sind nur in ruhigen Zeiten wirklich 6 Stunden drin.

Also aufstehen, Kleider abklopfen, Krönchen richten, Nase hochziehen, weiter machen.

Aber Themawechsel. Ich habe am Dienstag zusammen mit Kind und Männern die erste Folge Geschickt eingefädelt gesehen. Bevor ich dazu etwas längeres schreibe, werde ich noch eine Folge abwarten, ob sich das, was ich sehe, bestätigt.
Lucy von Nahtzugabe hat einen umfassenden Text dazu geschrieben, der sehr lesenswert ist.
Es gibt auch noch ein sehr interessantes Statement von Mamasnähen zum Thema Spaß beim Nähen. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob es so clever war, die mit bunten Kinderstoffen nähenden Muddis zu ignorieren und die Cosplayer gleich rauszuschmeißen. Aus der Ecke kommt nämlich die Nährenaissance in Deutschland maßgeblich. Das ist m.E. die Zielgruppe, nicht die älteren Damen, auf die die Klosterfrau Melissengeist-Werbung abzielte.

Als Luca Hammer vor 3 Jahren Blognetz vorstellte, waren die handarbeitenden Frauen in der Visualisierung eine kleine, abgesprengte Galaxis, die nur untereinander vernetzt war. Für Entscheider bei Fernsehsendern sind nähende Frauen wahrscheinlich so weit weg wie der Andromedanebel. – Es sei denn, die eigene Frau näht.

Die Bewertungen der Umgebung sind schon steil. Wenn du etwas machst, das zeitintensiv ist, sehr wahrscheinlich kein Geld bringt und (mittlerweile) berufsmäßig von Menschen aus Entwicklungsländern getan wird, ist dein Tun suspekt. Oder wie ein guter Freund neulich meinte: Schau, das du dein Energielevel hältst und drifte nicht wieder ins Nähen ab.
Jungs? Angeln? Jagen? Marathon laufen?

Dann rückt der Tag X näher und das Kleid fürs Kind ist nun doch zur Zufriedenheit aller passend gemacht worden. Es hängt bei uns im Schlafzimmer am Schrank und ich gehe immer mit leisem *hachschnief* dran vorbei. Sie werden ja so schnell groß.
Ich schaue schon immer gespannt auf das Wetter. Irgendwann wird es in den Spätherbst kippen und dann ist alles möglich – Regen, Schnee oder beides, Sturm und Nebel nicht zu vergessen.
Eine Novemberbraut muss auf alles eingestellt sein.

Im übrigens ist nichts so kompliziert, wie eine Tischordnung fürs Hochzeitsessen zu bauen. Da bin ich mit meiner Lebensführung nicht unschuldig daran, es waren an diesem Tisch ein leiblicher und ein sozialer Vater mit jeweiligen Partnerinnen und ein Ehegatte unterzubringen.
(Harte Liebe für den sozialen Vater, der bei seiner zweiten Hochzeit dieser Tage das Kind allen als älteste Tochter vorstellte.)

Suchen. Jahrelang flog die Schwimmbrille irgendwo rum. Jetzt brauche ich sie und sie ist unauffindbar. Gnarf…

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WMDEGT November 2015

Frau Brüllen hat wieder gefragt, was wir heute am Monatsfünften gemacht haben.

Der Wecker klingelte um 8 und riss mich aus dem Tiefschlaf. Ich bin derzeit sehr schlafbedürftig.
Den Vormittag verbrachte ich mit Planungen. Die Sache, die ich noch nie gemacht hatte, eine andere, für die ich schon Routine habe und eine dritte, die wahrscheinlich einmalig ist.
Um halb 12 fuhr der Graf mich nach Charlottenburg zum Arzt. Ich wurde einmal gründlich auf den Kopf gestellt, das dauerte eine ganze Weile.
Dann begleitete ich den Grafen in einen Laden, der von Material und Verarbeitung her sehr schöne Lammlederjacken verkauft, die allerdings auf den Namen Hartmut, Jochen oder Wilfried hören und in dieser Saison leider auch so geschnitten sind. Schade.
Dann machten wir einen kurzen Abstecher zum Mienthus-Haus und wunderten uns wieder einmal darüber, dass 3 Stockwerke voller körpernah geschnittener Kleidung für anorektische Jungmänner zu Mondpreisen ein Geschäftsmodell sein konnten. (Wir waren die einzigen Kunden.)
Auf der Strasse trugen derweil die 60 jährigen Herren Wollmützen,  kurze Flieger- und Daunenjacken und Jeans, Jeans, Jeans, als wären sie auf dem Bau beschäftigt.
Der Graf fragte sich in der Zwischenzeit, wo die normalen Männer des Stadtbezirks eigentlich einkaufen, wenn sie etwas jenseits von Freizeitkleidung brauchen.
Inzwischen war es 16 Uhr, wir fuhren zurück, ich ruhte mich etwas aus und ging dann zur Post.
Gegen 19 Uhr hatte ich heftigen Hunger und machte mir viele mit Käse überbackene Brote. 1-2 mal im Jahr brauche ich das, mich so richtig an diesem Zeug zu überfressen.
Dann schrieb ich eine Mail, die schon einen Tag überfällig war und strickte ein paar Reihen an einer schwarzen Jacke. Wovon ich so müde wurde, dass ich um 22 Uhr ins Bett ging.
Da ich aber noch nicht schlafen konnte, bzw dann mitten in der Nacht wach werden würde, tippte ich noch diesen Text.

Unter kahler werdenden Bäumen

Da die Odyssey of Failure dieses Jahr scheiterte, fand aus diesem Grund ein Brunch in kleinem Kreise statt. Ein kleiner Salon für intime Debatten mit Kaffee, Wurstsemmeln und Kuchen, was will man mehr.
Ich nehme meine Themen wieder mit hinaus, um an ihnen weiter zu arbeiten. Als da wären:
1. Endlich, endlich einen Blogpost über den Film Blind Sight zu schreiben, der ein größenwahnsinniges, kulturkolonialistisches Projekt, das … scheiterte … in einen Erfolg umzudeuten versuchte. (Seit 2007 rege ich mich über diesen Film auf!)
2. Mein aktuelles Thema, das ich vertiefen will – Ist Altern Scheitern oder Erfüllung?

Das mit dem Altern braucht eine Erklärung. Seit Wochen und Monaten treffe ich Menschen zwischen 45 und 55, die vor tiefen Lebensumbrüchen stehen. Sie sind dabei, sich neu aufzustellen, sich neu zu erfinden und es scheint anders und schwieriger zu sein als in den Metamorphosen zuvor. Sei es bei der Partnersuche, der Suche nach dem Lebensstil für die nächsten 15 Jahre oder der Suche nach dem passenden Arbeitsplatz. Ich nehme mich nicht aus. Bin ich doch gerade an dem Versuch gescheitert, wieder zu arbeiten wie eine 30- oder 40-Jährige. (Ja, ich habe aufgegeben, nachdem ich wieder krank wurde.)
Ich möchte vor allem die Geschichten aus dem Arbeitsleben sammeln und jenseits vom Buzzword „Altersdiskriminierung“ analysieren.
Wann war der Moment, in dem man begriff, dass man für die Arbeitswelt als alt gilt?
Für mich gab es zwei initiale Momente. Der eine war, dass ich Post-Burnout und nach der Schließung meiner Firma im Jobcenter saß und die  – sehr nette und bemühte – Beraterin meinte, wenn ich wieder gesund wäre, kämen ja dann auch Förderungen für ältere Arbeitnehmer in Frage, schließlich sei ich 45. Ich habe sie damals schallend ausgelacht.
Der andere, dass drei Jahre später im Bewerbungsgespräch der etwas unvorbereitete Chef meinte: „Oh! Aber Sie sind ja, Moment mal, Sie sind ja … auch schon älter!“, worauf er im Lebenslauf spickte, „Ah! Mein Jahrgang!“ Ich hatte – wie später immer mal wieder – jemanden getroffen, der ungern jahrgangsmäßig in den Spiegel sah. Damals war das Gespräch in dem Moment gelaufen. Der Mann wollte keine alte Frau auf dem Posten.
Ich sammele solche Erlebnisse, wer mag, kann sie mir in die Kommentare schreiben oder mailen, auch anonym natürlich.

Wir sind viele. Eine sehr große Alterskohorte tritt in die Phase der letzten 15-20 Arbeitsjahre vor dem Ruhestand. Ist es wirklich so, dass die Arbeitswelt nicht auf uns verzichten kann, weil die Jüngeren zahlenmäßig nicht ausreichen? Kommt mit dem Nachlassen unserer Leistungsfähigkeit noch einmal ein Innovationsschub, der viele Arbeitskräfte spart? Verändert unser Altern die Wirtschaft? Wird sie weniger leistungsfähig, risikoscheu, satt und träge?
Was wollen wir? Ich kann nur für mich sprechen. Ich kann und will nicht mehr Vollzeit arbeiten, stark verdichtete Arbeit ist schwierig (vor allem Dynamik um der Dynamik willen), aber ich schöpfe sehr gern aus meinen reichen Erfahrungen, kann Situationen sehr schnell einschätzen, über Handlungskonsequenzen entscheiden und diese souverän kommunizieren. Interessiert das jemanden? Ist jemand im ersten Job, die sich hungrig ins Getümmel wirft, happy darüber, endlich richtig Geld zu verdienen, einem Arbeitgeber willkommener?
Was werden unsere Arbeitsmodelle sein?

Jetzt noch ein paar Links: Stefan Niggemeier hat eine Zitate-Sammlung angelegt, wie die Presse Akif Pirincis Rede mit dem berühmten KZ-Satz wiedergab. Auch dieser Mann, der sich viel zu gern in möglichst provokativen Thesen reden hört und deshalb Aufmerksamkeit bei konservativ-traditionalistischen Menschen sucht, gehört korrekt zitiert und nicht so, wie man ihn gern hören möchte. Gerade wegen des in bestimmten Milieus gemachten Vorwurfes der „Lügenpresse“.
Die Nazibedrohungs-Angstlust, die im Moment so viele Menschen überschwemmt, die in extremen Auswüchsen bis „alles Nazis außer ich“ geht, ist wahrscheinlich historisch folgerichtig, aber trotzdem meiner Meinung nach ein irreführendes Gefühl. Je böser und schlechter (und dann noch mit historisch aufwühlendem Etikett) die anderen klassifiziert werden, desto besser fühlt man sich selbst und um so effizienter können eigene Ängste und inneren Widersprüche verdeckt werden. Es hat den Anschein eines großen Heilungsversuches, ein „diesmal sind wir alle dagegen und das Schlimme passiert nicht“, der dann eben auf Kosten der Ausgrenzung und Diabolisierung weiter Bevölkerungsschichten geht (die alles beinhalten, Realisten, Skeptiker, Zweifler, Ängstliche, Idioten, Besitzstandswahrer, Analogtrolle, Spießer und Volksverhetzer). Nicht gut das. Eine Gesellschaft beinhaltet alles. Eliten und Traditionalisten. Sie bedingen einander. Der eine kann ohne den anderen nicht sein.
Wie hieß es nach dem 17. Juni 1953, einem Tag, an dem sich der arbeitende Pöbel ohne großes Bewusstsein für die tiefgreifenden Umwälzungen in der Gesellschaft gegen die Arbeiterregierung stellte:

Nach dem Aufstand des 17. Juni
Ließ der Sekretär des Schriftstellerverbands
In der Stalinallee Flugblätter verteilen
Auf denen zu lesen war, daß das Volk
Das Vertrauen der Regierung verscherzt habe
Und es nur durch verdoppelte Arbeit
Zurückerobern könne. Wäre es da
Nicht doch einfacher, die Regierung
Löste das Volk auf und
Wählte ein anderes?
Quelle: Berthold Brecht Die Lösung. In: Buckower Elegien, 1953. In: Ausgewählte Werke in sechs Bänden. Dritter Band: Gedichte 1. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 1997. S. 404

Und es juckt die Geschichte nicht im geringsten, dass das Pack den Schuss auch heute wieder nicht gehört hat.

Jetzt geht es unpolitischer weiter. Es ist der Herbst der Nähnerds.
Die von mir sehr verehrte Suschna hat ein Buch herausgebracht:
Verflixt und zugenäht. Textile Redewendungen
es ist zudem auch noch ein wunderbares bibliophiles Schmuckstück.
Frau Nahtzugabes neues Buch, diesmal zum Thema Upcycling, ist letzte Woche erschienen:
Neues Leben für alte Kleider. Kleine, feine Nähprojekte
Frau Craftelns Buch erscheint in der nächsten Woche:
Nählust statt Shoppingfrust. Selber nähen macht glücklich!
Daniela Warndorf verkauft seit einigen Monaten schöne und praktische Strick- und Häkelsets und es läuft und läuft und läuft.
Und, natürlich, kommt nun noch einmal der Hinweis auf den wichtigsten Sendetermin in der nächsten Woche:
Die Nähshow Geschickt eingefädelt unter Teilnahme von zwei Nähnerds startet am Dienstag, den 3. November um 20:15 Uhr auf Vox. (hihi, lange keine Sendestarts mehr beworben, seit ich nicht mehr Filmagentin bin…)
Gibt es eigentlich irgendwo in Berlin ein Public Viewing? Sollte man die Magnet-Bar dafür entern? … Gerade nachgeschaut, da läuft Champions League, das geht nicht.

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