8.7. 10

Nach dem Zustand *Grauenvoll* kam der Zustand *das bin nicht ich, das ist nicht mein Kopf, das kann doch nicht wahr sein*.
An diesem Kater laborierte ich bis in den Nachmittag. Der Tag wurde wärmer und ich arbeitete mechanisch vor mich hin.
Die ersten Rückmeldungen kamen. Wut und Vorwürfe von Leuten, für die ich einen guten Job gemacht hatte, vorsichtige Bitten um Hilfe anderen, bei denen ich weiß, daß sie so schnell nicht unterkommen, weil sie bei mir über Jahre ein gastliches Haus ohne Gegenleistungen genießen konnten.
Am Abend fuhr ich zu meinem Nestchen. Ich hatte die selbst gezogenen Tomaten, die mir das Kind geschenkt hatte, seit einer Woche nicht gegossen. Was ihnen nichts ausmachte. Sie standen mittlerweile in großen Eimern mit viel Erde und am Wochenende hatte es geregnet. Außerdem brauchen Pflanzen auch mal eine Durststrecke, damit sie genügend Wurzeln bilden. Es gibt schon zwei kleine grüne Tomaten, so langsam brauchen sie Stützen.
Ein Bekannter aus der Klinikzeit rief mich an. Er macht Nägel mit Köpfen und zieht im Herbst mit der Frau, die er in der Klinik kennengelernt hat, zusammen. Beide sind keine Bekloppten. Eine schlimm überarbeitete Sonderschuldirektorin aus einem Problembezirk und ein Ingenieur, der monatelang in Afrika arbeitet und zuviel trinkt, haben wahrscheinlich nur eine grundlegende Krankheit: Einsamkeit.

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7.7. 10

Es wird wieder wärmer und die Wohnung ist noch kühl, das ist sehr angenehm.
Ich verpackte die unterschriebenen Abschiedsbriefe in Kuverts, erledigte noch etwas Korrespondenz und fuhr dann in den Prenzlauer Berg, um meine Tante und meine Cousine zu treffen. Wir führten ein sehr angenehmes Gespräch, das weit über verwandtschaftliches hinaus ging und trotzdem diese Nähe und Vertrautheit hatte.
Dann kam der unumkehrbare Augenblick. Ich warf die Umschläge in den Briefkasten.
Das, was ich mir vorgestellt hatte, daß nun die Last von mir fällt, trat natürlich nicht ein. Die Summe unserer Freuden und Leiden ist immer gleich groß, sie ist als Konstante in uns programmiert, wir müssen lernen damit umzugehen.
Am Nachmittag arbeitete ich mich weiter in Dreamweaver ein und schlief zwei Stunden.
Zum Fußballschauen gingen wir in die Bar an der nächsten Ecke. Was für ein sonderbares Spiel, die Deutschen wirkten wie auf dem Rasen festgeklebt. Mir schwirrte dazu mein Berufsabschied im Kopf herum. Nach dem Spiel gab es Trostshooter für alle und plötzlich hatte ich die blöde Idee, noch zwei Wodka hinterherzukippen. Leider blieb mein Erinnerungsvermögen intakt. Ich bot mich einer jungen Produktionsassistentin, die sich über mangelnde Unterstützung in der Firma beklagte, als Praktikantin an und plante für Sonntag eine Fahrt nach Montreux aufs Jazzfestival, um am Dienstag morgens pünktlich zur Wertschätzung des Wagen wieder in Berlin zu sein.
Mit einem Wort: G-R-A-U-E-N-V-O-L-L.

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6.7. 2010

Tag des wunden Seelchens. Obwohl sich das garnicht so anließ.
Es war wunderbar kühl, ich sortierte noch etwas den Schreibtisch um und brachte einige Post auf den Weg.
Dann, nach einer Beratungsstunde, die ein altes Thema auf den Tisch brachte, das ich kurz mit „auf andere zugehen“ umschreiben möchte, meldete sich das Seelchen.
Ich mag nicht, jammerte es. Mir passte das gar nicht, denn für heute war der Umzug des Schreibtisches samt Technik und der Aktenordner ins Nestchen geplant. Es ist schließlich fertig. Meine letzten Arbeiten zogen sich wie Kaugummi. Das Seelchen vibrierte.
Ich lenkte ein. Ok. verschieben wir den Umzug um zwei Tage. Heute ist Seelchenmassage angesagt.
Nur das Notwendigste arbeiten, Krimi lesen, beim Vietnamesen ganz allein in einer Ecke mit Buch auf dem Tisch essen, viel schlafen.
Und das war der Rest-Tag. Kuscheldecke, 30er-Jahre-Krimi, „Mord mit Aussicht“, Special Service beim vietnamesischen Wirt, der mir nach dem Essen noch einen Apfeldrink mixte. Brav ging ich danach noch über die Straße zum Italiener, wo sich HeMan das Fußballspiel mit Freunden anschaute und trank ein Glas Wein mit, aber ich fühlte mich deplatziert. Zu viele Leute, die durcheinanderredeten, der brüllende Lautsprecher vor der Leinwand, schlechte Laune, die durch den Raum waberte. Ich verabschiedete mich schnell.

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5.7. 2010

Same procedure as every day. Zeitung lesen und frühstücken auf dem Balkon.
Mit ziemlich viel Bummelei (modern: Prokrastination) quälte ich mich durch einen Papierstapel. Letzte Woche hatte ich alles in 5 Stapel eingeteilt, die ich nach Priorität abarbeiten will. Ablage ist nie meine Stärke gewesen.
Anruf eines Klienten. Erst freundlicher Smalltalk, aber ich hörte schon, daß er etwas auf dem Herzen hat. Dann: „Ähm, ja, es ist mir schrecklich peinlich, aber ich habe da auf einer Party das Gerücht gehört, Sie hören auf.“
Ich konnte ihm das Gerücht nur bestätigen. Branchentreffen sind also doch Informationsbörsen, sieh an. 3 Leute wußten es, drei Leute waren vorerst um Stillschweigen gebeten worden. Also ist es an der Zeit, die Briefe an alle rauszuschicken, die Entwürfe sind seit Freitag fertig. Das wird eine heftige Woche.
Ich druckte die Briefe aus und legte sie noch einmal für eine Warterunde auf den Schreibtisch. Es ist etwas völlig anderes, entlassen zu werden und sich von seinen langjährigen Arbeitskontakten zu trennen, als das selbst zu entscheiden, Menschen, die einem doch nahe waren, zurückzulassen und einen noch vage konturierten Neustart zu wagen.
Die Briefe auf dem Schreibtisch waren eine Last, über der ich zwei Stunden schlief, wie kurz nach der Entlassung aus der Klinik.
Danach machte ich erst einmal die überhitzte Wohnung regenfest, denn der Himmel war schwarz. Doch das Gewitter ließ sich Zeit. Ich verhandelte einen Vertrag, bekam einen Anruf von Mr. Horror, den ich Gott sei Dank kurz halten konnte und präparierte mich für meinen Abendtermin.
Die Spreepiratin mußte lange auf mich warten. Ich bin seit mehr als 20 Jahren Berlinerin und verwechsele immer noch die Veteranenstraße mit der Weinbergstraße. Es war ein schöner lauer Abend, noch immer ohne Regen. Was wir besprachen, gab mir Kraft – und ich hoffe nicht nur mir.
Kaum war ich zurückgekehrt und lag auf dem Sofa (der Fernseher läuft für meine Bedürfnisse immer zu laut), war die Luft in der Wohnung sprühtröpfchengesättigt. In jedes geöffnete Fenster stiebte der Regen. Wir machten alles dicht, wischten das Parkett trocken und gingen dann im Regenrausch schlafen. Ich war aufgekratzt. 5 Kaffee, 1 Red Bull und jede Menge Veränderung.

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