Jahresrückblickfragebogen 2013

Zugenommen oder abgenommen?
Gleich. Ich warte auf den Moment, in dem mir moderate Anstrengung keine Angst mehr macht. Meine Seele hat sich in der untersten Komfortzone der Maslow-Pyramide verschanzt und möchte es geborgen, warm, entspannt und satt.

Haare länger oder kürzer?
Noch länger.

Kurzsichtiger oder weitsichtiger?
Die Arme reichen nicht mehr und die neue Lesebrille ist bereits bezahlt.

Mehr ausgegeben oder weniger?
Gleich wenig.

Mehr bewegt oder weniger?
Weniger, bedingt durch den Plan mit konstant wenig Arbeitszeit belastbarer zu werden. Das widerspricht meinem Naturell, ich komme zu nichts. Nächstes Jahr teile ich meine 15 Wochenstunden auf 3 Tage statt auf 5 auf.
Aber keine Panik, Stillstand ist der Zustand vor der Bewegung.

Der hirnrissigste Plan?
Es gab keinen, wie langweilig.

Die gefährlichste Unternehmung?
Ich bin nach wie vor nicht risikofreudig.

Die teuerste Anschaffung?
Eine Lindberg-Lesebrille. Ich bin in manchen Dingen doch ein Snob geblieben.

Das leckerste Essen?
Das, was Vorratskammer, Küche, Wald und Garten bei La Primavera hergaben, gekocht, gebraten und am Herdfeuer gegessen.

Das beeindruckenste Buch?
Es war nicht das Jahr fürs großartige Bücherlesen (und das schreibe ich, die in Hochzeiten 20 Bücher im Monat „gefressen“ hat!), aber ich habe nach drei Jahren endlich den Barock-Zyklus von Neal Stephenson zu Ende gelesen, ein Geschenk von Frau Fragmente.

Der ergreifendste Film?
Auch das waren nicht viele, das ist gerade nicht mein Medium, es gibt keinen Favoriten.

Die beste CD?
Dito. Falsches Medium. Ich habe sehr wenig Musik gehört und die schönste wehte an Sommerabenden ins Fenster und kam aus dem Rosengarten im Weinbergspark, das waren dann Soul und Jazz oder flog aus dem Fenster des Nachbarn über den Hinterhof und war Schuberts Winterreise.

Das schönste Konzert?
Die Hausmusik zum zweiten Advent bei den Nachbarn.

Der beste Sex?
Ist jetzt der eheliche.

Die meiste Zeit verbracht mit…?
Schnitte ändern und nähen.

Die schönste Zeit verbracht damit…?
Kleider zu nähen.

Vorherrschendes Gefühl 2013?
Ich tue kleine Dinge.

2013 zum ersten Mal getan?
Vorübergehend Nutznießerin des Ehegattensplittings geworden. Sehr komisches Gefühl.

2013 nach langer Zeit wieder getan?
Einen Weihnachtsbaum aufgestellt.

Drei Dinge, auf die ich gut hätte verzichten mögen?
Auf Twitter mehrmals von einer Person angepöbelt zu werden, die Freundin meiner Freunde ist und die ich nach vor schätze, die hysterische Atmosphäre in meiner Filterblase vor der Wahl und der Niedergang der Piraten als von Sektierern und deren internem Krieg zerfressene einstmals gute Idee.

Die wichtigste Sache, von der ich jemanden überzeugen wollte?
Veränderungen fangen immer bei sich selbst an und Worte sind bedeutungslos ohne Taten.

Das schönste Geschenk, das ich jemandem gemacht habe?
Ich weiß es nicht.

Das schönste Geschenk, das mir jemand gemacht hat?
Einen Ring mit einer Gravur.

Der schönste Satz, den jemand zu mir gesagt hat?
Ein „Ja“.

Der schönste Satz, den ich zu jemandem gesagt habe?
Ein „Ja“.

2013 war mit 1 Wort…?
Solide Basis.

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2013 im Schnelldurchlauf

Januar
Das war der Monat, in dem Stories & Places startete, das erste der gemeinsamen Herzensprojekte. Keiner von uns beiden hatte geglaubt, dass es wirklich so abgehen und ein nachhaltiger Erfolg werden könnte. Ich war tagelang damit beschäftigt zu schauen, ob alles stabil läuft, während der Graf arbeitete. Dazu mussten wir schon am ersten Tag innerhalb von Stunden eine Haltung dazu finden, wer als SEO-Spammer sofort rausgeschmissen wird und wen wir interessant finden. Das war sehr sehr aufregend.
Sonst war der Monat düster, der dieser Winter strengte mich sehr an, aber er war mit ein paar schönen Dingen garniert, Schuhen und göttlichen Kleidern (die noch der Änderung, dem Passendmachen und des großen Auftritts harren).
Wenn sie ein paar grundlegende Dinge über mich wissen wollen, die können Sie im Januar nachlesen.

Februar
Ein wunderbares Geburtstagsfest mit vielen Freunden und einem nächtlich mit der allerbesten Freundin aufgegessenen Käsekuchen.
Dann war ich lange krank und schniefend und röchelnd im Bett liegend, schrieb ich einen längeren Text über das, womit die westliche Nahrungsmittelindustrie einst begonnen hatte. Den finde ich noch immer gut.
Es lag schon einige Monate ein weiteres gemeinsames Projekt in der Luft, unsere Hochzeit, aber irgendwie schwebte das noch in der Planungs-Paardynamik. Einig waren wir uns, dass es stattfindet, nur das Wie und Wo war ein längerer Entscheidungsprozess. Ich mit den üblichen schnellen Entscheidungen und gleichzeitiger Konservativität (ohne Ringe, ordentliches Kleid und einem besonderen Tag hätte ich keine Trauung ernst nehmen können) und der Graf mit seinem Perfektionismus.

März
Es schneite immer wieder, der Winter schien nicht zu enden..
Da Twoday immer mehr verkommt, half ich den Freunden beim Umzug ihrer Blogs und der Sicherung ihrer alten Daten. Dazu bekam LaPrimavera eine Website, die ein gar gigantomanisches Projekt zu werden drohte. Nach der ITB, wo wir uns Reiseblogger live ansahen, kam die Leipziger Buchmesse mit vielen guten Begegnungen.
Wir hatten endlich einen Hochzeitstermin und -ort gefunden, nachdem das Besorgen der Papiere sich in eine mittelgroße Aktion auswuchs.

April
Das Kindchen zog mit dem besten Regieassistenten der Welt zusammen und es war Kisten-Workout angesagt.
Dann folgte eine langanhaltende Odyssee durch Herrenausstatter. – Der Graf und sein Perfektionismus eben. Je minimalistischer die Kleidung, desto schwieriger ist es, scheint mir. Ich hatte mein Outfit bereits  Anfang Februar nach ein paar Stunden Internetrecherche und einem Telefonat mit LaPrimavera komplett. Es kam nur noch ein wunderschönes Geschenk des Grafen dazu – ein Kollier.
Dann gab es Frisurentests und noch ein paar Organsationsdinge um diesen Tag, ja und dann ging es los. Am 16. April wurden wir dann Mann und Frau. Bisher haben wir es noch nicht bereut (während ein Paar aus der weiteren Bekanntschaft, das einen Monat vorher geheiratet hatte, bereits wieder mit Riesenkrach auseinander ist).
Die Oma, die in der frühen Kindheit so etwas wie meine Mutter war, war nun fünf Jahre tot.

Mai
Ich begann nach fast zwei Jahrzehnten Pause wieder mit dem Nähen. Mein erstes Produkt war ein seidener Rock und ein Top, die mich aussehen ließen wie ein freundliche Trümmerfrau. Es war also noch viel Platz nach oben, die Latte lag nicht zu hoch. Die Nähmaschine, nach Singer-Patent gebaut, die das Kind mir ein Jahr zuvor geschenkt hatte, erwies sich als praktikabel, aber nicht beständig, die Lagerung der Unterfadenkapsel war aus Plastik. Ich suchte nach einer neuen Maschine.
Der Graf und ich gingen zu re:publica, ich lernte wieder sehr interessante Bloggerinnen kennen.
Die andere Oma, Charlotte, starb vier Wochen nach ihrem 92. Geburtstag. Eine weitere Familienära ging zu Ende.
Dann kam der Ende-Mai-Geburtstagsmarathon, der von meiner besonderen Affinität für Zwillingsgeborene kündet.

Juni
Ein wunderbarer Mittsommerabend auf der Barnimkante mit Heartcore und seinem Liebsten, Herrn Lucky und dem Kind mitsamt dem besten Regieassistenten der Welt.
Ich wandelte von Glam geschenkte Vogue-Schnitte in Kleider um und testete jede Menge Nähmaschinen.
Wir fuhren für einen Tag ans Meer.

Juli
Durch ein Vermächtnis von Oma Charlotte und des Grafen Großzügigkeit hatte ich nun eine neue Nähmaschine. Das Nähen ging weiter. (Musste, ich passte in keine Sommerklamotte der letzten Jahre.)
Dann kamen zwei Wochen Urlaub in Großpolen und Schlesien. Als wir zurückkamen, kochte Berlin und wir schwammen zu Abkühlung im Schlachtensee.

August
Ich nahm zum ersten Mal am Me Made Mittwoch teil. Eine großartige Sache, Kleider an so verschiedenen Frauen zu sehen.
Dann beendete ich einen vor zwei Jahren begonnenen Quilt, zufrieden war ich aber nicht. Das Ding sieht einfach nach Krampfadern und Gummistrumpf aus.

September
Zuerst feierten wir den Sommer und mit Verspätung unsere Hochzeit mit Freunden, dann fuhren wir nach Leipzig, um dort auch noch einmal Hochzeit zu feiern und in den Herbstferien besuchten wir LaPrimavera in ihrem ländlichen Paradies.
Ich schaffte es, ein schon seit langem konzipiertes Seminar an einer Hochschule unterzubringen. – Überhaupt Arbeit, ich bin bereits das ganze Jahr damit beschäftigt, nicht mehr als 3 Stunden täglich zu arbeiten. So richtig gefällt mir das aber nicht. Ich brauche Schwung für meine Arbeit und manchmal auch einen längeren Anlauf. So bleibt mir das Jahr als eines im Gedächtnis, in dem ich auf der Stelle getreten bin und nichts richtig geschafft habe.

Oktober
Katzen hüten und Pilze sammeln bei meinen Eltern. Ein weiteres Herzensprojekt des Grafen und mir beginnen – diesmal ist es ein Buch, das Thema ist wiederum Internet-Storytelling.
Ich schwimme noch einmal ein paar Züge im Schlachtensee, es fühlt sich fast wie früher an.
Ab Mitte Oktober beginne ich mein seit Frühjahr geplantes Arbeits-Belastungstrainung, drei Mal die Woche fünf Stunden in einem Job, der mir wenig Verantwortung abverlangt und die Strukturen schon mitbringt.

November
Vor dem Seminar werde ich natürlich krank. Es ist trotzdem ein großer Erfolg und ich bekomme ein Nachfolgeangebot. Ich lese mich durch unser neues Projekt durch des Anfangszeiten des sozialen Internets. Spannend, sehr sogar. Mein Näh-Output stagniert, zu viel Arbeit, noch mehr Ausruhen, aber ich beschäftige mich mit den Grundlagen von Kleidungs-Entwurf und Schnittgestaltung.
Der Mann und liebe Freunde, die für mich da sind, auf meinem Weg zu mehr Belastbarkeit.

Dezember
Viel Arbeit und wie immer vergeht der Monat viel zu schnell. Ein großes Jubliäum bei meinen Eltern. Weihnachten bei Kind und Mann. Zwischen den Jahren Begegnungen mit Freunden und Bloggern, die ich schon Jahre lese und zum ersten Mal treffe.
Müde, schlaflos und glücklich.

Das war 2012.

 

Weihnachten. Erledigt.

Weihnachten und icke, das ist ja nicht so die super funktionierende Partnerschaft. Dieses Jahr lief das ganz gut. Das Besinnlichkeitsmonster und ich arrangierten uns miteinander.
Das Größte, war, dass das Kindchen, die kleine, resolute Elfe, den Heiligabend ausrichtete. So, wie sie es schon immer wollte. Mit einem Essen am großen Tisch, allen Geschenken unterm Weihnachtsbaum, einem der sie verteilt, öffentlichem Auspacken und zum Schluss noch einem Familienfoto. Ich hatte den ganzem Abend blinkende Herzchen um den Kopf. Selbst die rasante Zusammenstellung von Eltern, Stiefgefährten und Schwiegereltern funktionierte hervorragend. (typische deutsche Bevölkerungspyramide – viele Leute 40+, wenige junge Menschen, keine Kinder)
Meine Eltern machten für eine Nacht Station an der Barnimkante, auch eine Premiere, und es war gut.

Was bei mir passierte, war ein typischer Kitty. Aus der Weihnachtskleinigkeit, ein kleines Patchworkplatzdeckchen für jeden Gast des Weihnachtsabends, wurde eine stundenzehrende Arbeit. Es sah super aus, aber ich wußte schon beim zweiten Arbeitsschritt, dass das zu frickelig ist und etwas erprobtes, unaufwändiges und trotzdem effektvolles besser gewesen wäre. So schaffte ich es schon vor Weihnachten mühelos, mich zu überfordern.
Aus des Kindes „Meh, wir haben gar keine Einladung zum Essen von den anderen!“ entwickelte sich in meinem Kopf „mach doch einen Weihnachtsbraten am ersten Feiertag“. Eigentlich nicht so schlimm, ich nahm ein Rezept, dass ich vor Jahren schon einmal mit Erfolg für 6 Leute gemacht hatte (sogar mit verbundener rechter Hand): Gegrillte Entenkeulen mit dreierlei Gemüsen und Rieslingsauce. Wunderbar vorzubereiten und am eigentlichen Tag gibt es nur noch ein Finish der einzelnen Elemente. Aber irgendwie…
Ich stand in der Küche wie auf dem Schlachtfeld und merkte, das war nicht zu gewinnen. Nicht, weil es nicht richtig geplant war, sondern weil ich den Puffer für Unvorhergesehenes vergessen hatte. Da war (mein klassischer Trigger) ein Zeitlimit eingebaut, weil meine Eltern nicht zu spät loswollten, machte ich zu viel zeitgleich und verlor den Überblick. Das Gemüse stand erkaltet auf dem Tisch, die Ente war noch zu hart, die Klöße schon zu fest und mit einem Tag Verspätung merke ich erst, dass ich einfach hätte sagen können: „Sorry, ich habe eine Dreiviertelstunde Verspätung!“, um das zu entzerren. (Auch die Hilfe meiner Mutter nutzte nichts.)
Und so haderte ich mit mir. Für meine Überhebung, mir so etwas zuzutrauen (das ich vor fünf Jahren fast nebenbei gemacht hatte), für meine mangelnde Leistung, für meinen Scheiß-Anspruch, dafür dass die anderen meinen Stress gesehen hatten… das lässt sich beliebig fortsetzen. Wie blödsinnig.
Nebenher lief mein Berufs-Belastungstest in die anspruchsvolle Phase, auch das hatte ich nicht auf dem Schirm, die Weihnachtstätigkeiten liefen parallel. Naja, dafür ist es auch da, es sollte mir zeigen ob und wie es laufen kann und worauf ich achten sollte – zum Beispiel die privaten und beruflichen Pläne gegeneinander zu gewichten.
Die innere Kitty kam mit in paar unübersehbaren Statements dazwischen. Einen Sonntagsdienst verdrängte ich ganz, da musste man mich erst anrufen, wo ich bliebe. Und meine Dämonen tanzen wieder. Ich wachte nach Luft schnappend aus einem Alptraum auf. Irgendjemand hatte mich in diesem Traum gefragt, was mit meiner Katze sei. Panisch suchte ich die Katze im ganzen Haus ohne sie zu finden, später nur noch nach ihren Spuren, einem Katzenklo, dass ich wohl nicht saubergemacht hatte, das ich aber nicht fand, scheinbar hatte ich es nicht aufgestellt, nach Katzenfutter dass ich nicht besaß, schienbar hatte ich vergessen, welches zu besorgen. Ich wand mich vor Schuldgefühlen, dass sie wahrscheinlich irgendwo eingesperrt und verhungert und verdurstet war, weil ich mich nicht gekümmert hatte. Erst Minuten nach dem Aufwachen wurde mir klar: Ich habe gar keine Katze.
Ich bin also die Idiotin, die sogar auf nichtexistente Probleme mit Aktionismus, Versagenspanik und Schuldgefühlen reagieren kann. Sauber.

Aber nun reden wir über etwas anderes. Das Kind und ihr Liebster haben mir Gretchen Hirschs „Rock a Bella“-Buch geschenkt. Auch wenn es wahrscheinlich für mich nicht immer der Fifties-Style sein kann, weil zu taillienbetont und es geht ja eher in Richtung victorianische Zitate, aber ich liebe dieses Buch. Ich brauche kein Slow-Sewing-Manifest zu schreiben, die Frau trifft es. Warum sollten wir mit viel Liebe Kleidung für uns schneidern, die in Materialanspruch und Verarbeitung genauso billig, optimiert und auf schnelle Masse orientiert ist wie das, was wir in Discountklamottenläden bekommen können? Da hat sich jemand mit Konstruktionstechniken auseinandergesetzt, schaut auch in und unter ein Kleid oder ein Jackett und muss nicht an einem Tag einen Fummel fertig machen. Das gefällt mir.

Zweifel und Distanz

Manchmal bemerke ich meine Distanziertheit zu dem, was anderen Menschen über alles wichtig ist (nennen wir es Zeitgeist), überhaupt nicht. Dann lese oder sehe ich Jahre später etwas und denke: Hm, auch wenn du gleich nebenan warst, du warst im Paralleluniversum, du hast anderes getan, dir war anderes wichtig. Die Zeitgeist-Strömungs-Formationstänze meiner Mitmenschen hatte ich durchaus bemerkt, aber eher mit Schulterzucken und dem Gedanken: Komisch, das so was so wichtig ist, dass alle im Chor singen wollen. (Und es ist egal, worum es inhaltlich geht, ob Business-Dynamiker, politisch Korrekte, Religiöse, Verweigerer oder Kleingärtner. Es geht um das Abgeben des Hirns an die Masse.) Manchmal ist mir der Gleichschritt-Marsch, das Nachplappern von Buzzwords unangenehm nah, zu nah, als daß ich Distanz wahren könnte.
Trotzdem gäbe ich viel darum, wenn ich mich so in eine Gruppe fallen lassen könnte. Das gibt Schutz, Stärke, Identität und immer ein Thema. Die eigene Lust und Schuld? Die eigenen Ziele und Lebensbaustellen? Egal, es geht ums große Ganze. Nicht mehr denken müssen (oder Denken nur im Konsens simulieren), nachsprechen, was die Meinungsführerschaft gerade schrie, die anderen Mitläufer noch übertreffen an Konsequenz und Bemerken von Makeln und Fehlern des unerleuchteten Teils der Gesellschaft. Das spart eine Menge Zweifel und Irrtümer. Vielleicht im nächsten Leben, wenn ich denn als Sardine oder Amsel wieder geboren werde.
Denn es geht nicht, mir tut so ein Verhalten fast körperlich weh. Wenn ich zur Zeit manchmal auf Twitter oder in Blogs lese, was Leute von sich geben, die ich einmal wegen ihrer differenzierten Weltsicht und Wachheit schätzen gelernt hatte, winde ich mich vor Fremdscham. Ich denke: Merken die das nicht? Jungpioniere beim Fahnenappell waren unangepasster. Sie sind das geworden, was sie haßten.
Wo war der Moment, wo sie sich in Meinungs-Blockwarte verwandelten? Was hat sie motiviert? Die Sehnsucht, endlich nicht mehr schwach und angreifbar zu sein? Endlich nicht mehr allein stehen und angezweifelt werden? Das Schlimme ist, dass sie mit den gleichen Mitteln agieren, wie die, von denen sie sich abheben wollen: Intoleranz, einspuriges Denken*, aggressive Dominanz, Parolen statt Diskurse. Stammtisch, nur ohne Bier und Kippen. Vielleicht ist das dieses Ankommen. Endlich mal recht haben. Ich weiß es nicht. Es ist arm, sehr arm.

Ich suche wieder. Distanzierte Zweifler (oder analytische Denker oder arrogante Ärsche, je nach Blickwinkel) erkennen einander über die Menge hinweg.

Edit: Auch wenn das ein Text zum spiegeln ist. Ausgelöst wurde er dadurch, daß ich heute Nacht zu viele Texte über die New Economy gelesen habe. MIr fiel auf, dass ich damals genauso daneben stand und dachte: Merken die das nicht oder was bringt das denen gerade?

*Einfach mal genau hinschauen: Derailing – also einen Argumentationsstrang aus der Schiene heben – passiert nur, wenn Argumente einspurig und unveränderbar laufen. Einspurige Argumente sind tröstlich, aber gefährlich.

Veröffentlicht unter Exkurs