Monsterwoche

Diese Woche hatte es so in sich, dass ich heute nur noch auf den Sofa rumhängen werde und morgen gehts dann weiter im (Buch-)Text. Es sind drei, vier längere Texte hier in der Pipeline, zu denen komme ich erst mal gar nicht.
Es ging ganz langsam los. Am Dienstag war die Generalprobe Vorhof der Völker. Mir erfüllte sich ein Wunschtraum: Nachts im Museum. Dazu viele Freunde aus alten Zeiten, die mittelbar oder unmittelbar mit dem Projekt zu tun hatten oder nur zum Schauen da waren, wie der Graf und ich.
Dann am Mittwoch ein Vortrag zum Thema familiäre Gewalt. Das ist nun nicht unbedingt etwas, wovon ich mich betroffen fühle. Das Referat über die Ergebnisse von aktuellen Studien (diese z.B. ) haute mich allerdings um. Heirat, Zusammenziehen, Schwangerschaft sind die häufigsten Auslöser für familiäre Gewalt. Also vollkommen positiv konotierte Vorgänge, aber einschneidende Lebensveränderungen. Männer erleben genauso oft Gewalt wie Frauen, nur hat körperliche Überlegenheit auch sichtbare körperliche Konsequenzen. (Fortsetzen lässt sich das mit finanzieller Überlegenheit, ungleich verteilter Selbstbestimmung etc.) Bindung ist gut, asymmetrische Abhängigkeit die Hölle.
Das war harter Tobak.
Zwischendurch war mal ausschlafen angesagt und gestern nahm ich zum ersten Mal seit zwanzig Jahren wieder an einer Firmenweihnachtsfeier teil, mit liebsten Menschen und trinken und umarmen und ganz viel Essen. Uff.

Und dann schickte die Frau Casino noch ein Stöckchen in meine Richtung. Das steht morgen auf dem Plan.

Veröffentlicht unter Leben

Kitty grübelt

Gestern stolperte ich über den Satz

Den Inhalt der Nachricht bestimmt der Empfänger.

Bei Amtsbriefen wäre das fein. Ansonsten könnte ich mich länglich darüber auslassen, das dieser Satz lediglich einen Spezialfall von fehlgeleiteter, abgerissener oder absichtlich gestörter, also missverständlicher Kommunikation beschreibt.
Der Stein mit der Inschrift, der in der in der Wüste gefunden wird.
Die drölfzigtausend Tonfälle der Antwort: „Ach nichts!“ auf die Frage „Ist was?“
Der Versuch eines Dialogs mir „Mir brauchnse nüscht zu erzählen“-Man.
– Solche Situationen eben. Ansonsten finde ich die Botschaft dieses kursiv geschriebenen Satzes sehr fatalistisch. Sie räumt dem Empfänger eine Macht über den Sender ein, die dieser nicht hat.

Oder sehe ich das falsch?

Ah, der Graf, der den obenstehenden Satz gestern zitierte, hat geantwortet.

Veröffentlicht unter Exkurs

November-Run

Hu, das ist gerade heftig viel und dann auch noch so viel Beeindruckendes. Und jedes Mal fing es an mit „ok., gehste mal hin, wenns langweilig ist, kannste schnell wieder abhauen“. Das dauert wohl noch ein kleines bisschen, bis ich das alles aufschreiben kann.

Mit einem Koffer Bücher in Sibirien

Ich hänge noch immer an der selfie-shielfie-Geschichte. Manchmal verursachen solche kleinen Dinge Assoziationslawinen.
Aber vorab, ich habe noch einmal ein bisschen recherchiert. Die Autorin des Blogartikels, Antiprodukt, ist so alt wie meine Tochter. Was sie schreibt, ist sehr ok. als Auseinandersetzung mit dem, was sie sieht. Meine Tochter und ich sind sehr oft anderer Meinung. Das hat auch so zu sein. Ich bin länger auf der Welt als sie, habe mehr erlebt und sie hat sie Chance, Dinge ganz anders sehen, weil sie von so etwas nicht belastet ist.
Außerdem erinnere ich mich auch noch ganz gut an meine Zeiten als Anfangs- und Mittzwanzigerin. In der Umgebung, in der ich mich aufhielt, war es der Normalfall, dass ich die Jüngste, Unerfahrenste, Unetablierteste und Naivste war. Klassismustheorien standen mir damals leider nicht zur Entlastung zur Verfügung. Ich fand die Leute, die mir über den Mund fuhren, weil ich etwas nicht richtig formuliert hatte, einfach nur blöd und mein inneres Mantra lautete: „Man trifft sich immer zweimal!“. Das Leben schickte mir einfach die richtigen Sparringspartner vorbei, die meinen Widerstand und meine Energie weckten, aus dieser Situation rauszukommen. Es gab nicht allzu viel Bonus und Chance, sich zu bewähren, denn die Kulturbranche wartet nicht auf einen, vor allem, wenn man dort niemanden kennt und ich war damals, in den Jahren am Theater, auch zu zaghaft unter diesen ganzen Selbstdarstellern. Das Studium, das ich mit 24 antrat, war meine große Spielwiese, Blödsinn zu tun und zu lernen. Nicht gerne übrigens. Ich war von der ganzen Leserei extrem genervt, weil ich lieber las, worauf ich Lust hatte, als das, was ich sollte. (und auch lieber weiter Geld verdient hätte) Aber da mußte wollte ich durch.
Unter einem Wust an Wissens-Schrott gab es Perlen, wie den gestern angeführten Bachtin-Text. Es gibt solche Leuchttürme, die einem sehr universell helfen, Dinge, die um einen herum passieren, zu begreifen (jede Generation, jede Fachrichtung und jeder Mensch hat andere und keiner muss sich schämen, wenn vermeintlich Triviales darunter ist, es geht um das Echo in uns). Meine waren Bachtin, Elias, Sennett, Horney, Hegel, Müller, Shakespeare.
Ja, Bücher. Entweder in meinem Bücherregal oder in öffentlichen Bibliotheken, mittlerweile auch auf dem Reader und im Netz (ich habe die Shakespeare-Folios doch nicht zu Hause stehen). Das fällt mir in dem „Wäh, diese arroganten Leute, die ihre Bücherregale fotografieren!“ ein bisschen hinten runter. Bücher, das sind Stimmen von Menschen. Das sind Menschen, die dich an ihrem Wissen und ihrer Phantasie teilhaben lassen. Menschen, die lange daran gearbeitet haben, ihre manchmal hochkomplexen Gedanken anderen zu vermitteln.
Es gibt zwar Situationen, in denen einem (natürlich kulturell determiniertes) Wissen und Belesenheit sehr wenig hilft, aber es hat noch keinem geschadet. Was man im Kopf trägt, ist der Schatz, den man überall mit hinnehmen kann. Wenn dann noch Adaptions- und Lernfähigkeit plus Aufmerksamkeit dazukommen, kann man auch durch die Hölle und zurück gehen. Anders wird es schwierig, da müssen die Attitüde und Aggression viel ersetzen.*

Und da bin ich wieder bei Bachtin. Der Leningrader Literaturwissenschaftler, der in seinem Arbeitszirkel Gedanken über Bücher äußerte, die dem Staat zu abgehoben und bedrohlich erschienen, wurde nach Sibirien verbannt und erhielt Berufsverbot. Stalin hasste Intellektuelle, obwohl er selbst gern einer gewesen wäre, alles was ihm überlegen war und sich ihm nicht offensichtlich unterwarf, vernichtete er mit einem Handschlag.**
Trotzdem sind die sibirischen Jahre, in denen Bachtin als Buchhalter arbeitete, die produktivsten, in denen schuf er sein luzides Werk. Die Schwierigkeiten seiner Verbannung, das Abgeschnittensein halfen ihm  sogar bei der Konzentration auf das Wesentliche, auf die wenigen Quellentexte. Rabelais‘ Gargantua und Pantagruel waren alte Schwarten, die keinen interessierten und die schon gar keine konterrevolutionären Inhalte hatten. Französische Romane gab es in der Leihbibliothek und waren Weiberkram. Austausch? Hackereien unter Wissenschaftlern? Sich verbiegen vor der Staatsmacht? Vorbei, man musste aufpassen, dass einem nicht die Zehen abfrieren und konnte denken und schreiben, was man wollte.

Fazit: Sag niemand was gegen den selbstbewußten Besitz von Bücherregalen oder der Vefügung über anderweitig gespeichertes Wissen. Es sind Leute für Wissen und den Besitz der falschen Bücher umgebracht worden und nicht nur im Science-Fiction-Roman.

* „Dummheit und Stolz wachsen auf einem Holz“, heißt es. Dummheit, definiert ein Bekannter von mir, ist Abwesenheit von Urteilsvermögen.
** Da finge der nächste Määnderbogen an. Stalin, Marr, die Linguistikbriefe und die Sprache der neuen, klassenlosen Gesellschaft. Klassismus? Rigide Sprachregelungen, die der Weltveränderung dienen sollen? Das ist überhaupt nichts Neues.