10 Gründe, nicht Schauspielerin zu werden

Ein Rant von Josephine, veröffentlicht auf ihrem Theaterblog und ihrem privaten. Ich habe tiefes Verständnis für die Wut ihres Textes. Vielleicht schafft sie es, einen Frieden mit sich und diesem Beruf zu machen.
Denn es lohnt sich nicht. Schauspielerin ist der meist überschätzte Beruf, den ich kenne.
Vorangeschickt: Der nachfolgende Text enthält wenig positiv verpackte klare, aus der Erfahrung gewonnene Fakten, bezieht sich auf keine konkrete Person und gilt in geringfügigen Variationen auch für Männer.
Nebenbei: Ich weiß sehr genau, wovon ich rede.

  1. Lookism ist die Essenz des Schauspielerinnenberufes*. Eine Schauspielerin ist (auch) Skulptur, ihr Körper ihr Instrument. Es heißt nicht umsonst Zuschauer, ihr Beruf ist es, gesehen zu werden.
    Sie ist Projektionsfläche für die Träume des Publikums. Träume sind sehr uniform, bestätigen kulturelle Stereotypen und handeln in der Regel von nicht alltäglichen Personen, die einem Ideal entsprechen und überhöht sind.
  2. Die Auswahlmechanismen staatlicher Schauspielschulen spiegeln die personellen Strukturen des Storytellings wider, diese wiederum sind ein Spiegel unserer Gesellschaft  Es werden 60-75% Rollen für Männer geschrieben, die verbliebenen Frauenrollen sind zu 80% unter 35 Jahren alt und entsprechen dem aktuellen Schönheitsideal. Unsere Kultur erzählt Geschichten von männlichen Helden und attraktiven Frauen, die gerettet und erobert werden.
  3. In der Aufnahmeprüfung gesagt zu bekommen, man entspräche nicht den gängigen Erwartungen an Äußerlichkeit ist nur der Anfang, besonders an dieser Schule, deren Absolventen eine fast 100%ige Jobchance haben. (Wo kommt die denn sonst her?) Für alle, ob hässlich oder hübsch, dünn oder dick, laut oder leise, schnell oder langsam, gilt: Sie werden Dinge hören, die ihnen ein dickes Fell verschaffen oder sie werden aufgeben. Denn sie tragen in Zukunft ihre Haut zu Markte. Besser, sie ist eine Rüstung.
  4. Es gibt sie, die nicht schönheitsnormgerechten Frauen an Schauspielschulen. Sogar verdammt gute. Es werden nur keine Rollen für sie geschrieben. Leider.
    Trotzdem sind erfolgreiche Schauspielerinnen in Europa nicht ideal schön. (Im Gegensatz zu den operierten Amerikanerinnen.)  Sie entschuldigen und schämen sich nur nicht dafür. Hadern mit sich im stillen Kämmerlein ist erlaubt, das machen wir alle.
  5. Ist es wirklich sinnvoll, ein hammerhartes Spezialistinnenstudium zu absolvieren (denn ein Schauspielstudium qualifiziert für wenig anderes), im Wissen um geringen Verdienst, schwierige Jobchancen und Marktbedingungen? Was die Bewerber in den Aufnahmeprüfungen erleben, setzt sich im Arbeitsleben fort: 500 bis 800 Leute, die um einen befristeten Job konkurrieren, der selten Entwicklungschancen verspricht.
  6. Wer sich in diese Welt begibt, muss entweder verdammt gut mit sich selber klarkommen oder aber den harten Weg lieben. Meist letzteres. Das ist das Tragische. Die Unvergessenen sind die, die ihr Herzblut gaben. Die guten Technikerinnen sind bei weitem nicht so interessant, man goutiert ihre Virtuosität, aber sie lassen kalt. Bigger than life zu sein, kostet Seele.
  7. Wer Schauspielerin werden will, um sich selbst auszudrücken, anerkannt oder wohlwollend betrachtet zu werden, ist auf dem Holzweg. Das ist ein Prozent dieses Knochenjobs.
  8. Wie sinnvoll ist es, Jahre um einen Studienplatz zu kämpfen, dessen Absolventinnen im Alter von 35 zu 80% aus dem Beruf ausgeschieden sind? (Dies gilt für Frauen und „unmännliche“ Männer.)
  9. Ist es wirklich so toll, zu machen, was andere sagen? Ich finde nicht. Die Weisungsgebundenheit von Schauspielerinnen hat Sub-Dimensionen.
  10. Die Genugtuung, mit dieser Ausbildung irgend jemandem etwas zu beweisen, geliebt zu werden, sich selbst zu heilen, den hungrigen Narzissmus satt zu bekommen, ist nicht nachhaltig. Das schafft eine gute Therapie besser.

Gestern Abend vergaß ich den optimistischen Ausblick. Wenn sie es geschafft haben, dürfen Sie dann das machen:

Diese Frau ist einmal durch die Hölle gegangen und zurück.

* Seien wir mal ehrlich: Brad Pitt, George Clooney, dieser Mr. Cumerbatch oder wer auch immer werden sicher nicht wegen ihrer überragenden Schauspielkunst geschätzt. Lookism? Aber hallo, meine Damen!

Nachtrag einen Tag später.
Filmempfehlungen vor Beginn des Studiums wären: „Salut l’artiste“, die Anfangsszene von „Tootsie“ und „A Chorus Line“