Der Graf hatte mit seiner Idee, doch noch weiter in Richtung Osten zu reisen, sehr recht. Wir landeten in Opatowek unweit von Kalisz. Das ist wirtschaftlich prosperierendes Polen. Kilometerweit ziehen sich Gewächshäuser mit Gemüse und Blumen hin, dazwischen sitzen mittelständische Firmen.
Der Palac Tlokinia ist ein Gründerzeitpalais mit Park inmitten dieser sehr zersiedelten Landschaft, das von einem bürgerlichen polnischen Ehepaar vor dem ersten Weltkrieg gebaut wurde. Viel Glück hatten die beiden nicht, denn der Mann starb vor dem zweiten Weltkrieg und die Frau musste sich nach 1945 200km entfernt niederlassen, sie lebte noch bis in die 70er, aber ihre Spur verliert sich in Breslau. Der Palast verfiel zur Ruine und wurde vor einigen Jahren von einem ortsansässigen Unternehmer wieder aufgebaut, der zumindest Erde von dem Friedhof, auf dem die Witwe vermutlich liegt, in ein Grab im Park legte.
In den Räumen finden sich großformatig abgezogene Fotos des Ehepaars und seiner Besucher und Verwandten. Bei der Jagd, beim Skifahren, beim Tennisspielen, beim Tontaubenschießen, beim Teetrinken. Leider sind die Informationen, die wir fanden, lückenhaft und schwer verständlich. Weder ist zu erfahren, wovon Zofia und Ignac Chrystowski lebten, noch weiß man, was der Witwe in der deutschen Besatzungszeit geschah. (In Opatowek ist der Ursprung der nationalpolnischen Bewegung der zweiten Republik und das Paar sieht sehr jüdisch aus. Ein weites Feld für Spekulationen.)
Man kann auch trefflich über die Motivation des Unternehmers spekukulieren, das Leben einer bürgerlichen polnischen Kapitalistenfamilie wieder auferstehen zu lassen. Identitätssuche?
Nun ist das Haus wieder pikobello in Ordnung und um einen riesigen Festpavillion ergänzt, in dem, als wir ankamen, eine zünftige polnische Hochzeitsparty stattfand. Eine Band spielte Polka und Polonaise, die Damen trugen waffenscheinpflichtige Kleidung mit turmhohen Schuhen und die Kinder hatten feine Kleider an und einen Riesenspaß. Der Blumenschmuck – weiße Gladiolen und Rosen – war in riesigen Gestecken kübelweise über das ganze Anwesen verteilt. Grund genug, sich eine Rose zu klauen, das bringt sicher Glück.
Wir logierten allein im Kontorgebäude und hatten ein hinreißend eingerichtetes kleines Zimmer. Kitsch as Kitsch can:
Rechts oben im Bild die weiße Rose, für die ich aus einer kleinen Mineralwasserflasche eine Reisevase gebaut hatte. Die Möbel stammen samt und sonders aus Italien, sind aus schwerem und massivem Holz, sehen aus wie aus altväterlichen Zeiten und müssen schlichtweg ein Vermögen gekostet haben. Das Bett übrigens das erste echt französische – also ohne Ritze – auf dieser Reise.
Wir dinierten allein im oberen Salon, assistiert von zwei Kellner-Lehrlingen, die sich ganz furchtbar Mühe gaben. Meine Rote-Bete-Suppe mit Sahne gab eine unglaublich gute Harmonie mit meinem grauen Kleid. Was der Graf fotografierte, ich aber nicht getwittert haben wollte, weil: „Wääh! Auf dem Foto hab ich ne Knollennase!“ Zicken? Kann ich.
Unser einsames Diner erinnerte mich an einen der schönsten Urlaube in meiner Kindheit, im Jagdschloß Speck, in der Nähe der Müritz. Der Großvater konnte nicht der Belegung gemäß Urlaub bekommen (ein Wochenende alle 14 Tage war für die Angestellten frei, Samstag war Abreise und erst Montag wieder Anreise) und wir waren in dem Schloss mit Pool und See allein und aßen zu viert im riesigen Saal. Ich habe mich lange Jahre im Gedränge und der unkomfortablen Enge anderer Ferienmöglichkeiten mit Wehmut an diese zwei Tage zurückerinnert.
Die Nacht im Bett mit dem Amor war kuschlig und ruhig und am Morgen fuhren wir nach einer Runde durch den Schlosspark nach Kalisz, bevor wir ins Riesengebirge abbogen. Schon im Schlosspark begann es zu regnen und der Gedanke, im strömenden Regen durch eine Stadt, zu laufen, die außer Häusern und leeren Geschäften (das Einzelhändlersterben um den Marktplatz hatte zugeschlagen) nicht viel zu bieten hatte, beflügelte mich nicht sehr. Einzig ein großer Antiquitätenladen hatte Anziehungskraft. Hier sahen wir schöne Stücke zu akzeptablen Preisen, wie sie nah an der Grenze schon längst ausverkauft sind. Der Graf fand einen hübschen Römer, der den vor einem Jahr von mir zerschlagenen ersetzen konnte und weiter ging es in Richtung Südosten, ins Gebirge, weg vom flachen, kornbestandenen Großpolen.