Young, white, male. Noch Fragen?

So, jetzt kommt ein Rant.

Die bei „Geschickt eingefädelt“ angebotenen Rollenmodelle:

  • Die Cosplayer. Spinnert, etwas sonderbar und sich permanent selbst überschätzend. Aber man kommt wohl an ihnen nicht vorbei.
  • Die Sexy Oma – forever raschelbar – doch das funktioniert mit ihr nicht bis zum Ende, sie wird immer strenger und zugeknöpfter und die Jungen ziehen dann doch vorbei.
  • Die Dicke – es wird bestraft, wenn jemand, der nicht normiert ist, sich ins Rampenlicht traut, denn selbst die Plus Size-Models haben in dieser Welt die 38. Bei jemand, die so aussieht und sich traut, wird inszeniert: die kann nix.
  • Die junge Naive – ist schön und sympathisch, hat ehrgeizige Ideen, kommt weit, aber nicht bis ins Ziel, weil sie leider nur eine Frau ist.*
  • Die mit der guten Leistung – das ist das, das Frauen gehörigst tun sollen: sich anstrengen und immer noch besser werden, Leistung bringen. Leider reicht das auch nicht, um zu gewinnen.
  • Dann gibt es da noch den jungen Schwulen – ganz interessant, bringt Abwechslung und Kreativität rein, darf aber natürlich auch nicht gewinnen, wo kämen wir denn da hin!
  • Der Gewinner – ein Klon von Papa, von Papas Gnaden zur Nachfolge bestimmt. Wenn er vielleicht auch handwerklich nicht besser ist als die Frauen, er macht das ja unter einem anderen Vorzeichen, in anderer Mission. Nicht, als Hobby, nein nein, als ernstzunehmener Beruf und natürlich kann deswegen auch nur er die Nachfolge von Papa antreten. Die Frauen dürfen ruhig weiter klein-klein Hobby machen.

Das müde Finale dieser Show ist Deutschland in der Nussschale.
Wahrscheinlich 95 Prozent der HobbynäherInnen Deutschlands sind Frauen. Es gewinnt – Überraschung! – ein Mann. Der kann mit dem Preis, einer Ausbildung an einer Pariser Modeschule wenigstens was anfangen. Denn bei den Frauen weiß man ja, die sind eh nicht abkömmlich, wer soll sich denn in der Zwischenzeit um die Kinder kümmern?
Dazu noch jemand, der in Kreativtechniken versiert ist und der sich in seiner Ausbildung zum Modemanager auch mit Modedesign beschäftigt haben wird, denn das gehört zu den Studieninhalten. Ansonsten – nähen konnte der junge Mann nicht besser als die anderen. Beeindruckend war seine Designerdenke und die hat er im Studium und in Praktika mit Sicherheit bei anderen lernen können.
Ich fand es von Anfang an ziemlich feige von dem Machern, im Cast junge Profis unterzubringen. Genauso feige, wie in einer Talentshow Musicaldarsteller unterzubringen und als kommenden Star zu hypen.
Ich ging davon aus, dass sie keine anderen Männer gefunden hatten. So jemanden gewinnen zu lassen, ist ziemlicher Etikettenschwindel. Warum die das nötig hatten, verstehe ich nicht.
(Und es war so vorhersehbar. Sein schönes Thema verfehlt-Materialschlacht-Kleid stand in den letzten 2 Sendungen im Hintergrund, wenn die Juryentscheidungen verkündet wurden.)

Unterm Strich ist das eine klare Ansage für all die Frauen im Land: Was ihr könnt, ist unterhaltsam und nett, aber letztlich nicht interessant. Es ist possierlich, euch beim Mühegeben zuzusehen, besonders wenn ihr jung seid. Aber den Ruhm machen die Männer unter sich ab.

Ich bin ja mal gespannt, ob sie in der zweiten Staffel, den Arsch in der Hose haben eine mit allen Nähtricks beschlagene Endsechzigerin in den Cast zu holen.

Und noch etwas, das ich gelernt habe: Verarbeite vor der Kamera nie, nie farbigen Duchesse-Satin. Man sieht jeden Fehler.

*Unter Ausklammerung des WoC-Themas, das Faß mache ich jetzt mal nicht auf. Aber Fernsehen ist da in der Regel sehr konservativ.

Einmal rund um „Geschickt eingefädelt“

Nachdem ich mir 3 Folgen der deutschen Adaption von GBSB angeschaut habe, kann ich mir langsam eine Meinung bilden.

Vorangeschickt, es geht mir gar nicht darum, zu bewerten, wie gut oder nicht gut Kandidaten sind. So ein Cast ist so zusammengestellt, dass eine unterhaltsame Geschichte erzählt werden kann und auch beim britische Original wurden selbst vor der Kamera sichtbare Patzer von der Jury „übersehen“ wenn es noch eine Geschichte mit einem Kandidaten zu erzählen gab.
Was ein Sender wie Vox für unterhaltsam hält, das bestimmt die Vorstellung, die er von seiner Zielgruppe hat.

Bei einer ersten Staffel ist das immer ein Risiko. Die BBC hat beim Original in der ersten Staffel zunächst in eine so kleine (wahrscheinlich billige) Location investiert, dass sich die Kamera kaum bewegen konnte, nur 4 Folgen mit 9 Kandidaten (7 Frauen, 2 Männer) produziert und in den ersten Folgen mehrere Kandidaten nach Hause geschickt. Das ist in Deutschland anders, in Berlin findet sich problemlos ein geräumiges Loft, es treten 8 Kandidaten an, davon 3 Männer – erstaunlich, da Hobbynähen in Deutschland eine Frauendomäne* ist.

Die Ausstattung der Location finde ich sehr angenehm. Ich hatte befürchtet, in einem übel überniedlichten Interieur zu landen, ähnlich wie bei Das große Backen, das im Look unfallartig vom dezenten britischen Original abwich.

Die deutsche Jury ist ein wenig komplizierter zusammengestellt als die britische – dort moderiert mit Claudia Winkleman eine in Contest-Shows versierte und bekannte Fernsehjournalistin und ihr sind eine Maßschneiderin und ein Designer als Jury zur Seite gestellt.
In Deutschland moderiert Guido Maria Kretschmer, selbst Modedesigner und etabliert durch Formate wie Shopping Queen, gleichzeitig ist er Jury-Mitglied, ihm zur Seite stehen die Vorsitzende des Verbandes des Schneiderhandwerks und eine weitere Modegestalterin. Ein bisschen designlastig ist die Jury also.
Das wird allerdings dadurch ausgeglichen, dass die handwerkliche Jurorin Inge Szoltysik-Sparrer eine ungeheuer medienpräsente Persönlichkeit ist und klar und unverhandelbar ihre Ansprüche formuliert. Eine echte Entdeckung, ich liebe diese Frau!
Anke Müller als Design-Jurorin hält sich eher im Hintergrund und darf bestätigen oder Stichworte geben, denn das ist ganz eindeutig Kretschmers Show. (Ihr gewöhnungsbedürftiger Fifties-meets-Kinderzimmer-Look hat schon auf Twitter die Spekulation gebracht, sie verkörpere die klassische deutsche DIY-Frau.)

Die Kandidaten sind ein Querschnitt der deutschen Nähszene. Also fast. Es gibt zwei Leute, die aus der recht großen und jungen Cosplayszene kommen. Eine Frau, die schon zu DDR-Zeiten genäht hat, eine junge Frau, die ganz korrekt nach Schnittmustern arbeitet und zwei Nähbloggerinnen. Dazu noch zwei junge Männer, die im weitesten Sinne mit Mode bereits Geld verdienen bzw. eine Ausbildung in der Branche gemacht haben – einer hat ein kleines Label für Vintage-Kleider, der andere Modemanagement studiert und ein Taschen-Label.
Scheinbar gibt es in Deutschland kaum nähende Männer mit genügend Zeit und deshalb sind zwei männliche Fast-Profis dabei… Allerdings kam das englische Original auch mit einem Männer-Frauen-Verhältnis 7/2 aus. (Warum 6/3 in so einem Format nötig sind, vielleicht an der Angst des Senders liegen, dass die mit ihren Frauen auf dem Fernsehsofa sitzenden Männer sonst den „Weiberkram“ ablehnen könnten.
Edit: In den Kommentaren wurde die Vermutung geäußert, man hätte sich an den Briten orientiert, die merkte, dass die Zuschauerinnen unheimlich auf die nähenden Männer abfuhren.)

Auch wenn es offiziell um Hobbyschneiderinnen geht – das Spannungsfeld zwischen deutscher Wertarbeit und Designer-Geniekult geht mir in der Denke zu sehr in Richtung Professionalität.
Daß in Kunst-Castingshows eine große Karriere versprochen und mit dem Plattenvertrag gewinkt wird, ist verständlich. Aber weder in den unzähligen Kochshows noch bei Das Große Backen wird den Kandidaten eine Gastronomen- oder Bäckerkarriere avisiert.
Bei Geschickt eingefädelt wurden im Castingaufruf mit Nur Hobbyschneider, keine Profis! explizit Leute gesucht, die berufsfern sind. Ich finde das nicht ganz sauber.
Ich erinnere mich daran, dass es auch bei Veranstaltungen wie DSDS immer mal Kandidaten gab, die eigentlich schon Profis waren, wenn sie auch erst im Musical als Zweitbesetzung arbeiteten. Klar ist es anstrengend, mit womöglich losenden Laien zu arbeiten. Leute die irgendwie schon in die Branche reingeschnuppert haben, kennen die Codes und wissen, wohin sie ihre Leistung fokussieren müssen. Da stimmt mir die Verabredung der Sendung nicht.
Wo Hobbyschneider drauf steht, sollte auf keinen Fall Jungdesigner drin sein.

Die Aufgaben, die an die deutschen Kandidaten herangetragen werden, sind einfacher als im Original, scheinbar traut man den Kandidaten höhere handwerkliche Fertigkeiten/Leistungen im vorliegenden Drehplan nicht zu. Statt dessen gibt es im zweiten Teil, der als Kreativ-Teil bezeichnet wird, eine lieblose Upcycling-Aufgabe** nach der anderen, die irgendwann dazu führen, dass einige Kandidaten Upcycling so definieren, dass ein Alibi-Fetzen Stoff des Alt-Materials reichen muss, um effektvoll herrliches, sauteures Material meterweise zu verbraten. Was die Jury goutiert.
Die im Original gestellte dritte Aufgabe fehlt ganz. Auch die Animationen, die den Zuschauern erläutern, worin die handwerkliche Aufgabe besteht, fehlen. Als würde man fürchten, die Zuschauer damit zu langweilen.

Im Storytelling bleibt die Show ganz bei Vox-Traditionen, die auch aus „Das perfekte Dinner“ oder „Shopping Queen“ bekannt sind. Die Kandidaten kämpfen gegen die Zeit und mit der Aufgabe und das wird von außen mit ironischen Sprüchen bedacht. Beim Perfekten Dinner passiert das über einen anonymen, nicht personifizierten Off-Kommentar, bei Shopping Queen sitzt Kretschmer in der Green Box und beobachtet und kommentiert.
Die Nähshow geht noch näher an die Kandidaten ran – Kretschmer und zum Teil auch die Juroren kommentieren das Geschehen hinter der Glastür des Ateliers.
Das ist sehr wahrscheinlich gescripted, so was wird seltenst selbst ausgedacht. Dazu werden im Schnitt Sequenzen und Sätze rausgepickt, die die realen Personen der Teilnehmer zu merkfähigen, recht stereotypen Figuren werden lässt.
Ziel ist, ein kleines, voyeuristisches Bündnis mit dem Publikum einzugehen, im Lachen über andere ist man sich einig. Das muss man natürlich mögen.
Das britische Original macht das nicht über die Technik „lustig hinter vorgehaltener Hand lästern“ sondern über mit Kamera und Musik. Es gibt in der ersten und zweiten Staffel zum Beispiel eine fast gleiche mit lustiger Musik unterlegte Kamera-Einstellung eines völlig vernähten Rockes, vorgeführt von einem männlichen Kandidaten, der sich in seinem Können völlig überschätzt.
Sonst wird über ausdruckvolle Gesichter und Gesten erzählt, manchmal auch über Satzfetzen oder Gespräche der Kandidaten untereinander.

Hier unterscheiden sich die Konzepte m.E. um einiges voneinander. Bei der BBC geht es um das Produkt und die Macher (und da war in der ersten Staffel auch der Typ schüchterne graue Maus dabei), bei Vox um merkfähige komische oder sympathische Typen im Kampf mit der Materie, die zufällig diesmal Nähen ist. Aber unironisiert und 100% zu den Kandidaten stehend geht es scheinbar nicht.
Wer sich mit dem Format beschäftigt, sollte sich darüber im Klaren sein, daß die Kandidaten nur Material anbieten. Wie sie dargestellt werden, liegt weitestgehend außerhalb ihrer Kontrolle.
Bisher ist meine Vermutung: je länger jemand im Wettbewerb dabei bleibt, desto weniger holzschnittartig ist er oder sie dargestellt.
Die junge Cosplayerin, die als erstes rausflog, war bunt wie ein Papagei, vom zweiten Cosplayer, der gehen musste, wurde ständig erzählt, dass er so schrecklich schwitzen würde und die Kamera kroch ihm ins über dem Bauch aufsperrende Hemd. Das Best-Ager-Model muß als Sexy Oma herhalten und man filmt ihr auf den Schlüpfer, die runde Autorin ist das klassische Fatshaming-Ziel, der Fifties-Kleiderschneider aus Brandenburg das unsichere Muttersöhnchen.
Einzig drei jungen Leuten im besten werbezielgruppenkompatiblen Alter zwischen 25 und 35 blieb das bisher weitgehend erspart. Das sind scheinen die Heroes zu sein.
Ich bin gespannt, ob das wirklich so ist.
(Edit: Ja, die Vermutung wurde bestätigt, nur noch die jungen Leute sind im Rennen.)

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Edit eine Woche später:
ok. In der nächsten Folge passiert ein kompletter Wechsel der Tonalität. Wir verlassen jetzt die Zone Spott und Häme und menscheln rum. Plötzlich werden die lang erwarteten kleinen Geschichten erzählt, die Teilnehmer werden emotional nahbar und respektvoll dargestellt. Wir erfahren sogar etwas über Nähtechniken.
Ich gehe nicht davon aus, dass die Postproduktion letzte Woche eine Sonderschicht geschoben und die Sendung umgeschnitten hat. Es ist Entertainment. Erst auf die grobe Tour im üblichen Vox-Stil einprägsame Leute vorführen und nun der Endspurt mit viiiiel Emotion und sogar ein wenig Annäherung an das Originalformat.
Ist das abgefuckt. Es kostet ja nix. Da wird ja nur ein Unternehmensberater als schwitziger verdallerter Depp dargestellt, eine mitten im Leben stehende Mutter, Oma und arbeitende Frau als Sexobjekt und eine erfolgreiche Autorin als inkompetentes Trampel.
Wer sich für das kurzzeitig schon ausgeschriebene Casting für die nächste Staffel bewirbt, weiß, wer nicht normgerecht und jung ist, ist ohnehin nur Kamerafutter für die nächste Hämenummer. (Das vor dem Hintergrund, dass gerade ältere und nicht in Konfektion passende Frauen verdammt gut nähen können und den „Wettbewerb“ auf ein höheres Niveau gebracht hätten.)
Der junge Brandenburger, den ich übrigens interessant und sehr kreativ finde, geht mit dem Banner „möchte ein Modelabel gründen“ – das er schon vor den Dreharbeiten hatte. Das Internet vergisst leider nichts.
Ich weiß gar nicht, warum ich mich so aufrege. Das ist die Erzähltechnik dieser Shows.
Vielleicht, weil ich diesmal auf der anderen Seite stand, weil die Leute diesmal für mich nicht die anonymen Nummern waren, die man durchs Casting schleust. Weil es diesmal nicht um Halbasis ging, für die die Teilnahme in einer Freakshow wahrscheinlich das Erlebnis ihres Lebens ist. Weil es nicht eine Woche Arbeitsaufwand war, wie bei „Das perfekte Diner“, sondern wesentlich mehr Zeit geblockt werden musste. Weil die englische Vorlage so großartig war und ich deshalb hohe Erwartungen hatte. Weil die Atmosphäre unter den Nähnerds so anders ist.

Und das Fazit zum Finale ist ein Rant.

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Drumherum finde ich sehr interessant, dass in den sozialen Medien die Zuschauerinnen sofort auf die Produkte anspringen – „Welche Bügelstation, welche Nähmaschine, welche Stoffe?“
Die Hersteller der Produkte scheinen ob dessen ungerührt und fangen den Impuls nicht auf, sondern spulen ihren Monate vorher festgelegten Social-Media-Plan ab. Oder irre ich mich?
Nächstes Phänomen: Trotz passabler Quoten sind die Facebookseiten zur Sendung nicht sehr frequentiert. Die Zuschauer scheint nicht so wahnsinnig Facebook-affin zu sein. Das hätte ich nicht erwartet.

So, das waren erst einmal jede Menge Spekulationen und Medienkritik Genörgel. In anderthalb Stunden beginnt die nächste Sendung. Ich bin gespannt.

BTW. Nach einem sonntagabendlichen Streitgespräch mit dem Grafen über die Sendung hat er gestern diesen Artikel zum Thema geschrieben.

Weitere Blogposts zur Sendung gibt es von
Muriel in Nahtzugabe 5 cm
Mädchen für alles
Claudine in Holyfruitsalad

*Ausnahme ist Outdoor- und Cosplayausrüstung, da gibt es viele Männer.

** also aus Alt und Doof mach Neu und Schick unter Schonung von Ressourcen