Fünf Jahre

und einen Tag ist es her, dass meine Großmutter gestorben ist. Seitdem hat die Familie und mein Herz keinen Kapitän mehr. Mit höherem Rang: Familienadmiral habe ich sie immer genannt. Sie kommandierte uns hartköpfige, schweigsame Dickschiffe durch die Zeit.
Als ihr baldiger Tod Gewissheit wurde, begann bei mir der freie Fall. Der Gedanke, die Zuflucht in dem kleinen Gästezimmer in ihrem Haus nicht mehr als Option zu haben (auch wenn ich nie dort hin gegangen wäre), riss mir den Boden unter den Füßen weg. Ich weiß nicht, was es war, in meinem Gefühl war sie diejenige, die etwas in sich vereinte, was ich sehr schätze und teile und bei meinen Eltern nicht fand: Lebenslust, Genussfähigkeit, Angstfreiheit, Haltung und klaglose Akzeptanz von Dingen, die nicht zu ändern sind.
Seitdem hat sich mein Leben um und um gewendet.
Im Sommer 2008 saß ich wie versteinert an meinem Schreibtisch und starrte aus dem Fenster. Alles andere lief irgendwie nebenbei, ich funktionierte und fühlte nichts mehr, keinen Schmerz, keinen Ärger, keine Erschöpfung und keine Freude. Ich vergaß alles, wenn überhaupt etwas bei mir ankam. Irgendeine Notfall-Einheit in mir bewegte mich wie eine Schauspielerin durch mein Leben. Ich spielte abwechselnd die nette und toughe Freundin von …, die erfolgreiche Selbständige, die attraktive und sportliche Frau … name it. Außerhalb dieser Scharade war ich ein schockerstarrtes gealtertes Kind, das sich hinter dem Schrank verkrochen hatte. Als Mutter trat ich in einer unrühmlichen Nebenrolle auf, nicht als verständig Zuhörende, sondern als die, die nur den Satz sagt: „Wenn du dein Studium schmeißt, suchst du dir einen Job, ist doch wohl klar oder wovon willst du die Miete bezahlen?“
Die darauf folgenden Jahre sind bekannt. Mentaler Voll-Last-Betrieb, Breakdown, Dekompensation und seit drei Jahren Aufbau mit Rückschlägen und Ankunft in völlig neuen Gefilden.

Und ich sehe immer mehr aus wie sie.