Nach dieser mysteriösen „eigentlich wollen wir keine Gäste, zumindest euch nicht“-Geschichte in Tarce fuhren wir weiter in Richtung Ostrow Wielkopolski und Kepno.
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Das in einem dichten Wald mit Seen gelegene Schloss Antonin (Palac Mysliwski Antonin) ist eine Rarität. Es heißt es sei einer der wenigen avantgardistischen Schinkel-Entwürfe, der verwirklicht worden ist. Ein hohes, kreuzförmiges holzverkleidetes Gebäude, fast ein Wohnturm, dessen Zentrum ein Gemeinschaftsraum mit einem drei Stockwerke hohen Ofen ist.
Der Graf war schon einmal da, die Zimmer sind schlicht und klein, aber das Ganze ist wunderschön. (Im übrigen, unweit von hier war lange Jahre die Grenze zum Zarenreich.)
Als wir durch den Wald hinfuhren, wo an den Straßenrändern Leute Gläser mit frischgepflückten Blaubeeren und Zeitungsseiten voll Pfifferlinge feilboten, sprang bei Miz Kitty wieder der Kopffilm an. Rehe, Hasen und Fasane, die abhängen, die Hunde bellen, im Garten des Verwalterhauses wachsen Kräuter, aus dem Dorf nebenan kommen Gurken, Zwiebeln, Rote Bete, Speck, Milch, Dickmilch und Sahne. Dazu hat der Keller Bier und Wein. Man tafelt bis spät in die Nacht, im Sommer draußen am See, umsirrt von Mücken (viele!, grosse! Mücken), im Winter, eingeschneit, sitzt man am großen Ofen. Die Herren trinken Wodka und erzählen von der Jagd und die Damen bewundern sie gebührend.
Nur leider, was das Gerüst auf dem Foto des Grafen schon zeigt:
Geschlossen wegen Remont bis zum Herbst.
Da hatten wir dann doch ein klitzekleines Problem. Im Park in der Sonne sitzend und die Mücken verscheuchend fischten wir zum zweiten Mal am Tage Reste von Datennetz aus der Luft, um zu schauen, wo es hingeht. Ich wollte nach Westen, der Graf nach Osten und er fand tatsächlich ein weiteres Kleinod, den Palac Tlokinia bei Opatowek, was nun wirklich dereinst Rußland und später Sitz riesiger polnischer Spinnereien war.
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Miz Kitty reist mit dem Grafen – Pałac Tarce, Großpolen
Bevor wir zum Pałac Tarce weiterzogen, wollten wir uns gestern noch kurz das Napoleon- und Star-Wars-Museum zu Gemüte ziehen, das dem Gutshaus von Witaszyce angegliedert war und sich als „Museum der zwei Imperien“ nannte. Wie es sich herausstellte, was das wohl das Privatvergnügen des Chefs (Napoleon) und seiner Freundin (Star Wars). Es war …schräg. Im Kohlenkeller eines Nebenhauses waren alle erdenklichen Star Wars-Devotionalien zu sehen, dazu handgebastelte Dioramen von Film-Szenen. Im ersten Stock stellte man alles gesammelte über Napoelon, polnische Ulanen und die Koalitionskriege aus, inclusive zweier großer Schlachten-Dioramen. Der gute Mann, der das alles zusammengestellt hatte, machte eine Führung auf Polnisch mit einigen anderen Interessenten und um auf dem riesigen Tableau besser zeigen zu können was er meinte, nahm er sich einen der Säbel zum zeigen und rumfuchteln. Wir hatten genug gesehen und suchten besser das Weite.
Pałac Tarce
Wir hatten schon am Tag vorher eine kurze Fahrt über die Dörfer gemacht und das schnieke Kontrastprogramm zu unserer aktuellen und eher etwas rustikalen Unterkunft besichtigt. 8 km weiter, näher an Jarocin gelegen, hatte jemand ein anderes Gutshaus, den Pałac Tarce, ganz neu wieder hergerichtet. Man zeigte uns ein hübsches Zimmer mit einer Sitzecke im Türmchen und Booking.com versprach dem Grafen sogar einen Last-Minute-Rabatt, hier wollten wir zwei Tage bleiben. Wir sagten, besser bedeuteten der jungen Dame, die hier alles tat, Wein servieren, die Rezeption vertreten, ein freies Zimmer zeigen, dass das Zimmer prima wäre und wir am nächsten Tag anreisen würden. Sie verstand zwar weder Deutsch noch Englisch, aber schien zu verstehen und packte uns noch jede Menge Hochglanzprospekte ein.
Ich phantasierte bei der Fahrt zurück über diese um die letzte Jahrhundertwende gebauten Palais, die allesamt an der Gartenfront drei ineinander übergehende riesige Festsäle mit Marmorboden hatten. Da man sich sicher dort am Ende der Welt langweilte, weil man denjenigen, die den Reichtum erarbeiteten, auf die Finger schauen musste und deshalb nicht in der Hauptstadt wohnen konnte, verlegte man sich aufs Feiern. Ich sah Kuschen und Pferdeschlitten mit angeschickerten, gutgekleideten Damen und Herren hin- und herfahren…
Als wir dann gestern mittag im Pałac Tarce eintrafen, stand eine andere junge Dame da und meinte, es sei leider alles ausgebucht. Zuerst dachten wir uns, ok., ein Verständigungsproblem und meinten: Ja kann schon sein, weil wir gestern gebucht hatten. Aber nachdem sie uns zweimal sagte, sie könne uns gern die Adresse des Hotels in Jarocin sagen und man nähme ohnehin nur Leute, die 7 Tage blieben (einfaches Polnisch verstehe ich zumindest in Grundzügen), zogen wir ab, weil uns das zu blöd war. Im Auto schauten wir noch mal nach. Booking offenbarte für den Pałac Tarce noch immer den Last-Minute-Rabatt und auch Eintagesbuchungen. Wenn wir jetzt online gebucht hätten, hätten wir wieder grinsend retour marschieren können. Aber wahrscheinlich hätte man uns dann in der Besenkammer geparkt und ausgesucht ignorant behandelt.
Keine Ahnung, was da los war. Ob das Haus vielleicht ein reines Abschreibungsobjekt ist, denn es gehört scheinbar einer Fischfabrik namens Rybhand. Oder ob das die Entscheidungsängstlichkeit von Personal ist, das irgendwann mal angebellt wurde „Wir nehmen niemand mehr unter 7 Tagen Buchung!“
Also schickten wir ein herzhaftes „Fuck You“ über den englischen Rasen des Parks und fuhren wir zur nächsten geplanten Station.
Miz Kitty reist mit dem Grafen – Witasczyce, Großpolen
Heute morgen brachen wir in Ryzyna auf, während zeitgleich eine Hochzeitsgesellschaft eintrudelte. Gestern wurde bereits der große Ballsaal gerichtet, wie wir bei unseren Erkundungen sahen.
Wir fuhren diesmal eine entspannte Strecke zum nächsten Ziel, schlicht die Fernverkehrsstraße entlang, ohne Irrfahrten über die Dörfer. Wir hielten einmal kurz, um eine Klosterkirche anzuschauen, und dann ging es weiter. Was auffiel: Polen prosperiert. Überall neue Straßen und nagelneue Einfamilienhäuser. Voriges Jahr in Niederschlesien schien bei weitem nicht so. Die Frage ist, ob das ein allgemeines Wachstum des letzten Jahres ist oder speziell Großpolen betrifft, wo die Bevölkerung seit Generationen ansässig ist und nicht wie in Schlesien aus armen und ungelittenen Polen besteht, die dorthin in die Häuser der Deutschen verpflanzt und lange Zeit nicht richtig heimisch wurden.
Die Fahrt über Land erinnerte mich an den Aufbau Ost in Sachsen-Anhalt in den späten 90ern. Neue Gehwege, Autos, Straßenbeleuchtungen, Denkmalrestaurierungen, Häuser etc. Erst kommen die Baumarktsanierungen der Hausbesitzer, ein paar Jahre später die Häuslebauer auf der grünen Wiese, flankiert von Möbelmärkten in Scheunen und alten Kaufhallen.
Waren es voriges Jahr im Hirschberger Tal pro Ort nur ein oder zwei „Biznesmeni“, die sich ein Haus mit Säulen am Eingang und einen schmiedeeisernen Zaun mit Steinpfeilern hinbauten, sind es diesem Jahr und in Großpolen viele.
Komisch ist, dass gerade in den Boomgegenden keine sichtbare Industrie vorhanden scheint. Die ist in Ecken, die wesentlich bescheidener daherkommen. Ist die Verwaltung und der öffentliche Dienst erst einmal schneller am Geldtopf?
In Jarocyn bzw. Witaszyce, wo wir letztlich abstiegen, sind eine Ziegelei, eine Stahl- und eine Zuckerfabrik und der Laden, der garantiert, dass wir in Berlin auch morgen noch kräftig grillen können. Die Leute wohnen trotzdem bescheidener. Das ist sonderbar.
Das Gutshaus in Witaszyce ist ein sonderbarer Stilmix, mal kommt es barock, mal klassizistisch daher und im Grunde ist es sicher zu Geld gekommene Gründerzeit. Der Gutshof wird von der Straße zwischen Katowice und Poznan durchschnitten, auf der anderen Seite liegen noch die Kirche, Personalgebäude und der Pferdestall. Die Wände sind meterdick, überall gibts ionische Säulen (die muss es hier mal im Dutzend billiger gegeben haben) und im Garten steht ein Panzerwagen (SPW 70???)
und daneben der Eingang zu einem Atombunker
und eine Gulaschkanone hat sich in die Büsche geschlagen. Im Nebenhaus gibt es ein Museum mit Dioramen zu den Napoleonischen Kriegen. Hier hatte wohl mal ein militärbegeisterter, etwas paranoider Funktionär das Sagen.
Unser Zimmer ist gar fürchterlich repräsentativ und stilvoll
aber leider auch fürchterlich dunkel und ziemlich straßenlaut, denn die Herrschaften wollten früher schließlich auf den riesigen Balkon treten und den Überblick haben, wer gerade geritten kommt. Außerdem bin ich jetzt endgültig von dem Gedanken geheilt, dass dunkle Wände toll sind. Sobald die Sonne weg ist, machen sie nur depressiv.
Unten tobt eine Geburtstagsgesellschaft und man hatte uns das Essen auf das Zimmer gebracht, Schweinsgebratenes mit Pilzen und Zwiebeln, dazu Kartoffelbrei und Gemüse. Sehr lecker.
Morgen ziehen wir nach Besichtigung des Museums weiter und machen dann das Schnösel-Kontrastprogramm im neusanieren Gutshaus zwei Dörfer weiter.
Miz Kitty reist mit dem Grafen – Schloss Rydzyna, Großpolen
In der alten Burg an den Seen blieben wir nur eine Nacht. Erstens wollten wir noch andere Locations sehen. Zweitens hat eine Mittelalterfestung nicht so den Wohnwert. In Zeiten, wo man meterdicke Mauern mit Fensterschlitzen turmhoch auf Berge häufte, um zu verhindern, überfallen zu werden und Menschen draußen Eisenklamotten trugen, um zu überleben, war entspannte Gemütlichkeit ein Fremdwort. Drittens war Lagow ein typisch polnischer Massen-Urlaubsort: Viele Bierkneipen, viele Schnauzbärte und Frauen mit laminierten Fingernägeln. Am Wochenende drohte außerdem ein Bikertreffen.
Wir fuhren also nach Südosten, in Richtung Grosspolen, nach Rydzyna, wo das größte polnische Barockschloß seht. Irgendwie verfransten wir und auf den Straßen in Richtung Baby Most und landeten auf einer Straße, die vom Ort Świebodzin wegführt und waren plötzlich in Las Vegas. Die eine Perspektive war diese:
Und die andere diese:
Netz-Informationen besagen, man wollte die welthöchste Christusstatue bauen. (Ok., ich könnte jetzt ein klein wenig spitz werden und daran erinnern, dass man auch bei fettestem Nebel auf einem russischen Flugplatz mit inkompatiblem Landepeilsystem ankommen wollte.) Aber der Heiland sieht sehr gelungen aus und man hat es hier mit der Religion. Jeden Nachmittag stehen Leute vor den Kirchen und warten auf die Messe und die Botschaft wird mit Lautsprechern nach draussen übertragen für die, die sich lieber draußen auf dem Parkplatz unterhalten wollen. Und hier ist die Website des, ähem, Herren.
Schloss Rydzyna, das wir nach endloser Gondelei über die Dörfer (es hat hier sehr viel Gegend) am Nachmittag erreichten, ist riesig und hat eine spannende Geschichte. Im Besitz eines polnischen Königs – Bildungsanstalt – Napola – Ruine – Sitz des Polnischen Ingenieurs- und Technikerbundes. Man muss wissen, das ist hier the middle of nowhere. Keine Ahnung, warum es dieser Riesenkasten zum politischen und kulturellen Zentrum Grosspolens mit Theater und Eliteschule geschafft hat. Viel Original ist nicht mehr übrig, denn das Gebäude wurde erst in den 70er Jahren wiederhergestellt, nachdem die Sowjetarmee es 1945 angezündet hatten. Aber wir schlichen heute der Putzfrau hinterher in wunderschön und pompös ausgestattete Säle. Ansonsten ist das alles ziemlich aus der Zeit. Man stelle sich den Palast der Republik vor, in dem nur noch ein paar Leute Dienst tun. So ist das hier, ein Mix aus Sozialismus mit westlichem Schick, absolut nicht proletarisch, sondern eher gebildet-intellektuell, aber ästhetisch unbedarft (Techniker und Ingenieure eben). Eine riesige Location, aus der sich viel machen ließe, aber jammerschade, wenn dann in ein 10 qm-Bad die winzigste Acryldusche eingebaut wird, die der Baumarkt hergibt und sämtliche Ablagen fehlen. Es müssen drei oder vier Zimmer der knapp 50 vermietet sein, mehr nicht. Wir haben ein großes Gemach unter dem Dach bekommen, das genau die Blickachse auf die klassizistischen Wirtschaftsgebäude bietet und ein Fensterbrett in Mauerbreite hat (also 1,50m), auf dem ich gestern schon saß und noch einen Reissverschluß ins graue Kleid nähte. Ich liebe es, auf breiten Fensterbrettern zu sitzen, das habe ich schon in Uromas jahrhundertealtem Haus gemacht. WiFi gibt es dort leider nur auf dem Flur an einer riesigen Couchgarnitur, aber diesmal wollten wir das Zimmer nicht downgraden, wir sind eh mit einem älteren Ehepaar die einzigen auf der Etage, die aus vier je 40 Meter langen Gängen besteht. Und die Betten, nun ja, sie stehen zusammen, sind aber federleicht, ich bin heute nach fast durchgerutscht, weil sie auseinanderdrifteten.
Über unserem Zimmer liegt das Kabinett des Dr. No, das einen Eindruck davon gibt, was hier abgegangen sein muss, als das Schloss noch Tagungs-, Erholungs- und Weiterbildungsstätte der polnischen Ingenieure war. – Zu sehen beim Grafen.
Ansonsten segele ich gerade tief in die Entspannung und musste nach dem Frühstück erstmal eine Runde schlafen, es regnet sowieso immer wieder und die Erkundungsgänge im Schloß versprechen spannender zu sein als die ins Dorf, da liegt nämlich der Hund begraben.