Liebe Tante Alice!

So ganz kann ich die Geschichte nicht verstehen. Du stellst eine neue Chefredakteurin für deine Zeitung ein und schmeißt sie dann ganz schnell wieder raus. Gut, offiziell darf sie freiwillig gehen.
Die Frau sei überfordert. Sie habe zwei Kinder und einen kranken Vater, sei ohnehinschon wegen dieser Priorität später angetreten und fachlich nicht ganz bei der Sache und das ginge alles nicht.
Als dich ganz Deutschland anfeixte, weil du als führende Feministin dieselben Argumente benutzt hast, mit denen jeder sacktragende Abteilungsleiter Frauen dizzt, also d’accord mit deinem beliebtesten Feindbild warst, bist du umgeschwenkt.
Du hast ausgeführt, daß die Frau fachlich für diesen Job ohnehin nicht geeignet ist, nicht richtig eingearbeitet werden konnte und die vereinte Redaktion dermaßen das kalte Grausen ob der zeitungsmacherischen Unbedarftheit bekam, daß sie die Reißleine zog und dich zu Hilfe rief.
Variante 1 ist sehr macho. Schäm dich.
Variante 2 ist mädchen. Hach, wir verstehn uns so toll und wolln jetzt ein Projekt machen und wir haben auch schon ganz viel drüber geredet und sie trägt auch die selben Schuhe wie ich und wir mögen beide Prosecco auf Eis und laberlaberlaber, kicherkicherkicher. Und im Realitätstest ist irgendwann Zickenkrieg.
Liebe Tante Alice, jetzt reichts. Als ich mir vor Jahren erklären lassen mußte (ja, ich war so naiv!), daß du mit Männern garnix am Hut hast, aber Frauen dahingehend ideologisierst, wie sie mit Männern umzugehen haben, hab ich geschluckt und mir gedacht, ok., das muß wohl so sein. Revolutionäre sind halt immer etwas polarisiert.
Aber scheinbar entwickeln sich alte Lesben irgendwann in die Richtung von alten Männern. klopfen rechthaberisch mit dem Stock auf den Boden, wenn das Mittagessen nicht pünktlich um 12 auf dem Tisch steht und keifen herum, wenn sie jemand beim Angeln stört.

All about Eve

Modeste schrieb unlängt eine schöne, pointierte Geschichte zur Gleichberechtigung.
Ich frage mich manchmal – nach langen Jahren gelebtem, weniger theoretisiertem Feminismus, was wir gewonnen haben.
Wenn ich die Freundin sehe, Ende 50 mittlerweile, die das alles durchexerziert hat, freie Liebe, Ideologielesbe zeitweilen, Abtreibungen, Gebärstreik, Ungebundenheit, jammerts mich. Sie lebt unfreiwillig allein, schreibt -erfolgreich – sentimentale Liebesgeschichten, ist launisch und auf Krawall gebürstet, leidet an psychosomatischen Krankheiten und hat es aufgegeben, je noch einmal einen Mann zu finden. Die alten Kämpen sind weitergezogen. In den mehr oder weniger sicheren Hafen der eheähnlichen Gemeinschaft, zu Jüngeren oft.
Da liegt der Schluß nahe – das Beispiel steht schließlich nicht allein – daß die Freiheiten der letzten 30 Jahre vor allem jungen Frauen nutzen. Denn es hat sich nicht viel geändert, außer daß Barrieren wegefallen sind. Auf den ersten Blick sind es moralische Barrieren. Aber sie sind nur ein Überbau, unter dem regiert nach wie vor die Biologie. Die Marktgesetze haben sich geändert.

Die Menschensuchmaschinen

Seit einiger Zeit sag ich mir, hey, schreib doch mal was über Dating. Jede an- und selbständige Großstadtfrau im besten Alter hat heutzutage ein paar nette Geschichten zu erzählen. Ja, es lassen sich sogar Fernsehserien daraus machen, die in New York spielen.
Vor ein paar Jahren gab es nur Kontaktanzeigen, da war Dating noch kein Millionenmarkt und auch kein Gesellschaftsspiel, sondern immer ein klein bisserl anrüchig.
Da ich an der Uni die Älteste (lotterige Langzeitstudenten gab es im Osten erst Ende der 90er) und auch sonst recht schüchtern war, blieb mir nichts anderes übrig, wenn ich nicht den nächsten Junggesellen im Supermarkt mit meinem Einkaufswagen überfahren und in meine Höhle schleppen wollte. Ich traf mich mit meiner liebsten Komilitonin auf eine Stadtzeitungsannonce, in denen „zwei Freizeitphilosophen zwei kulturell interessierte Grazien zum gemeinsamen Diskurs“ suchten. Und war beim ersten Treff zunächst erstmal sauer, daß sie beim vorausgehenden Telefonat schon eine Vorauswahl getroffen hatte. Den witzigeren und unterhaltsameren der beiden Freizeitphilosophen hatte sie sich schon reserviert. Ich tröstete mich damit, daß er für meinen Geschmack sowieso zu dick war. (Eine meiner Fixierungen, ich gebe es zu: Egal, wieviel ich grade wiege, er muß schlank sein.) Also musterte ich den mir zugedachten Menschen von der Seite und sagte mir 1. Der ist aber um einiges jünger als ich! und 2. Den zieht noch Mutti an.
Während meine Freundin mit dem dicken, witzigen R. innerhalb von 14 Tagen zusammenknallte und wieder auseinanderrauschte – sie wurde darufhin zur Teilzeitlesbe, er schwängerte und heiratete bald darauf ein braves Mädchen aus Kassel – lieferte ich mir mit dem linkischen Banker eine Reihe verklemmter und schüchterner Kino- und Zoobesuche. Ich fragte mich, ob er mich vielleicht nur aus Höflichkeit trifft und weil er grade niemand anders bei der Hand hat, denn von ihm kam nicht das geringste Signal, daß er an mir interessiert wäre. Erst nach einem halben Jahr ging er endlich in die Offensive. Ich hatte ihn eigentlich schon unter „guter Kumpel“ in die Registratur gepackt.
Er hat mir erst sehr viel später erzählt, daß ich noch ein zweites Mal auf eine seiner Anzeigen geschrieben hatte und daß er das als Wink des Schicksals sah. Und da hat er mich dann auf eine Flasche Sekt zu sich nach Hause eingeladen. Er trank (als absoluter Abstinenzler) sogar ein halbes Glas mit.
Der Rest ist eine zehn Jahre lange Geschichte. Er wurde meiner Tochter eine Mischung aus Vater und großem Bruder. Für mich war er Mann und Sohn zugleich. Es war eine sehr schöne Zeit. Bis es irgendwann ausgereizt war. Oder anders formuliert: Bis ich mich darum gedrückt habe, mit ihm in eine schwere Zeit zu gehen, damit wir beide sie Gelegenheit gehabt hätten, aneinander zu wachsen. Er ist nun verheiratet und ist Hausmann und Vater zweier kleiner Mädchen.

Aber das war die Zeit vor den Menschensuchmaschinen. Dazwischen kamen die studentischen Flirtportale, programmiert von pickligen Nerds, die endlich auch mal eine Freundin haben wollten. Da traf ich den, der nun mein bester Freund ist.

Nur mal nebenbei: Das klassische Kennenlernen, man trifft sich im Café, im Freundeskreis und findet sich nett, ist bei mir meistens schief gegangen. I don’t know why.

Älter geworden, wieder solo, wagte ich noch einmal einen Ausflug in ein Flirtportal und wußte nach einer Woche, daß das alles nicht mehr so ist wie früher, weil die etwas hölzernen Studenten der technischen Fachrichtungen mittlerweile abgelöst waren von Wichsern, Idioten und sexuellen Belästigern jeder Couleur. Nachdem einer dreimal täglich meiner Sekretärin ein Ohr abgekaut hatte, wußte ich, da muß etwas Seriöseres und Geschützeres her. Das war mir dann auch das Geld wert.
Also p*rship. Ne*.de klang so nach Wegwerfpartner.
Eine wesentlich ältere Freundin sagte mir dann, es wäre völlig klar, warum ich so enorme Resonanz hatte. Eine Frau unter 40 mit fast erwachsenem Kind, wirtschaftlich selbständig und ohne weiteren Kinder- und Familienwunsch wäre dort rar und begehrt.
Mal abgesehen vom Schwachsinn dieses Punktesystems (aber irgendwie muß einem ja der Eine oder Andere der uniformen Kandidaten (mein liebstes Hobby: Vielleicht du? harhar!) nahegebracht werden.
Mein größtes Problem waren meine Ausschlußkriterien. Ich wollte nicht schon wieder einen jüngeren Mann, auch keinen, der weniger arbeitete/verdiente als ich. Das Kapitel Mama spielen und Lebensstandard finanzieren wollte ich endgültig hinter mir lassen. Männer in meinem Alter waren oft geschieden und Teilzeitväter mit gemeinsamem Sorgerecht. Was hieß: noch mal kleine Kinder (Gott bewahre!) und die Ex immer mit im Boot. Aus feministischer Sicht ist das ja zu begrüßen, aus egoistischer Position kann ich es nur ablehnen.
Und dann bin ich sehr über meinen Schatten gesprungen. Habe zuerst bis zur Grenze 49 gesucht. Da waren dann auch die Altersmogler dabei, denen man nur sagen konnte: Junge, trinken wir mal drauf, daß du wirklich mal so alt wirst, wie du jetzt schon aussiehst!. Und später bis 59. Was aber irgendwie garnicht ging. Zu alt, nichts für mich, ich hab doch keinen Großvaterkomplex.
Anfang 50 sei ok., sagte mir eine ältere Freundin. Da seien die Männer noch fit, wären aber nicht mehr so tief im zweiten Sturm und Drang, daß sie zu kompletten Übersprunghandlungen neigten.
Ich betrat Neuland. Die Exemplare Mann, die ich nun traf und deren Verhalten die Ratgeberliteraten beschäftigt, kannte ich noch nicht. Für eine Frau, die es bis jetzt mir sehr soften und kooperativen Männern zu tun hatte, ein Kontrastprogramm.
Noch nie war ich so als Frau akzeptiert und verwöhnt worden. Ein Umzug oder der Verkauf von Winterreifen war plötzlich so unkompliziert: das ist schließlich Männersache.
Und noch nie war ich mit so viel Dominanzsucht, emotionaler Versottung und verdeckter Angst konfrontiert. Der eine sah mich vorwurfsvoll an, wenn ich bei Tisch nicht sofort merkte, daß sein Glas leer war. Der nächste hatte ein Problem, wenn ich ihn auf dem Festnetz anrief (daß ich ihn überhaupt anrief) – das hätte was von Kontrolle. Ein anderer sagte schon immer hm, jaja, wenn ich einen Satz noch nicht einmal halb beendet hatte und hielt im Gegenzug endlose Monologe in langsamem Sprechtempo.
Aber das ist ein ganz privates Phänomen. Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt. So sind eben richtige Männer.
Die Suchmaschinen machen es nicht leichter. Das (vermeintliche) Überangebot macht extrem wählerisch, süchtig nach dem Märchenprinzen und Anpassungsunwillig. Wenn es nicht hundertprozentig stimmt, wird der nächste geklickt. Der natürlich auch wieder seine Macken und Meisen hat. Die geringste Frustration in einer sich vielleicht anbahnenden Beziehung kann damit abfangen werden, mal wieder etwas Aufmerksamkeit (und Frischfleisch) mittels eines neuen Kandidaten zu inhalieren. Und: beide Seiten spielen dieses Spiel. Demonstrieren ernsthafte Absichten, scheißen sich in die Hosen vor Angst, wenn es erst wird und sie Position beziehen könnten und spielen Simultanschach. Natürlich warten sie alle auf den Big Bang, den Urknall der großen Liebe. Der seltenst passiert. Oder nur einseitig, wenn einer der Spieler sein Spielzeug nicht bekommt (und dank Igoranz gefahrlos mit bedingungsloser Liebe antworten kann) oder eine sehr rare Trophäe erringt (die Frau den heiratswilligen Millionär, der Mann das Mädchen, das unbeschriebene Blättchen). Dann passiert plötzlich Leidenschaft.

Verläßlichkeit, Hingabe und Authetizität sind kaum zu finden oder werden übersehen und als Wert nicht erkannt. Es herrscht mit hysterischer Amüsierwut bemäntelte Angst.
Angesichts dieser endlosen Möglichkeiten, die uns nur versagen lassen, wünsche ich mir die alten Kuppelerinnen zurück, die Ehen und nicht Liebe gestiftet haben. Und doch weiß ich, das das die Hölle auf Erden sein kann.

Edit: Was als harmloser Später-Mädchen-Text begann, ist in Räsonniererei und Moralismus geendet. Vielleicht sind diese Geschichten noch viel zu nahe. Auch HeMan ist aus der Maschine generiert. Fast ein Jahr hat es gebraucht, daß wir diese Basis verlassen und die Hintertürchen geschlossen haben, uns begegnen, als wären wir im Opernfoyer ineinander gerannt und hätten uns nett gefunden.

Also weißte!

Als distanzierter und zurückhaltender Mensch hat man es mitunter schwer. Vor allem, wenn man sich aus dem Fenster lehnt und zu kommunizieren beginnt.
Die Menschen aus meiner Blogroll sind bis auf wenige (von ihnen aber auch im credo angekündigte) Ausnahmen mit Humor und Ironie gesegnet, auch was den Selbstbezug betrifft.
Und da stolpere ich bei Blogsurfen über eben jenen schon verlinkten Artikel einer jungen Frau, den ich, ohne meinen Senf abzugeben, so nicht stehen lassen wollte.
Und stehe mitten im bierernsten Diskussionssumpf.
Es ist vielleicht wirklich eine Frage des Alters. So weit bin ich nun schon gekommen, daß ich anfange, über jugendliche Hitzköpfe mein müdes, von ersten Silberfäden durchwirktes Haupt zu schütteln. Es gab ja auch durchaus Zeiten, an der Uni, wo ich eine bedenkliche Neigung zu rhetorischen Flachwichsereien hatte, besonders auf Gebieten, die mir nicht ganz einsichtig waren und vor denen ich auch ein bißchen Angst hatte. Also eher laut lostrompeten statt verdruckst in der Ecke zu stehen. Funktioniert in Fächern wie Theaterwissenschaft immer.
Ich überlege gerade, wie ich mich äußere, ohne der jungen Dame zu nahe zu treten…Fuck!
Ich war einfach entsetzt über diesen altklugen Scheiß, den ich da zu lesen bekam. Vor allem über diese Mischung von Feministinnensprech und erzkonservativer, lustfeindlicher Lebenshaltung. Und letztendlich konnte ich dann nur noch eines dort hinterlassen: Mädel leb erst mal, quatsch nicht so viel.
Die Antwort war noch besser: Es wird im allgemeinen sowieso zu viel gehandelt und zu wenig geredet.
AH JA.
Und dann gibt es noch so Rhizome. Ein ellenlanger Exkurs, den ich nur fassen kann indem ich kursiv von quer nach links die Stichworte rausfiltere, sonst erschlägt mich der Wust von Worten.
Und Holgis Frage, warum für Frauen nur unbequeme Schuhe gebaut werden, ist wiederum Anlaß für Konfrontation zwischen Menschen, die auch mit einem Augenzwinkern durch die Welt kommen und der moralinsauren feministischen Kampfguerilla.
Rettet mich jemand? Ich möchte mit bastelnden Bloggern bauchtanzend durch Kreuzberger Lokalitäten ziehen und Spass haben. (So richtig rheinländisch ausgesprochen.)