Auf dem Crosstrainer strickt es sich schlecht

Zum Verständnis dieses Artikels muß man zuvor Suschnas Post lesen, der eine wichtige Diskussion weiterführt. Warum haben Handarbeiten und die Frauen, die sie machen, in Deutschland so ein schlechtes Image?

Vielleicht ist es die Verstärkung dieses Idealbildes in der Nazizeit (wieder von der Realität kaum gedeckt), oder es ist der Rückfall in den 50er Jahren, gegen den sich dann die Jugend in den 60er Jahren auflehnte?  (Suschna)

Das war auch mein erster Gedanke.
Als ich mich vor ein paar Wochen mit traditionellen Strickmustern befasste, fielen mir mehrere Sachen auf:
1. Meine Kenntnisse im Strickvokabular sind fast nur englisch, weil die Tutorials im Netz auf die ich zurückgriff, alle englisch sind.
2. Ich beschäftigte mich fast nur mit Techniken, die nicht aus Deutschland kamen.
3. Als ich dann auf deutsche Quellen aus den 70ern und 80ern zurückging, merkte ich, dass es viele dieser Techniken – in regionalen Abwandlungen – auch in Deutschland gab. (Zum Beispiel hat die irische Cable-Technik der ein ebenbürtiges Pendant in der süddeutschen Modelstrickerei.)

Ich schreibe ungeordnet mal ein paar Vermutungen und Stichworte auf:

  • Moderne. Die weltweit prägende deutsche Moderne machte mit Ornamenten und Verzierungen radikal Schluss. Somit verzichtete sie auch auf die Technik, Textilien reich zu verzieren (Stickerei) oder kleinteilig strukturierte Textilien herzustellen (Stricken, Häkeln, Weben).
    Gleichzeitig dekonstruierte die Moderne gern den vorindustriellen Formenkanon
    (Hedwig Bollhagen zum Beispiel adaptierte die Karo-Muster der leinenen Küchentücher) oder orientierte sich gleich an den radikal reduzierten asiatischen Formen.
    Wenn ein Designer häusliches Klein-Klein adelt, wird es plötzlich groß. – Oder andersherum gesprochen: Das erwählt schön Gestaltete kann sich nun jeder leisten. Damit kommen wir zum nächsten Punkt.
  • Geniekult.* In der Kommunikation industrieller Produkte überleben das gesichtslose Massenprodukt und die Marke. Egal was es ist, macht es ein Designer oder eine Designerin, wird es wahrnehmbar, auch wenn es von deren Oma auf dem Dachboden stammt.
    Deutsche sind sehr anfällig für Genialität und Virtuosität und groß im Zweifeln an ihrem eigenen Können. (Grassroot-Bewegungen hatten es in Deutschland immer schwer, schon weil sie ganz fix zur Orientierung an Führern streben und das Ergebnis kennen wir alle.)
  • Industrialisierung. Wenn wir genau hinschauen, überleben alte Handarbeitstechniken vor allem in Regionen, die abgelegen, archaisch und für die Industrie nicht interessant sind. Windgebeutelte Inseln, Bergtäler, Bauerngegenden mit Familienclans.
    Aber gerade diese ländlichen Gegenden (Bayern, Baden-Württemberg) wurden nach der deutschen Teilung industrialisiert und wohlhabend, weil ihr die aus die Ostzone flüchtenden Unternehmen Arbeitskräfte und Platz fanden.
    Außerdem sind Bewegungen, die sich für vorindustrielles Leben und Schaffen interessierten, in Deutschland stark diskreditiert. Die Reformbewegung**, der Wandervogel, die Suche nach authentisch deutschen Wurzeln der Kultur Ende des 19. Jahrhunderts ging nach wenigen Jahrzehnten in die nationalsozialistische Bewegung ein.
    Dass unser gesamter deutsch-regionaler Formenkanon, bis hin zu archaisch religiösen Wurzeln und Brauchtum als kulturelle Grundlage des Nationalsozialismus diente, hat viele Adaptionsmöglichkeiten extrem schwierig gemacht.***
    Nicht umsonst ist die Orientierung an anderen Kulturen, vor allem der amerikanischen, die ihre Traditions-Impulse immer wieder aus den Einwandererkulturen erhält, so stark. Das bringt mich zum nächsten Punkt:
  • Globalisierung. Deutschland hat keine produzierende Textil- und Porzellanindustrie mehr und auch kaum Luxusmanufakturen für Gebrauchsgegenstände. (Dafür werden in Deutschland die besten Autos der Welt gebaut, man kann halt nicht alles haben.) Das kann man erst mal mit Schulterzucken abtun. Es schneidet uns aber vollkommen von Gestaltungswissen und -fertigkeiten ab. Was wir als Textiltechniken wahrnehmen, ist irgendwo auf der Welt gestaltet und in Fabriken in Asien produziert. Wir haben das Gefühl für den Wert der Arbeit und das Können für die Fertigkeiten, der in einem Alltagsgegenstand steckt, weitgehend verloren. Nicht umsonst können viele der jungen DIY-Frauen, die sehr gut mit der Nähmaschine umgehen können, nicht mal eine ordentliche Handnaht.
    Das bringt mich thematisch weiter, auf den deutschen Weg der
  • Emanzipation. Textile Handarbeiten wurden früher von Frauen und Männern gemacht, genauso wie Landarbeit. Die Männer gingen früh zur körperlich sehr anstrengenden Erwerbsarbeit über. Die Frauen taten es ihnen oft in der Textil- und Porzellanindustrie nach, weil hier ihre Feinmotorik gefragt war. Wer zu Hause blieb, war die halb blinde, Socken und Topflappen strickende Oma. – Ganz verkürzt dargestellt.
    Junge Frauen wollten Geld verdienen und sich die Dinge leisten, auf die sie Lust hatten. Waschkleider, Seidenstrümpfe, leichte Schuhe, jede Saison neue und nichts, was fürs Leben gemacht, grob, schwer, mit beschränkten Ressourcen gefertigt, dreimal aufgeräufelt, geflickt oder umgearbeitet war. Sie wollten unkomplizierte Einrichtungsgegenstände, die nicht schon drei Generationen als Staubfänger dienten oder ein von der Arbeit freigestelltes Familienmitglied zur Pflege brauchten.
    Machen wir uns nichts vor. Das, was wir als handgefertigt verehren, weil es uns überliefert wurde, sind die ausnehmend schönen Dinge, die meist „für gut“ aufgehoben und nicht benutzt wurden. Die Mehrzahl der anderen Alltagsgegenstände war schäbig, ärmlich, grob und weit weg von bewusster gestalterischer Schönheit.
    Der Aufbruch der Frauen in eine anderes, selbstbestimmtes Leben, weg von traditionellen Familienstrukturen und -aufgaben: Aussteuer sticken, Handarbeiten machen, um Fertigkeit und Fleiß zu demonstrieren und sich züchtig als Heiratskandidatin zu profilieren, wurde zweimal unterbrochen. Einmal durch das Dritte Reich, das die Frau als gut sorgende Mutter vieler Kinder aufwertete, später durch die Zeit des Wirtschaftswunders, wo auf ähnliche Muster zurückgegriffen wurde und die Frau in die Rolle Mutter, Hausarbeiterin und attraktives Statusobjekt des hart arbeitenden Mannes drängte. Da die Idee des Wirtschaftswunders verbunden war mit dem Stolz auf Industrialisierung, Ingenieurkunst und Traditionsbrüche (man ging idealerweise mit weißem Kragen zur Arbeit, nicht im Blaumann, machte sich nicht mehr die Hände schmutzig oder arbeitete sich blind und krumm), passten mit unterschiedlicher Kunstfertigkeit selbst handgefertigte Dinge einfach nicht mehr in die Welt. Außerdem kümmert sich eine Frau, die Handarbeiten macht, in dieser Zeit weder um die Kinder oder den Mann, noch um die mit Haushaltsgeräten ausgestattete blitzblanke Wohnung oder um ihre Attraktivität. War früher eine Frau das Ideal, die in jeder freien Minute Handarbeiten macht, ist jetzt das Ideal, eine Frau zu haben, die immer für einen da oder bereit ist und – aus Sicht der Frau – die nicht ständig arbeiten und schaffen muss, sondern Erholung hat wie früher eine reiche Dame.
    Außerdem verlagerten sich die Zeitpensen. Vor dem Fernseher kann man nicht Sticken und Spitzen häkeln/stricken, sondern nur noch mittlere bis grobe Maschen machen. Auch die Zeit, in der in der bäuerlichen Gesellschaft bei längeren Fußmärschen gestrickt wurde (vor allem Strümpfe), gibt es nicht mehr, denn man fährt Auto. (mal abgesehen davon, dass die ganz feinen Maschen von Maschinen schneller und präziser gemacht werden können)
    In Ostdeutschland sah das anders aus. Es wurde jede Arbeitskraft gebraucht, die Arbeitsdichte war vielerorts nicht hoch, es herrschte Mangel und die Produkte wurden immer primitiver. Deshalb hatten die Frauen (und Männer) einerseits die Energie für Handarbeiten, andererseits mussten sie die Techniken beherrschen um fehlende oder individuelle (oder westliche Industrieprodukte nachahmende) Dinge herstellen zu können, damit ihre Welt nicht im Viskose- und Synthetik-Einheitslook bestand.
    Da die industrielle Arbeitsproduktivität stagnierte und sank und Geld nichts mehr wert war, weil man davon immer weniger kaufen konnte, entwickelte sich eine Zweitwirtschaft die auf DIY und nicht kontrollierten Preisen oder Tauschhandel basierte. Außerdem waren alte Berufe eine Nische, in der der staatliche und ideologische Einmischung nicht so stark war, alte Handwerksberufe, die regionale Ressourcen verarbeiteten, hatten daher Zulauf. – Also auch hier, vorindustrielle Techniken erhalten sich in deindustrialisierten, abgeschotteten Zonen. Mit dem Fall der Mauer verabschiedeten sich die meisten Ostdeutschen von ihren Fertigkeiten, denn nun konnten sie die ersehnten Produkte kaufen.
  • Entwicklung pulsiert.****
    Wir bekommen meist nur eine, vielleicht die aktuelle Richtung und das „Früher“ mit. Die Impulse gehen zwischen Handarbeit und Industrieprodukten hin und her.
    Design und Herstellung von Alltagsgegenständen ist zur Zeit so beliebig und anonym, dass jede sichtbare Verbindung mit Menschenwerk einen Gegenstand adelt. Wenn wir in ein paar Jahren wieder die Schränke voller Granny Squares in fürchterlichen Farben haben, reicht das dann auch.
  • Bescheidenheit, eine protestantische Tugend und Angst vor dem Internet.
    Die typische deutsche Häkeloma macht nicht viel Aufsehens um sich und bleibt in ihren Damenkränzchen. Sie hält sich und ihr Tun nur für sich und einige wenige wichtig und wertvoll, wenn überhaupt. Alles andere wäre ihr peinlich. Die aktuelle DYI-Bewegung ist vor allem eine Internet-Bewegung. Ältere deutsche Frauen, die die traditionellen Techniken noch beherrschen, sind aber gerade die Bevölkerungsschicht, die sich dem Internet verweigert. Daher fehlen im kollektiven Wissen über Handarbeiten die deutschen Wurzeln und Traditionen.
    (Notiz: Sabine Barber. Sie hat sich Jahrelang von alten Frauen Sticktechniken beibringen lassen. Kriegt man das irgendwie außerhalb der „das ist Kunst!“-Konotation ins Netz?)

Das sind meine Gedanken dazu. Mit DIY ist es wie mit amerikanischen Fernsehserien. Wir nehmen aus der Entfernung nur das Erwählte und Schöne wahr. Das aber kommt aus einem nicht immer schönen Wildwuchs von Tun und Schaffen.
Außerdem: Frauen, die in Deutschland Zeit für Handarbeiten haben, sind nicht gerade die mit dem größten Selbstbewußtsein und Standing. Sie definieren sich oft über konservative Lebensweise und über ihre Männer, die die (finanziell) wertvolle Arbeit tun, weniger über ein selbstbewusstes Verhältnis zum eigenen Tun. Die sich für modern haltende Frau verbringt die Zeit, die sie zum Stricken und Häkeln haben würde, bei der Arbeit und im Fitnessstudio. Da ist im Diskurs sicher zwischen den Polen auch einiges an Neid dabei.
Außerdem: Vielleicht hören wir die Häkeltrutschenbeschimpfungen aus England und Amerika nur nicht. Könnte das sein?

 

*Gegen den sich Bollhagen wehrte. Sie mache nur Töpfe. Sie ist aber als Designerin ein Begriff.
**der wir immer noch das Wort Reformhaus verdanken
***kleines Detail am Rande: in der DDR waren Sonnenwendfeiern offiziell nicht erlaubt, weil Nazitradition, Sport- und Kleingartenvereine machte sie trotzdem
****Siehe Norbert Elias „Über den Prozeß der Zivilisation“ Er schreibt, es gäbe immer wieder Peripetal- und Zentrifugalkräfte in der gesellschaftlichen Entwicklung. Entgrenzung bedingt Ausgrenzung, Ausweitung bedingt Fokussierung. Eine Gesellschaft atmet – weiten um Luft einströmen zu lassen, pressen, um die Luft auszustoßen. Der isoliert betrachtete Vorgang ist zu klein, um den gesamten Prozess zu begreifen.

Auf dünnem Filz

Gestern Abend stellte wir in einem Freundinnengespräch fest, dass der größte Teil der Freundinnen, die in unserem Alter sind und die auch unser berufliches Netzwerk bilden, malhiermalda jobben, Teilzeit arbeiten ohne Verantwortung, selbständig sind mit Partner-Fallback oder aber heftig um die Existenz kämpfen. Nur einige sehr wenige sind in Führungspositionen mit Etat- oder Personalverantwortung.
Es geht mir gar nicht um das übliche Lamento, dass Frauen keine Führungspositionen einnehmen, weil (hier bitte Argument der Wahl einsetzen). Sondern um die tote Erde und die fehlenden Synergien für andere, die das bedeutet.

Ich habe den ersten Job nach dem Studium, der mich zu meiner Selbständigkeit brachte, nur bekommen, weil die Frau, die mich eingestellt hat, eine ähnliche Biografie hatte wie ich. Nicht alleinerziehend, aber alleinernährend, mit einem Lebensgefährten, der sich ums Kind kümmerte und jeder Menge Ehrgeiz. Im Vorstellungsgespräch nickte sie lächelnd, als ich ihr erzählte, dass der Wahlvater nur halbtags arbeitet und checkte kurz ab, ob wir ein leicht malades Kind auch mit dem Taxi von der Schule herbringen und mit Buch und Hörspielkassette auf dem Sofa im Besprechungszimmer einkuscheln könnten – falls alle Stricke reißen. Dann hatte ich den Job.

Wir kümmern uns immer gern um Menschen die uns relativ ähnlich sind. Was für Frauenkarrieren ab einem bestimmten Punkt ein Problem bedeutet. Solange frau hübsch, nett, kompetent und vorzeigbar, aber keine Konkurrenz ist, funktioniert die Förderung durch die Männer in Entscheiderpositionen.
Die Frauen haben zwar Mentoren, sind aber damit nicht automatisch Bestandteil eines noch über Jahrzehnte wirksamen Buddynetzwerkes, das ab einer bestimmten Karrierestufe, wenn die Luft dünner wird, dringend nötig ist. Klar katapultiert es immer mal eine im Machtvakuum-Situationen nach oben, aber da ist sie auch lange verdammt einsam. Angela Merkel war als Kanzlerkandidatin das beste Beispiel.
Da Frauen oft nicht so leben und agieren (können) wie Männer, fehlt irgendwann das stumme Übereinkommen. Wenn dann aus einem Männernetzwerk ein Ruf kommt, der so nicht beantwortet werden kann, weil Kinder oder ein Ehemann dranhängen, dessen berufliche Existenz seine Identität ausmacht, weil eine Schwangerschaft dazwischen kommt, regiert das stumme, mit Schulterzucken garnierte Unverständnis. Jeder Mann hätte zugegriffen, warum will die jetzt nicht?
„Die ist ja genauso wie ich vor ein paar Jahren“ funktioniert in gemischt geschlechtlichen Netzwerken kaum. In den meisten Fällen geht es ganz banal um äußere Attraktion oder um sexuelle Anziehung, nicht nur um die Wahrnehmung von Kompetenz und der Chance von nachhaltiger gegenseitiger Unterstützung. (Übrigens wächst das nicht nur auf dem Mist von Männern. Frauen haben von früh auf gelernt, ihre Deals mit weiblichen Waffen zu machen. Langfristige gegenseitige Unterstützung ist sehr sehr selten. Das haben auch Frauen nicht gelernt. Meist sind solche Episoden wie Strohfeuer.)

Das klingt furchtbar nach Steinzeit, ich habe es aber immer wieder so erlebt. Man sichtet einen Stapel vorbereiteter Bewerbungen und schiebt dem Herrn Entscheider die Favoriten zu, der kramt selbst noch mal in den anderen Unterlagen und dann glänzen die Augen und der Satz „Aber die sieht doch gut aus!“ fällt. Und dann kann man an den Herrn Entscheider dranreden wie an einen tauben Ochsen – nicht die erforderliche Qualifikation, null Arbeitserfahrung und Eignung in dem Gebiet, Bewerbung voller Rechtschreibfehler… alles egal, die junge Frau wird als Favoritin zum Gespräch eingeladen. Noch schlimmer ist, wenn der Herrn Entscheider irgendwo eine Bekannte aus der Tasche zieht, die er toll findet, weil so unverbraucht und frisch!

Es geht hier nicht um Männerbashing, auch wenn ich eine Menge Anekdoten auf Lager habe. Wo sind die Frauen, die andere Frauen beruflich fördern? Reicht das für vielen Frauen, die im Berufsleben was reißen wollen? Können und wollen Frauen das? Sind die Deals ausgewogen und zukunftsträchtig? – Was heißt, wird dann auch zurückgefördert?

Ich bin mit meiner Situation gar nicht unglücklich, im Gegenteil. Auch wenn es nicht bis ins Studium zurückgeht, weil die meisten Kolleginnen und Kommilitoninnen tatsächlich rumkrebsen. Aber es gibt das Internet :)
Mir fällt das nur seit langen auf. Haben die Netzfeministinnen eigentlich ein Berufsnetzwerk oder wird das nach dem Politologie- oder Soziologie-Studium schwierig? Solche Fragen stelle ich mir.

Veröffentlicht unter Exkurs

Schneewittchen oder Schöner Sterben für den Prinzen

Journelle hatte vor ein paar Tagen etwas zum Thema Süße und Bitterkeit des Hausfrauendaseins formuliert, das mir sehr aus dem Herzen sprach. Sie reagierte auf diesen Zeit-Artikel, der gut ausgebildete Frauen, die zu Hause bleiben und in ihrer kleinen Welt leben, als Schneewittchen bezeichnete, die Königstochter, die die Zwerge versorgt.
Ich suchte seit zwei Jahren einen Zugang zu dem Thema und fand ihn nicht. Weil ich ihm nämlich vollkommen zwiespältig gegenüberstehe.

Gleich vorab: Natürlich wird es nur wieder Anekdoten geben. Ich bin Geschichtenerzählerin und während des Studiums hat mich der „Grabe wo du stehst“ -Ansatz den unser Kulturwissenschaftsprofessor so ganz unmarxistisch vermittelte, am meisten interessiert. Die Arbeit mit den Statistiken überlasse ich den Soziologen, die können das.

Meine Großmutter war eine durchsetzungsstarke Frau, die in jeder Lebenssituation Haltung bewahrte, sie war nicht niedlich-schön, aber strahlte charismatisch, mit einer guten Mischung aus Eleganz und Pragmatismus, erotischer Energie und Fürsorglichkeit. Sie hat mich tief geprägt und ich habe mich in vielen Lebensdetails an ihr orientiert.
Bis auf ein wichtiges Detail. Sie ging – bis auf ein paar Monate im elterlichen Laden während des Krieges – nie einer Erwerbsarbeit nach. Es waren andere Zeiten, an ein Studium war Ende der 30er für eine Ladenbesitzerstochter aus der sächsischen Provinz nicht zu denken. Junge Frauen besuchten die Hauswirtschaftsschule oder, wenn sie Ambitionen und Schulgeld hatten, die Handelsschule. Sie hätte den elterlichen Laden weiterführen oder nach oben heiraten können. Doch Oma wollte etwas Besonderes und ihre Eltern schlugen es dem einzigen Kind nicht ab. Sie ging ins Pensionat für höhere Töchter und lernte Nähen und Kochen auf der nächsthöheren Stufe, dazu Benimm, Gesellschaften und große Haushalte organisieren. Sie wollte Gesellschafterin einer reichen Person werden, sagte sie mir, als ich sie fragte, was man damit hätte tun können. Es war sicher nicht vorgesehen, dass sie im Krieg einen politisch extremistischen und sehr ehrgeizigen Arbeiter heiratete, aber nach dem Krieg war das in der Sowjetzone plötzlich von Vorteil. So waren die beiden ein Dream Team, repräsentativ, parkettsicher, aber geerdet und mit den richtigen politischen Ansichten.
Für meine Großeltern war es selbstverständlich, dass meine Oma zu Hause blieb, obwohl sie Kommunisten waren. Es war genug zu tun, sie zogen alle zwei bis drei Jahre mit einem ganzen Haus um, ein Kind hatte eine schwache Gesundheit und mein Großvater war ständig unterwegs. Gelangweilt hat sie sich sicher nicht, sondern war in vielen Herausforderungen, vor denen mein Großvater stand, Basis und Stütze.
Der große Haushalt meiner Großeltern war gut organisiert, meine Großmutter war ausgeruht, hatte die Dinge im Griff und bestimmte über den größten Teil des Tages selbst, der Ton im Haus war klar und respektvoll. Für meinen hart arbeitenden Großvater war gut gesorgt und dass meine jungen Eltern entlastet wurden, indem sie mich, das erste Enkelkind, großzog, bis die beiden das Studium beendet hatten, war selbstverständlich.

So zu leben war in der DDR nicht unbedingt normal und funktionierte auch nur mit sehr gutem Verdienst. Die nachfolgende Generation Funktionärsgattinnen waren in den meisten Fällen berufstätig, denn zu Hause zu bleiben war mit dem Risiko verbunden, irgendwann gegen die Sekretärin ausgetauscht zu werden (offiziell bis in die 70er streng sanktioniert und trotzdem passierte es) und ohne Unterhalt und der Verpflichtung zu irgendeiner Arbeit, von der es ja genug gab, dazustehen. Außerdem legte den Frauen niemand Steine in den Weg, im Gegenteil, arbeitende Frauen genossen hohes gesellschaftliches Ansehen.

In den bürgerlichen Familien der Nachkriegszeit, die ich in Erzählungen meiner Umgebung erlebte, war zumindest eine Berufsausbildung für die Frauen normal und Berufsausübung nichts Exotisches – schließlich sollte die elterliche Firma übernommen werden oder man nutzte der Kultur und Kunst und ging als Sekretärin ins Museum etc. Für Küche und Kinder hatte man in der Regel Personal oder mit einwohnende Verwandte, die sich kümmerten.
Der Schatten des biedermeierlichen Ideals von der schützenswerten, schmuckstückhaften Frau, die sich nur im eigenen Haus und der kleinen Kernfamilie verwirklicht und sich um Kinder, Haushalt und Gefühle kümmert, begegnete mir im Osten nur noch in kleinbürgerlichen Kreisen. Die Realität sah meist so aus, dass die Frau im Haus blieb, weil sie ohne Personal sehr sparsam wirtschaftete und auch selbst weniger an Kleidung und Konsum kostete, oft noch Heim-und Aushilfsarbeit machte, sich um die Alten und Kinder kümmerte und vor den Verlockungen der großen Welt geschützt werden sollte. Meine Großtante gab ihren Beruf als Chefverkäuferin auf, damit mein Großonkel als Schlosser der Hauptverdiener war und beschäftigte sich damit, aus wenig Geld und Ressourcen etwas zu machen. Es ging ihr um das „Gleichgewicht“ in ihrer Ehe, wie sie mir sagte.
Es gab in den 80ern in der DDR noch einen Ansatz, einen alternativen Lebensentwurf jenseits der Vereinnahmung durch den Staat zu leben, bei dem die Frauen zu Hause blieben. Ich kannte Selbstversorgerfamilien, die so ihre Kinder dem Kindergarten verweigerten. In der Abiturzeit träumte ich selbst von so einem Leben, deshalb wollte ich Gartenbauingenieurin werden. Ich wollte mit meiner Jugendliebe einen alten Bauernhof kaufen und selbst wirtschaften, während er als Lehrer arbeitete.

Als ich zu meinen Eltern kam, erlebte ich das andere Rollenmodell. Meine Mutter wurde nach Abschluß des Studiums mit Mitte Zwanzig Pressereferentin eines Großbetriebs. Sie nahm oft Arbeit mit nach Hause oder war abends unterwegs und den Haushaltstag konnte sie nur sporadisch nehmen. Ich erlebte meine Mutter als überfordert, erschöpft, hoch belastet und mit dünnem Nervenkostüm. Sie hatte wenig Zeit für Pflege, Sport und Schönheit und noch weniger für ihre Ehe oder ganz eigene Bedürfnisse und Freuden. Wer so zerrissen ist, ist in der Regel ruppig, ungeduldig und laut und der Haushalt ist eine Kette von Improvisationen mit Bergen von Bügelwäsche, saurer Milch, verschimmeltem Brot und verschwendetem Geld. Daran änderte weder die Waschmaschine noch die Neubauwohnung, die Kohlen schleppen und Heizen ersparte, etwas.
Meine Mutter erlebte die klassische Doppelbelastung von Familie und Arbeit, denn Teilung der Haus- und Fürsorgearbeit zwischen Männern und Frauen war unüblich.
Das hatte auch handfeste Gründe, denn die Männer hatten neben der Arbeit viel mit Handwerken, Aufarbeiten und Reparieren zu tun. Nur war das kein Muss. Wer es nicht konnte oder wollte, ließ es und kam und ging, und ließ und tat zu Hause, was und wann er wollte. Von einer Frau dagegen wurde erwartet, dass sie die Kinder pünktlich vom Kindergarten abholte, die Wäsche gewaschen und genug zu Essen im Haus war und dass sie trotzdem wie der Mann mehr als 48 Wochenstunden arbeitete. (Mal ganz abgesehen davon, dass sich ein Mann nach der Scheidung in der Regel gar nicht mehr um seine Kinder kümmerte.)

Das hielt nicht jede Frau durch. So rosig, wie auch ich es mir oft verkläre, war das Berufstätigenleben von Frauen in der DDR nicht.
Wir hatten keine Bildzeitung, wir hatten nur Gerüchte. In meiner Kindheit wurde von mehreren erweiterten Selbstmorden in der Stadt erzählt. Alleinerziehende Mütter, Schichtarbeiterinnen mit mehreren Kindern, die nicht mehr weiterwussten und sich und ihre Kinder umbrachten. Das Leben als Alleinerziehende war hart und an der Armutsgrenze, auch wenn die Lebenshaltungskosten niedrig waren, denn der Kindesunterhalt war so gering wie die Einkommen. Kleider für Heranwachsende, Reisen und Möbel waren schwer zu finanzieren. Ganz abgesehen von der wertvollsten Ressource – Zeit für die Kinder und ihre Entwicklung, für das Besorgen von Mangelware und für sich selbst.

Ich wollte nie eine von den müden, grauen, abgearbeiteten, praktisch gekleideten Gestalten mit der herausgewaschenen Dauerwelle werden. Aber ein Leben wie das meiner Großmutter war nicht mehr möglich, obwohl ich es toll gefunden hätte. Die Familie, die Gesellschaft und nicht zuletzt ich selbst erwarteten von mir einen meiner Begabung angemessenen Studienabschluss und Erfolg im Beruf.
Alle Frauen arbeiteten um mich herum, bis auf wenige Ausnahmen. Die Mutter meiner Jugendliebe zum Beispiel, die sich ihr bürgerliches Hausfrauendasein mit viel Psychosomatik ertrotzt hatte und nun ihre Zeit mit kleinen Herzattacken, schlank machendem Reizdarm, Innendekoration, Malerei und der Pflege ihrer Schönheit verbrachte. (Sie sah wirklich aus wie Schneewittchen, hatte langes schwarzes Haar und nähte sich wunderschöne Kleider.)
Deshalb verfolgte ich den Plan, aufs Land zu gehen und dort mit eigener Wirtschaft unabhängig zu sein, bis ich in einem Jahr als Landarbeiterin verstand, dass ich dann eben eine Frau mit praktischem Landfriseurpottschnitt, Blaumann und Gummistiefeln geworden wäre. Meine Bildung über das Landleben hatte ich vorwiegend aus Heimatfilmen bezogen.

Das Theater half mir weiter. Diese kleine Welt der Grandes Dames und Helden aus der Westentasche. Dort arbeitete ich zu den Zeiten, an denen andere Freizeit hatten, manchmal konnte ich mir eine Matratze neben die Bühne legen, so viele Dienste schob ich, aber manchmal hatte ich auch Wochen frei, bis auf ein paar abendliche Vorstellungen.
Ich konnte, nachdem ich ein Jahr mit dem Kind pausiert hatte, auch von zu Hause arbeiten, Lektorate schreiben zum Beispiel. Wenn ich in einer Inszenierung steckte, schlief das Kind nachts im Schichtarbeiterkindergarten und wir verbrachten den größten Teil des Tages zusammen.
Das erste Jahr mit dem Baby zu Hause war für mich sehr wichtig. Das war in der DDR erst seit Mitte der 80er möglich, vorher betrug die Auszeit nur den Mutterschutz, später ein paar Monate. Eine menschenunwürdige Viecherei, wie ich fand, wenn Frauen, die gerade eine Schwangerschaft hinter sich hatten, am frühen Morgen ihre Babies in Kinderkrippen ablieferten. Winzige, hilflose Kinder, die ständig krank waren, weshalb die Arbeit für diese Frauen ohnehin nur ein Placebo war. Erst das Babyjahr bei vollem Lohnausgleich hat mich motiviert, ein Kind zu bekommen, viele meiner Mitschüler hatten schon gleich nach dem Abitur losgelegt, ich wollte eigentlich kinderlos bleiben. (Übrigens konnten das auch Männer nehmen, ich kannte aber nur ein Paar, das sich die Zeit geteilt hatte, er war Tischler, sie Ärztin.)
Dieses Jahr war eine gute Zeit, auch wenn ich über Wochen allein war, weil der Vater noch in Leipzig studierte. Das Kind und ich schwangen sich aufeinander ein, es ging uns gut, ich kam nach einer komischen Krankheit (wahrscheinlich eine Schwangerschaftsdepression) langsam wieder zu Kräften, aber am Ende des Jahres langweilte ich mich auch rechtschaffen und freute mich auf meine Arbeit.

Nach dem Mauerfall traf ich in meiner Generation auf einen Typ Mann, den ich so nicht kannte. Ohne Bock auf Karriere und Familie um jeden Preis. Existenziell entspannt weil Großeltern und Eltern einiges erarbeitet hatten und ziemlich desinteressiert an Frauen, die nach der Heirat fix den Beruf aufgaben und über den Jägerzaun des Fertigteil-Eigenheimes nicht mehr hinaussahen. Das kannten sie schließlich von ihren Eltern, das wollten sie nicht.
Sie wollten eine Frau, die ihr eigenes Geld verdient und was im Kopf hat und sie wollten in einem romantischen Liebesverhältnis der Typ sein, zu dem aufgeschaut wird. Sie wollten schön wohnen, toll reisen, surfen, skifahren, was erleben und, ja, Kinder natürlich irgendwie auch. Auf Hausarbeit, dreckige Windeln und durchwachte Nächte oder eine Haushaltshilfe zu bezahlen (sehr liquide waren sie in der Regel nicht), hatten sie weniger Lust, auch nicht darauf, plötzlich bei ihrer Frau nicht mehr im Mittelpunkt zu stehen. Das funktionierte bei ihren Eltern doch auch irgendwie, ohne dass der Mann sich damit beschäftigen musste. So ein familienmäßig aufgebohrtes Junggesellenleben, das von allem nur die Nutellaseite mitnahm, endete meist in Dreck und Chaos oder zähneknirschenden Zugeständnissen an spießige Lebensverhältnisse.

Wir haben alle Muster im Kopf, wie Glück und Erfüllung aussehen sollen, die in Jahrzehnten und Jahrhunderten von den Generationen vor uns geprägt wurde. Frauen sollen hübsch und anschmiegsam sein, Männer groß und erfolgreich, Haus, Garten, Apfelbaum, Kinderschar, Frau kocht, der Mann werkelt, das Kind spielt…
Wir können uns fast blind in diesen uralten Mustern zurechtfinden und die richtige Position einnehmen. Problematisch wird es, wenn die Muster nicht mehr in die Realität unseres Lebens passen.

Wenn ich diesen langen Text ansehe, dann geht es nicht nur um Frauen (es ist ohnehin schwachsinnig, die Rolle von Frauen in der gesellschaftlichen Entwicklung isoliert zu betrachten), es geht um die Neudefinition von Familie und den Stellenwert von Arbeit in der Gesellschaft. Kein Mann will sich krank oder tot arbeiten, keine Frau möchte das von der Welt abgeschnittene Huschel in der Kittelschürze sein.
Das Modell, als Mensch egal welchen Geschlechts für gut zehn Stunden an fünf Wochentagen im Paralleluniversum der Erwerbstätigkeit zu verschwinden und zu funktionieren ohne dass der private Teil der Existenz irgendeinen Einfluss haben darf, immer flexibel, an jedem Ort abwerfbar, frisst die familiäre Sphäre.
Eine Arbeitsteilung nach Geschlechtern in Familien- und Erwerbsarbeit vorzunehmen, ist ein Versuch, dem zu begegnen. Aber der läßt das Potential von Frauen in weiten Teilen brach liegen und das von Männern wird oft drastisch überbewertet. So etwas ist kein auf Dauer funktionierendes Modell und die, die sich hinstellen und sagen, das sei schon immer so gewesen, sollten sich mit Kulturgeschichte befassen. Weder in der bäuerlichen noch in der Handwerkerfamilie war die Erwerbsarbeit aus dem Lebensbereich ausgelagert. Es gab zwar Arbeitsteilung, aber Frauen arbeiteten immer an der Familie und am Erwerb, im Stall, in der Vorratshaltung, an der Veredelung und Verkauf von Produkten, an Kleidung und Wohnung und in der Organisation und Versorgung der Hilfskräfte.

Ich halte unsere Arbeit, die uns in so andere Rollen und/oder an andere Orte zwingt, für das viel größere Problem. Wer eine Familie gründet und Vollzeit arbeitet, kann viel Support bezahlen, aber eine haarscharfe Kalkulation, ob und wann sich das lohnt, ist wichtig.
Oft ist es besser, wenn Mann und Frau sich Haus- und Fürsorgearbeit gut und verlässlich aufteilen, auch wenn das für beide Seiten ungewöhnlich, weil nicht erlernt erscheint. Wenn das nicht ausreicht, können Leistungen zugekauft werden – eine Haushalts- oder Putzhilfe kann schon eine Menge Entspannung bringen.

Aber es wird nicht leicht. Keiner gibt Privilegien ohne weiteres ab und begibt sich in Situationen, die wenig traditionell geschlechtsspezifische Anerkennung und Status bringen. Die meisten Männer sind gewöhnt, sich zumindest nach der Verbindlichkeit der Arbeit im häuslichen Bereich immer mal abseilen zu können und der Status der Berufs ist für sie ein wichtiges Persönlichkeitskriterium. Frauen wiederum triggert beruflicher Erfolg oft weniger als dass zu Hause in Familie und Haushalt alles gut läuft – spätestens wenn Kinder da sind und das gesellschaftliche Urteil an jeder Ecke lauert.
Ja, tief sitzende Muster prägen unser instinktives, unreflektiertes Handeln, das hat seinen Sinn, denn das ist die Form von Handeln, die die wenigste Energie erfordert. Das emotionale Hinterland und das klassische Umfeld werden mit Sicherheit signalisieren, dass irgendwas nicht stimmt. Frau verdient mehr als Mann, Mann sitzt auf dem Spielplatz statt im Büro, Frau verliebt sich in statusniedrigeren Mann mit großem Reichtum an Zeit… Das sind alles Muster, die uns das Nackenfell sträuben, selbst wenn wir rational zustimmen. Aber das selbe Gefühl haben einst Frauen hervorgerufen, die sich unbegleitet in Hosen auf der Straße bewegt haben oder Männer, die einen Kinderwagen schoben oder Elternschaft ohne Trauschein.

Schneewittchen kann für uns das bewundernswürdige Wesen sein, das der Eitelkeit der Welt entsagt, sich selbst zurückstellt und den Zwergen dient und der Prinz der Kenner und Retter der wahren Schönheit. Der Prinz kann aber auch nix weiter als ein reitender Schnösel sein und Schneewittchens Versteckspiel im dienenden Leben ziemlich feige. Es ist alles eine Frage der Perspektive und wie empfänglich wir für Märchen aus uralten Zeiten sind.

Jahresrückblickfragebogen 2014

Zugenommen oder abgenommen?
Tatsächlich abgenommen. Der Moment, auf den ich so lange gewartet hatte, ist eingetreten. Mein Körper ist nicht mehr die pfeifend atmende Schindmähre, die alles ignorierend vor sich hinschleicht und sich beim Hinlegen nicht wieder aufrichten würde. Wenn ich weniger esse, nehme ich ab und werde nicht nur tödlich müde oder wütend unterzuckert. Wenn ich mich bewege, fühle ich mich gut und nicht, als hätte mich ein Bus überfahren, das ist eine gute Ausgangsbasis.

Haare länger oder kürzer?
Länger Sie bedecken mittlerweile den größten Teil des Rückens.

Kurzsichtiger oder weitsichtiger?
Kurzsichtiger, die neue Lesebrille Anfang des Jahres war sehr nötig, zum Kochen und Gemüseputzen trage ich jetzt besser auch eine Brille.

Mehr ausgegeben oder weniger?
Obwohl ich dachte, das geht gar nicht – noch weniger.

Mehr bewegt oder weniger?
Etwas mehr. Ich kann wieder joggen, aber habe noch etwas Angst vor der eigenen Courage und das Schwimmen macht wieder Spaß.

Der hirnrissigste Plan?
Einfach irgendeinen subalternen Angestelltenjob für die Grundkosten und das soziale Netz machen zu wollen, weil ich ihn kann. Das ist nämlich nicht das Kriterium. Mit etwas Bildung und Erfahrung kann man fast alles. Aber Zwischenmenschliches ist sehr oft viel wichtiger als reine Leistung.

Die gefährlichste Unternehmung?
Ich kann mich nicht erinnern, daß etwas gefährlich war.

Die teuerste Anschaffung?
Ich habe nichts, was über 50 € hinausging angeschafft, insofern gibt es nichts. Der Graf hat eine Stickmaschine gekauft und die ist super.

Das leckerste Essen?
Mutterns Sauerbraten am ersten Weihnachtsfeiertag. Und eine Portion Cassata in Palermo, die nur mit Marzipan umhüllt war und leckerste kandierte Früchte enthielt.

Das beeindruckenste Buch?
Ich habe wenig Bücher gelesen und wenn, dann zum wiederholten Male. Trivialliteratur-Reihen, weil ich wissen wollte, wie sie gebaut sind.

Der ergreifendste Film?
Filme ergreifen mich selten.

Die beste CD?
Nichts. Ich habe Hörbücher entdeckt, das macht Spaß beim Stricken.

Das schönste Konzert?
Auch da – nichts und der Nachbar, der nächtens Schubert sang, ist gestorben.

Der beste Sex?
Immer noch. Liebe Frauen, habt keine Angst davor, alt zu werden. Attraktivität des Körpers und Qualität von Sex (was heißt Spaß, nicht Leistung!) scheinen sich längere Zeit umgekehrt proportional zu entwickeln.
Wenn die Jugendfrische weg ist, die so viel (oft belästigende) Aufmerksamkeit generiert, hat man die Chance, vom Objekt zum Subjekt zu werden. Man muss sie nur nutzen.

Die meiste Zeit verbracht mit…?
Stricken und Nähen.

Die schönste Zeit verbracht damit…?
Dinge selbst zu machen und mit den Händen zu arbeiten. Verschiedene Stationen zu absolvieren – einen Monat bei Primavera, zwei Wochen in Palermo… Und neue Menschen kennenzulernen, die wichtig für mich geworden sind.

Vorherrschendes Gefühl 2014?
Ich arbeite mich an eine neue, tragfähige Existenz heran. Dass ich im Spätherbst auf die Nase fiel, hat wohl dazu gehört.

2014 zum ersten Mal getan?
In einem großen Fluss mit starker Strömung geschwommen und 10 Tage am Stück fast ausschließlich englisch gesprochen und englische Präsentationen gemacht.

2014 nach langer Zeit wieder getan?
Ich stricke wieder, das hätte ich mir vor 2 Jahren noch nicht träumen lassen.

Drei Dinge, auf die ich gut hätte verzichten mögen?
Den Rückschlag im Herbst. Das reicht.

Die wichtigste Sache, von der ich jemanden überzeugen wollte?
Dass ich keine Dramaqueen bin und mein Leben unter Kontrolle habe, auch wenn es grade nicht so aussieht

Das schönste Geschenk, das ich jemandem gemacht habe?
Unser Buchprojekt.

Das schönste Geschenk, das mir jemand gemacht hat?
Unser Buchprojekt.

Der schönste Satz, den jemand zu mir gesagt hat?
Der war wortlos.

Der schönste Satz, den ich zu jemandem gesagt habe?
Der war ebenso wortlos.

2014 war mit 1 Wort…?
Versuch.

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Veröffentlicht unter Exkurs