Einkaufen in Minsk

Nachdem meine Freundin LaPrimavera zum ersten Mal ihren lange verschollenenen Vater und ihre Halbgeschwister in Weissrussland besucht hatte, entstand dieser Text, für den ich Gastgeberin bin:

Supermarket

Kirchen, Feiern, Pelz- und Trödelmärkte hatten wir hinter uns, vor uns nur noch den Einkaufszettel für ein exorbitantes Menü, mit dem wir uns zum Abschied bei unserer Gastgeber-Großfamilie bedanken wollten.

Dicke Schuhe, dicke Jacken – so stapften wir durch den November. Der Supermarkt lag zwar um die Ecke, diese jedoch am Stadtrand von Minsk und unsere Russischkenntnisse waren schon im letzten Jahrtausend verschütt gegangen. Sergej, der schlecht Deutsch, gut kochen und noch besser tragen konnte, wollte uns beistehen.

Sonderlich überrascht waren wir nicht. Lediglich die niedrigen Preise waren uns fremd. Was wir nicht lesen konnten, erkannten wir an Logos und Bildern wieder und bis zum Gewürzregal würde Sergej überflüssig sein. So dachten wir.

Seinen ersten Einsatz hatte unser Begleiter dann allerdings schon am Gemüseregal. Selbst bedienen sich hier nur die Diebe. Und endlich, nach einer Viertelstunde, war es Sergej gelungen, einer autorisierten Bedienung habhaft zu werden.
Wir harrten indessen aus vor Kraut, und Rüben, … die auslagen wie Kraut und Rüben. Dazwischen hatten sich ein paar ausgefranste Trauben verirrt, mit Beeren in allen Stadien der Reife: Rosinen, Edelfaule zum Selbstkeltern, Brei und Saft. Die Essbaren fielen nicht weiter auf.
Die Viertelstunde hatten wir genutzt, das Menü umzuplanen.
Sergej mussten wir nun schonend beibringen, dass inzwischen alles Obst und Gemüse – außer Kartoffeln – von der Liste gestrichen war; und der Verkäuferin, dass sie die erdigen Äpfel nicht über alle bisherigen Einkäufe schütten solle.
Am Ende standen alle auf der Siegerseite: Er mochte ohnehin kein Grünzeug, Sie schüttete nach Anweisung und wir hatten die Erdklumpen nicht über, sondern neben Knorr und Maggi. Die Welt war in Ordnung.

Wir rollten sammelnd voran und hinterließen dabei eine Spur in russischer Erde. Offensichtlich waren wir nicht die Einzigen, denen der Einkaufswagen als Rüttelsieb diente.
Die Einzigen waren wir dann allerdings vor dem Getränkeregal. Für russische, selbst für weißrussische Verhältnisse kam uns das erstaunlich übersichtlich vor:
Die wenigen Weinflaschen an der Rückwand, die wahrscheinlich nicht nur von außen vor Süße klebten, ignorierten wir. Davor defilierten zehn Bierflaschen, verteilt auf fünf Sorten und zwei Meter. Sie erinnerten augenfällig an den fernen Osten: „Uralskoje“ und Schlimmeres sprang uns in kyrillischen Lettern an. Für ein Experiment war uns der Einsatz von umgerechnet 3 Euro pro Flasche dann doch zu hoch.

Der Berg in unserem Korb wuchs. Sergej riet und tat, was in seinen Kräften stand, während sich unsere Kraft an permanenter Umdisponierung beweisen musste. Als routinierte Menüköche blieben wir gelassen und von Gang zu Gang fühlten wir uns weltoffener.

Am Kühlregal wollten wir das final unter Beweis stellen. Den einzigen Import-Joghurt straften wir mit Verachtung und langten dafür tüchtig zu über 20 Regalmeter Neuland. Die unspektakulären Verpackungen versprachen Natur pur statt der vertrauten Überdosis Chemiefabrik.
Ob wir wirklich soviel Mayonnaise brauchen würden? Sergej war skeptisch. Mayonnaise? Während wir wieder zurückstapelten, bekamen wir eine vage Vorstellung davon, wie die Matronenmaße der Russinnen zustande kommen.

An der Kasse dann – endlich – standen wir vor einer echten Offenbarung. Kein Whisky zwar, aber die Wodka-Pracht entschädigte für alle bis dahin vermissten Flaschen. Meterhoch, meterbreit und kästenweise türmte sich hier das Nationalgetränk, als Grundnahrungsmittel offenbar subventioniert, denn 3 Euro hätte auch eine Flasche Bier gekostet.
Unsere letzte Umplanung wurde zur leichtesten. Im Verhältnis Eins zu Eins tauschten wir unsere Vision mit der Wirklichkeit, und statt mit einer Flasche Whisky und fünf Zigarren krönten wir den Einkauf mit einem Päckchen Zigaretten und fünf Flaschen Wodka.

Sergej war von der ganzen Prozedur offensichtlich erschöpft. Statt wie bisher zu ulken wurde er schweigsam und verlor sich in der Betrachtung eines Mannes, der
zwischen Kasse und Ausgang telefonierte. Dann entfernte er sich unmerklich von uns, drückte sich an der Kasse vorbei und ließ uns irritiert zurück. Inzwischen waren weitere telefonierende Männer, alle in der gleichen Kleidung, aufgetaucht. Die Schlange hinter uns drängte. Wir mussten den Korb entladen und gleichzeitig mit ansehen, wie unser Beschützer den uniformen Männern in die Arme lief. Während wir das Band bestückten, bangten wir plötzlich um weit mehr als um unser Menü …

Mechanisch verlangte die Kassiererin Rubel und wir hatten in der Tat alle Hände voll zu tun, allein mit den Tausendern und Abertausendern zurecht zu kommen.
Wir waren mit Wechselgeld und Bandabräumen vollauf beschäftigt, als Sergej plötzlich wieder neben uns stand und wortlos zur Eile drängte. Die Uniformierten telefonierten inzwischen wilder als zuvor und unter ihren finsteren Blicken entkamen wir – schleppend und schweigend, doch immerhin zu dritt und lebend.

Erst in sicherer Entfernung vom Supermarket wurde Sergej wieder gesprächig: Er hätte schon bald mitbekommen, was sich da anbahnt und sei auf die Herren Security zugegangen um ihnen zu sagen, dass wir Deutsche seien. Diese hätten daraufhin den angeforderten Einsatzwagen fluchend zurückbeordert.

Mit Nerz und Zobel bekleidet, hätte man uns und den Korb ignoriert, in normaler Abendkleidung zumindest uns. Doch gekleidet wie Underdogs? – Immerhin hätten wir gerade für drei Monatsgehälter eingekauft.
Wir sahen uns an.
Dann waren also wir die Verbrecher, vor denen wir uns gefürchtet hatten? Eigentlich hätten wir jetzt schallend lachen müssen. Aber eben nur eigentlich.

Das Lachen hat der Wodka zurückgeholt.
Und wenn nur die Hälfte der Mayonnaise im Korb geblieben wäre, hätten wir mit Sicherheit das Doppelte vertragen.

30.09.09

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Käsekuchen-Exkurs

Da ich nach meinem Rezept für den abgebildeten Käsekuchen gefragt wurde:
Also, das Problem mit meinem Käsekuchen-Rezept ist, dass es keines gibt. Was ja nicht so toll ist beim Backen, denn frei Schnauze zu agieren, das kann auch fiese Unfälle geben.
Ich versuche mal zu rekonstruieren, was ich Freitag Nacht getan habe:

Miz Kitty’s Random-Käsekuchen:

1 kg Quark 40% Fett
4 Eier Größe L
200 g Zucker (das ist gut süß, ggf, auf 175 g reduzieren)
1 Prise Salz
Vanillezucker oder Vanillemark
1/2 Päckchen Puddingpulver
3 EL Polenta (es geht auch Weizengrieß, ich habe wegen meiner Glutenunverträglichkeit Polenta genommen)
1 Tl Backsoda oder 1/2 Tütchen Backpulver

Alle Zutaten sollten Raumtemperatur haben.

Die Eier trennen, das Eigelb in die Rührschüssel geben und das Eiklar in den Kühlschrank stellen. Das Eigelb mit Zucker und Vanillezucker sorgsam schaumig rühren, die Masse sollte eine gelbe Creme werden.
Den Quark gut untermixen. (Ich nehme Mixer und Schlagbesen.)
Die Schlagbesen abspülen, sie dürfen nicht mehr fettig sein und das Eiklar mit der Prise Salz steif schlagen.
Dann die Schüssel wechseln und die Mischung aus Puddingpulver, Backpulver und Grieß unter die Quarkmasse rühren. Am Schluß den Eischnee vorsichtig unterziehen und den Teig in eine Springform füllen, die mit Backpapier ausgelegt ist. (eine 32cm-Spingform ist am geeignetsten)

Im vorgeheizten Ofen bei 175 Grad 50 Minuten backen. Ggf. am Schluß die Temperatur reduzieren, wenn der Kuchen zu dunkel wird.
Einen Tag durchziehen lassen und dann das überstehende Backpapier rundherum abschneiden.

 

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Die Splitter des zerschlagenen Spiegels

Die letzten Tage waren ein gesellschaftlicher Ehekrach. Die Frauen schrien heraus, was sich lange angestaut hatte. Worüber sie sich permanent ärgerten oder wo sie gekränkt und verletzt wurden. Hier und da versuchten zu reden, nicht gehört oder verlacht wurden. – Ein Auslöser und dann gab es nur noch #aufschrei. Der Hashtag ist doppelt passend.
Wie in jedem Ehekrach steht der Mann da und ist geplättet, versucht noch, blöde Witzchen zu machen, keift zurück oder schweigt schlußendlich. Und nun? Vorsichtige Wiederannäherung?
Bei einem satten Ehekrach gibt es zwei Szenarien. Das erste wäre: Frau denkt, dass der Mann sich ändert und macht weiter wie bisher und Mann denkt, jetzt ist ja alles wieder ok., sie hat sich eingekriegt und macht ebenfalls weiter wie bisher. Bis zum nächsten Krach. Das zweite: Sie setzen sich an einen Tisch und reden. Lassen sich Raum, dem anderen zuzuhören, vermeiden Schuldzuweisungen und finden eine Lösung. Beide werden nicht mehr weitermachen wie bisher.

Lösung zwei findet eher im Labor statt. An der Stelle zitiere ich mal den guten alten Heiner Müller: Die erste Erscheinung des Neuen ist der Schrecken.
Der #aufschrei-Diskurs verweist auf etwas ganz anderes. Belästigung und das massenhafte Aufbegehren sind ein Diskurs um Macht und Machterhaltung, ja auch um die Struktur von Macht. Wir sehen in den Splittern des zerschlagenen Spiegels nur noch kleine Teile der Welt.*

Jakob Augstein spricht in Spiegel online von der Krise des weißen Mannes. Davon – so wie ich es verstehe – daß die alten weißen Massas, die mit Vorliebe junge Frauen ansäfteln – abtreten werden. Nur, das ist ohnehin die biologische Lösung, darum geht es nicht.
In den Diskussionen der letzten Tage wurde an einem Mann-Frau-Dissenz deutlich, dass es zusätzlich Generationenschichtungen gibt. Da sitzt Wibke Bruns bei Jauch und alle sind entsetzt über ihre Konservativität und ihren Zynismus. So what? Die Frau ist über 70. Die ist zu einer Zeit ins Spiel getreten, in der im öffentlichen Diskurs eine Frau als infantiles Wesen galt. Dann sitzt Alice Schwarzer auf der anderen Seite und erklärt allen wortgewaltig, was als nächstes kommt. Eine Frau, die unerschrocken viel für die Veränderung in den Köpfen getan hat, aber tatsächliche Intimität zu Männern nie thematisiert und sehr wahrscheinlich auch nicht gelebt hat. Über den Nahkampf theoretisiert sie. Dann sitzen da junge Frauen. Anne Wizorek aka @marthadear, Silvana Koch-Mehrin und geben schlichte und sehr ergreifende Statements ab, so sie zu Wort kommen (die Erste) oder reden wollen (die Zweite).
Fällt auf, wer in der Runde fehlte? Richtig. Ein junger Mann.
Der kam am nächsten Tag zu Wort, bei ZDF login. Ein Pick up Artist. WTF? Der einzige junge Mann, der sich ein Statement zutraut, ist einer, der trainiert hat, wie man Frauen dressiert. Glaubt er zumindest.

Die Tektonik, die dieses Erdbeben auslöste, ist also viel komplizierter. Junge Frauen haben zwar keine Macht, aber jede Menge Aufmerksamkeit, meist mehr, als ihnen lieb ist. Junge Männer haben nichts dergleichen. Aber im Vakuum der Nichtachtung üben sie für die Macht. Mit jeder abwertenden Geste eines Chefs oder Professors, für den sie sich krummlegen, jedem verächtlichen Korb, den sie von einer Frau bekommen, zieht sich eine innere Feder auf. Machthunger ist auch und oft Ergebnis tiefer narzisstischer Kränkung. Dieser Artikel in Cicero spricht Bände darüber.
Den kann man mit einer knappen Geste als Schwachsinn abtun. Sollte man aber nicht. Er benennt nämlich eines sehr genau: Frauen stehen, wenn sie jung sind, eine Menge Türen offen. Katzentüren allerdings oder Portale an der Seite eines Mannes, der ihnen Zutritt verschafft. Aber sie sind erstmal drin, wo junge Männer noch an den Absperrungen rütteln.

Wie schaffen es junge Frauen, die Deko-Objekt-Phase zu überleben und tatsächlich Macht zu bekommen? Im Spiel zu bleiben? Momentan sieht das noch nicht gut aus.
In einem Präsenz-Seminar, das wir hielten, stand eine Studentin bei der Vorstellrunde auf und sagte: „Ich will in den Vorstand der Lufthansa!“, dann legte sie den Kopf schief, giggelte und machte einen Knicks. Gleichaltrige Männer hatten diese automatische Unterwerfungs-Körpersprache nicht. Ich habe das nicht als niedliche Bagatelle abgetan, sondern die Frau darauf hingewiesen. Solche Automatismen sitzen tief und sind Marker für Denk- und Handlungsmechanismen.
Wenn ich dann die Reaktionen auf meine penetranten Nachfragen bei #aufschrei, was die Frauen selbst gegen Belästigung zu tun gedenken sehe, ähneln sie sich in der strikten Weigerung, aus der nett, harmonisch & defensiv-Ecke herauszukommen und der ebenso strikten Forderung, nur die Männer hätten sich zu ändern.
So lange Frauen Männern so viel Raum und Bedeutung (kennt ihr alle: Frauen treffen sich, um über Männer zu reden) geben, haben diese gar keinen Anlass, sich zu ändern. So sitzen die alten weißen Massas breitbeinig auf ihren Thronen und die jungen Damen lagern zu ihren Füßen, machen sich schmal und sehen schön aus. Wenn die Zeit gekommen ist, ist Platz auf dem Thron für einen neuen weißen Massa. Warum bitte, sollte jemand freiwillig Macht und Mitbestimmungsrecht abgeben? Erklärt mir das!

So ereignet sich seit einigen Jahren, daß Frauen zwar ziemlich früh mit dabei sind, aber im mittleren Alter, wenn es wirklich an die Macht geht und sie aus der Deko-Objekt-Phase raus sind, zurückgefallen sind. Weil sie in den 30ern, wenn die Männer aufholen im Rennen, Familie gründen und Kinder bekommen (müssen, wann, wenn nicht dann!) oder weil es bisher noch relativ leicht war, sie aber die Herausforderungen scheuen, die jetzt kommen, die nicht mit Anpassung und Fleiß, sondern mit Exponiertheit, Härte und Chuzpe zu tun haben.
Die Welt der Führungsetagen wird sich ändern, wenn Frauen mitspielen. Aber dafür müssen sie erst dort hinkommen und vor allem, dort bleiben und wirken. Mit der Frauenquote wird ein Raum geschaffen, für den Frauen bereit sein müssen – nicht nur fachlich.

Ich bin dankbar für #aufschrei. Denn es steckt mehr dahinter, als nur die Beschwerde über Belästigungen. Es geht um Respekt, Würde und Macht. Macht bekommen wir nicht geschenkt. Die müssen wir uns nehmen.

* Ich weiß, Analysen sind kalt. Ich rede mit Absicht von den Alltagskonflikten zwischen Mann und Frau. Straftaten gehören angezeigt. Schon weil Täter sonst kein Regulativ erfahren.

edit: Interessant, zu hören, daß immer, wenn in diesen Tagen die Rede auf Angela Merkel kam, gesagt wurde: „Aber nicht die als Beispiel, nicht so!“ Wie denn bitte? Das ist die Realität. So sieht die mächtigste Frau der Welt aus. Und nur ein ziemlich unterbelichteter Typ hat mal versucht, ihr zu nahe zu treten, das war Bush jr.