Synchronizität

Während ich für den letzten Post recherchiere, was ich vor 25 Jahren getan habe und dabei online nach den Daten einer Inszenierung suche, bei der ich Regieassistentin war – die aber erst im Jahr darauf stattfand – klingelt das Telefon.
B. ist dran. Der Hauptdarsteller des Stücks. Er hätte gerade nach mir gegoogelt, ob es stört, dass er anruft, wie es mir ginge, wir hätten seit drei Jahre nichts voneinander gehört.
Was er tut und wie viel Kinder er mittlerweile hat, weiß ich, es steht in der Zeitung. Was er von sich erzählt, deckt sich mit dem, was ich im Gefühl hatte: Dem gehts gut und er hat vor allem endlich die richtige Frau an der Seite. Ich gebe ihm ein Update, er freut sich nen Keks. Wir sollten uns treffen, da ist ein Filmrohschnitt anzusehen.

Wie war das? Wenn man sich selbst bewegt, dann bewegt sich die Welt um einen herum.

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Fünfundzwanzig

Vor fünfundzwanzig Jahren war der Winter selbst im nah an Sibirien gelegenen Oderkaff atypisch warm.
Ich stand an zwei Fronten: In der Uni, bei dem Studium, für das ich fünf Jahre gekämpft hatte und das nun für mich befremdlich und fast ein bisschen enttäuschend war. Ich musste lernen, meine Gedanken in der richtigen Sprache zu verkaufen, ich kannte die Codes noch nicht. Wie immer war ich distanzierte Beobachterin. Es war ein Zwiespalt, war doch die Theaterwissenschaftliche Fakultät der Humboldt-Uni ein Ort, der frei von allzu großer ideologischer Zwanghaftigkeit war und das freie Denken forderte und doch fühlte ich mich fehl am Platz, zu pragmatisch für die Uni.
Zu Hause, in Ehe und Familie, ging es um das, was man heute Gleichstellung nennt. Ich hatte meinen Mann – arbeitend und später dazu weitestgehend allein mit unserem Kind – im Studium unterstützt. Nun nahm ich das für mich selbstverständliche Recht, es genauso zu tun. Ich wollte die Woche über in Berlin studieren und das Wochenende der Familie widmen. Das ging kein Vierteljahr gut. Das Kind war oft krank, ich bekam den Sprung ins andere Leben mental und zeitlich schlecht hin und der Mann schien mit Haushalt, neuem Job und Kind überfordert.*

Um mich herum herrschte die Erstarrung der spätsozialistischen Gerontokratie. Freunde, Kollegen und viele meines Alters, die mir über den Weg liefen, warteten auf die Ausreise. Einzig die Kommilitonen wollten es mit diesem Land noch versuchen. Wer sonst inspirierend und interessant war, war bereits auf dem Absprung. Für mich, mit der Fast-Nomenklatura-Familie im Hintergrund, war das die Garantie, niemand von ihnen je wieder zu sehen und vielen zu schaden.

Ich wollte Regisseurin werden. Film natürlich. Ich arbeitete an einem Super8-Projekt nach einem Text von Thomas Brasch. Drehort sollte der damals schon marode Bahnhof Ostkreuz sein, mit diesem Mordor-Turm im Hintergrund. Irgendwo liegen noch gut 80 s/w-Motiv-Fotos, die der Kameramann gemacht hatte. (edit: leider doch weggeworfen) Ich malte Storyboards, suchte Schauspieler und entwarf ein schwarzes victorianisches Kostüm, das La Primavera anfertigte. Im Hintergrund organisierte das Amateurfilmstudio, mit dem ich verbunden war, Geld für die Produktion und hatte die Hand über uns. Manchmal hatte ich das Gefühl, von nix eine Ahnung zu haben, aber ich ließ mir das nicht anmerken.

Die Verwirklichung meiner Träume war Gas geben mit angezogener Handbremse. Ich hatte das Gefühl, wenn ich durchstartete, dann würde es krachen. Wahrscheinlich vertanzte ich mich deshalb an so vielen Stellen und fand für nichts richtig die Konzentration. Es blieb alles im vagen, für mich quälend Unproduktiven.
Mittlerweile habe ich gelernt, diesen Passagenzustand auszuhalten, in dem ich bereit bin, vieles versuche, das Ziel weiß, aber die Richtung und den Startzeitpunkt noch nicht kenne. In dem es für mich arbeitet.

Im Frühjahr des Jahres 1989 zog mit einem Holzkasten voll Kram ich in die Wohnung eines Freundes in der Brunnenstraße, weg von diesem fürchterlichen, kakerlakenverseuchten Studentenwohnheim. Der Sommer war brüllheiß und gleichzeitig starr und gelähmt, wie vor einem Gewitter. Honecker wochenlang im Krankenhaus, Gerüchte über die Vorbereitung von Konzentrationslagern, das Zivilverteidigungslager für uns fiel aus, man befürchtete illegale politische Zusammenschlüsse der Geisteswissenschaftlerinnen.
Ich hielt es nicht aus, ich wollte weg von Berlin, wieder irgendwo am Theater arbeiten, der explosiven Spannung in der Mauerstadt entfliehen. An den Abenden des Wochenendes stand ich hinter der Theaterbühne des Oderkaffs, sah in das Dunkle des Schnürbodens und hörte den Schauspielern unter den Scheinwerfern zu. Ich streckte die Fühler aus, um zurückzugehen und das Studium extern fortzuführen.
Mein ehemaliger Chef bot mir an, seine persönliche Assistentin zu werden. Doch man steigt nie zweimal in den selben Fluss. Ich sah plötzlich eine Seite an ihm, die ich vorher nicht wahrgenommen hatte. Den schwer abhängigen Trinker, der um jeden produktiven Tag ringt. Ich sagte ab.
Die Semesterferien verbrachte ich mit dem Kind am See. Im September nach Berlin zurückgekehrt, hatte sich die politische Schraube noch enger gedreht. Wohnungen standen leer, die Bewohner waren über Ungarn ausgereist und hatten alle Sachen zurückgegelassen. Das Neue Deutschland versuchte sich als Bild-Zeitung.
Ich zog in den Prenzlauer Berg, näher zu den Freunden, unweit der Gethsemanekirche. Meine kleine Wohnung versah ich mit weißen Fußböden und schwarzen Stahlmöbeln. Auf einer an die Wand geschraubten Arbeitsplatte stand meine kleine Rheinmetall-Schreibmaschine. Nur ein Bett hatte ich vergessen, ich schlief auf dem Fußboden.
Ein anderer Mentor vermittelte mir eine Dramaturginnenstelle in Zittau, am Stadttheater. Der Intendant war interessiert, ich geschmeichelt. Aber das war die Ecke des Landes, die sich gerade entvölkerte. Ich sagte wieder ab, tief im Zweifel, ob ich nicht gerade eine große Chance versemmelt hatte.

Der Rest ist Geschichte und neues Leben. Die nächsten 25 Jahre konnte ich fast alles verwirklichen, von dem ich geträumt hatte. Gut, ich war zwar keine Regisseurin geworden, aber ich fand meinen Platz.
Ich saß mit 12 Jahren mit offenem Mund vor Fellinis „La Dolce Vita“. Nun konnte ich das leben. Klingt albern oder? Aber nun konnte ich alles sein, ohne kleinbürgerliche, mißmutige Kontrolle von Abweichlern: Durch die Nacht fahren, lieben, hassen, eiskalt sein und glühend heiß. Dekadenz erleben und Intellektualität. Mit gelindem Entsetzen begreifen, dass Dummheit und Schönheit synästhetisch sein können. Fürsorglich sein und abweisend. Schuld auf mich laden und mich verschenken. Selbstmörder betrauern und morgens am Meer sitzen.

tl;dnr: Mit 25 Jahren ist der Mensch wirklich erwachsen. Er hat begriffen, daß er jetzt für sich selbst verantwortlich ist und muss sich nicht ständig des Wohlwollens seiner Eltern versichern. Bei mir fiel das mit dem Mauerfall zusammen und veränderte mein Lebensgefühl sehr.

 

* Erst später sagte er mir, dass das ein Streik war, mehr nicht, er hatte keinen Bock, damals ging das scheinbar mit seiner Auffassung von Männlichkeit nicht zusammen. Heute ist das für ihn kein Thema mehr.

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Gedankenpaare

Das wird wahrscheinlich der übliche Sonntags-Gedanken-Mäander. Schaun wir mal.
Der Monat läuft auf den Urlaub hin. Die Woche Kranksein hat es nicht geschafft, die Kräfte nennenswert zurückzubringen, derzeit behelfe ich mich mit Haltung bewahren.
Als der Graf mir am Sonntag die Buchung schickte, ich war gerade bei der Arbeit, rutschte ich in der nachfolgenden Stunde erleichtert und müde zusammen. Aber es geht erst in sieben Tagen los, da ist noch eine to-do-Liste abzuarbeiten.
Wir fahren ein drittes Mal ins Hirschberger Tal. Das Zimmer mit der Badewanne neben dem Bett, die Bibliothek und ihre Sofas und das Schwimmbad haben noch immer enorme Anziehungskraft (und im Saarland sind keine Schulferien, es droht also nur geringes Familiendesaster). Ich freue mich so darauf, dass ich ich fast befürchte, es kann nur enttäuschend werden. Hab ich das im Sommer nicht auch geschrieben?

Rot und Schwarz

Wieder ist ein Kleid fertig. Diesmal hat es Spaß gemacht. Ich wollte gar nicht fertig werden. Hier noch ein kleines Detail und dort noch… Es scheint, als wäre ich gut geeignet für simple Burda-Schnitte. Da passe ich gut rein und weiß im Notfall, was und wo ich ändern muss.
Meine Kleidersammlung des Winters, die der Graf im Urlaub mal fotografieren muss, ist eine Sammlung aus Gouvernantendress, Mönchskutte und Trachtenkleid.Schwarzrotes Kleid

Ich musste mich dringend mal mit Zierstichen austoben. Das fertige Kleid kann bestimmt auch mit Bollenhut getragen werden.

Gut und Böse

Themenwechsel: Katrin Rönicke war auf einer Konferenz in Breslau, ihr Bericht macht neue Perspektiven zu Osteuropa auf und animiert mich sehr, mich mit der Cleavage-Theorie zu beschäftigen. Ich finde es nötiger denn je, sich von den vorgefertigten Urteilen westeuropäischer Weltsicht zu verabschieden, um z.B. einschätzen zu können, was gerade in der Ukraine passiert.

Spielen und Lernen

Nun ist es sicher, ich fahre im Mai zu einer zehntägigen Weiterbildung nach Palermo.
Das war zunächst so eine „jo… machen wir mal…“-Sache, als mein bester Freund auf Vakanzen in dem Seminar hingewiesen wurde und mich fragte, ob mich das interessieren würde. Aber wie es so ist, nichts im Leben passiert zufällig, hier treffen meine Ursprünge meine gegenwärtige Arbeit. Es geht um unsichtbares Theater*, Improvisationstheater und den Einsatz von solchen Elementen in der Erwachsenenbildung. Ich habe schon immer gern szenisch gearbeitet, etwas zu erleben oder zu beobachten ist viel tiefgehender, als etwas erklärt zu bekommen.
Ich bin sehr gespannt, aber auch sehr skeptisch, ob ich der Sprachbarriere gewachsen sein werde. (Die Teilnehmer kommen aus ganz Europa und es wird englisch gesprochen.)

Eskapismus und Introversion

Wenn ich den Rest des Februars zwischen Schwerin und Wismar verbringe, dann ist das etwas, was ich mir schon lange erfüllen wollte. Ich wollte schon immer mal mehrere Wochen am Stück woanders leben. Also nicht Urlaub, auch weniger zu Besuch sein, sondern einfach andere Regionen ausprobieren, ohne sofort umzuziehen.
Sollte es zu hütende Häuser und Wohnungen geben – nur zu. Ich kann auch prima Rasen mähen.

 

*heute würde man flapsig Flashmob dazu sagen

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