Journelle schreibt in: Liebe Boulevard- und People-Magazine, liebe “Stars”, wir müssen sprechen. von ihrer langsamen Entfremdung von den Print-Boulevard-Medien, weil das Internet vielfältigere und authentische Frauenbilder bietet. Verständlich.
Es geht mir ähnlich, bei mir hat der Prozess schon einige Jahre eher eingesetzt und hatte weniger mit dem Internet zu tun (viele englische Seiten lese ich wegen der Sprachbarriere gar nicht), als damit, dass ich im Job zu sehen bekam, wie das Produkt Magazin funktioniert und vor allem wie die Ware Star bzw. Celebrity entsteht. Ich habe jahrelang Magazine nur unter dem Aspekt gelesen: Ob und wie werden meine Schützlinge präsentiert und wie und mit welchen Mitteln sind die Mitbewerber präsent?
Insofern sind meine Kommentare Ergänzung aus anderem Blickwinkel zu Journelles Text.
A Star is Born – und nun?
„Star“ ist unser Begriff dafür, dass eine Person auf Grund ihrer besonderen Leistungen als hervorgehoben, einzigartig und vorbildhaft empfunden und mit einer besonderen Aura umgeben wird. Bei Celebrities braucht es nicht einmal die Leistung, es reicht die öffentliche Rezeption der Person.
Dass jemand ein Star ist, entsteht in unserem Kopf, in unserem kollektiven Empfinden und wird durch Medien widergespiegelt und/oder initiiert. Medien und Stars/Celebrities sind eng miteinander verbunden, Magazine verkaufen sich mit Stars und Stars verkaufen sich mit Magazinen.
Ich habe viele deutsche und amerikanische Stars/Celebrities bei meiner Arbeit als Agentin erlebt. Mal abgesehen davon, dass die meisten Amerikaner, wenn sie in Deutschland sind, auch wenn sie privat erscheinen, einen ziemlich guten und harten Job machen – wenn du einem Star in Echtheit begegnest, erkennst du ihn in den seltensten Fällen, es sei denn, derjenige/diejenige will das, schaltet den inneren Scheinwerfer an und leuchtet (manche können das auch gar nicht abschalten, weil ihre Marke so eng mit ihrem Äußeren verschmolzen ist oder weil sie schwer narzisstisch sind). Es gibt eher den „die/den hab ich doch schon mal irgendwo gesehen, aber wo?“-Effekt.
Kleine Anekdote am Rande, ein Fernsehkommissar, ziemlich bekannt, wöchentlich im Vorabendprogramm zu sehen, hat an der Autobahnraststätte zuwenig Geld mit, die Verkäuferin sagt: „Zahlen Sie doch einfach ihren Kaffee beim nächsten Mal, Sie halten doch regelmäßig hier!“ Sie hat nicht bemerkt, dass der Mann zum ersten Mal da war, sie dafür aber wöchentlich durch den Fernseher zu Hause besucht.
Wie wird ein Mensch zu einer Person öffentlichen Interesses?
Oder „What’s Your Superpower?“ Einem Schönheitsideal zu entsprechen? Etwas herausragend gut zu können? Reich zu sein? Endlose Kraftreserven zu haben? Unverletzbar zu sein? Schwierigkeiten zu überwinden?
Kann aus Lieschen Müller mit den abgefressenen Fingernägeln ein Star werden, wenn sie nur recht hübsch und fleißig ist? Jein. Solche kleinen Streber spuckt die Branche meist schnell als ungenießbar wieder aus, denn seelenlose Leistung allein zählt nicht. Attraktivität allein bringt Frauen zwar sehr weit, denn sex sells, aber diese Karriere landet oft unter der Gürtellinie, wenn es nichts anderes an dieser Person gibt oder ist spätestens dann zu Ende, wenn der Körper jenseits der 30 zu altern beginnt. (Machen wir uns nichts vor, dahinter steckt die digitale Reaktion: Für Nachwuchs interessant oder uninteressant.)
Der reiche Karl Krawuttke aus Grevenbroich bringt keine Bunte-Redakteurin zu einer Aufmerksamkeitsreaktion. Muskel-Enrico, bei seinen Trainingsfreunden auch „The Body“ genannt, bringt allenfalls Junggesellinnenabschiede zum Johlen, aber keine riesigen Säle.
Und dann kommt ein Jemand daher, wird noch eine Weile als Geheimtip gehandelt und steht auf einmal im Fokus der Aufmerksamkeit und ist eigentlich ganz normal. Hat eine Lücke zwischen den Vorderzähnen, dünnes Haar, dicke Hüften, Angst bei einem Zweimetersprung, den Stimmumfang einer Katze, ist vielleicht nicht ganz so helle im Kopf… Man stellt diesen Menschen hin, rückt ihn ins rechte Licht und Menschenmengen bekommen weiche Knie. Was ist das?
Charisma!
Charisma ist eine schwierig zu beschreibende Eigenschaft. Früher sagte man, diese Menschen seien von Gott beschenkt, heute bezeichnet man es eher als Ausstrahlung, rückt es fast in die Nähe des aufmerksamkeitsaffinen Narzissmus.
Charisma ist, wenn ein Mensch bigger than life erscheint, durch seine Emotionen Emotionen in uns auslöst und und in seinem Sein und Verhalten unsere Wünsche, Lüste und Träume verkörpert. Manchmal brauchen wir diesen Traumkomplex zum Überleben, manchmal läuft er nur nebenbei als Unterhaltung mit. Aber unsere Spiegelneuronen brauchen scheinbar dieses Futter. Und das bedeutet als allererstes, auch wenns wehtut: Ein Star ist ein charismatischer Mensch ist eine perfekte Projektionsfläche für Viele, mehr nicht.
Zeig mir deine Stars und ich sage dir, wer du bist und wie deine Gesellschaft aussieht
Journelles Ärger über den Gap zwischen ihren Bedürfnissen und der Welt der Printmagazine zeigt mir, daß sie entweder die Projektionsflächen gewechselt hat oder aber eine andere Form, sich zu spiegeln nutzt – in dem sie auf Authentizität und Identifikation setzt. Sie will sich von bigger than life nicht mehr unter Druck bringen lassen.
Denn gibt zwei grundlegend verschiedene Arten, durch die Medien ausgewählte Menschen zu betrachten.
Die eine nutzt die Technik Heroisieren – Stigmatisieren. Das sind die Schlagerstar-, Adeligen- und Königinnengeschichten, die immer wieder die Botschaft mitbringen: In dieser Familie läuft auch nicht alles super, diese reichen, erfolgreichen und schönen Menschen, die alles das haben, was ich nicht habe, sind unglücklicher, kränker und leidender als ich, was heißt, dass ich mit dem, was ich habe, zufrieden sein sollte.
Die Reportage der Traumhochzeit und des Babyglücks bereitet nur die Höhe für den Fall in die Tiefe von Scheidung, Krankheit und Ruin ein paar Monate und Jahre später vor. Das Zielpublikum solcher Geschichten sind Frauen, deren Leben in engen Bahnen läuft, durch Herkunft, Tradition und Einkommen definiert, denen Dinge immer wieder „passieren“ und die glauben, wenig Einfluss darauf zu haben. Die typische Leserin der „Hackfleischmagazine“ (heißen so weil immer Hackfleischrezepte drin stehen) ist nicht sehr gebildet, ortsverwurzelt, familienaffin, sparsam oder arm, passiv, angepasst und lebt in traditioneller Rollenteilung. „Frau im Spiegel“, „Das Goldene Blatt“ und wie sie heißen, das sind die Magazine mit den Stars für die ältere deutsche Provinz.
Die andere Kategorie sind die Magazine, die mit der „Heroes? Nothing is Impossible!“-Technik arbeiten und den Leserinnen suggerieren „Du kannst alles erreichen, wenn du dich nur genug anstrengst – wir zeigen dir hier deine Ziele“.
Ein großer Selbstbedienungsladen an Vorbildern ist das. Celebrities zeigen, dass dünn, langhaarig und hübsch ausngezogen auf Parties rumstehen und ggf. von einem Fußballspieler geheiratet und zur Schmuckdesignerin befördert zu werden, Karriere bedeutet und sind damit Orientierung für all die, die sonst nichts anderes können und wollen.
Die Vorbilder für die, die vom Leben mehr wollen, sind komplexer. Das sind attraktive, gesunde, schlanke, alterslose, sportliche, durch eigene Arbeit wohlhabende, begabte, mit attraktiven Männern und meist mehr als zwei Kindern in nicht enden wollendem romantischen Liebesleben verpartnerte Frauen. Ab und zu gibt es auch die Geschichte eines Zusammenbruchs und anschließenden Rehab-Aufenthaltes, aber das Hauptgewicht der Berichterstattung ist: Sie schafft es!
Seltenst tauchen hier erfolgreiche Unternehmerinnen, Konzernchefinnen, Wissenschaftlerinnen, bildende Künstlerinnen, Schriftstellerinnen, virtuose Musikerinnen und Politikerinnen auf. Wenn wir dahinter schauen, haben all diese Frauen in den bunten Hochglanzzeitschriften einen einzigen Beruf: Sie sind Darstellerin ihrer selbst, auch wenn sie ab und zu einen Film machen, in dem sie eine überirdisch schöne Heldin darstellen oder auf Konzerttournee gehen. Was wir sehen, ist ein Produkt.
Das vergessen wir gern, wenn wir diesen Frauen nacheifern und uns minderwertig fühlen: Das sind Leistungssportlerinnen auf dem Parcours der Selbstdarstellung, -perfektionierung und -optimierung. Zum Leistungssport braucht es die geeigneten physischen und psychischen Voraussetzungen = „gute Gene“, arbeitstaglanges Training, einiges an Doping = plastic surgery, einen Arzt, der abrufbereit ist, ein weiteres Team für Ernährung und Körperfitness und eine große Portion Risikofreude, was Schäden und Nebenwirkungen angeht, plus dem Bewusstsein, dass das nicht ewig durchzuhalten ist.
Star ist ein Vollzeit-Job
Das, was wir glauben, dass es ein Normalzustand ist, ist 1. eine Präsentation sorgfältig inszenierter und aufbereiteter Augenblicke und 2. eine Charismatikerin bei der Ausübung ihres Berufes. Wir haben aber schon einen Beruf, meine Damen und sind meistens auch keine Charismatikerinnen.
Wenn wir versuchen, auch nur annähernd so attraktiv wie Stars oder Celebrities zu sein – und meistens konzentriert sich das dann auf die Orientierung an wenigen Äußerlichkeiten, die wir beeinflussen können: Körpergewicht, -form, Haare, Outfit, Make up, vergessen wir, dass ein Bizeps noch keine Madonna macht, eine hochoperierte Häschen-Lippe keine Scarlett Johannson und und Anorexie einen nicht augenblicklich zur Gattin und Mutter von drei Kindern von David Beckham befördert.
In Interviews erzählt niemand „nachdem ich vor dem Shooting morgens eine Backpflaume lutschen durfte, machte mir die Diätassistentin noch einen Einlauf, damit mein Bauch schön flach ist, wenn ich anschließend ins Kostüm genäht werde, denn Abführmittel wirken nicht mehr.“ Da erzählt man dann das Ammenmärchen von den vier Litern Wasser am Tag und man esse, was man wolle. Wollen wir die blutigen, verkrüppelten Füße von Ballerinen sehen? Nein, wir wollen das anmutige, schwerelose Schweben.
Wenn Stars und Celebrities nicht arbeiten oder für einen Job trainieren, sind sie meistens wie wir. Sie essen und trinken gern, schlafen viel, setzen Fett an, haben fettige Haare und bekommen einen Hängebauch wo ein Sixpack war, weil sie nicht mehr stundenlang täglich trainieren. Cher hat mal vor Jahren dazu einen saftigen Spruch gemacht, sie sei schließlich Oma und damit die Supersexy-Halbnackt-Kostüme wieder an den richtigen Stellen passen, würde sie ihrem Publikum den Gefallen tun, Monate vorher täglich stundenlang als Workout mit dem Arsch über den Boden zu rutschen.
Sport. Seit wir unseren Körper nicht mehr zum Arbeiten (ver-)brauchen, ist er ein wichtiges Kleidungsstück geworden. Sport, Diät und protestantisches Leistungsdenken mausern sich gerade zum Religionsersatz, wie mir scheint. Wie sonst lassen sich effiziente Triebabfuhr, Triebbeherrschung und Leistungsorientierung perfekt auf den ersten Blick demonstrieren als durch einen durch Sport und Diät perfektionierten Körper?
Was sind die Rollenvorbilder der weiblichen digitalen Elite?
Ich stellte es schon weiter oben fest: Journelle hat das Medium gewechselt, wie sie selbst sagt, sich sich von der Deutungshoheit klassischen Boulevard-Prints verabschiedet, ihre Art zu rezipieren (nämlich nicht mehr durch Redakteure gefiltert, die vorschreiben, was in und was out ist) ist anders und sie ist bei anderen Körperbildern und völlig anderen Lebensentwürfen gelandet. Dort, wo Kompetenz und Sinnlichkeit sich nicht ausschließen, wo es nicht mehr nur darum geht, für die anderen mit viel Aufwand den äußeren Schein zu wahren – das digitale Leben scheint sowieso transparent – hin zu Identifikation, Diversität und authentischer oder authentisch inszenierter Intimität.
Die Print-Verleger behaupten, etwas anderes als die perfekten Menschen in den perfekten Lebensentwürfen (plus die gefallenen Engel in den schicksalsgläubigen Hackfleischblättern) würde sich nicht verkaufen. Das würde ich nicht einmal bezweifeln. Ich denke an das Experiment von TV-Spielfilm, auf dem Cover einmal nicht das Brustbild einer schönen, jungen, blonden Frau vor blauem Hintergrund zu haben – mit desaströsen Verkaufszahlen. Es scheint eine klare Ikonografie und Dramaturgie für Print-Boulevard-Magazine zu geben. Ich bezweifele, dass die Redaktionen aus der Ecke noch mal rauskommen.
Man gewinnt den Eindruck, die Boulevardmedien und ihre Lieferanten, die Stars anderer Medien, haben sich in der selbstreferenziellen Konzentration von „Geschichten erzählen über Darsteller von Darstellern und du als Leserin kannst das auch“ ein ziemliches Ei gelegt und verärgern systematisch ihr Publikum, weil nur wenige lemmingshaft hinterherrennen wollen und können. Die Heroinen, die sie im Angebot haben, sind so monumental, dass es einen frustriert.
(edit: Das ist vielleicht noch wichtig zu wissen, die Inhalte der Boulevard-Magazine sind sensationell billig. Sie basieren größtenteils auf Bild- und Textmaterial der PR-Agenturen der Stars. Die Redakteure wählen die Selbstinszenierungen nur aus und stellen zusammen.)
Das Internet ist in großen Teilen kostenlos, logistisch bequemer, internationaler, demokratischer, auch in den Menschenbildern. Ein Foto ist schnell gemacht, kommentiert, verbreitet, gesammelt. Ob das noch lange so bleibt, werden wir sehen. Auch, ob wir das noch lange ausschließlich sehen wollen.
In meiner Kindheit und Jugend dominierten die Menschenbilder der sozialistischen Menschengemeinschaft die Medien. Es blieb zwar beim protestantischen Arbeitsethos, aber optisch waren die Stars dezidiert normal. Mädchen-und Mutti-Frauen (Höhepunkt des Sex Appeals: Angelika Waller in „Die Frauen der Wardins“ als Melioratorin Anna in Gummistiefeln mit rotem Nagellack), erdige, naturbelassene Männer, Antihelden, die nicht einmal mit Macht und Geld punkten durften. Langweilig.
Stahlende Helden, die mühelos die Prinzessinnen in der goldenen Kutsche erobern, wären mir lieber gewesen.
Die Ur-Legenden und ihre Helden bleiben
Ich bin mir sicher, dass die Hinwendung zur Authentizität immer dann folgerichtig passiert, wenn die Rollenvorbilder nicht mehr den Bedürfnissen des Publikums entsprechen. Schmutzige, wilde Rockstars brachen das Bild des angepassten, gesellschaftsfähigen Mannes. Werden sinnliche, raumgreifende Frauen das Bild des fleißigen, drahtigen Magerfrauchens ersetzen? Oder welche Möhre lassen wir uns demnächst vor die Nase hängen?