Erkenntnis des Tages: Eine Prise Natron macht nicht nur Hülsenfrüchte schneller weich, sondern die befördert die Hülsenfrüchte beim Aufkochen auch ganz oben auf einem beeindruckenden Schaumpilz aus dem Topf heraus. Also das Ganze noch mal neu aufsetzen, aber vorher den Herd putzen.
(Grade gelesen, ich hätte die linsen in Natron einweichen und das Wasser wegschütten müssen. Gnaaa….)
Bleiben wir beim Essen.
Triggerwarnung: Es geht hier explizit um Tiere essen. Außerdem kann der Beitrag Spuren von Ironie enthalten.
Professor Anatol Stefanowitsch stellte dieser Tage fest, dass es vor den 50er Jahren in Deutschland kein Z…schnitzel gegeben hat. Das ist sehr wahrscheinlich richtig.
Die Argumentation der Gegenseite „das hat es doch schon immer gegeben“ stimmt nicht.
Außerdem ist völlig klar, wenn Betroffene einen Begriff nicht mehr haben wollen, kommt er weg und wenn diese sich einig sind, wird das auch passieren.
Und trotzdem macht es sich der Herr Professor etwas leicht. Essen ist eine hochgradig komplexe Angelegenheit. Sprache und Bräuche sind lebendig, es gibt die anarchischsten Bedeutungsverschiebungen.
Kennen Sie noch den?
Warum?
1. Kochbücher und überhaupt alles um Küche und Haushalten in Deutschland war seit der Jahrhundertwende dem Zeitgeist folgend sich steigernd deutsch-national. Schon deshalb hätte es vor 1945 kein Z…schnitzel geben können.
In meiner Berta-Dissmann-Ausgabe „Ratgeber für Herd und Haus“ von 1918 wird der in der Küche völlig gebräuchliche Begriff „Soße“ (weil französischen Urspungs) durch den Kunstbegriff „Beiguss“ zu ersetzt. Man wünscht nichts mehr zu hören, das an die Schmach von Versailles erinnert. Der Versuch, mit dem Austausch von Worten ein Mindset zu ändern ist keine Neuheit, wie wir sehen und Sprachpolizei konnten die Deutschen schon immer gut.
Eine Frau, die in dieser Geisteshaltung mitläuft, würde ihrem Mann nie ein Z…schnitzel servieren. Außerdem hatten … mit bürgerlichem, fettem, pikantem habsburgischem Essen nichts, aber auch nichts zu tun. Das Volk war assoziiert mit Hunger, schwierigen sozialen Verhältnissen und essen, was man kriegen kann bis hin zu für uns recht sonderbaren Eßgewohnheiten.
In einem Zwieselchen-Band von Werner Bergengruen (ich hoffe, ich erinnere mich richtig und es war nicht ein anderes Buch aus der Kindheit meiner Oma), einem Kinderbuch aus den 30ern, schildert eine Figur, ich glaube die Mutter des kleinen Jungen, sehr empathisch ihre Kinder-Freundschaft mit einem …jungen. Die Schilderung gipfelt darin, dass die Mutter erzählt, dass sie mit dem Jungen zusammen einen Igel in Lehm gehüllt im Feuer brät, isst und es ziemlich schmackhaft findet.
So eine Episode in den 30ern in ein Bestseller-Kinderbuch zu schreiben, das ist wie Jazz hören (wir erinnern uns, in dieser Zeit schon zunehmend als N…musik verpönt) oder 12 Jahre später einen Schrammel-Film zu drehen, gerade Abwendung von deutscher Dumpfheit und Herrenmenschenmentalität.
Dieser Impuls sickert nach 1945 in die Massenkultur und kippt ins sentimental-romantische mit Zirkusromanen, den Wandteppichen mit glutäugigen Schönheiten, denen die Bluse von der Schulter rutscht, jeder Menge Musik, dazu Z-spießen, -soße und eben dem unseligen Schnitzel.
Es zeigt die trampelige, verdrängungsaffine Art der Deutschen, nachdem sie sich als Nazimitläufer oder FaustinderTascheBaller profiliert hatten, nach Kriegsgefangenschaft und Trümmerfrauenkarriere, mitten im Wirtschaftswunder so etwas war wie Weltoffenheit zu schaffen. Es hat sich damals keiner Gedanken darum gemacht, daß dieser Name ein Maledictum ist. Er war in der Phase der romantischen Verklärung angekommen. Du benennst kein Essen nach dem, was du ablehnst.
2. Und das Paprikaschnitzel? Das sich seinen Namen aber auch nur geborgt hat von dem, was wir in Deutschland Gulasch nennen und im Ursprungsland Ungarn Paprikas oder Pörkölt heisst.
Gulyas, also das, was in Ungarn Gulasch ist, war der Eintopf der Puszta-Rinderhirten, Rindfleisch von einem notgeschlachteten Tier, oft ein Kalb, dazu Zwiebeln und Kartoffeln, gewürzt mit Kümmel- und Paprikapulver und ab mit dem Kessel übers Feuer. Wer kein Rinderhirte war, nahm anderes Fleisch, das Gericht eignete sich auch hervorragend zur Heeresverpflegung, (daher kommt der Begriff Gulaschkanone) denn irgendein Pferd musste immer geschlachtet werden.
Das Paprikas war ein Schmor-Gericht aus Kalbs- oder Rindfleisch (ärmere Leute nahmen gern Schweinefleisch), das Paprikafrüchte und saure Sahne enthielt. Das, was wir heute Gulasch nennen.
Schnitzel war ein Gericht für Leute, die sich besseres Fleisch leisten konnten. Im Gegensatz zum weniger edlen Fleisch der Schmorgerichte konnte es kurz gebraten werden und war trotzdem zart und ohne Knorpel und Zadder. Paprikaschnitzel ist also ein Paprikas für bessere Leute, ein dekonstruiertes Gulasch. Darauf beziehen sich auch die Fundstellen des Herrn Professor.
Aber ein Z…schnitzel ist kein Paprikaschnitzel. In den 50ern wurde entweder irgendein Paprikaschnitzel-Rezept aus der hautesten cuisine der Vorkriegszeit adaptiert, das die Paprikasoße zusätzlich mit Zungenwürfelchen, Schinken, Champignons und Trüffeln versieht. Oder aber es ist eine Erfindung der Freßwelle der 50er. Zumindest hat das Z…schnitzel mit dem Paprikaschnitzel höchstens noch 3 oder 4 Zutaten gemein.
Die Behauptung, das Z…schnitzel hätte vor dem Krieg regulär Paprikaschnitzel geheißen, hält einer tieferen Recherche mit Sicherheit genauso wenig stand, wie die der Gegenseite, dass es das Z…schnitzel bereits immer gegeben hätte.
Egal wie wir es nennen, es ist sehr wahrscheinlich eine verfressen-romantisierende Erfindung der 50er und kein Paprikaschnitzel.
edit
tl;dnr
Gulyas (Österreich-Ungarn) -> Eintopf für Hirten und Soldaten
Paprikas (Österreich-Ungarn) = Gulasch (Deutsch)
Paprikaschnitzel (Österreich-Ungarn) -> Paprikas für feine Leute
vor ca.1950: Escalope Tsigane (französische Kreation von Escoffier & Co.) -> Paprikaschnitzel für ganz feine Leute (aber never-ever für stramme Deutsche, weil Frankreich bäh, Z… bäh)
nach 1950: Z…schnitzel (Deutsch, mit vulgarisierten Zutaten, weil man ist ja jetzt weltoffen)
Selbst in der Kurzfassung ist es kompliziert.
Ich habe übrigens heute ein Curry-Gericht gekocht. Mit Hähnchenfleisch, Linsen, Mango aus der Dose, Kokosmilch, Zuckerschoten und Hokkaido-Kürbis. Jeder Inder würde sich totlachen. Und jeder Inder würde sagen, er sei kein Inder, sondern (Volksangehörigkeit einfügen). Das ist meine verfressen-romantisierende Vorstellung von indischem Essen.
PS: Da es relevant scheint (das war zumindest der Tenor der Diskussion auf Twitter), dass man für das Recht, sich kommentierend im Blog des Herrn Professor zu äußern, ausgewiesenen Sachverstand haben müsste: 2 Semester Kulturgeschichte des Alltags sollten doch wohl reichen oder?
Ich hatte keine Lust darauf, per Kommentar Stichwortgeber für seine Sommerloch-Profilierung zu sein. Ich lasse lieber selbst hängen.