Vielleicht nie

Rote Nase, dünne Haare, Schusterdaumen. Manches schleppt ein Mensch durchs Leben und es bleibt ihm nichts weiter übrig, als dazu zu stehen oder die übelsten kosmetischen Disharmonien zu kaschieren.
Schüchternheit, Unsicherheit und Soziophobie lassen sich zunächst irgendwie zudecken. Mit dem Image von Einzelgängertum, Unabhängigkeit und Distanziertheit läßt sich spielen. Alles so arrangieren, daß andere einen brauchen, etwas von einem wollen, damit man selten auf einen anderen Menschen zugehen muß. Leistung und Kompetenz als Währung für Aufmerksamkeit und Anerkennung einsetzen. Sich in ein gesellschaftliches Netz einknüpfen, das auch Menschen hält, die sich per se als unerwünscht und überflüssig betrachten
Und jenseits der Masken wird es kritisch. Wenn man einem Menschen so nahe gekommen ist, daß man sich authentisch erlebt. Ungekämmt und ungepudert umherläuft.

Immer wieder diese Angst. Egal wie intensiv das Zusammensein war, wie gut man sich verstanden hat, wie in Ordnung grade die Welt ist. Nächtelang in Löffelchenstellung geschlafen oder zumindest Händchen gehalten. Sich umarmt und sich in die Augen gesehen, nach einem Jahr sich eingestanden, wie wichtig man füreinander geworden ist.
Man dreht sich um, fährt nach Hause und der andere Mensch, der grade noch so nah war, dem man vertrauen konnte, ist weg. Nie wieder wird es so, wie es war. Es gibt keinen Begriff für Zeit. Warten ist der Tod. Und selbst handeln, auf andere Menschen zugehen, ist unmöglich.

Ich sitze hier, wie ein verlassenes Baby, das in der Wiege liegt. Es weiß nicht, ob überhaupt noch jemals jemand kommen wird und sich kümmert. Es weiß nicht, ob es das überlebt. Es kann niemand erreichen. Schreien nutzt nichts. Dann kommt nur manchmal ein Gesicht, redet, faßt das Baby nicht an.
Ich bin nach 10 Tagen hin und her zwischen HeMans Wohnung und meinem Schreibtisch wieder für einige Tage bei mir. Habe mich gefreut auf die Tage für mich. Hier ist so viel liegengeblieben. Und kaum ist die Tür zu, kaum stehe ich in meinem Raum, retardiere ich zu diesem verlassenen Wesen. Für jemanden, der ungern anderen zur Last fällt, noch andere in solche sehr persönlichen Probleme verstricken will, ist das eine Katastrophe.

Ich werde es nicht los. Diese Wurzellosigkeit meiner frühesten Kindheit. Der kleine Wandervogel, der von Großeltern zu Tanten und Onkeln, zur Mutter, zu Hausangestellten und wieder zurück gereicht wurde. Das ungewollte Baby, das kommentiert wurde mit: die kriegen wir schon irgendwie groß. Irgendwo hatte der Stubenwagen immer Platz und wenn es schrie, sah mal jemand herein. Später dann ein nettes blondgelocktes Spielzeug, ein kleiner Gast, der wieder weitergegeben wurde. Das liebe Mädelchen, das still und anspruchslos zuhörte, was die Erwachsenen redeten und ihren Ton bald imitierte. Das sich zu benehmen wußte und mit drei schon im Restaurant mit der Gabel essen konnte. Aber das nichts essen wollte, denn es saß immer wieder vor neuen Gerichten, an anderen Familientischen. Das lange kein eigenes Spielzeug hatte. Immer nur das benutzte, was sich gerade an seinem Aufenthaltsort befand. Die Porzellankopfpuppen der Großmutter, das liegengelassene Spielzeug des Bruders (der bei der Mutter aufwuchs), den Teddybären der Mutter, die Gipsbausteine des Vaters.
Das Mädchen, das vor gleichaltrigen Kindern wegrannte, weil es ihre Spiele nicht verstand. Das sich im Spiel immer nur auf ein Kind einlassen konnte und eigentlich am liebsten in seinem großen Garten allein war. Das nur einen Freund hatte und der wollte aus unerfindlichen Gründen immer nur das tun, was sie auch grade wollte. Der sie schließlich langweilte mit seinem unkomplizierten Gleichklang.
Das Mädchen, das seine Wanderschaft mit Gleichmut hinnahm. Irgendwer war immer da. Egal, wer. Bis die Krankenhauswochen kamen. Isolierstation. Zusammen mit 20 anderen Kindern im Saal. Die Tanten und Onkel und Großeltern immer nur als Gesicht an der Scheibe. Wie ein Alien saß es herum. Verstand nicht, worum es ging, wenn die anderen redeten, wie sie weinten und lachten und Freundschaften schlossen und sich stritten. Sie wollte nichts essen. Sie wollte auch nicht pinkeln und nicht scheißen. Am liebsten wollte sie gar nicht da sein, nicht existieren, niemandem zur Last fallen, niemandem Grund geben, zu schimpfen.
Im Goldfischglas. Ewig.
Scheiße, hört das denn nie auf?

So. Selbstmitleidmodus wieder aus.

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in der Aufzählung unkorrekter Neigungen.
Arnold Schwarzenegger in Conan, der Barbar. Einmal im Jahr brauche ich den Film. Ich habe eine alte Fernsehaufzeichnung auf VHS, völlig verrauscht und verschrappelt. Dazu etwas billiges Gesöff und Schokolade. Arnies Muskelberge und sein hübsches, etwas unbedarftes Bergburschengesicht. Unbezahlbar.

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Ich breche eine Lanze für

Franz Josef Wagner . Ja, für den kettenrauchenden, immer schmierig und verlebt wirkenden Bild-Chefkolumnisten. Der in den letzen Jahren nur noch mit seinen Volksseelen-Artikeln auf Messers Schneide vor den mißmutig gerunzelten Augenbrauen des Feuilletons tanzt.
Anfang der 90er brauchte ich in meiner ostdeutschen Sucht nach bunten Bildern ab und zu MAX, auch wenn es teuer war. Dort schrieb er 80 oder 100 Zeilen. Über Nachtschwärmer in Berlin. Darüber, daß sie an der Currywurstbude stehen, die übriggebliebenen, enttäuschten Frauen, für die er wieder nicht dabei war und die druckbetankten, träumenden Männer, denen ihr Beuteschema wieder einmal die kalte Schulter gezeigt hat. Darüber, daß sie einsam nach Hause gehen und allen außer Selbstekel und Träumen nicht viel geblieben ist.
Dieser brachiale, ziemlich anachronistische Existenzialismus der Texte traf mich immer wieder wie ein Schlag in die Magengrube. Das war pur, im Gegensatz zu Maxim Billers distanzierten Zynismen, seinem kindischen épater les bourgeois in Tempo.
Der Stil erinnerte mich an Kisch, Tucholski und Kerouac.
Und Headlines konnte er. Nach längeren Texten zu recherieren, war mir nicht so wichtig. Ich las, wenn ich Bild in der Hand hatte, seine Kolumne, blendete meist den Inhalt aus und berauschte mich an den Sätzen.
Und heute lese ich etwas verspätet im Spiegel Nr. 29 seinen Artikel zum 20. Todetag von Jörg Fauser. (Leider nicht zu verlinken, da im kostenpflichtigen Archiv.) Ich weiß wenig über Literatur der Bundesrepublik, mich haben andere geprägt. Heiner Müller, Volker Braun, Irmtraud Morgner, Christa Wolf (widerstrebende Rezeption) und die selbstgedruckten Künstlerheftchen der Berliner und Leipziger Szene.
Wagners Erinnerungen an Fauser sagen mir eines: es gibt die anderen 68er. Sie schreiben für Bild, haben Aktiengesellschaften, sind Millionäre und/oder sind verkommene Alkoholiker. Revolte war für sie genauso wichtig. Aber hat sie die Überformung durch die hehre Lehre interessiert? Rausch war wichtig und Bewegung und Unkonventionalität und Weiber. Die Rechtfertigung durch Ideologie war scheinbar nicht nötig. Ich muß das ganz naiv fragen. 68er sind für mich eigentlich Althippies, Studienräte, Grünen-Funktionäre, Öffi-Fernsehredakteure, Terroristen und deren Unterstützer oder schlicht die weißhaarigen Kiffer im Görlitzer Park. Die öffentliche Darstellung sagt immer: die (linken) Nicht-Spießer gegen die (rechten) Spießer.
Das scheint nicht zu stimmen.

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Jeder blamiert sich so gut wie er kann

Das Kind übt fürs Studium Mathe. Da sie auf sanften mütterlichen Druck nicht nur brotlose Kunstwissenschaft (wie Mama) studieren soll, sondern etwas, bei dem auch die Kenntnis vom Verwalten und Besorgen von Geld und Gut dazugehört, kann sie sich leider nicht drauf herausreden, daß ihr Mathematik nicht liegt.
Ich verzweifele zähneknirschend über der monatlichen Buchhaltung, die schon seit 14 Tagen beim Steuerberater liegen soll und das Kind kommt immer mal an meinem Schreibtisch lang, wenn sie etwas nicht versteht.
Die Aufgaben sind zunächst leicht. Funktionen vereinfachen durch Auflösen von Klammern. Mit der ersten binomischen Formel komme ich auch noch zurecht. Doch dann: verschachtelte, versteckte Binome, quadratische Ergänzung… Hilfe! Ich starre auf die Formeln und in meinem Kopf gibt es kein Echo mehr.
Kann nur noch sagen: Ich kann dir da nicht helfen!

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