Fünf Fragen zur Demokratie

Isabella Donnerhall hatte ein Stöckchen in die Runde geworfen. Ich hatte es gleich Anfang der Woche aufgegriffen und zu schreiben begonnen und dann ließ ich den Text liegen, weil ich dachte, das wäre zu privat. Aber jetzt habe ich es doch fertig geschrieben. (Ich werde mich um Kommentare nicht richtig kümmern können, falls es welche gibt, denn so halb bin ich ja schon weg.)

Was bedeutet der Begriff Demokratie für dich – unabhängig von seiner Definition?

Volksherrschaft. Die Beteiligung möglichst vieler Menschen, egal welchen Standes, Bildung oder Familie an der Auswahl seiner Interessenvertreter. Das Volk wählt Menschen, die die Entwickungsrichtung einer Nation, Region oder Verwaltungseinheit für die nächsten Jahre gestalten.
Durch die Vereinigung vieler Interessen kann Demokratie nicht übermäßig gerecht sein und steht immer in der Spannung von trägen Mehrheitsinteressen, Besitzstandswahrung und dem Druck der Modernisierung und den Wünschen von Vordenkern.
Das ist ok. Daß es Konflikte gibt, ist auch ok. Keine Konflikte ist Nordkorea, wo sich theatralisch freuende Militärs mit Notizblöcken um einen Erbherrscher scharen, bis der nächste von ihnen zum Tode verurteilt wird.
Und Volk ist nicht unbedingt das, womit ich mich identifiziere. Aber das muss ich aushalten. Mein Leben, wie ich es lebe, basiert auf den vielen Leben einfacher Menschen in der Provinz. Sie sind die Basis. Sie sind zu respektieren.

So gesehen kehrt plötzlich der von mir sehr kritisch beäugte Spruch meines Großvaters: „Bei allem, was du tust und sagst, frag dich, nützt es der Arbeiterklasse?“ in mein Leben zurück. Nicht, weil ich meinen Frieden mit ihm gemacht habe, oh nein. Ich werde mich nach wie vor in meinem Denken und Handeln nicht beschneiden. Ich will aber mein Leben und meine Ziele nicht auf andere projizieren. Meine Existenz, Werte, Ziele sind nicht das Maß der Dinge.
Leute wie ich, sind wenige. Leute, die erwarten, dass etwas über ihnen wacht, dem sie sich unterordnen, sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten gut beschützt und versorgt und die gegenüber Menschen, die anders sind als sie, mehr oder weiniger lautes und aggressives Misstrauen haben oder die das Gefühl haben, bei der Verteilung zu kurz zu kommen, sind zahlreich und ebenfalls durch das Konstrukt Demokratie in ihrer Existenz berechtigt. Wir brauchen einander, auch wenn wir uns selten verstehen. Im Gegenteil. Viele solche Spacken wie ich würden den Staat destabilisieren.

In welcher Form bzw. unter welchen Umständen könntest du dir vorstellen dich außerhalb der Stimmabgabe politisch zu engagieren? Anders gefragt – was hält dich ab?

Ich bin seit den Neunziger Jahren Mitglied einer politischen Partei. (Nachdem ich es in der DDR vermieden hatte, obwohl die Familie erwartete, dass ich mit 18 pflichtschuldigst SED-Mitglied werde.)
Ich habe eine einjährige Schulung für Frauen in der Kommunalpolitik absolviert. Inklusive Gastgesprächen von älteren Kommunalpolitikerinnen, die erzählten, was einen als Frau so erwarten kann und wie frau damit umgeht. (Schützenfeste! Politische Rituale! Männerbastionen! Mausischreibmalprotokoll-Kultur!))
Ich habe zwei Mal versucht, mich aktiv zu engagieren und wußte hinterher, ich bin dafür nicht geeignet. Ich bin Analytikerin, nicht Politikerin.
Beim ersten Mal haben mich Männer im Vorstand lächelnd ausgehebelt, indem sie ein hübsches blondes Mädchen programmierten und gegen mich und eine andere, sehr taffe Mittelständlerin zur Wahl stellten. (Verbündete finden und Allianzen machen war nie meine Stärke.) Das war noch die Zeit der Männerbünde, die noch so unfähig sein konnten, Frauen ließen sie nicht ran. Auf Bundesebene gab es Interesse an mir, da war ich schnell in Netzwerken drin und hatte Unterstützung. Das war schade, denn mich hätte aktive Medienpolitik sehr interessiert. Ich habe das verkackt.
Bei zweiten Mal stand ich für eine gänzlich andere, moderne Richtung: Politik für erfolgreiche, arbeitende, gebildete Frauen und Mütter. Gute Schulen, gute Kinderbetreuung, moderne Steuergesetze.
Ich verstand nicht, warum jemand anders in der Gruppierung immer in Richtung Sicherheitspolitik und Schutz von Frauen und Familie orientierte. Ich machte mich darüber lustig, dass Berlin scheinbar aus geprügelten Unterschichtsmuttis und bei Dates vergewaltigten Frauen bestand.
Was ich übersah: Diese Person arbeitete tief unten im gesellschaftlichen Flöz, sah das Elend und die Konflikte, die sich in manchen Vierteln und mit einigen Typen zusammenbrauten. Fünf Jahre später hat die Zeit ihr Recht gegeben. Sie gilt nun als Sicherheitsexpertin und wird bestimmt bei der nächsten Wahl eine politische Position bekommen.
Mein Fazit? Das ist nicht meine Tasse Tee. Ich bin zu ignorant und arrogant und interessiere mich nur für eine kleine Gruppe Menschen. Und für den Weg in die Politik, um zu buckeln und gleichzeitig abzusahnen, fehlt mir das Hofschranzen-Gen.
Denn die Politik, die Gestaltungsfeld von Allgemein- und Gruppierungsinteressen ist, wird nun mal von Menschen gemacht, die dort ihre persönlichen Interessen verwirklichen und die sind in den seltensten Fällen altruistisch.

Kannst du dir vorstellen freiwillig in einer anderen Regierungsform als der Demokratie zu leben? Falls ja, in welcher?

Da habe ich die ersten 25 Jahre meines Lebens gelebt, wenn auch hineingeboren und nicht freiwillig. Von der Struktur her war die DDR (für mich) eine aufgeklärte Monarchie, nicht säkulär, sondern von der religionsähnlichen marxistisch-leninistischen Lehre geprägt.
Mir ging es sehr lange verdammt gut damit, weil ich zur richtigen Familie gehörte. Als ich anfing, selbständig zu denken und zu handeln, rannte ich gegen Wände: Das darf ich nicht so denken, jenes nicht so sagen, darüber muss geschwiegen werden, das hingegen schrei laut und kämpferisch heraus, auch wenn es nur ein Euphemismus und faktisch absurd ist! Ich kam in massive Konflikte.
Natürlich hätte ich es mir in den damals bestimmenden Eliten bequem machen können, die Türen standen weit offen. Nebenher hätte ich das dumme Volk bekopfschüttelt und beschimpft, das unsere Segnungen nicht zu schätzen weiß.
Nichts für mich.
Insofern weiß ich nicht, welche andere Regierungsform für mich in Frage käme. Ich finde die westliche Demokratie von der Gestaltungsfreiheit schon ziemlich gut, im Vergleich zu dem, was noch zur Auswahl steht.

Hast du schon einmal „aus Protest“ gewählt? Wenn nein, kannst du es dir vorstellen? Oder wäre Nichtwählen deine Form des Protests?

Nichtwählen kann ich mir nicht vorstellen. Ich habe seit 1989 tatsächlich die Wahl. Warum sollte ich dieses Privileg nicht nutzen?
Ich zucke sogar bei Briefwahl. Denn 1989 wurden wir Studenten zu vorfristiger Wahl am Studienort animiert (das Pendant zur Briefwahl) und in diesen Sonderwahllokalen wurden massiv Ergebnisse gefälscht.
Ich habe ein Mal in den frühen Neunzigern protestgewählt bzw. meine Stimmen an absurde rechte und linke Splittergruppen verschenkt. Deshalb hatte ich zwei Jahre ein schlechtes Gewissen. Es ging mir damals nicht gut. Ich war sehr arm und verzweifelte daran, dass die Gesellschaft von mir erwartete, dass ich arbeiten sollte, um mich zu ernähren und mir gleichzeitig alle Türen dazu verschlossen blieben.
Nichtwählen ist kein Protest, sondern Feigheit und Trägheit. Leute, die nicht wählen gehen, aber sich hinterher beschweren, dass „die da“ mal wieder nicht ihre Interessen vertreten, kann ich nicht ausstehen.

Zusammenarbeit und Kommunikation mit dem politischen Gegner – unter allen Umständen? Gibt es eine Alternative zur Diplomatie?

Definiere politischer Gegner. Das Wort hat für mich durch exzessiven Gebrauch in der DDR seinen Wert verloren. Es bedeutete irgendwann nur noch: Leute, die nicht so denken, wie wir und uns etwas von unserer Macht wegnehmen könnten.
Ganz oft werden Gruppen, auf die Unzufriedene ihre Wünsche projizieren, durch Ausgrenzung noch attraktiver. Das ist die Steigerung von Opposition. Opposition muss nur dagegen sein, Korrektiv statt Konstruktiv sein. Ein isolierter politischer Gegner bekommt den Glow des Märtyrers. Das halte ich für gefährlich.
Das, was heute als politischer Gegner dasteht, halte ich eher für eine Ansammlung von Opponenten, die durch den Zulauf von durch Parteienmodernisierung politisch heimatlos Gewordenen gestärkt werden. So unangenehm es für Manche klingen mag: Auch Traditionalisten, Angstbeißer, Ewigzukurzgekommene und Liebhaber von Autoritäten haben in einer Demokratie das Recht auf Interessenvertretung, egal ob rechts, links oder Eichhörnchen.
Für alle, die mit ihren Ansichten außerhalb der Verfassung stehen, gibt es Gesetze, um sie zu maßregeln.

In der praktischen Politik findet der „Du bist mein Feind!“-Kindergarten in der Regel für die öffentliche Show statt. Die Leute reden nun mal miteinander, wenn sie sich bei der politischen Arbeit begegnen. Was nicht immer heißt, dass man miteinander befreundet ist, aber man respektiert und schätzt sich auch manchmal. – Und sammelt natürlich hinter dem Rücken Kompromat (auch über die eigenen Leute), das im geeigneten Moment eingesetzt wird, um jemanden aus dem Feld zu kicken. Da Leute in der Politik in der Regel gleich ticken, weil sie diesen Job ergriffen haben, verstehen sie sich auch. Nicht umsonst sieht Joschka Fischer heute zu 150% aus wie ein x-beliebiger konvervativer Bonze.
Leute mit wirren und radikalen politischen Ansichten schickt man man am besten gut betreut auf den Praxisparcours, das entzaubert sie meist schnell.

Natürlich gibt es Alternativen zur Diplomatie. Aber die sind halt Haudrauf und wenig elegant. Am Ende der Diplomatie gibt es meist Krieg.

 

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Fleisch

Triggerwarnung: Dieser Text ist mit Sicherheit nix für Veganer*innen und Vegetarier*innen. Es wird hervorragendes Rindfleisch zubereitet und gegessen.

Frau Indica war wieder einmal für ihre Gastro-Kolumne im Analogblog unterwegs. Da ich ihr die Idee zugetragen hatte – über den Grafen und dessen Bekannten Wiemer Wiemers, so geht der Weg von Empfehlungen – über gut zubereitetes Fleisch und speziell über den Goldhorn Beefclub zu schreiben, nahm sie mich als Mitesserin mit.

Ich dachte erst einmal Club … ok., das ist so etwas ganz Schnöseliges, Elitäres. Voller Leute, die nachsichtig lächeln, wenn frau nur Filet, Entrecôte und Rumpsteak kennt.
Am Ende hatten wir einen lehrreichen, amüsanten Abend voller Fleischlust.

Am Anfang war der Grill, den Josh Jabs, der Inhaber des Clubs, konstruierte.
Ich muss mal ein bisschen ausholen. Ich bin – so es mir mein Wohnort erlaubt – leidenschaftliche Grillerin. Mit Kohle, unbedingt, ein Gasgrill ist für mich ein schlechter Kompromiß, ein Elektrogrill kommt mir nicht ins Haus.
Der Graf ist in Hinsicht Holzkohlenfeuer und Schmurgelaromen, die jede Menge andere weniger schöne Kohlenwasserstoffe huckepack haben, ein bisschen vorsichtig und mag es lieber in der Grillschale.
Der Grill von Josh Jabs trägt diesen Bedenken Rechnung und hat ein Ableitsystem für das Fett, das nun nicht mehr ausschließlich rauchend verbrennt. Trotzdem trifft das Feuer durch enge Schlitze auf das Fleisch und die Temperaturen des Grills sind so hoch, dass ein Steak mit Kruste gart und innen blutig-rot bis rosa bleibt.
Das ist schon erst mal prima.

Vor zwei Jahren war der Boss es leid, als Grillmeister große Empfänge und Events zu bespielen und hat sich einen flachen 60er-Jahre-Bau in der Mommsenstraße* als Niederlassung gesucht, um die Berliner zu begrillen.
Der Gastraum ist in Dunkel und Gold gehalten, es gibt eine Bar und eine Zigarrenlounge und ganz vorn in der Schauküche steht der Grill und speit Feuer. Ein großer Reifeschrank mit Salzfliesen (zur Aufnahme der Feuchtigkeit) nimmt eine ganze Wand ein und darin liegen viele Stücke Fleisch von unterschiedlicher Herkunft und Schnitt und in unterschiedlichen Reifestufen.
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Von Kobe-Rind bis zu deutschem Rindfleisch aus natürlicher Haltung geht das Angebot, dazu gibt es Iberisches Schwein, etwas Fisch und ab und zu Besonderheiten, wie Zebu oder Fleisch von alten Tieren (bei richtiger Zubereitung eine Delikatesse).
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(Ich muss echt für die Fotos um Entschuldigung bitten. Frau Indicas Fotograf hat die Speisen immer ins bessere Licht gestellt, die verlinke ich dann noch mal, wenn es so weit ist.)

Die Beilagen und Vor- und Nachspeisen sind zurückhaltend und aus erstklassigem Material. Wir teilten uns als Vorspeise das handgehackte, bereits gewürzte Tatar mit Wachtelei und einen Burrata-Käse.
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Dann kamen nach gebührender Zubereitungszeit, in der der Grill die Hauptrolle spielte und wir uns die Zeit mit Wasser und Wein vertrieben
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viele Speisen auf den Tisch: Tomahawk-Steak, ein Teres Major- und ein Flankenstück. (Auf dem Foto oben wird übrigens das Tomahawk zubereitet. Hinterher kommt es noch in den Garofen.) Mein Favorit war das Teres Major, ein Zuschnitt, den ich bisher nicht kannte.
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Dazu kamen Kartoffelgratin, Fenchel-Lauch-Gemüse und Spinat.
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Bei einem so dicken Stück wie dem Tomahawk gibt es in den aufgeschnittenen Stücken alle Garstufen, von Rot über Rosa bis durch mit Kruste. Das fand ich ziemlich interessant, denn beim klassischen blutig oder rosa gebratenen Steak ist das nicht so ausgeprägt.
Der Spinat war ein Träumchen, da haben wir gleich beim Koch nachgefragt, wie er den zubereitet hat.

Für Dauer-Club-Mitglieder gibt es natürlich die Möglichkeit, das eigene Stück Fleisch im Reifeschrank zu haben. Wer die 24-Stunden-Clubmitgliedschaft nimmt, findet eine große Spannbreite sorgfältig zusammengestellter Fleischsorten und kann im Preis wählen von die von „Ich bin reich, wo ist der Topf mit dem Gold!“ bis „Exzellent Fleisch essen und den Rest des Monats trotzdem nicht an den Nägeln knabbern.“

Chef Josh, der Restaurantchef, der Küchenchef und der argentinische Grillmeister sind mit viel Herz bei der Sache. Man merkt, die Jungs mögen das, was sie tun und haben hohe Ansprüche und Respekt vor dem Tier, das sie zubereiten.

Ich glaube, ich habe noch nie so viel Fleisch auf einmal gegessen, wie an diesem Abend. Jedes Stück war anders, der Rest des Tomahawk wurde am Schluss noch einmal aufgewärmt und war dann noch besser. Natürlich hätte es auch Sößchen dazu gegeben. Aber grobes Salz und die hauseigene Würzmischung reichten völlig, da vermissten wir nichts.

Am Schluss gabs dann noch ein paar kleine, vorwiegend frische Desserts. Dreierlei Sorbets aus der Eismanufaktur und weiß und dunkle Mousse au Chocolat, nicht im Bild meine obligatorische Creme Brulee.
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Ein großer Dank geht an Frau Indica und ihre Printmagazin-Restaurantkolumne!

Fazit: Unbedingt empfehlenswert!

*der vor 7 oder 8 Jahren als Gourmetrestaurant sehr teuer renoviert worden war, nur war Berlin damals in Hinblick auf sehr gute Küche noch nicht so ganz so weit und eine ganze Weile schlief die Location.

Körperpanzer

Dieser Blogpost von Anke Gröner hat (nicht nur) mich nachhaltig beschäftigt. Sie wird von einer Frau im öffentlichen Raum angesprochen, warum sie schön und dick sei, das ginge doch nicht. Hier kommen Menschen mit Körperakzeptanz und Körperkontrolle zusammen und es knallt ausnahmsweise nicht, sondern Anke Gröner kann die übergriffige Eröffnung abfedern und es gibt ein Gespräch.
„Sie gehen so selbstbewusst durch die Gegend, obwohl Sie so dick sind.“ (Zitat aus dem Blogpost) Das muss man sich mal reintun. Da zieht sich eine Frau in einem Gespräch fast aus, da liegt plötzlich ein ganzes Frauenleben auf dem Fußboden der Eingangshalle Bibliothek: Wer dick ist, muss sich schämen und etwas dagegen tun, am besten in Form von Diäten. Essen ist zwar schön, aber schlecht für das Selbstbeherrschungsziel. Und zu diesem Kampf ist man dann lebenslang verurteilt.
Viel Spaß. Wer seine Energie darin verschwenden will, möchte wahrscheinlich nichts anderes vom Leben oder lenkt sich von anderen Problemen ab.
Auf der Facebook-Diskussion zu dem Blogpost wurde dann noch erwähnt, dass für die Gesprächspartnerin das Buch einer jungen Frau, die sich von 340 auf 170 Kilo halbierte, eine Inspiration war. Was mir ein bisschen die Gelegenheit gab, über das Körpergefühl dieser wohl normalgewichtig aussehenden Dame zu spekulieren.

Der Bericht über dieses Gespräch hat mich sehr bewegt. Was ich esse und wie viel ich wiege und wie das zu beurteilen ist, ist, seit ich ein paar Monate alt bin, immer wieder Thema meiner Umwelt und oft auch meines.

Meine Erfahrung: Dünn sein macht nicht glücklicher. In den schlanksten (und sportlichsten) Phasen meines Lebens war ich todunglücklich und erschöpft. Obwohl ich es mir nicht eingestehen wollte, denn ich war doch grade schlank und schön – meine Umwelt spiegelte mir das auch wider, all die anerkennenden Blicke, die neidvoll geschürzten Lippen, die kleinen Flirts. Wenn ich mich auf Fotos sah, waren meine Augen tot.
Es waren immer Umbruchphasen, in denen ich mich einsam und nicht akzeptiert fühlte. Wenn ich in so einer Phase war, war mein Mund wie zugeschnürt und ich mochte es, dass ich von Woche zu Woche weniger Platz wegnahm. Wenn ich dazu Sport machte, war das erst ein gutes Gefühl, den Körper erstarken zu spüren. Zudem brachte mir der Kick der Bewegung sehr viel. Ich hatte keine Probleme mehr, morgens aufzustehen und rauschte den ganzen Tag auf kleinen Flügeln durch die Gegend. Ließ ich einen Tag aus oder erhöhte ich wegen Erschöpfung die Sport-Dosis nicht, rauschte ich mental in den tiefsten Keller.
Irgendwann war es nur noch Selbstzweck – wenn ich an einem Tag nicht gelaufen/geschwommen war, drohte die Gefahr, zuzunehmen und dann würde ich womöglich von Menschen, an deren Beachtung mir lag, durch Nichtachtung gestraft und würde von dieser neuen, ätherischen Person wieder zum schweren Erdenkloß. Und wenn ich dafür um halb 6 Uhr aufstehen musste, weil der Tag mit Arbeit angefüllt war.
Ziemlich widersinnig, aber so sind wir halt.
Ist das Role Model jemand, der seinen Bedarf nach Nahrung unter Kontrolle hat und sich nicht gehen lässt, tun wir alles dafür. (Früher Jahren war der Mensch, der seinen Sextrieb beherrscht, Role Model.)

In meiner Umgebung sehe ich Menschen, die um halb 5 aufstehen, um vor 6 Uhr das Laufpensum zu erledigen und am nächsten Wochenende nach einem Marathon mal eben entspannende 35 Kilometer laufen und sich wundern, dass sie auf dem Zahnfleisch kriechen, nicht abnehmen und dicke Oberschenkel haben. (Muskelmasse? Könnte das sein?) Dazu dann Arbeit plus Überstunden. Damit lässt sich ein Leben auch füllen, keine Frage.
Ich lese diese Zeitungsartikel und denke: o-o, da sind aber viele Gespenster auf den Laufstrecken unterwegs.

Ich habe auch andere Phasen. Bei Angst und Überforderung esse ich mehr als für meinen Körper gut ist. Die 10 Monate stressige Arbeit im letzten Jahr haben für mich 5 Kilo plus bedeutet. Akkumuliert durch hastig in den Mund gestopfte Schokolade und Käsebrote inmitten von klingelnden Telefonen und Restaurantabendessen in tiefer Erschöpfung mit anschließendem Gang ins Bett. Fünf Kilo klingt nicht viel, fühlte sich aber für meinen Körper sehr ungesund an. Gerade in der Sommerhitze des letzten Jahres war ich oft kurz vor einem Kollaps und dazu schmerzten bei jedem längeren Gang Füße und Knie.

Ich habe seit ein paar Jahren kapiert, dass bei mir die Toleranz zwischen dem manischen Willen, den Körper zu unterwerfen und dem absoluten Scheißegal! ziemlich eng ist. Dazwischen liegt die Wohlfühlzone, die unter anderem dadurch definiert ist, dass ich ruhig und zufrieden sein kann und spüre, wie es mir geht. (Und damit auch Hunger und Durst merke) Dass mich kein Druck hetzt, ich nicht in Anpassung verschwinde und ich niemanden an mir herumzerren lasse. Kippt dieser Zustand, spüre ich mich nicht mehr. Im letzten Jahr war es wieder so weit, dass ich mir beim Hantieren am Backofen die Unterarme verbrannte und es erst Tage später bemerkte.

Ich habe also viele kleine Messfühler, die mir zeigen, wie es mir gerade geht, wenn ich mal wieder nur im Kopf und im Außen wohne und ansonsten nichts mitbekomme.
(Ein Bild wäre: Ich bin eine Burg, bei der ich in stressigen Zeiten nur den Wachturm besetze, über den ich Eroberer kontrollieren und in Schach halten will. Im Hof braten derweil die letzten fetten Schweine, denn man weiß ja nicht, was morgen ist, lieber heute noch mal gut gegessen.)

Manchmal hilft es mir zudem, zu schauen, was ich da eigentlich gerade mache. Von November bis April habe ich aufgeschrieben, was ich esse und wieviel ich mich bewege. Die Erkenntnisse sind nicht neu, aber manchmal muss man das noch mal am lebenden Beispiel analysieren:
Alles, was man früher in schlechten Zeiten als „nahrhaft“ bezeichnete – verdichtete Speisen oder Zutaten, die fast nur aus Fett, Zucker oder Kohlehydraten bestehen, sind für mich, die sich wenig bewegt, kaum Kraft aufwenden muss und wenig in Wind und Wetter unterwegs ist, keine ausschließliche Ernährungsgrundlage. (Ja, das sagen sie alle, ich habe das dann auch noch mal für mich nachgeprüft.)
Da geht eben nur mehr bewegen und weniger konzentrierte Energie zu sich nehmen (auch in Form von Alkohol). Ich konnte dann meine geliebten Käsebrote, Getreidebreie und Pralinen als Übeltäter einkreisen. (ich bin ja nicht so die Chipsesserin.) Wenn die nicht mehr Ernährungsgrundlage sind und an deren Stelle mehr Gemüse tritt, dann ist alles fein. Das ist zwar keine Instant-Befriedigung im Mund mehr (ich vergleiche das immer mit den Saugen von Rauchern), aber es ist alles eine Frage der Perspektive. Gemüse aus der Biokiste ist ziemlich lecker. Man muss es nur erst einmal zubereiten – und Zeit dafür haben. Instant ist dann nicht mehr. Zucker braucht eine immer höhere Dosis, da muss ich genauso wie bei Alkohol immer mal runterfahren. Zuckerersatzstoffe will ich nur in Cola haben, sonst brauche ich keine Chemie im Essen.

Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Die gute alte Ärztin hat noch mal an der Schilddrüsenmedikation gedreht. Das macht sehr viel aus. Nicht im Grundumsatz, aber in Aktionsradius, Körperspannung, Schlafphasen, Körpertemperatur und Krafteinsatz für alltägliche Bewegungen. (Sie hat die Dosis übrigens reduziert.)

Jetzt bin ich ganz froh, nicht mehr diesen prallen Bauch, der mir die Luft nahm (von innen prall, gar nicht mal in Form von Masse über der Bauchdecke) vor mir herzuschieben. Ich komme gerade langsam wieder aus meinem Panikpanzer raus. Ein dünner, drahtiger Mensch mit fester Oberfläche will ich trotzdem nicht sein. Das war ich auch nie. Wenn ich das sein wollte, bekam ich nur dünnste Arme und Beine, war brust- und arschlos und hatte einen absurd großen Kopf, den Bauch behielt ich aber. So will ich nicht aussehen. Und den Zustand, den ich dazu hatte – ständig erkältet und todmüde – brauche ich auch nicht mehr.

Im übrigen, Diät- und Fitnesstipps brauche ich keine. Das bringt mir nichts.

Veröffentlicht unter Exkurs

Gina-Lisa Lohfink, Celebrity

Zum Thema Gina-Lisa ist eigentlich alles gesagt.
Aber daran, dass Celebrity ein Job ist und nicht alles so ist wie es scheint, denken wenige. Der Fall Gina-Lisa Lohfink ist auch ein Lehrstück von gegenseitiger Benutzung zu PR-Zwecken. Die Allianz Celebrity-Frau – Fem-Aktivistinnen/Politikerinnen ist im besten Fall ein win-win-Geschäft.

Saßen vor acht Jahren auch langgediente und zukünftige Feministinnen bei GNTM vor der Glotze und ereiferten sich über diese unmögliche Person Gina-Lisa, sind sie jetzt Team #teamginalisa. Das sind gut öffentlich in den sozialen Medien zu sehende Veränderungsprozesse.
Die im Fall der Falschaussage agierende Richterin und Staatsanwältin scheinen noch zur denen zu gehören, die Frauen, die im Geruch stehen, eine Schlampe zu sein, hart bestrafen.
(Für Details und Hintergründe von Rechtssprechung in diesem Fall lesen Sie bitte diesen Text, Fischer ist wie immer nach meinem Geschmack zu wortreich und natürlich ganz böse politisch inkorrekt, aber er erklärt die Fakten besser als Journalisten.)

Jetzt noch meine Selbstpositionierung, nicht dass jemand flott schreibt, die Koma sei wasauchimmerfeindlich und der Text tauge darum nix.
Niemand hat das Recht, Sex mit einer Frau zu haben, die sagt „hör auf“ und wenn sie dreimal vollkommen bedrogt und benommen ist. Und dass diese rammelnden Karnickel das dann auch noch dokumentieren, öffentlich machen und nicht für ihren Übergriff bestraft werden, ist der eigentliche Skandal. (Ja, ich habe mir das Video angesehen, die Körpersprache ist für eine Frau, die immer auf ihre Wirkung bedacht ist, ziemlich eindeutig, aber ich habe darüber nicht zu befinden.) Es ist oft viel Grauzone von Aussage gegen Aussage in solchen Dingen. Hier gibt es sogar einen Beleg und es passiert – nichts! Es passiert noch mehr als nichts, die betroffene Frau wird der Falschbeschuldigung bezichtigt.
Ob eine Veränderung des Sexualstrafrechts ein anderes Urteil gebracht hätte, das kann ich nicht beurteilen, davon habe ich keine Ahnung.

Wenden wir uns nun dem Phänomen Celebrity zu. Das sind Menschen, die in der öffentlichen Aufmerksamkeit stehen und Projektionsfläche für viele sind. Sie selbst sind ein Produkt, sie müssen meist nicht viel mehr leisten und können, als sie selbst zu sein  – oder das Bild, dass sie von sich in der Öffentlichkeit erzeugen. (Ausführlicher steht das in diesem Text, den ich vor einigen Jahren schrieb.)
Für uns Publikum sind solche Menschen Projektionsfläche. Sie haben all das, was wir nicht (glauben zu) haben. Sie sind dünn, schön und immer gut zurechtgemacht (zumindest, wenn die Kamera dabei ist), sie arbeiten scheinbar nicht für ihr Geld, müssen sich nicht mühen, sondern werden geliebt, gesehen und versorgt, weil sie einfach da sind. Ein tiefes, kindliches Bedürfnis zeigt sich dabei in uns, wenn wir das bewundern.

Was für Profit schlagen Celebrities aus ihrem Job? Sagen wir mal so, für jemanden mit einem guter Bildung und gutem Beruf gibt es genug besser bezahlte Alternativen. Wer das nicht hat, aber eine gute Portion Narzissmus und sich in der Öffentlichkeit sehr wohl fühlt, kann sein Aufmerksamkeitsbedürfnis stillen, wird als Testimonial, Fotomodell und Partystargast bezahlt, bekommt Werbe- und TV-Jobs, rutscht auf der Rechnung reicher Leute mit und erhält in der Regel eine ganze Menge Dinge umsonst – Hotelzimmer, Klamotten, Transfers, Urlaub, vielleicht sogar Schönheits-OPs. Dafür ist man zwar immer unterwegs, wie der Hamster im Laufrad, aber in der Regel fällt das in die Lebensphase, wo das auch passt.

Nicht selten kommen Celebrities aus dem Nichts, aus den Regionen zwischen Provinz und Gosse. Das ist das Fazinosum: Du bist nichts und du wirst alles.
Die Celebrity-Selfe-Made-Woman ist keine deutsche Figur. Sie ist amerikanisch oder im tiefen Grund höfisch-französisch. Für die deutsche Kultur, die auf schmucklose Wahrhaftigkeit pocht, ist diese glitzernde Selbstinszenierung zu lügenhaft.
Gina-Lisa Lohfink hat einige Vorläuferinnen. Deren Storytelling ist zum Beispiel:
„Eigentlich nicht dünne oder schöne, aber blonde Heidekönigin hat einen Komparsenauftritt ohne Unterhöschen, der sie intern bei der Presse bekannt macht und danach ein weitgehend öffentliches Privatleben (mit Dünnwerden und berühmtem Freund) mit heißem Draht zur Bildzeitung, seriös geworden dreht sie ein paar Filme, säuft aber.“
oder
„Für das deutsche Standardpublikum zu unblonde hübsche Frau mit alberner Stimmführung hat Kurzzeitehe mit reichem, blondem deutschem Star und macht danach doof aber clever zur Marke, muss aber die Pleite ihres zweiten Ehemannes kommunizieren.“
Gina-Lisa Lohfinks Geschichte ist etwas anders:
„Frech und unangepaßt kommt weit, zeigt Fräulein Rottenmeier-Klum den Mittelfinger und hat die große Klappe und danach jede Menge Aufmerksamkeit mit optimierten Tits, Lips and Ass, sagt, sie wurde vergewaltigt, aber man bezichtigt sie der Lüge.“

Die beruflichen Biografiealternativen all dieser Frauen wären etwa Einzelhandelskauffrau, MTA oder Hotelfachfrau gewesen. Oder Hausfrau mit ein paar minderbegabten Blagen und einem zu viel Bier trinkenden Ronny oder Steve auf dem Sofa. Also wenig Geld und niedriger Status.
Celebrities erzählen Erfolgsgeschichten, die tiefe Wünsche in vielen von uns ansprechen: Öffentlich sprechen, obwohl die Stimme klingt, als ob man auf ein Meerschweinchen tritt. Moppelig die Freundin eines Fernsehstars werden und plötzlich (scheinbar ohne große Mühe) dünn sein und bleiben. Ne geile Schnitte sein, mit großen Brüsten und allem drum und dran, die tollen Typen abkriegen und trotz großer Klappe nicht als böses, lüsternes Mädchen bestraft werden.

Diese Erfolgsgeschichten eint ein Fakt, der von außen nicht zu sehen ist: Diese Menschen müssen die Kontrolle über ihr Leben und über ihr Produkt (also sich selbst) behalten, selbst bei Problemen und Irritationen.
Ob nun der Alkoholausfall vor laufender Fernsehkamera, die nicht ganz lupenreine Insolvenz des schwächlichen Ehemanns oder die chemische Absenz, an deren Ende ein Video mit nicht nach Einvernehmen aussehendem Sex steht – all das muss schnell und klug in die Story integriert werden, bevor die Eigendynamik des „die Leute reden darüber“ die Kontrolle über die Geschichte zerstört.

Menschen, die den Vergewaltigungsvorwurf kritisch sehen, fragen warum Lohfink sich einen Tag später wieder mit dem Mann traf, der sie in der Nacht zuvor vergewaltigt haben soll. Welche Frage! – Sie machte ihren Job, denn durch diesen Mann, den VIP-Betreuer eines Clubs, konnte sie den Fußballer Jerome Boateng treffen und an ihrer Geschichte weiterspinnen. (TW für zart Besaitete: Link geht zur Bildzeitung)
Für Celebrities, sie sich nicht als brav und keusch verkaufen, wie die Frau mit der schlimmen Stimme, sondern mit vollem Körpereinsatz arbeiten, ist es normal, dass Bettgeschichten mit berühmte Leuten – oder Spekulationen darüber – zur Story gehören, das erhöht die Sichtbarkeit und damit den Marktwert. (Man erinnere sich an die Heidekönigin und Thomas D., der nur konsterniert bekannt gab, er habe mit der Frau nix zu tun.)
Dass man ein paar Tage brauchte, um einzuschätzen, was in dem Hotelzimmer mit dem VIP-Betreuer und seinem Kumpel eigentlich passiert ist und was das an Konsequenzen haben kann und es vielleicht auch nicht unbedingt Einigkeit zwischen der Betroffenen und den Beraterinnen gab, halte ich für normal. Da war einfach die Scheiße richtig fett auf den Ventilator gefallen.
Eine ganze Menge Frauen kennen solche Erlebnisse, bei denen impulsives Vorpreschen mit so einer Geschichte ggf. mehr Probleme gebracht hätte, als das Erlebnis selbst, ich auch. Auch wenn diese Impulsivität einen zum lupenreineren Opfer macht. (Die Erwartung ist: Eine wirklich vergewaltigte Frau hat kopflos ihr Elend herausklagen, statt nachzudenken, wie sie jetzt vorgeht.)
Öffentlich klar zu machen, dass frau sich zwar körperbetont-sexualisiert darstellt und dass das Teil ihres Konzepts ist, aber dass niemand das Recht hat, sich an diesem Körper ohne Einverständnis der Besitzerin sexuell zu bedienen und damit selbst ein Geschäft zu machen, ist sehr schwer.

Damsel in Distress oder zu deutsch Verfolgte Unschuld ist ein starkes Narrativ – nicht nur in der Kunst, auch in der öffentlichen Kommunikation, siehe Köln/Silvester. Aber wenn die Rolle der Frau eben nicht die der Unschuld ist, ist sie kein einfach zu akzeptierendes Opfer. Es ist fast folgerichtig, dass sie bestraft wird. Böse Mädchen werden bestraft, um zu demonstrieren, dass brave Mädchen besser leben. Dagegen lässt sich anrennen, aber solche archaischen Werturteile sitzen tief. (Genauso tief, wie die landläufige Vorstellung, dass ein Mann größer als seine Frau sein und mehr Geld verdienen und die Frau erobern sollte, um spontan Beispiele zu nennen.)
In der klassischen Dramaturgie wird das Good Girl vom Helden gerettet und das Bad Girl, das den Helden kurzzeitig faszinierte, stirbt. Manchmal wird sie sogar für die Rettung des Good Girls geopfert.

Schon in Zeiten von GNTM war ich erstaunt, wie viel Hass und Häme das böse Mädchen Gina-Lisa bei Frauen auslöste. Selbst bei denen, die wissen mussten, dass Gina-Lisa eine Rolle von Frau Lohfink ist oder die selbst gern unangepasste Mädchen waren.
Das, was Gina-Lisa Lohfink passierte, ist wie eine selbsterfüllende Prophezeiung: Öffentlich geschändet von einem statusniedrigen Mann, der sie eigentlich nur beruflich etwas weiterbringen sollte. Da sie selbst solche Videos auch inszenierte, machte sie das nur noch unglaubhafter.
Sie kämpft bei den Widerspruch gegen die Verurteilung wegen Falschverdächtigung um Gerechtigkeit und das, was wir sehen, ist ein Stück sehr professionelle PR-Arbeit.

Die studierten Soziologinnen und Kulturwissenschaftlerinnen beklagen öffentlich, dass Gina-Lisa Lohfink boulevardesk auf ihre Äußerlichkeiten reduziert wird, nennen sie zwar im Hashtag #teamginalisa auch nur beim Vornamen, ja, nennen sie sogar ihre Heldin, aber verlieren keinen Gedanken daran, dass es um eine öffentliche Rolle geht.
Die wasserstoffblonde Gina-Lisa mit Silikonbrüsten und fettem Lippenimplantat ist der Job von Frau Lohfink. Zeitungen können nicht über Dinge schreiben, die außerhalb der Figur Gina-Lisa liegen und Frau Lohfink betreffen. Sie sind nicht bekannt. Oder besser, das, was bekannt ist, ist professionell und mit Kalkül gesetzt und das ist gut so. Wir begegnen nun Frau Lohfink, hinter großer Sonnenbrille, klar und zurückhaltend ihre Verletzungen benennend.
Das schlimmste, was dieser Frau passieren kann ist der Kontrollverlust – als hilfloses, zerbrochenes Opfer durch die Mühle der Öffentlichkeit gedreht zu werden (obwohl sich das auf dem Boulevard, unter Allys und in der Politik phantastisch verkaufen würde, weil dann keine Fragen offen wären) oder wenn Leute, egal wer, ob feministische Aktivistinnen, Politikerinnen, Stern- oder Bildzeitungsredakteure, die Deutungshoheit über ihr Sein bekommen und sie das nicht mehr beeinflussen kann.

Wir haben gerade einen vortrefflichen Kumulationspunkt von Interessen: Frau Lohfink will Gerechtigkeit, die feminististischen Aktivistinnen und viele Frauen, die in der Politik tätig sind, wollen eine Gesetzesänderung im Sexualstrafrecht.
Frau Lohfink und ihr Team lassen Menschen für sich fighten, die Gina-Lisa noch vor drei Monaten nicht mit der Feuerzange angefasst hätten, weil Schlampe oder männerbedienendes Sexualobjekt. Die sich engagierenden Frauen argumentieren mit einem Video, das sie in der Regel nicht einmal gesehen haben und einer Frauenfigur, die eigentlich kein klassisches Opfer, keine Damsel in Distress ist und die so gar nicht ihrem Frauenbild entspricht. Mal schauen, ob sich das Bad Girl für die Good Girls opfern muss.
Ich bin sehr gespannt, auf das Ergebnis und ob diese Allianz von gegenseitigem Nutzen ist.