Unter Nebel und goldenen Blättern

Eine Woche mit einer sehr guten Begegnung. Frau Crafteln und ich saßen lange und zeitvergessen in gastronomischen Einrichtungen in Berlin Mitte und erörterten inspirierende Themen von gegenseitigem Interesse. Unter anderem ging es um ihr demnächst erscheinendes Buch Nählust statt Shoppingfrust, das auch schon auf der Frankfurter Buchmesse auslag. Wenn auch scheinbar als Geheimtipp.

Später in der Woche ein klassischer Kitty-Bodenaufklatschtag, nachfolgendes Drama und in dem ganzen üblen Sch… eine Lösung, mit der ich nicht gerechnet hatte. Wenn das so klappt, wie angedacht, ist das wunderbar.
(Leider alles noch nichts für Klartext, weil ungelegtes Ei.)

Heute mal nichts über meine Befindlichkeiten, mein Mimimi nervt mich. Statt dessen Blicke zu anderen.

Das ROSEGARDEN-magazin, dessen Machern ich vom Start ab sehr verbunden bin, hat eine neue Etappe in seiner Entwicklung angetreten. Erst digitales Nebenher-Projekt, dann Print über Cowdfundingfinanzierung, nun Startup. Es muss nicht „wir erfinden den Journalismus neu !!!!!Einself“ wie bei den Krautreportern sein. Es geht auch, sich relativ bescheiden aufzustellen und erstmal anzufangen mit dem Credo, ein Magazin über Themen zu machen, die großstädtische Mittdreißiger interessieren, die eigene Lebenswelt nämlich. Wer die Augen offen hat, ist dann thematisch auch ganz fix raus aus der Berliner Hipsterblase, wie an den aktuellen Artikeln gut zu lesen ist.
Leicht obszönes Fazit: Wachstum und Stehvermögen kommen besser als dicke Hose und lang hängen lassen.

Dann läuft der Countdown für Frau Crafteln und Ellamara, am 3. November startet auf Vox die Nähshow Geschickt eingefädelt (die Wortspiele der RTL-Samstagnacht-Show ploppen für alle über 40 im Kopf auf), dem deutschen Ableger der Great British Sewing Bee-Show.
Ich bin sehr gespannt darauf. Schließlich war ich dafür letztes Jahr selbst beim Casting. Die Erinnerungen daran schreibe ich in den nächsten Tagen mal auf.

Jetzt ein Sprung zu meinen professionellen Themen.
Es gibt einen Widerspruch zwischen der wohlgemeinten Absicht, Menschen so viel Bildung wie möglich zu bieten (denn je höher Bildung, desto geringer das Risiko von Arbeitslosigkeit und Armut) und dem Vermögen von Menschen, diese Bildungsangebote für sich tatsächlich als Lebenssprungbrett nutzen zu können.
Aus der (intellektuellen) Sicht der Bildungsmacher scheinen Angebote auf hohem Niveau positiv besetzt zu sein. Was ich für einen Irrtum und eine reine Projektion des eigenen Seins auf andere halte.
Im Moment geht es gerade um die Altenpflege-Ausbildung. Wenn sie so reformiert wird, wie geplant, können Hauptschüler diesen Beruf nur noch mit Schwierigkeiten erlernen.
Wir reden von einem Beruf, der vor allem soziale und körperliche Fähigkeiten und einen Führerschein verlangt. (es gibt eine ganze Menge solcher Berufe, das ist nur das aktuelle Beispiel)
Was soll das? In der wohlmeinenden Absicht, dass die Hebung des Niveaus einer Ausbildung die besseren Menschen erzeugt, wird eine ganze Bevölkerungsgruppe ausgeschlossen und mit schlecht bezahlten Hilfsarbeiten oder Transferleistungen gedemütigt. Nämlich die Menschen, für die Schule und Lernen nichts als endlose Quälerei bedeutet, die aber gern machen und tätig sind, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen.
Man kann angesichts dessen froh sein, dass der heutige berufliche Rettungsanker des bildungsfernen Mannes, nämlich ein Auto zu fahren und damit etwas oder jemanden zu transportieren, weitgehend durch den privatwirtschaftlichen und verkehrspolitischen Bereich reglementiert wird und nicht durch staatliche Bildungsinstitutionen.

Damit bin ich beim nächsten Thema. Unter den Menschen, die derzeit nach Deutschland kommen sind sehr viele junge Männer, über die man sagt, sie kämen, weil sie in ihrer Heimat keine Chance hätten. Weder auf existenzsichernde Arbeit noch auf die Gründung einer Familie. Haben sie hier eine? Ist dieses Land bereit, ihnen eine zu geben? Finden sie hier eine ihrer Bildung entsprechende Arbeit oder haben sie realistische Chancen in der berufsfähig machenden Bildung? Können sie hier mit ihrer potentiellen Partnerin eine Familie ernähren?
Ich habe derzeit mehr Fragen als Antworten und finde auch keine bei anderen.

Komischerweise fallen mir Stunden nach meinen Sonntagsposts wieder die Themen ein, über die ich unbedingt noch schreiben wollte. Ich sollte langsam mal anfangen, Notizen zu machen, damit ich nicht ständig etwas vergesse.

Sonntagsmäander heute schon am Samstag

Über den Tag der deutschen Einheit muss ich nichts schreiben. Das habe ich immer mal wieder getan. Nach 25 Jahren ist das nun Normalität. Ich habe mein Erwachsenenleben nach der Wiedervereinigung verbracht und in der Rückschau weiß ich, es hätte nicht viel anders kommen können, denn die Zeit war reif. Ich bin heute nicht mal sicher, ob es in der historischen Alternative militärische Gewalt gegeben hätte. Wenn sich ein Erdrutsch in Bewegung setzt, kommt man nicht mit einer Sprengung dagegen an. Wo mit Wucht zerrieben, geschoben und gerissen wird – dort schmerzt es oder gibt neue Kraft.
Über einen langen Zeitraum ist die Summe von Freud und Leid gleich. Millionen Menschen haben andere Lebensperspektiven bekommen, so wie den gleichen Millionen Menschen die gewohnte Existenzgrundlage genommen wurde. Die Mitte tauschte Datsche und Plattenbau gegen Fertighaus und Mallorca, aber ich wage zu behaupten, so grundlegend änderte sich nichts, es wird immer noch gleichbleibend geklagt und gemeckert, aber irgendwie auch ok. gelebt. An den Rändern wird gefroren oder gefeiert. Dort sind Verluste und Gewinne nicht so ausgeglichen, da sitzen Verletzungen und Demütigungen tief oder aber das alte, graue Leben ist längst vergessen über dem Glanz der neuen Existenz.
Dass sich jetzt, nach 25 Jahren, der Begriff Nation noch einmal völlig neu definieren wird, ist wahrscheinlich an der Zeit. Es gibt eine Generation, die ohne Eisernen Vorhang und streng bewachte nationale Grenzen in Europa aufgewachsen ist. Für viele Abkömmlinge bürgerlicher Familien waren Trips in andere Länder, Fernbeziehungen über Ländergrenzen und längere Auslandsaufenthalte durchaus normal. Für digitale Bürger und Konsumenten scheint es gar keine Ländergrenzen mehr zu geben. Was man ganz gern darüber vergisst ist, dass man bei diesen Ausflügen die Reputation seines Elternhauses, seiner Kreditkarte, seines nationalen Sozialsystems und seiner Kultur mit sich nimmt. Ob als Austauschschüler, Erasmus-Student oder Easy-Jetter.
Den Ostdeutschen wurde diese Reputation geschenkt. Sie mussten nur ihre alte Staatsbürgerschaft dagegen eintauschen. Wer mittendrin war, weiß, dass das nur an der Oberfläche einfach war. Die rassistischen Herrenmenschen-Sprüche derer, die in den westdeutschen Way of Life hineingeboren waren, gab es gratis dazu.
Wer sich heute mit Rassismus/Othering beschäftigt und Critical Wasauchimmer, muss sich nicht an Amerika orientieren. Der braucht sich nur die sozialen Reibungen in der deutschen Gesellschaft der letzten 25 Jahre anzusehen. Ich habe über Zonen-Gaby nie lachen können. Ich war eine Zonen-Gaby.

Aber weiter im Text. Nachdem meine soziale Existenz in den letzten 6 Monaten vor allem aus no-shows bestand, besteht nun Hoffnung. Zumindest waren wir heute bei der Finissage der Ausstellung Leib, zu der die Frau Indica einen sehr sehenswerten Beitrag geleistet hatte.

Ich bin voller Hoffnung, dass sich das wieder einpendelt. Am Montag gehe ich wieder zur Arbeit und was die Verhandlung um weniger Arbeitszeit bringen wird, werden wir sehen.
Ich bin allen (das waren nicht wenige), die an mich herangeredet haben wie ein krankes Pferd, damit ich noch länger zu Hause bleibe und nicht kurzzeitig die Heldin spiele, überaus dankbar. Diese Woche hat endgültig die Genesung und neue Kraft gebracht.

Die Zeit zu Hause konnte ich für die Beendigung scheinbar endloser Knibbeleien verwenden. 12142641_898528810233858_255791449_n
Das habe ich getan, wenn ich nach der Arbeit zu müde war, noch irgendetwas anderes zu tun. Hörbuch auf die Ohren und stricken.

Stricken.(Triggerwarnung: Ironie!) Ich finde die Guerilla-PR-Kampagne der Berliner Radfems für Nadja Hermann aka Erzählmirnix überaus effizient und für die Buch-Autorin verkaufsfördernd. Ich frage mich, ob sich da nun jemand als PR-Fachfrau empfiehlt oder einfach nur in aller Tugend-Furiosität nen Streisand gebaut hat.

Weiter zuguterletzt mit Stricken. Dieses graphitgraue Tuch habe ich im Frühjahr fertig gestellt und es hat mir schon gute Dienste geleistet.
nachtwald-4
Die Form ist ein sogenanntes Färöer-Tuch. Das Besondere daran ist, dass eine Art Schulter eingebaut wird und das Tuch damit um den Nacken keine Falten wirft, die Brust aber gut bedeckt.
nachtwald-5
nachtwald-6
Das sieht dann aus wie eine kleine Fledermaus.
nachtwald-3
Da das dunkle Seidengarn kleine violette, gelbe und grünliche Sprenkel hat, habe ich das Tuch auf den romantischen Namen Nachtwald getauft.
nachtwald-2  nachtwald-1
Das Muster ist von einer deutschen Strickerin auf Ravelry, das Garn aus einem Etsy-Shop aus Nordengland, die dunkelopalfarbenen Perlen, die dem Saum die Schwere geben, aus Amerika. Nun wird das Tuch getragen in Berlin und wenn es in der Tasche liegt, steckt es in einem Leder-Pompadour mit dunkelblauem Seidenfutter aus den späten 30ern, denn Schlüssel und anderer Kram aus Damenhandtaschen tun ihm weh.
(die wunderbaren Herbstlichtfotos sind vom Grafen, wir machten heute einen Spaziergang von Mitte bis fast nach Stralau)