Vigil 17

Es war nie anders. Bevor ein verlängertes Wochenende auswärts bevorsteht, schiebt sich alles noch zu Erledigende auf die letzten zwei Tage davor, zusammen mit lange und entspannt geplanten Terminen und natürlich kommen noch Dinge dazu.
Putzfrauenexil*, Lunch mit dem Kind, Frühstück mit Herrn Lucky, Schnitt anpassen und zuschneiden (möglichst noch den fransenden Tweed mit der Overlock versäubern und Schrägstreifen vorbügeln), mit dem Grafen ein ersteigertes Riesenhaushaltsgerät abholen, noch schnell aktuelle Orders von Etsy nähen, wichtigen Nähkleinkram zurechtlegen (Dämpftuch!, Mehrfachsteckdose, Verlängerungskabel!), Großkram natürlich auch, Klamotten waschen, auf die Fertigstellung des nachgenähten Lieblingsjerseykleides verzichten, Mann bepuscheln, einpacken (Laptop mitnehmen? gibts da Internet???). Uff.
Ich werde das Nähwochenende wohl mit Ausruhen verbringen.

*also als Homeofficer die Wohnung verlassen müssen, wenn die Putzfrau kommt

Vigil 13

Heute im Gespräch kreise ich wieder um die Dinge, die mich im Zusammenhang mit Angst und Ressentiments vor Flüchtlingen beschäftigen. Dass ich nicht zur euphorisch-euphemistischen Fraktion gehöre, sollte bekannt sein. Zur katastrophistischen gehöre ich auch nicht. Ich stehe eher da und denke: Hilfsbereit und anständig sein ist wichtig. Kontrolle bewahren ebenfalls. Das sind sehr bürgerliche Bedürfnisse.
Es sind komische verhakelte Assoziationen, eher Dissoziationen, die mich begleiten. Flashbacks aus den 90ern, Ereignisse und Erlebnisse, die nicht einmal unbedingt meine sind, die aber zum kollektiven Gedächtnis gehören: Zur Population der Anderen zu gehören. Mit ebenso hohen Erwartungen wie Ängsten. Die neue Gesellschaft begreifen, die vorher nur aus dem Fernsehen bekannt war. Plötzlich ist das, was man war oder konnte, nichts mehr wert.  Nicht gebraucht, aber supportet werden. Von den Steuergeldern anderer zu leben, sehr großzügige Hilfe zu erhalten. Das immer wieder gesagt bekommen, hinter vorgehaltener Hand oder ins Gesicht.
Sich zu tarnen, so gut wie es geht. Über blöde Sprüche mitlachen, die einen selbst betreffen. Für bisher selbstverständliche Werte/Worte/Handlungen verspottet/verachtet zu werden. Sich nach der Vergangenheit sehnen, die noch vor ein paar Jahren ein inakzeptabler Zustand war. Von wohlwollenden Menschen vereinnahmt werden, die nicht merken, dass man andere Bedürfnisse/Erinnerungen/Werte hat. Über diese Kluft nicht reden können, außer mit den eigenen Leuten, die man schon an der kleinsten Geste erkennt.

Kulturelle Umcodierung.

Sonntagsmäander aus dem Plumeau

(tl;nr Alle krank hier.)

Das war alles ganz anders geplant. Es sollte heute ein Kaffeetrinken mit Kind und Mann geben, abends ein Diner in schönen Kleidern und anschließend Champagner.

Ist aber nicht. Am Mittwoch legte sich der Graf morgens nach dem Aufstehen wieder ins Bett. Ihm war nicht so. Ich darf ja da nie viel machen, nicht anfassen, kaum mit ihm reden, vielleicht mal Tee hinstellen. Ich schielte immer mal zu ihm ins Zimmer, wo ein zitterndes, hustendes Bündel unter den Decken lag und schlief, und schwankte zwischen „Nun übertreibt er aber wirklich!“ und „O-o! Vielleicht doch besser einen Arzt?“.
Am Donnerstag morgen ging es auch bei mir los. Nur hatte ich erst einmal einen Termin in Charlottenburg. Den wollte ich hinter mich bringen, danach etwas einkaufen und dann ab ins Bett. Aus einer Fahrt nach Charlottenburg wurden zwei, denn der Mensch von dem Termin hatte auf einem Formular ein ungeheuer wichtiges Kreuz vergessen.
Ich nahm am Hackeschen Markt, beim Umsteigen von der S-Bahn in die Straßenbahn, noch die Notwendigkeiten mit, die uns fehlten: Kaffee, Klopapier, eine Familienpackung Taschentücher für empfindliche Nasen und ein Großpack Hustentee.
Dann stellte ich mich noch 20 Minuten in der Post in der Torstraße an, um das Formular mit dem ungeheuer wichtigen Kreuz wegzuschicken.

BTW, die Post in der Torstraße ist noch eines der wenigen klassischen Postämter in Berlin. Außen graue preußische Repräsentationsarchitektur, innen die letzten Beamten, die sich dem goldenen Handschlag der Frühpensionierung verweigert haben. Ihre Kunden sind mittlerweile die internationalen Mitte-Menschen, die selten deutsch sprechen. Als ich hierher zog, gab es noch Genervtheiten, mittlerweile haben sich die vier oder fünf älteren Herrschaften, die dort arbeiten, darauf eingestellt und sprechen Post-Fachenglisch.

Zu Hause angekommen, warf ich die Einkäufe in die Küche, kochte auch für mich eine Thermoskanne Hustentee und legte mich hin. Dann drehte es mich durch den Wolf. Mit Schüttelfrost, Glühen und Schwitzen.
Am Abend wärmte ich etwas auf, der Graf hatte den zweiten Tag fast nichts gegessen. Wir saßen uns am Tisch gegenüber, stocherten im Essen, wollten lieber den Kopf auf den Tisch legen, ließen die fast vollen Teller stehen und gingen wieder ins Bett.
Ich hatte noch vor, mir die Haare zu waschen, weil ich am nächsten Tag ein Vorstellgespräch hatte, aber ich hatte kaum noch die Kraft aufs Klo zu gehen, an Kopf unter die Dusche und nasse Mähne striegeln war nicht zu denken. Ich verbrachte die Nacht zähneklappernd unter drei Decken, nebenan hatte der Graf Fieberträume.

Am Freitag Morgen nahm ich Aspirin Complex, das lässt einen ja für ein paar Stunden ganz normal in der Spur laufen, man muss nur hinterher Regenerationszeit haben, denn die Energie kommt vom inneren Dispokonto. Ich malte ich mir irgendwie ein Gesicht auf, machte mir so was wie eine Frisur, zog etwas Bürgerliches an, ging den Weinberg herunter und absolvierte vollkommen neben mir, aber halbwegs korrekt (unter Vermeidung von Klinken anfassen, Hände schütteln und Distanzunterschreitung) das Gespräch. Ich wollte es nicht absagen, die Firma hatte ohnehin viele Wochen gebraucht, um sich zu melden, dann wäre die Luft ganz raus gewesen. Ich sah es auch eher als Infogespräch, denn es ging nicht um eine Anstellung, sondern um eine freiberufliche Tätigkeit auf Provisionsbasis. Ich wollte wissen, ob das für mich mit dem Zeitrahmen, den ich mir gesetzt hatte, funktionieren könnte. Alle um mich herum sind ohnehin skeptisch, denn das würde mir die Möhre komplett erfolgsbasierte Bezahlung mit (wenn auch geringen) Betriebskosten vor die Nase hängen. Ich kann das, ich bin eine sehr gute Vermittlerin, aber das hatte ich 2010 nicht umsonst aufgegeben.
Wir verblieben so, dass ich mal einen Vormittag zuhöre, wie das Callcenter dort arbeitet.
Ich habe in dem Gespräch natürlich den Burnout und meine Einschränkungen, eine volle Arbeitszeit betreffend, nicht erwähnt. So mies wie es mir gerade ging und wie ich auch aussah, wäre ein Gespräch zum Thema allgemeine gesundheitliche Einschränkungen vollkommen in die Hose gegangen. Die Frau (sehr interessante Lady übrigens, diese Geschäftsführerin, man kann mit einem Soziologiestudium auch erfolgreiche Unternehmerin werden) hätte mich wahrscheinlich für eine lebende Leiche gehalten, so was verstärkt sich ja gegenseitig.
So ging sie durch die Biografie, die nun mal keine klassische Arbeitnehmerbiografie ist und pickte sich hier und da etwas raus. Was ich ihr nur sagen konnte war: Ich habe für alles, was ich mache, einen Grund. Kohle verdienen und von der Straße weg sein, ist in der Regel nicht der einzige. Ich will etwas mitnehmen und lernen. Da kam natürlich dann auch irgendwann der klassische „Und was machen Sie dann eigentlich hier?“-Ausdruck in ihr Gesicht.
Naja, egal.
Ich ging auf dem Rückweg nach Hause noch in die Bibliothek und holte mir drei fette Schmöker.

Wieder im Bett und nach einigen Stunden Schlaf kurz aufgewacht, googelte ich. So schlecht ging es mir zum letzten Mal vor 12 Jahren, als ich mir etwas im Flieger aufgeschnappt hatte. So, wie sich diese Erkältung anfühlte, mit dem komischen Husten, den starken migräneartigen Kopfschmerzen und dem sehr hohen Fieber war das wohl eine klassische Virusgrippe. Was man halt so beim U-Bahn fahren aufschnappt. Hrmpf. Hoffentlich hatte ich niemanden angesteckt.
Dem Grafen ging es an Tag drei wieder besser und er saß zumindest für ein paar Stunden im Sessel, sah allerdings immer noch sehr elend aus. Ich konnte nichts essen und nicht lesen, sondern schlief nur, das ist ein Zeichen, dass es wirklich ziemlich ernst ist.

Am Freitag nachmittag rief mein Vater an. Leider konnte ich ihm nur begrenzt die Ohren volljammern, um bemitleidet zu werden, denn er berichtete mir, dass er die Mutter vor ein paar Stunden ins Krankenhaus gebracht hatte.
Mist. Ihr ging es schon seit Wochen nicht gut, sie fühlte sich schwach und elend und brachte das mit den Betablockern in Zusammenhang, die man ihr verschrieben hatte.
Nun muss man wissen, dass meine Mutter aus irgendeinem Grund von Ärzten nie ernst genommen wird. Sie hat nicht das sehr präsente Krankheitsdrama-Auftreten ihrer Mutter Charlotte, sondern wird, je schlechter es ihr geht, immer leiser. In der Regel bekommt sie ein beherztes „Ham sie sich nicht so und nehmse ihre Tabletten, wir fühlen uns alle mal nicht gut!“ zu hören.
In den letzten Jahren wurden ihr zweimal sofort nach dem Messen des Blutdrucks Betablocker verschrieben. Ältere Frau, hoher Blutdruck, Standardtherapie, kann nicht schaden. Nur hat meine Mutter bis auf einige wenige Ausnahmen, wenn sie beim Arzt aufgeregt ist, wenn es zu heiß ist oder so, gar keinen hohen Blutdruck. Von den Betablockern geht es ihr scheinbar nur extrem Scheiße. Es gab weder eine 24-Stunden-Blutdruck-Kontrolle noch irgendeine andere Maßnahme, mal zu schauen, was ihr Körper da überhaupt macht.
Nachdem sie in den letzten zwei Wochen dreimal beim Arzt war, wegen extremer Schwäche und Schmerzen in der linken Schulter, wurde beim dritten Mal(!) ein Blutbild gemacht . Mit dem Ergebnis, dass sie am nächsten Tag morgens um 7 Uhr angerufen und dringend einbestellt wurde und drei Stunden später im Krankenhaus war. Sie ist schwer anämisch und bisher weiß man nicht, warum.
Verdammter Mist.

Hier ging das Krankenlager weiter. Zumindest konnte ich gestern wieder etwas essen. Der Graf hatte Chicken Madras vom Inder an der Ecke geholt. Aber einfach so rausgehen ist noch tierisch anstrengend.
Ich verbrachte den Tag mit Lesen und mal kurz die Augen zumachen, worauf meist wieder drei Stunden vergangen waren. Auch der Graf schlief fast den ganzen Tag.
Man kann sich dem einfach nur ergeben, vor sich hin jammern und warten, dass es wieder aufwärts geht.
Frühstück mit den Kindern, Diner und Champagner sind nur verschoben, aber nicht aufgehoben.

Casting mal andersherum

Frau Crafteln hatte bei ihrem Bericht vom Casting gefragt, wer sich denn outen möge, auch dabei gewesen zu sein. Also, ja, icke.

Als die Nachricht in der Nähnerd-Community herumging, dass es einen deutschen Ableger des Great British Sewing Bee geben würde, dachte ich erst mal: Nee, das ist nicht deins. An 12-14 Stunden-Tagen Kamerafutter hergeben, zudem unter extremem Zeitdruck, das beinhaltete alles, was für mich gesundheitlich nicht gerade gut ist.
Aber ich war neugierig. Ich wollte es einmal erleben, wie es sich innen anfühlt, sein Können bei einer Auswahl für eine Fernsehsendung zu zeigen und ich wollte authentisch wissen, wie die Produktionsbedingungen bei Reality-Formaten sind. Und, mal den ganzen rationalen Quatsch beiseite, die kleine Diva in Miz Kitty war der Meinung, jetzt sei nun endlich der Zeitpunkt, als Star entdeckt zu werden, darauf wartet sie nun schon, seit sie 14 ist.

Vielleicht ein Einschub für diejenigen, die hier nicht schon lange mitlesen. Ich habe 15 Jahre lang für Kino und Fernsehen gearbeitet und ein Teil meiner Arbeit war, Leute auf Castings vorzubereiten, ihnen klar zu machen, wie sie sich von der Konkurrenz abheben, wo ihre Stärken sind und welche Schwächen eine Klippe sein könnten. Wenn jemand ein Casting gewonnen hatte, habe ich noch Bezahlung und Arbeitsbedingungen ausgehandelt und die Dreharbeiten unterstützend aus der Ferne begleitet und ggf. auch noch mal interveniert, wenn etwas nicht nach Absprache lief.

Das habe ich natürlich bei der Bewerbung nicht in den Lebenslauf geschrieben. Da ich immer für den Fiction-Bereich gearbeitet hatte, war es relativ unwahrscheinlich, dass mir im Reality-Bereich jemand über den Weg läuft, der oder die mich näher kennt. Also war ich die, die nach 20 Jahren wieder näht, weil sie in ihrer nicht näher bezeichneten Selbständigkeit kürzer getreten ist.

Erst einmal kam außer einer Eingangsbestätigung für die Mail eine ganze Weile nichts, nachdem ich die schriftliche Bewerbung losgesendet hatte. Dann, wie immer beim TV, sollte alles gleich, sofort und jetzt passieren. – Ich sollte nach ein paar Wochen Funkstille ein Telefon-Interview über meine Nähkünste und mich selbst geben.
Wenn man so hyperaktiv angerannt wird, muss man immer ein bisschen die Waage finden zwischen nicht engagiert genug oder überfallen, konfus und damit nicht gut wirken.
Aber es war ein nettes Gespräch und dann harrte ich weiter der Dinge, die da kommen sollten denn es sollte demnächst ein Casting in Berlin geben.

Als der Termin kam, meinte der Graf, er würde mich begleiten und so packten wir an einem Samstag die Nähmaschine zusammen und fuhren zum Nähkontor, ein wunderschöner Laden, der mich ganz doll und heftig an den Kurzwarenladen meiner Urgroßeltern erinnerte.
Was dann passierte, war das Filmübliche: Warten. Kurze Begrüßung und Einweisung. Wieder Warten. Fragebögen ausfüllen und kurzfristig rübergereichte Verträge unterzeichnen.
Ja, ich war die komische Olle, bei der die Praktikantin den Produktionsassi holen musste, weil ich einige Passagen  aus dem Vertrag streichen wollte. „Ja, dann kannst du leider nicht am Casting teilnehmen, das muss so!“ verfängt bei mir nicht.
(Nachdem eine sehr erfolgreiche Hollywoodproduktion überschüssiges Material in Videomaterialdatenbanken gab und die im Film eher winzige Rolle eines meiner Klienten als brutaler SS-Killer jahrelang zur ausführlichen Bebilderung von Geschichtsdokus herhalten musste, ohne dass er gefragt wurde oder einen Cent zusätzlich sah, bin ich da vorsichtig. Ich habe keine Lust, in einem Stockvideo unter „Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs“ oder „nähende Muddi“  oder so verwurstet zu werden.)

Ich war im ersten Nähdurchgang, wir nähten einen Tulpen-Rock von einem Independent-Label. Ein bisschen tricky war, dass es nur ein Bügelbrett und zwei Zuschneidetische gab. Was ich aber für mich löste, indem ich, als alle anderen sich noch ansahen, wer denn jetzt zuerst da dran möchte, schon mal anfing. Ich weiß, ich bin kein Teammensch.
Die Zeit für den Rock war ok. Heute, wo ich noch mehr im Training bin, wäre ich wahrscheinlich schneller. Die Sachen, die sonst immer bremsen – gut versäubern, anpassen etc. waren nicht gefordert. Aber es gab diese ganz ekligen Dinge wie einen innen umgeschlagenen Bund im Nahtschatten annähen und einen Reißverschluss einnähen, die ich ohne heften so gar nicht mag. Dann hatte ich noch den Belag für den Saum falsch herum angenäht und kam beim Handsäumen recht unter Druck. (Wo ich mitbekam, dass es tatsächlich Näherinnen gibt, die es nie gelernt haben, Handnähte zu machen.)

Zwischendrin kam auch mal die Kamera und es gab ein kleines Interview, da wußte ich von einem Jahre zurückliegendem Gespräch mit jemandem, der beim Promi-Dinner mitgemacht hatte, dass es hier wichtig war, mit guter Kamerapräsenz zu antworten, möglichst für den Schnitt mit nicht zu langen Sätzen, aber auch Grenzen zu setzen und das Gespräch zu beenden, wenn einem die Zeit wegläuft.

Danach war erst einmal Pause und es gab belegte Brötchen. (Wichtige Set-Regel: Nimm dir gleich was, bevor die hungrigen Praktikanten die Platten wieder wegtragen.)
Ich hatte mich ganz wacker geschlagen, in der Bewertung der Näharbeit wurde mein zu grober Handsaum kritisiert (den mache ich seitdem feiner und habe mir dazu auch feinere Nadeln gekauft) und der nicht perfekt umgenähte Bund. Ich fasse die Innenseite eines Bundes nämlich immer mit Band und schlage sie nicht nach innen um, darin hatte ich keine Übung.

Ich hatte Zeit, mit den Mitnäherinnen zu plaudern und lernte unter anderem Constance von Santa Lucia Patterns kennen, in deren Shop ich seitdem auch gern kaufe, zum Beispiel den Schnitt für das Kielo Wrap Dress und lief Frau Crafteln über den Weg, die in der zweiten Schicht nähte. Wir schlugen die Zeit mit Kaffee und Kuchen tot und warteten auf unsere Interviews.
So ein Casting ist ja eine Typbesetzung. Wenn du gut nähen kannst, ist das von Vorteil, aber es gibt eine Menge andere Kriterien – gute Ausstrahlung, Charisma, Unverwechselbarkeit, Kamerapräsenz, Streßresistenz und Belastbarkeit. Es wird – gerade in so einer Sendung, die ihre Kandidatinnen nicht verlacht und vorführt – vor allem nach Sympathieträgerinnen und auffälligen Identifikationsfiguren für die Zielgruppe gesucht.
Ich hatte mir vorher die erste Staffel des GBSB angesehen und außerdem The Great Baking Show und den deutschen Ableger, um zu sehen, wie die Unterschiede in Casting und Realisierung sind. Fazit: Was in England in zurückhaltendem Landhaus-Schick gestylt war, war in Deutschland knietscherosa und zum Zahnschmerzen bekommen niiiiieeeedlich.
Beim GBSB fiel mir auf, dass die Location der ersten Staffel zu eng war, die Kamera hatte kaum Platz für Totalen und dass die Wettbewerbs-Zeitpläne, die behauptet wurden, nicht stimmten, denn es war manchmal plötzlich dunkel draußen. Die alte Dame, die gewann, war eine wunderbare Verkörperung der „guten alten Zeit“ gemischt mit Moderne. Außerdem war zu sehen, dass es von jedem Typ nur eine/einen gab. Ein buntes Rockabilly-Girl, eine stille Hausfrau mit großen Träumen, eine herzliche, kluge dicke Frau, die alle überrascht, eine ehrgeizige junge Frau, die Designerin werden will, ein knuffiger Typ, der sich natürlich vollkommen überschätzt etc. pp.

Ich hatte überlegt, wo ich mich einsortierte und war bei der älteren Lady gelandet, wußte aber, dass ich dazu zu jung war. Im Casting plauderte ich nett und kamerapräsent mit der Producerin, aber es passierte das, was mir an der Stelle immer passiert. Ich war in tiefer Distanz zu mir selbst und fand das alles nix für mich. Ich wollte es nicht und war einfach nur müde.

Ich bin nicht umsonst seit 20 Jahren die, die mit den Worten „Showtime, Baby!“ jemandem die Federboa umlegt und einen Klaps auf den Hintern und ein kräftiges Toi-Toi-Toi später diesen Menschen auf die Bühne ins Rampenlicht schiebt.
Da fühle ich mich wohl, das ist mein Feld.

In den Wochen hinterher – es gab ja noch einmal eine Verschiebung um mehrere Monate – hoffte ich inständig, dass niemand anruft und sagt „Wir haben und für Sie entschieden, ist das nicht toll?“ Ich hatte gerade ganz andere Sorgen und musste dringend angestellt Geld verdienen, um die Krankenkasse wechseln zu können. Und solche Shows sind super anstrengend und ein Zuschussgeschäft.

Dann hörte ich von anderen, dass es los ging, ich war nicht dabei, hatte aber bereits meinen Job gefunden und mir fiel ein mächtiger Stein vom Herzen und ich fieberte lieber mit denen mit, die ich kannte.