Das sind alles Klagen auf einem sehr hohen Niveau. Das Leben ist anzunehmen wie es ist.
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Ursula K. LeGuins Left Hand of the Darkness soll als Miniserie verfilmt werden. Das hatte ich irgendwo, bei der Kaltmamsell? gelesen. Das würde mich sehr interessieren, hoffe aber, es wird kein 0815-Science Fiction, denn das war das Buch von Anfang an nicht.
Auch eine Geschichte, die mich bis ins Mark traf. Ich las das Buch mit 13 oder 14 Jahren, als ich alles verschlang, auf dem Science Fiction stand (das war in der DDR beileibe nicht viel und Qualität hatten vor allen die Strugatzkis und LEM) und fühlte mich in dem berührt, was mich damals umtrieb und worüber ich nie gesprochen hätte: Ich wollte keine Frau sein, ich fühlte mich nicht als eine, auch wenn ich so aussah. Als Mann hätte mir die Welt vollständig offengestanden und ich hätte mich für nichts rechtfertigen müssen. Wäre Geschlechtswechsel damals so einfach wie heute gewesen, hätte ich darauf bestanden und mein Leben als Mann weitergeführt.
(Bitte einfach zur Kenntnis nehmen, darüber diskutiere ich nicht.)
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Da das Meta-Thema heute „das Gras ist auf der anderen Seite der Straße grüner“ zu sein scheint, noch ein schöner Blogpost von Modeste über 19 Jahre alt sein. (Und über Selbstwahrnehmung.) Wann fängt das eigentlich an? Jungs finden sich doch überwiegend klasse, wenn sie über die Werther-Phase weg sind. Mädchen aus denen Frauen werden, glauben immer, es genügt, sie genügen noch nicht. Komische Sache.
Archiv für den Monat: Mai 2017
An einem kühlen Frühsommersonntag
Berlin ist so geworden, wie ich es mir vor vielen vielen Jahren erträumt habe. Mit Menschen, die ganz selbstverständlich von überall herkommen, schönen Orten am Wasser, gutem Essen, spontanen Festen an unaufwändig hergerichteten Orten und phantastischen Wohnungen, in denen man aus der Badewanne den Himmel sehen kann. Ein Leben wie in Filmen, in denen die Helden bald die Welt retten müssen und natürlich erfolgreich sind.
Kurz bevor Berlin so wurde, habe ich dieses Leben probiert. An einem warmen Sommerabend saß ich, nachdem mit einem rotgoldenen Cabrio durch die Stadt gefegt war, auf dem Podest, das in der Mitte meines Lofts stand, hatte einen Cocktail vor mir, hörte Elektro-Musik, war selbstredend schön zurecht gemacht, trainiert, schlank und erfolgreich und fühlte … nichts. Das, was ich als Teenager als Verkörperung von schönem Leben erträumte, hinterließ nur Leere in mir.
Dabei waren wir alle ziemlich hip in unserer Kreuzberger Luxuslegebatterie. Die Viva-Moderatorin führte nächtens ihre SM-Spielchen bei offenem Fenster auf, der smarte Unternehmer hatte sonntags den Anzug abgelegt, hing im Sling, ließ sich hintenrum bedienen und hörte Straußwalzer, der charmante junge Anlagebetrüger hortete teure Autos und der MTV-Moderator war so nett, schlumpfig und unauffällig wie der Soap-Star drei Eingänge weiter.
Fellinis „La Dolce Vita“ war, als ich 13 oder 14 war, wie ein Blitz in mich eingeschlagen. Damals habe ich aber den Spin nicht begriffen. Dass diese glänzende Schwärze der Nacht, dieses alles haben können, was man will, nur Abgegriffenes hinterläßt oder Enttäuschung, dass etwas nicht so ist, wie es scheint.
Heute stehe ich in Berlin, das so geworden ist, wie ich es mir erträumt hatte und habe mich zu einem Menschen entwickelt, der Lärm und Menschenmengen nicht mehr mag, der Schmutz und Staub hasst, den Chaos verunsichert und dem mitterweile alles zu schnell geht.
Wie so oft – aus meiner egozentrierten Sicht – war ich schon eher an der Stelle und bin darüber hinweg, wenn sich das Phänomen auf dem Zenit befindet.
Ich stehe in den Straße in Mitte und sehe Motive und Sujets und weiß, dass das die Fotomotive sind, die um die Welt gehen. Bärtige Hipster mit Lastenfahrrädern, kleine Geschäfte mit wunderschönen, mit Liebe gemachten Dingen, große alte Häuser, die für einen Abend für ein lautes Fest geöffnet werden, schöne junge Menschen, die erleuchtet und so fragil wie Reiher aussehen, auf einem Podest vor einem Detox-Restaurant.
Bilder, bei deren Anblick andere Menschen seufzen werden, dass sie so leben möchten, dass das das wahre Leben ist.
Manchmal laufen diese Leute, nachdem sie geseufzt haben, hier durch die Straßen. Sind so zurechtgemacht, wie es die Bilder zeigten, und suchen nach diesem Gefühl, dass damit in ihnen ausgelöst wurde. Da gehen Achtzehnjährige wild angezogen die Kastanienallee entlang und hoffen, dass sie entdeckt werden, dabei ist das Castingallee-Phänomen über zehn Jahre her. Da haben sich wunderschöne asiatische Mädchen ihre selbstentworfenen minimalistischen schwarzen Kleider angezogen, die Haare geglättet und Manga-Augenbrauen gemalt, gehen in die Boutiquen und treffen auf Menschen, die ihnen genau das verkaufen wollen – und die Geschäfte laufen nicht gut. Da sitzen melancholische junge Männer mit einem Drink an der Bar und hoffen auf SIE, mit wehendem Kleid und Haaren, Brüsten wie Rehzwillinge und hohem, schlanken Wuchs und treffen auf Mädchen aus der ihrer Nachbarstadt, die auch träumend auf der Suche sind oder auf übermüdete Startup-Head of Something-Mädels, die nicht wissen, wovon sie ihre nächsten Drogen zahlen sollen, wenn sie ihre Miete zahlen.
Irgendwie nehme ich das alles aus dem Augenwinkel mit. Liebe die Ergebnisse. Esse die besten Kekse und Törtchen der Welt, lasse mir von Isländern Burger braten, trinke Milano Spritz, kredenzt von einem wunderschönen Italiener, aber das ist alles Schein. Das Geld fliegt mir aus der Tasche und abends hocke ich mit data overload auf dem Sofa und schaue auf den Fernsehturm.
Ich sehne mich nach einem Fluss, in dessen sandigem Steilhang die Schwalben nisten.
Auf dem Weg zum Homo Ludens
„Du klingst in der letzten Zeit übrigens sehr weich und liebevoll. Irgendwie nach der Entscheidung NICHTS mehr sein zu wollen/zu müssen.“ schrieb die Freundin. Sie kennt mich seit über 30 Jahren und sie hat recht.
Ich weiß nicht, wann das angefangen hat, solche Übergänge passieren schleichend. Vielleicht nach der Woche im März, in der sich alles auf einmal entscheiden sollte und am Schluss nichts passierte. Keine Verpflichtung weit weg von Berlin, vier Wochen vor der Geburt des Enkelkinds, keine 6monatige Arbeitseingliederungsmaßnahme für Deppen und dafür die Einsicht, dass alle Dinge noch eine Weile brauchen.
Ich habe nach einer Phase der Konfusion, in der alles in mir immer noch im Alarmzustand war, denn ich muss bereit sein, auf alles eingestellt sein, es kann sich alles sofort verändern, ich muss kämpfen, kämpfen, nichts kommt von allein… einfach losgelassen.
Vor ein paar Wochen stand ich montags auf und sagte mir, ich mache jetzt nur noch das, was ich will. Das klingt ein wenig kindisch kindlich und das ist es auch. Auf eine gute Art und Weise. Ich wäre eine vollkommene Idiotin, wenn ich die Zeit ohne Existenzdruck, die ich seit November habe, verstreichen lassen würde, nur in der Angst befangen, der Zustand sei nicht von Dauer.
Ich lebe hier und jetzt. Es gibt derzeit keine Veranlassung, so zu tun, als wäre mein Leben ein anderes als das einer Frau, die sich ausruhen und ihre Dinge tun darf. Ich bin zum Homo Ludens geworden.
(Das ist schwieriger als man denkt. Ich habe ziemliche Hemmungen, darüber zu reden oder zu schreiben, dass ich mitten am Tag Dinge tue, die andere Frauen nach ihrem Arbeitstag machen.)
So bin ich von ganz allein in die jetzige Existenz gerutscht. Im Moment sind das viel Handarbeiten. Nähen oder besser, mir etwas auf den Leib schneidern und wieder Maschinenstricken, nachdem ich eine modernere und intaktere Brother-Maschine, als ich sie schon hatte, gekauft habe. Diesmal mit allem Sch… – Doppelbett, Elektrik-Schlitten, Farbwechsler. Mir schwebt da was vor.
Ich bin in Sachen Entwurf und Arbeitsplanung etwas schwach auf der Brust, aber das können der Mann und Primavera. Ein, zwei Modelle durchplanen, gute Farbkombinationen dazu, mal schauen.
Das Ganze hatte seinen Ursprung darin, dass ich Fair Isle-Muster ungern mit der Hand stricken möchte. Es ist mir zu anstrengend, ständig mit den Augen zwischen der Vorlage und dem Gestrick hin und her zu wechseln, weil die Lesebrille das nicht mitmacht.
Die letzten Brother-Maschinen hatten die Möglichkeit, mehrfädige Muster ohne Spannfäden zu verarbeiten, da will ich gern ansetzen. Und dann gibt es noch die Option, Socken zu stricken und rundzustricken…
Die viele Menschen, die mit der Maschine arbeiten, sind technische Nerds, die vom Design her entweder Katzengesichterpullis im 80ies-Style oder XXL-Säcke fertigen. Viele handarbeitende Frauen mit guten Ideen sind wiederum nicht technikaffin und das ist technisch anspruchsvoll. Ich lasse mich überraschen.
Und so verschwinde ich über Stunden in Wurmlöchern und frickele vor mich hin. Sozialkontakte sind derzeit so gar nicht meine Sache, man möge es mir verzeihen.
Es gab noch etwas, das an mich herangetragen wurde. Ganz vorsichtig, weil es Frauen gibt, die fast beleidigt sind: Die Großmutterrolle stünde mir gut. Es brauche in jeder Familie eine Frau, die Ruhe, Souveränität und Erfahrung ausstrahlt, wo man anlanden könne. Körperlich wie seelisch. Ich nehme das als großes Kompliment.
Ist es wirklich so, dass die Großmütter selten geworden sind? Nun, sie sind älter, weil alle Frauen immer später Kinder bekommen. Eine 73jährige ist eine andere Großmutter als eine 53jährige.
Vielleicht spielen auch veränderte Rollenbilder hinein. Moderne Frauen wollen nicht warten, bis sie gebraucht werden und dann grenzenlos da sein. Und neben Fitness, Weiterbildung, Radtouren, Fernurlauben und Dating für den nächsten Lebensabschnittbegleiter Zeit für die archaische Rolle des Familienhafens zu spielen, das könnte schwierig werden. Wie schreiben sie alle in ihre Profile in Partnerbörsen? „Kein Omatyp“
Welches Kind erinnert sich so? „Meine Oma war kein Omatyp.“ Oma, das war doch immer die weiche ruhige Frau und eine Wohnung mit alten Möbeln und interessanten Gegenständen, das beste Essen der Welt und Dinge tun, die zu Hause aus Zeitmangel oder moderner Lebenshaltung nicht drin sind.
Ich weiß doch auch nicht.
Das Baby ist nun einen Monat alt. Das Kind ist eine vehemente Mutter, auf die ich mal wieder verdammt stolz bin und der Schwiegersohn ist ein toller Papa.
WMDEDGT Mai 2017
Frau Brüllen fragt wieder, was wir den ganzen Tag gemacht haben. Nun denn.
Um 7:30 Uhr klingelte der Wecker und um kurz vor 8:00 Uhr taperte ich zum Kaffeekochen in die Küche. Ich aß wie immer zum Frühstück Joghurt mit Obst und schaute ein wenig quer durchs Internet. Nebenher kochte ich Milchreis für die gestressten Jungeltern
Um 9:00 Uhr setzte ich mich an die Strickmaschine. Sie war gestern angekommen und ich wollte nach und nach die Komponenten testen und Proben stricken. Am Abend vorher hatte ich schon einmal ein Lochmuster angestrickt, am Anfang voller Fehler, weil sich nach und nach erst die Öl-Verharzungen im Lochmusterschlitten gelöst hatten. Auch von langem Stehen können Maschinen kaputt gehen. Ich strickte zwei Mustersätze fehlerlos und versuchte dann einen kleinen Hack, um ein Missoni-Muster zu bekommen, aber das ging gründlich schief.
Also machte ich mich schon einmal rausgehfein und wickelte nur noch Wollreste zum Weiterstricken auf, denn wir hatten bald eine Verabredung.
Gegen halb 11 Uhr klingelte es. Es war der Paketbote mit dem Stoff für das Hochzeitsgastkleid. Es soll ein nachgebautes Tia Dress werden, das Schnittmuster zu kaufen lohnt für mich nicht, weil ich das Oberteil sowieso neu konstruieren muss. Ich hatte zwei schwarzweiß gemusterten Baumwollsatins für den Rock bestellt und uni schwarz für das Oberteil. Das dramatische Rosenmuster bei dem ich skeptisch war, ob es funktioniert, überzeugte mich auf Anhieb, der andere, den ich nur zur Sicherheit bestellt hatte, war falsch geliefert. Wenn man zwei schwarze Stoffe mit weißem Punktmuster im Lager hat und den mit den kleineren Punkten „Schwarz mit großen Punkten“ nennt und den mit den größeren „Schwarz mit weißen Punkten“ sind Verwechslungen vorprogrammiert. Ich telefonierte kurz mit dem Händler und mailte ein Foto.
Dann rief meine Mutter an. Meine Eltern waren unterwegs nach Berlin, das Urenkelchen anschauen und wir sollten sie begleiten. Die beiden waren allerdings zunächst am Stadtrand gestrandet, weil der Regionalzug nicht durchfuhr und dann noch eine Weile im Bahnhof Ostkreuz herumgeirrt. Jetzt waren sie aber auf dem Weg zu uns, wenn auch verspätet.
Ich drapierte kurz die Stoffe auf die Puppe, um zu schauen, wie es aussah. Der Graf monierte natürlich mit Fachmannsblick, dass die Schwarztöne nicht ganz zusammenpassen. Aber ich bin ja Gott sei Dank keine Perfektionistin.
Kurz darauf vermeldeten meine Eltern, dass sie fast da sind, wir holten die von der Straßenbahnhaltestelle ab und gingen erst einmal zum Vietnamesen drei Häuser weiter, eine Kleinigkeit essen und bestellten auch noch zwei Portionen zum MItnehmen.
Dann pingte mich das Kind an: Ob wir auf dem Weg zu ihnen schnell etwas einkaufen könnten. Ich ließ mich instruieren, was gebraucht wurde.
Wir nahmen nach Pankow ein Taxi und es passierte der Berliner Klassiker, auf die Frage, ob Ec-Kartenzahlung ok. sei, wand sich der Fahrer, das Kartenlesegerät sei nicht so richtig in Ordnung etc. Klarer Fall von Steuerbeschiß, wie bei fast allen Taxis.
Ich sprang schon am S-Bahnhof Pankow raus, kaufte kurz ein und lief dann zur Wohnung vom Kind.
Das Enkelmädchen schlief süß in der Trage vor Schwiegersohns Bauch und als wir es etwa später im Ganzen zu Gesicht bekamen, konnten wir feststellen, dass es nun, mit 3 Wochen, nicht mehr wie ein aus dem Nest gefallenes Vögelchen, sondern schon wie ein (wenn auch kleines und zartes) Baby aussah.
Es gab alkoholfreien Sekt und Geschenke und wir plauderten und himmelten das schlafende Kleine an. Als es dann laut vernehmlich was trinken wollte, brachen wir auf und begleiteten die alten Herrschaften noch zum S-Bahnhof.
Wir liefen den halben Weg zurück, statt mit der Straßenbahn durchzufahren und kauften zwischendurch noch ein Eis. Zurückgekommen, es war inzwischen 18 Uhr, las ich, dass der Stoffhändler eruiert hatte, dass der Stoff im Lager falsch ausgezeichnet war. Von dem anderen Stoff gab es aber leider nur noch die Hälfte der benötigten Länge. Ich switchte um auf einen anderen Stoff, der mir sehr gefallen hatte und setzte ich mich wieder an die Strickmaschine.
Nun war noch der Motorschlitten zu erproben. Das dauerte, von zwei Käsebroten unterbrochen, bis kurz vor 11 Uhr. Er funktioniert ziemlich gut, bis auf den Umstand, dass er immer an der gleichen Stelle beim Rechtsstricken 1-2 Maschen verliert. Warum auch immer, das muss ich herausbekommen.
Ich machte mir dann noch einen Mitternachtssalat und setzte mich an diesen Text. Jetzt geht es aber schleunigst ins Bett!
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