Hier sortieren sich gerade Dinge, die seit fünf bis sieben Jahren unterschwellig laufen. Auf dem Papier passiert das erst mal in meinem Sinne. So, dass ich mit weniger Angst und Bedenken in die Zukunft gehe. Auch wenn ich immer noch nachts aufwache und fest davon überzeugt bin, wenn ich auch nur ein falsches Wort in ein Formular schreibe, wird alles wieder rückgängig gemacht.
Dem erleichterten Ausatmen „ich muss nicht mehr arbeiten“ ist eine lange Zeit des trial and error vorausgegangen. Manchmal waren es Tätigkeiten, bei denen ich an den alten Arbeitsstil anknüpfte und im Frontoffice im Kommunikationskreuzfeuer das Chaos sortierte und gleichzeitig Menschen (hoffentlich) zufrieden stellte. Ich versuchte, einfach weniger zu tun, um Kraft zu sparen, aber seit ich das erste Mal Mitte der 90er so einen Job gemacht habe, haben Arbeitsdichte und Reaktionszeit so angezogen, dass eigentlich nur noch Menschen bis Mitte 30 diesem Druck schadenfrei und dauerhaft standhalten. Es sei denn, man begibt sich in völlig standardisierte Umgebungen, wo Akuratesse und the voice und nicht the brain gefragt sind. Das fehl- und unterfordert mich wiederum, da laufe ich anderweitig heiß.
Dann habe ich mir immer wieder selbst Projekte gesucht, die für mein Leistungsvermögen und meine Erfahrungen maßgeschneidert waren. Mein Seminar für Gehaltseinschätzung und -verhandlungen ist ein Geheimtipp für Studienabsolventen und wird von den Hochschulen weitergereicht. Nur, das konnte kein Broterwerb werden. Die Zahl der Hochschulen der Umgebung ist groß, aber begrenzt, es wären Reisen, viel Papierkram und regelmäßige Akquise dazugekommen. Die Bezahlung ist auf dem Niveau des akademischen Prekariats und eigentlich eher eine Aufwandsentschädigung, nichts, was die Miete einspielen würde. (So etwas macht man mit der Perspektive auf besser bezahlte Gelegenheiten.)
Beratungen, auch Kurzinterventionen, mache ich gern. Aber auch da war die Schwelle die Regelmäßigkeit, ab da hätte sich ein professionelles räumliches Umfeld gelohnt, das so etwas braucht.
Das alles werde ich auch weiter machen, aber ohne die Verpflichtung, daraus noch mal einen Vollzeitjob machen zu müssen.
Man merkt schon, ich finde viele Gründe. Schon 2006, da war ich etwas über 40, reagierte ich auf neue Geschäftsideen, die Bekannte an mich herantrugen, mit spontaner Panik und Übelkeit. Jetzt hat sich das so gesteigert, dass mir schon der Gedanke an einen verpflichtenden, dichten Zeitplan, der gute Präsenz und Verlässlichkeit voraussetzt, Angst und Herzrasen verursacht. Ich habe das eine ganze Zeit lang als Luxusproblem einer mittelalten, verwöhnten Frau abgetan.
Wenn die Reha etwas gebracht hat, dann die Erkenntnis, dass an der Sache was dran ist. Ich bin schnell wieder in meinen alten Bahnen, bemerke die Überlastung nicht, nehme Warnsignale nicht ernst und zack! greift der Körper zur nächsten Reißleine, meist irgendein Infekt oder wenn der grade nicht im Angebot ist, macht er eklige Dinge mit Gleichgewicht und Gehör.*
Der Rat, den ich von dieser Ärztin bekam, bevor sie rumschrie, ich müsse auch mal was durchhalten, war, dass ich schon bevor das passiert so schnell wie möglich pausieren muss. Ein, zwei Tage reichen. Aber auf keinen Fall die Woche zu Ende arbeiten oder noch ein paar Tage durcharbeiten. Sondern aussetzen, sich pflegen, morgen, spätestens übermorgen.
Man fährt auch nicht mit dem Auto weiter, wenn es schlägt und klappert. Da fährt man lieber erstmal rechts ran. Oder man klebt halt irgendwann am Brückenpfeiler.
Ich schreibe das jetzt auf, damit ich mir das endlich merke.
(Und bemerke, wie ich schon wieder ein blödes Gefühl habe, dass ich mich so über den weggefallenen Druck freue. Das macht frau doch nicht. Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen, war der Wahlspruch in der Familie.)
Ich habe immer gedacht, ich muss mich ändern. Ich war schon immer eine Flowarbeiterin. Aus langen Phasen von trödeliger Ineffizienz konnte ich, wenn ich den Ansatzpunkt gefunden hatte, innerhalb kürzester Zeit weit über 100% hochfahren und sehr viel schaffen.
Nur, Flow ist schick und nur Flow ist gefährlich. Es passt so gut ins durchoptimierte Arbeitsleben von modernen Dienstleistern, immer manisch leistungsfähig zu sein. Immer High Performerin. Das geht nicht. Das können nur sehr wenige Menschen und auch die haben ihre anderen Seiten. Die liefert die Legende nur meist nicht mit.
Andererseits kann ich so einen tief liegenden Wesenszug nicht ausreißen. Spann ein Rennpferd in einen Göpel, lass es Tag für Tag im gleichen, langsamen Rhythmus im Kreis laufen und es dreht durch. Für ein Rennpferd, das die besten Rennen schon gelaufen ist und lahmt, gilt das sowieso.
Jetzt habe ich den Rücken frei. Ich kann das tun, was Frauen um die 50 nach einem arbeitsreichen Leben früher taten. Mich um die Menschen um mich herum kümmern. Ein gutes Leben organisieren, ohne dafür mit Geld und Ressourcen rumzuschmeißen. Mit den Händen und dem Kopf arbeiten, ohne Monetarisierungsdruck und das alles zu seiner Zeit.
Ich habe immer gern ausgeblendet, dass meine Biografie nicht so ist, wie die einer durchschnittlichen westdeutschen Akademikerin.
Ich hatte mit Anfang 30, als ich mich selbständig machte, schon 6 Jahre Vollzeit-Arbeitsleben, ein Baby-Jahr in Fernbeziehung und anderthalb Studien hinter mir und ein schulpflichtiges Kind im Haus. Ich war die ganze Zeit, bis auf die letzten 5 Jahre jetzt, oft Allein- oder wenigstens 50%-Verdienerin.
Von der biografischen Laufleistung her bin ich zehn Jahre älter als viele meiner gleichaltrigen Bekannten. Das vergesse ich gern, weil alt sein ist ja äußerst Bäh! Es ist so. Ich habe bestimmte Verschleißpunkte viel früher erreicht.
Was mir nun eine unverschämte Freiheit in kleinem Rahmen gibt. Es ist zwar noch nicht alles in Butter, meine private Rentenversicherung ist weg, das muss anders gelöst werden, aber die ständige Überlegung, wie ich in 2 oder 3 Jahren leben und arbeiten könnte (es gab ja ohnehin 2 geschenkte Jahre), kann ich jetzt erst einmal einstellen und die Energie für bessere Dinge verwenden.
Es sei denn, meine nächtlichen Ängste haben doch einen wahren Kern. Aber da kann ich mir Gedanken drüber machen, wenn es so weit ist.
*Komischerweise nix mit dem Rücken, obwohl mir seit 2006 eine Bandscheibe fehlt. Das wäre wenigstens eine ordentliche, von den Behörden akzeptierte Krankheit gewesen, statt diesem ständigen somatoformen Trallalala.