Critical Westness

Vor drei Tagen versuche ich einer Frau zu erklären, wie ihr Vater den Admiralspalast in Berlin findet.
Da die beiden auf dem Schlauch standen und die Friedrichstraße lang ist, versuchte ich es vorsichtig mit einer Erklärung, die in 50% bei Älteren funktioniert: „Die alten Ostberliner kennen den Admiralspalast noch als Metropol-Theater.“
Das empörte die Tochter zutiefst: „Wir sind bestimmt keine alten Ostberliner! Wir wohnen im Prenzlauer Berg!“
Meine Reaktion war wortlose tiefe Fremdscham angesichts solcher innerdeutscher kolonialistischer Dämlichkeit. Die Lady konnte echt froh sein, dass meine Kettensäge gerade in der Durchsicht ist.

Ganz eigentlich ist das ein Text für den Kiezneurotiker. Aber auch ich habe – wie der Graf dazu bemerkte – meine ganz dünnen Stellen. Und eine davon befindet sich genau da, wo die großen Massas und Missuses, die hier qua Wirtschaftswundererbschaften in ganze Stadtbezirke eingeritten sind, nun irgendwas mit Medien machen, Dawanda-Shops betreiben und sich für was besseres halten. Das ist so, das ist auch nicht zu ändern, aber davon krieg ich so’n Hals!

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In die Zukunft

Ich bin gar nicht der Typ für Vorhaben zum neuen Jahr. Als ich noch Fitness-Studios frequentierte, mied ich im Januar jegliche Betätigung dort und wartete, bis die schnaufenden „Gute Vorsatz-Trainierer“ sich auf das Maß derer, die wirklich durchhalten wollen, reduziert hatte. Generell lege ich mir ungern die Latte so hoch, dass ich sie garantiert reiße, gerade in meinen zaghaften Aufbruchsversuchen. (Es sei denn drei oder vier unkoordinierte Vorhaben kommen zusammen, da bin ich Meisterin drin…)

Trotzdem zeichnen sich ein paar Veränderungen ab oder besser: Ich habe wieder den Antrieb und den Mut, scheints – und das eine oder andere muss einfach sein, um weiterzukommen. Mal schauen, wo ich lande.
Den Februar werde ich, so wie es aussieht, bis auf einen Seminartag nicht in Berlin verbringen. Zuerst muss der Graf mal dringend entspannt und ausgelüftet werden, der läuft mir hier rum wie ein Schatten seiner selbst. Dann haben LaPrimavera und ich ein Nähcamp verabredet und anschließend hüte ich noch ein paar Tage bei ihr das Haus, wenn sie mit Schmackes Hänge runterfährt und hoffentlich nicht wie vor 14 Jahren eine böse Grätsche macht, die die Bekanntschaft mit tschechischen Krankenhäusern erneuert.
(Ich teste in der Zeit, wie ich mit drei Katzen in geschlossenen Räumen zurechtkomme.)
Im frühen Frühjahr hat Frau Rosmarin nach Schilda eingeladen und das bedeutet auch (endlich wieder) einen Besuch bei des Grafen Haus, Heimat und Hof.
Kurz vor Sommerbeginn ist München dran, wenn wir Bloggerinnen es schaffen, uns auf einen Termin zu einigen. Ich freue mich sehr darauf und werde vielleicht auch noch 1-2 Tage in Richtung Berge verschwinden. Ich habe vor geraumer Zeit ein paar Hügeln und Wiesen versprochen, dass ich wiederkomme.

Unterwegs sein und Hieronymus im Gehäuse spielen, das ist für mich kein Unterschied. Ich treffe gern Menschen, aber ich bin auch sehr gern an einsamen und gottverlassenen Orten. Der einzige Luxus, den ich dann brauche, ist eine flexible Reise (was mich in der Konstellation meist zum Automenschen macht) und ein kleines Plätzchen nur für mich. Couchsurfing würde mich binnen kurzem zum psychischen Wrack machen. Zuviel Sozialkontakt.
Sollte ich jemals über Reisen schreiben, dann wäre es wohl die Geschichten der Ecken, Betten, Höhlen und Kammern, in die man sich auf der ganzen Welt verkriechen kann, um dann, wenn die Massen weg sind, schöne Orte zu besichtigen oder mit wilden Ziegen auf Bergkämmen zu reden – wenns sein muss auch bei Regen, Nacht und Nebel oder in der Dämmerung.

Seien Sie gespannt.

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Es hätte alles anders kommen können

Dieser Satz ging eine ganze Weile nicht aus meinem Inneren weg, als ich im Café du Bonheur vor meinem Café au Lait und einem Dulcey-Törtchen saß und die Kellnerin ein Glas Rosé-Cremant vor uns hinstellte.
Ich saß mit dem Grafen in einem französische Café am Ostende der Brunnenstraße. Vor genau 30 Jahren wohnte gut zweihundert Meter von hier, in der Schönholzer Straße, mein Freund N., den ich oft besuchte, wenn ich in Berlin war. In dieser Straße patroullierten immer Polizisten, das war die Stelle, an der in den 60ern die Fluchttunnel gegraben wurden. Die mauerzugewandte Seite der Straße war von besonders vertrauenswürdigen Leuten bewohnt und man brauchte für den Besuch einen Passierschein. N. wohnte auf der weniger vertrauenswürdigen Seite, bei der es aber immer angeraten war, den Personalausweis griffbereit bei sich zu haben, um nicht auf dem Polizeirevier die Straße weiter unten zu landen.
Er hatte im zweiten Stock, am Ende einer von zwei weiteren Parteien bewohnten Wohnung, zwei schlauchförmige Zimmer mit Gaskocher und einem Kanonenofen zugewiesen bekommen. Die sechs Personen teilten sich ein winziges Klo (aber hey, in der Wohnung, nicht halbe Treppe!), ein Bad gab es nicht. Der Grundriß der Wohnung entsprach der, die wir heute zwei Blöcke weiter bewohnen. – Allein, ohne unfreiwillige Mitbewohner, zu zweit, nicht zu sechst.
Wenn ich zu N. in die Schönholzer einbog, versperrte zehn Meter weiter die Brunnenstraße hinauf, die Mauer die Straße. Das war das erste Mal, dass mir die Brutalität der Berliner Teilung richtig bewusst wurde. Oft lief die Mauer eben nur parallel irgendwo entlang und schloss Niemandlandsbereiche ein, wie zum Beispiel an dem Stück, an dem sich heute die East Side Gallery befindet oder um das Brandenburger Tor. Man konnte sich an der Mauer entlang von A nach B bewegen (wo das unerreichbare C liegt, wußte ein nach dem Mauerbau geborener Mensch ohnehin nicht mehr), hier aber, in der Brunnenstraße, wurde die Bewegung abrupt gestoppt. Die Welt war zu Ende.
Was würde ich heute tun, wenn das so geblieben wäre? Wäre ich eingeknickt und hätte eine lohnende Kulturkarriere mit besonders engagiertem Blöken in der großen Schafherde bezahlt? Hätte ich die Achtung der Familie drangegeben und wäre auf der anderen Seite der Mauer gelandet? Hätte ich mich als Selbstversorgerin in eine Bauernkate in der Uckermark verkrochen? Man weiß es nicht.

Dieser Satz, der mir im Kopf stand und nicht wegging, bezog sich aber nicht nur auf die Kurven, die mein Leben innerhalb von 30 Jahren genommen hatte. Vor drei Jahren war mein Leben auf den Nullpunkt zusammengeschrumpft. Ich saß allein in dem kleinen Nestchen in Schöneberg, hatte kategorisches Arbeitsverbot vom Arzt bekommen und die Brücken in mein früheres Leben lagen abgebrochen hinter mir. Die Freunde sahen nach mir, aber ich wußte, dass ich nicht kommunikativ genug war, als dass das lange gut gehen konnte. Irgendwann würde ich alle Verbindungen kappen. Mir hätte ein große Karriere als Crazy Cat Lady without Cats bevorstehen können.
Doch es kam anders. Ich bin sehr dankbar dafür.

Veröffentlicht unter Leben