In den letzten Tagen des Sommers

Der beste Freund und ich haben seit einigen Jahren ein Ritual. Wir schwimmen einmal im Jahr am frühen Abend in einem der brandenburgischen Seen und zum Sonnenuntergang gibt es ein Picknick an Strand mit Sekt (bringt er mit) und Leckereien (mache ich).
Diesmal gerieten wir durch einmal verfahren an den Krummen See in Schenkendorf. Auch hier hatte man mal versucht, Braunkohle aus dem Sand zu holen, es aber unter Hinterlassung eines schmalen gewundenen Lochs bald aufgegeben. Daraus wurde bald ein schilfumstandener See.
Nun saßen wir auf einer Lärchenholzbank, die sicher die EU spendiert hatte und aßen Ostschrippen und darauf Kitty-Buletten mit Tomate, Salat, Gurke, Ketchup, Mayo. Also das, was man einen Burger nennen würde, wenn es denn heiß wäre.
Der lauwarme Cremant schoß den Korken in den Himmel, aber kein Problem, wir hatten in Zeitungspapier gewickelte Eiswürfel dabei, die ihn in den orangenen Plastikbechern zu Trinktemperatur herunterkühlten.
Unsere Themen ähneln sich jedes Jahr, nur wir verändern uns von Jahr zu Jahr ein wenig. Jahrelang waren es meine Desasterbeziehungen, bei denen jeder sah, dass das nicht geht, nur ich nicht und seine Fake-Beziehungen, die zwar die Damen als Partnerschaft kurz vor Familiengründung ansahen, er aber nur als eine (Übergangs-)Option von vielen. Vielleicht war das einfach das Lebensalter, in dem uns besonders extrem verhielten, weil wir uns für extrem besonders hielten, glaubten, nur die grenzwertigsten Sachen wären wichtig und alles zuließen, jeden Verrat, jede Verletzung, um uns nur nicht der Normalität zu überlassen.
Jetzt ist vieles anders. Ich bin verheiratet und in seinem Haus wohnen eine Frau und eine winzige Katze. Natürlich läuft nicht alles rund. Ich bin noch immer nicht gesund und würde doch gern wieder mehr arbeiten, um das gemeinsame Leben schöner zu machen, er balanciert seine studierenden Töchter gegen die jüngere, kinderlose Frau aus. Wir sind ruhig geworden, erfahren und verzichten mittlerweile auf vieles. Wände sind nicht mehr zum reflexhaften Dagegenrennen da und Nichts tun ist oft besser als Handeln um des Handelns willen. Die Schauplätze haben gewechselt. Es geht nicht mehr um Firmenwagen und Geschäftsabschlüsse, sondern um Kaminöfen und Immobilien. Ruhe, Akzeptanz von Dingen, die sich nicht ändern lassen und noch viele Pläne für die nächsten Jahrzehnte. Aber die Zeit des energiezehrenden Aktionismus um der Profilierung willen ist endgültig vorbei. Ich bin gespannt auf die nächsten Jahre.

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Me Made Mittwoch – Vichy-Karo-Kleid

Mein erster Me Made Mittwoch, danke für die Einladung! Hier sind vorab zwei, drei Stichworte, aus welcher Ecke ich komme.
Es geht los. Das

Vichy-Karo-Kleid

Vichy-Karo-Kleid
war mir ein Anliegen. Endlich wieder weibliche Vintage-Mode, ohne dass frau komisch angeschaut wurde, wie es mir noch 2003 mit einem alten rosa Kleid aus den 50ern passierte.
Die Grundlage für das Kleid ist V8788, ein Vintage Vogue-Schnitt, auf den ich im Frühling lange Wochen wartete.
Vintage Vogue SchnittMir gefielen besonders die Mischung aus Leichtigkeit und Eleganz und dass sich hier um ein wenig störanfälliges Wickelkleid handelt, das durch die kluge Konstruktion nie unversehens auseinander klappen wird. (Eine Sache, die mir an Wickelkleidern immer wieder passierte, oft mit Sicherheitsnadeln gefixt wurde und die ich schlichtweg hasse.)
Außerdem liebe ich Schleifen.
Vichy-Karo-Kleid, Rücken
Dass ich ein richtiges Oberteil mit Prinzessnaht gemacht hatte, war schon lange her und in den späten 80ern passte mein Busen noch in alles hinein und es war meist noch eine Menge Platz.

Nun, nicht nur ich, auch meine Figur hat sich weiterentwickelt und ich traute dem alten Schnitt nicht, weil ich damit keine Erfahrungen hatte. Legten die Damen doch damals wesentlich mehr Wert auf eine schmale Taille und auch die Taillenlinie schien mir oft absurd hoch. (Jetzt weiß ich: Letzteres nicht in den 50ern, dafür aber in den 60ern.)
Ich nahm meine Maße, verzweifelte kurz und begann mit wilden Schnittänderungen, um meine nichtvorhandene Taille einzuarbeiten.
Schnittveränderung
50% davon waren überflüssig, das weiß ich jetzt. Aber am Oberteil vorn reichlich 2 cm zuzugeben und hinten reichlich 2 wegzulassen, ist immer gut und mit etwas Zugabe an den Seiten wird das schon. Und weder Weite noch Busen hätte ich verschlimmbesserngrößern müssen, das reguliert die Wickelkonstruktion. Solche Klimmzüge wie oben waren unnötig.
In brütender Sommerhitze, hinter vorgezogenen Vorhängen, begann ich zu nähen. Ich habe simplen Baumwollstoff von Karstadt benutzt, das Meter 8,50€, 1,40m breit.
Da ich großen Wert auf gut versäuberte Nähte lege und für französische Nähte mit reichlich 2cm Nahtzugabe arbeite, war das Anprobieren der Brustnähte ein besonderes Gefummel, denn der Stoff geht mit so breiten Überständen nicht in die richtige Form. Mangels Routine habe ich alles wieder und wieder geheftet und damit sich die Rundungen und Schrägen nicht verziehen, habe ich noch jede Menge Positionsnähte (Staystitches) gezogen.
Das Dekollete habe ich umgearbeitet. Mir stehen helle Muster nicht unbedingt, deshalb wollte ich nicht so einen voluminösen, karoverhüllten Vorbau haben, mit V-Ausschnitt fühle ich mich wohler.
Ausschnitt
Hier ist auch gut zu sehen, worauf ich nicht geachtet habe. Ich hatte früher für Konfektions-Schnitte immer zu breite Schultern. Jetzt nicht mehr, da könnte mehr als ein Zentimeter weg. Als mir das auffiel, war alles schon versäubert und ich hatte keine Lust mehr, das zu ändern.
Die offen liegenden Kanten habe ich mit kariertem Schrägband versäubert.
Versäuberung
(Schade, das gabs nicht in meiner Farbe, aber es ist ein Riesenluxus, Frau Tulpe drei Häuser weiter zu haben. Leider auch für meine Geldbörse…)
Der rückwärtige Ausschnitt bekam etwas Handarbeit und einen von den Knöpfen aus der Omi-Kiste, die mir meine Mutter vor zwei Jahren in die Hand drückte. Ich wußte damals nicht so richtig, was das sollte, aber ich kann doch keine Knöpfe wegwerfen.
Verschluss

Die Wickelei ist wirklich ganz clever gelöst. Der vordere Rock umschließt fast gänzlich den hinteren Rock und umgekehrt, so fällt beim Sitzen nichts auseinander.
Wickelverschluß vorn Wickelverschluß hinten
Das Rückenteil wird mit Haken vorn geschlossen und das ist die einzige Schwachstelle. Die Haken gehen immer wieder auf, das merke ich zwar kaum, weil das Kleid auch so sicher sitzt, aber dieses Teil, das auf die Taille gehört, findet auf meinem Bauch keinen Halt.
Wickelverschluss offen Wickelverschluss geschossen
(Das sitzt natürlich unter dem Vorderteil, auf der bloßen Haut, deshalb rutscht es so.)

Fazit?

Ein sehr schönes Sommerkleid, aber nix für mal schnell um die Ecke gehen. Fahrrad fahren geht damit nicht und irgendwo mal eben hinsetzen bringt endloses Gegrabbel mit sich, damit der Rock nicht im Dreck liegt. Schuhe und Darüber müssen adäquat sein. Man ist schon recht angezogen damit und ich wirke ohnehin schnell overdressed.
Der Schnitt ist sehr empfehlenswert, weil super gut durchdacht.

Und ich hätte es jetzt gern noch mal aus leichtem schwarzen Leinen…

Vichy-Kleid Vorderansicht(Nur echt mit dem Zipfelsaum!)
Vichy-Kleid Rückansicht

Der gesamte Me Made Mittwoch von August kann hier besichtigt werden.

Mein Sommer als Immobilie

Ich weiß gar nicht, was das ist, aber mir ist seit Wochen und Monaten nicht nach Socialising. Ich habe mein tägliches Tun in Portiönchen, nehme am Leben der anderen via Social Media teil, erfreue mich an den am Fernsehturm vorbeischippernden Wolken und genieße die Sonne. Mit fehlt derzeit nichts und ich weiß, wenn die Zeit gekommen ist, wird mein Aktionsradius auch wieder größer. Aber mir ist grade so garnicht nach rausrasen und ja nix verpassen.
Also doch, einmal habe ich schon etwas verpaßt. Der Herr Glam und der Herr Lucky waren auf dem Schlachtensee, ich bat sie, den Wels von mir zu grüßen, aber sie hatten außerdem noch eine Begegnung mit einer pringles-süchtigen Mandarinenten-Diva. Also Sie sehen, es gibt genügend Leute, die für mich mitleben.

Wenn wir gerade bei den Neuigkeiten aus Bloggersdorf sind: Twoday leert sich immer mehr. Auch Frau Fragmente ist nach Montenegro entschwunden und ich habe Kisten tragen geholfen.
Da ich grade so schön im Schwung bin, wer das auch tun möchte, kann mir Bescheid sagen.

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Nähen – Früher

Dass ich Kleider nähe, hat immer damit zu tun, dass ich etwas nicht kaufen kann, erst dann bewegt sich mein innerer Schweinehund.
Mangels Westverwandtschaft hieß es früher, entweder du trägst VEB Jugendmode oder du lässt dir was einfallen. Ich tat letzteres und das erste Stück, das ich allein nähte, war eine Hängerbluse mit Stehbündchen und Biesen, dunkelblau mit weißen Pünktchen, Vorkriegs-Viskose aus den Beständen einer Urgroßmutter. Ich brach mir fast die Finger und eine Nähanleitung gab es nicht, aber ich wollte mir keinen Rat holen. Meine Mutter und meine Oma nähten mir zwar das eine oder andere Teil und manchmal durfte ich schon übungshalber etwas allein machen. Aber: Sie reden mir ständig rein, was ich denn zu tragen hätte. Mit 15 stand mir der Sinn nach dunklem Walla-Wala und das hätte nur Diskussionen gebracht, warum ich denn eine altmodische, trübsinnige Schwangerenbluse anziehen wollte.
Das war eine Initialzündung. Sobald ich Taschengeld übrig hatte und es Stoff zu kaufen gab, stockte ich mein Lager auf. Die Mutter meiner Jugendliebe, eine schöne Frau mit künstlerischen Ambitionen und wirklich gutem Geschmack beriet mich und brachte mir Stil bei, was in meiner Familie nicht Standard war. Der eine Teil ließ schneidern und das waren dann pragmatische Etuis für die Korpulenz, wenn auch aus teuren Stoffen. Erst auf alten Fotos sah ich, was für eine elegant und weiblich gekleidete junge Frau meine Oma mal war, mit Pelzen, Handschuhen und Hut. Der andere Teil kaufte das, was da war (also den üblen VEB-Schick) oder schneiderte selbst, auch aus dem was da war. Das waren meist billige Stoffe mit blöden Mustern oder noch schlimmer knallbunter oder beiger bondierter Möbelbezugsstoff aus Polyester (so eine Art dünner Neopren), den es im Werksverkauf billiger gab. Materialen, die bei der Verarbeitung zu biederen, unauffälligen und stoffsparenden Stücken noch mit fetten Stufen und Säumen versehen wurden, damit man sie ändern konnte.
Ich legte mir ein kleines Lager aus Batist, Uromas Spitzen und handgewebtem Leinenbestand, Chiffon und anderen Seidenstoffen an und dazu kam das eine oder andere ausrangierte Teil aus Omas Festkleidbeständen – schwarzer Samt mit silbernen Rosen bestickt, silber-schwarzer Lurex, bunter Samt mit großen Blüten, alles, was sich durch Omas Masse gut umarbeiten ließ.
Bei meinem Kleid für den Tanzstundenabschlußball beriet mich die Quasi-Schwiegermutter, meine Mutter und meine Oma hatten nur kopfschüttelnd auf den Schnitt geschaut: Was ich denn damit wolle? Schon wieder zu weit und zu extravagant: Eine weite Chemise zartem weißem Batist mit einer angearbeiteten Pelerine bis zu den Ellenbogen, dazu ein selbstgemachtes Stoffblumenbukett. Das trug ich noch jahrelang im Sommer, dann allerdings blau gefärbt.
Später kamen die Hippiekleidchen aus Bettlaken mit perlenbestickten Spitzenapplikationen und selbstgedrehten Troddeln und Kordeln. Lang natürlich. Kopfschütteln von der Familie. Mein Bruder bekam aus gestreiftem Nachthemdbarchent ein weites Hemd über der Hose zu tragen gemacht und so marschierten wir zur Scham der Oma zu einer Familienfeier. Wir sähen aus wie die Hausbesetzer, meinte sie.
Die Abnabelung von der Familie drückte sich in Rocksäumen aus. 7 Meter Saum hatte ein Stufenrock aus schwarzem Cloqué, den ich mir nähte. Unpraktisch sicher, aber wunderschön.
Als man sah, ich meine es ernst, schenkte mir eine Oma eine nagelneue transportable Veritas (unbedingt mal diese schräge Website ansehen!) mit jeder Menge Nutzstichen, Klassen besser als die elektrische Zickzackmaschine meiner Mutter oder gar die Singer meiner anderen Oma, die noch getreten werden musste.
Später bekam ich noch die Victoria-Langschiffmaschine aus dem Erbe der Urgroßmutter, die ebenfalls gute Dienste leistete, vor allem bei dicken Stoffen.

Als ich am Theater arbeitete, bekam ich Stilkostüme zu sehen. Korsagen, Raffungen, Rüschen bis zum Abwinken und der übervolle Fundus enthielt das eine oder andere Stück, das ich mir adaptierte. Unter anderem ein weiter leinerner Rüschenunterrock und ein seidenes Hemdblusenkleid mit Kellerfaltenrock aus den 50ern. Neue Farbe, neue Knöpfe und dann war war es meins.
Dort lernte ich auch La Primavera kennen. Die hatte in ihrer riesigen Altbauwohnung das Berliner Zimmer zur Werkstatt erklärt und nähte, färbte und batikte, was das Zeug hielt. Ich war tief beeindruckt. Zum Arbeitszimmer schaffte ich es zwar nie, aber in meinem Näheckchen lag immer eine angefangene Arbeit. La Primavera erklärte mir auch, was ich da eigentlich tue, denn sie machte inzwischen eine Schneiderinnenausbildung. Die wenigsten Schnitte hatten schrittweise Nähanleitungen, Anleitungsbücher gab es auch nicht, ich war furchtbar dankbar dafür, wenn sie mir beibrachte, wann und wie ich einen Kragen, ein Bündchen oder ein Revers anzusetzen hatte.

Als ich 25 war, hatte ich so ziemlich alles schon einmal genäht: Patchwork, Biesen, Hohlsaum, Jacketts und Hosen, selbst entworfene Abendkleider und Filzhütchen mit Stickerei.
Dann fiel die Mauer und ich schwelgte in wunderbaren Stoffen und Knöpfen. Doch nach dem Studium, wir wohnten zudem beengt zu dritt in einer 50qm-Zweizimmerwohnung und ich begann zu arbeiten, schwand der Spaß am Nähen. Gekaufte Kleidung war schneller zu haben und war zumindest damals halbwegs ok. verarbeitet. Meine Arbeiten blieben halbherzig, weil zu eilig angefertigt. Ein schwarzes Samtkleid mit hohem Schlitz und rotem Futter klemmte über der Brust (ich hatte vergessen den Schnitt nachzumessen) und bescherte dem Kind und mir sich verschlimmernden Husten, weil der feine Flor überall rumflog. An dem Abend, wo ich es hatte tragen wollen, lagen sie und ich mit Bronchitis im Bett.
Dann kam die Zeit der Selbständigkeit und mit ihr wenig Zeit und gutes Geld. Ich konnte das eine oder andere Designerstück kaufen, das zudem gute Arbeit und Material war. Die Nähmaschine zog zwar weiter mit um, aber sie verstaubte und irgendwann gab ich auch meine Stoff-Vorräte, die ich wie meinen Augapfel gehütet hatte, auf.
Die Näh-Ära war vorbei.

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