Miz Kitty reist mit dem Grafen – Schloss Wernersdorf, Niederschlesien

Na? Kennta? Kennta? Klar!
Zum Abschluss der Reise kehrten wir wieder für ein paar Tage in Schloss Wernersdorf (Palac Pakoszow) im Hirschberger Tal ein. Im vorigen Jahr hatten wir den Architekten noch bei der Arbeit erlebt, alles roch nach Farbe und das Personal fabrizierte mitunter freundliches Chaos, denn die Eröffnung war 3 Monate her. Nun sind die Wege fertig gepflastert, der Springbrunnen plätschert und alles hat sich eingespielt. Waren wir letztes Jahr fast allein (die Saison ist vor allem im Winter), gibt es nun eine moderate Gesellschaft von Mitlogierenden. Gut verdienende junge polnische Familien mit Kindern (angenehm gut erzogen!) und ältere deutsche Paare, oft aus dem Osten. Klar, das ist nicht weit. Aber man geht sich noch immer sehr angenehm aus dem Wege, denn es ist genug Platz und vor allem herrscht hier eine himmlische Ruhe, denn das Schloss ist etwas abgelegen. (Und, Frau Modeste: Man ist hier sehr auf Kinder eingestellt, im Haus und im Garten. Zwar kein Grand Hotel mit Samtportieren, aber es könnte Ihnen und dem kleinen F. gefallen.)
Nach einem Tag ging es uns in Schloss Wernersdorf wieder wie den kleinen Äffchen im Zoo: Essen, schlafen, spielen und dann wieder von vorn. Wir haben wieder ein Zimmer mit der Wanne neben dem Bett und Klo und Bidet in einem Pax-Schrank-ähnlichen Einbau mit Glasschiebtür, daneben eine Freisicht-Dusche. Nix für ältere Herrschaften, die sich schon aneinander sattgesehen haben und lieber getrennt schlafen, aber für uns sehr schön.
Ich genieße das hiesige Interieur. Im Gegensatz zu den polnisch geführten Schlössern ist dieses sachlich und modern eingerichtet. Ich genieße die haptisch und farblich angenehme Umgebung, die wenig visuelles Grundrauschen und doch Wärme und Geborgenheit erzeugt. Keine Schnörkel ist das Prinzip: Helle Eiche, weiße Wände, Marmor, Edelstahl, weißes Bone China-Porzellan, Riedel-Gläser, braune Stühle, rote Sessel, schwarze Sofas. Und überall WLan (überhaupt, kostenloses WLan haben hier nicht nur die Schlösser, sondern auch die Imbissbuden an der Landstraße).

Wir sind gerade exzessive Müßiggänger und denken natürlich öfter voll Reue darüber nach, ob das so richtig ist, es besteht schließlich die Gefahr, dass sich die Erde mit Blitz, Donner und Getöse öffnet und uns Todsünder verschlingt.
Mit täglich zweimal einer halben Stunde Achten schwimmen im Pool, einem üppigen Frühstück, gediegenem abendlichen Diner und Schlummer- und kleinen Schoki-Nasch-Inseln über den Tag verteilt schaffe ich es zwar in diesem Sommer nicht zur Bikini-Figur *hust*, aber die Hosen klemmen auch nicht. Ich habe nicht das Gefühl, ich müsste wegen Unausgelastetsein nun in heftige Aktivität ausbrechen.
Nun ja, wir haben heute mittag ein eBook zwecks Lektorat gesichtet und schon darüber nachgedacht, morgen wandern zu gehen. Wobei des Grafen erster Vorschlag, 26 km, mir etwas sportlich erschien, sind doch auch etliche Höhenmeter zu überwinden.

Wir werden berichten.

Miz Kitty reist mit dem Grafen – Palac Tlokinia, Opatowek, Großpolen

Der Graf hatte mit seiner Idee, doch noch weiter in Richtung Osten zu reisen, sehr recht. Wir landeten in Opatowek unweit von Kalisz. Das ist wirtschaftlich prosperierendes Polen. Kilometerweit ziehen sich Gewächshäuser mit Gemüse und Blumen hin, dazwischen sitzen mittelständische Firmen.
Der Palac Tlokinia ist ein Gründerzeitpalais mit Park inmitten dieser sehr zersiedelten Landschaft, das von einem bürgerlichen polnischen Ehepaar vor dem ersten Weltkrieg gebaut wurde. Viel Glück hatten die beiden nicht, denn der Mann starb vor dem zweiten Weltkrieg und die Frau musste sich nach 1945 200km entfernt niederlassen, sie lebte noch bis in die 70er, aber ihre Spur verliert sich in Breslau. Der Palast verfiel zur Ruine und wurde vor einigen Jahren von einem ortsansässigen Unternehmer wieder aufgebaut, der zumindest Erde von dem Friedhof, auf dem die Witwe vermutlich liegt, in ein Grab im Park legte.
In den Räumen finden sich großformatig abgezogene Fotos des Ehepaars und seiner Besucher und Verwandten. Bei der Jagd, beim Skifahren, beim Tennisspielen, beim Tontaubenschießen, beim Teetrinken. Leider sind die Informationen, die wir fanden, lückenhaft und schwer verständlich. Weder ist zu erfahren, wovon Zofia und Ignac Chrystowski lebten, noch weiß man, was der Witwe in der deutschen Besatzungszeit geschah. (In Opatowek ist der Ursprung der nationalpolnischen Bewegung der zweiten Republik und das Paar sieht sehr jüdisch aus. Ein weites Feld für Spekulationen.)
Man kann auch trefflich über die Motivation des Unternehmers spekukulieren, das Leben einer bürgerlichen polnischen Kapitalistenfamilie wieder auferstehen zu lassen. Identitätssuche?
Nun ist das Haus wieder pikobello in Ordnung und um einen riesigen Festpavillion ergänzt, in dem, als wir ankamen, eine zünftige polnische Hochzeitsparty stattfand. Eine Band spielte Polka und Polonaise, die Damen trugen waffenscheinpflichtige Kleidung mit turmhohen Schuhen und die Kinder hatten feine Kleider an und einen Riesenspaß. Der Blumenschmuck – weiße Gladiolen und Rosen – war in riesigen Gestecken kübelweise über das ganze Anwesen verteilt. Grund genug, sich eine Rose zu klauen, das bringt sicher Glück.
Wir logierten allein im Kontorgebäude und hatten ein hinreißend eingerichtetes kleines Zimmer. Kitsch as Kitsch can:
Palac Tlokinia, Opatowek
Amor-Bett
Rechts oben im Bild die weiße Rose, für die ich aus einer kleinen Mineralwasserflasche eine Reisevase gebaut hatte. Die Möbel stammen samt und sonders aus Italien, sind aus schwerem und massivem Holz, sehen aus wie aus altväterlichen Zeiten und müssen schlichtweg ein Vermögen gekostet haben. Das Bett übrigens das erste echt französische – also ohne Ritze – auf dieser Reise.
Wir dinierten allein im oberen Salon, assistiert von zwei Kellner-Lehrlingen, die sich ganz furchtbar Mühe gaben. Meine Rote-Bete-Suppe mit Sahne gab eine unglaublich gute Harmonie mit meinem grauen Kleid. Was der Graf fotografierte, ich aber nicht getwittert haben wollte, weil: „Wääh! Auf dem Foto hab ich ne Knollennase!“ Zicken? Kann ich.

Unser einsames Diner erinnerte mich an einen der schönsten Urlaube in meiner Kindheit, im Jagdschloß Speck, in der Nähe der Müritz. Der Großvater konnte nicht der Belegung gemäß Urlaub bekommen (ein Wochenende alle 14 Tage war für die Angestellten frei, Samstag war Abreise und erst Montag wieder Anreise) und wir waren in dem Schloss mit Pool und See allein und aßen zu viert im riesigen Saal. Ich habe mich lange Jahre im Gedränge und der unkomfortablen Enge anderer Ferienmöglichkeiten mit Wehmut an diese zwei Tage zurückerinnert.

Die Nacht im Bett mit dem Amor war kuschlig und ruhig und am Morgen fuhren wir nach einer Runde durch den Schlosspark nach Kalisz, bevor wir ins Riesengebirge abbogen. Schon im Schlosspark begann es zu regnen und der Gedanke, im strömenden Regen durch eine Stadt, zu laufen, die außer Häusern und leeren Geschäften (das Einzelhändlersterben um den Marktplatz hatte zugeschlagen) nicht viel zu bieten hatte, beflügelte mich nicht sehr. Einzig ein großer Antiquitätenladen hatte Anziehungskraft. Hier sahen wir schöne Stücke zu akzeptablen Preisen, wie sie nah an der Grenze schon längst ausverkauft sind. Der Graf fand einen hübschen Römer, der den vor einem Jahr von mir zerschlagenen ersetzen konnte und weiter ging es in Richtung Südosten, ins Gebirge, weg vom flachen, kornbestandenen Großpolen.

Miz Kitty reist mit dem Grafen – Palac Mysliwski Antonin, Großpolen

Nach dieser mysteriösen „eigentlich wollen wir keine Gäste, zumindest euch nicht“-Geschichte in Tarce fuhren wir weiter in Richtung Ostrow Wielkopolski und Kepno.

Größere Kartenansicht
Das in einem dichten Wald mit Seen gelegene Schloss Antonin (Palac Mysliwski Antonin) ist eine Rarität. Es heißt es sei einer der wenigen avantgardistischen Schinkel-Entwürfe, der verwirklicht worden ist. Ein hohes, kreuzförmiges holzverkleidetes Gebäude, fast ein Wohnturm, dessen Zentrum ein Gemeinschaftsraum mit einem drei Stockwerke hohen Ofen ist.
Der Graf war schon einmal da, die Zimmer sind schlicht und klein, aber das Ganze ist wunderschön. (Im übrigen, unweit von hier war lange Jahre die Grenze zum Zarenreich.)
Als wir durch den Wald hinfuhren, wo an den Straßenrändern Leute Gläser mit frischgepflückten Blaubeeren und Zeitungsseiten voll Pfifferlinge feilboten, sprang bei Miz Kitty wieder der Kopffilm an. Rehe, Hasen und Fasane, die abhängen, die Hunde bellen, im Garten des Verwalterhauses wachsen Kräuter, aus dem Dorf nebenan kommen Gurken, Zwiebeln, Rote Bete, Speck, Milch, Dickmilch und Sahne. Dazu hat der Keller Bier und Wein. Man tafelt bis spät in die Nacht, im Sommer draußen am See, umsirrt von Mücken (viele!, grosse! Mücken), im Winter, eingeschneit, sitzt man am großen Ofen. Die Herren trinken Wodka und erzählen von der Jagd und die Damen bewundern sie gebührend.
Nur leider, was das Gerüst auf dem Foto des Grafen schon zeigt:
Palac Miysliwski, Antonin
Geschlossen wegen Remont bis zum Herbst.
Da hatten wir dann doch ein klitzekleines Problem. Im Park in der Sonne sitzend und die Mücken verscheuchend fischten wir zum zweiten Mal am Tage Reste von Datennetz aus der Luft, um zu schauen, wo es hingeht. Ich wollte nach Westen, der Graf nach Osten und er fand tatsächlich ein weiteres Kleinod, den Palac Tlokinia bei Opatowek, was nun wirklich dereinst Rußland und später Sitz riesiger polnischer Spinnereien war.