Vigil 14

Als ich gestern mein Lieblingskleidchen, ein Ladyskater-Modell, auseinanderschnitt, um den Schnitt abzunehmen, bemerkte ich sehr erstaunt, wie schief Konfektion aus Jersey zusammengenäht sein kann, ohne dass man es merkt. Hier und da fehlte ein Zentimeter in der Symmetrie. Entweder hat sich der Stoff schon beim Zuschneiden so verzogen oder aber beim Nähen, was ja keiner merkt, weil die Overlock-Maschine alles, was übersteht, sofort wegschneidet.
Aus mir wird im Leben keine Jersey-Näherin, aber der Zuhausekleidfundus muss wieder aufgestockt werden. Dehnbare schwarze Kleider kann frau nicht genug im Schrank haben.
Was mir dann noch fehlt, ist ein Morgenmantel. Also kein Bademantel, sondern ein bodenlanges, langärmeliges Gewand, tailliert, hochgeschlossen (kein Gürtel, den mag mein Bauch morgens nicht) und unten weit, damit die Beine auch beim Sitzen nicht frieren und mit engen Ärmeln an den Handgelenken, damit nix in den Kaffee titscht.

So wie das linke Modell in etwa. Meine Mutter hatte so etwas aus aus Vollsynthetik, gesteppt und innen mit Schaumgummi gefüttert. Wunderschön anzusehen, aber wenn sie sich dann noch mit Gummisohlen auf dem PVC-Spannboden bewegte, sprühte jede Bewegung Funken.
Vielleicht nehme ich einen Schnitt für einen Uniformmantel und vereinfache ihn etwas.
Dann brauche ich noch Seide, am besten solche oder dünnen Satin aus mercerisierter Baumwolle und vielleicht auch seidenes Zwischenfutter? o-o, das wird teuer.

Vigil 12

Letzte Woche erzählte eine Bekannte, dass aus der Schule ihres Sohnes Probleme signalisiert wurden. Es gäbe einen Punkt, da würde er einfach aus dem Geschehen aussteigen und sich zurückziehen und das ginge nicht. Sie meinte, zu wissen, wann – immer dann, wenn ihm die Umgebung zu viel, zu unruhig und zu laut wurde.

Auch wenn es unpopulär ist, ich habe dem Gebot von Stillsitzen und Ruhe im Frontalunterricht viel zu verdanken. Ich brauchte im Unterricht Ruhe, Konzentration, Vereinzelung und so wenig wie möglich Ablenkung. Dann schaffte ich in der Grundschule gut das doppelte Pensum der anderen.
Interaktion und Kommunikation mit anderen? – Aaanstrengend!
Beim Lärm- und Aktivitätspegel in heutigen Schulklassen hätte ich es wahrscheinlich nicht weit geschafft, das hätte mich ausgesogen. Die große Stunde der Anderen war in der Pause und im Sportunterricht, beides Ereignisse, die ich lieber in der Besenkammer abgesessen hätte.

Was machen introvertierte, die Stille liebende Kinder eigentlich heute? Gibt es einen Platz für ihre Bedürfnisse? Oder ist vor allem Platz für die Extrovertierten?

Vigil 11

Ich liebe Bambus. ich mag sein Grün, die federnden Stiele und sein Rauschen im Wind. Aber er ist auch ein ernst zu nehmender Gegner.
Wenn er erst einen Kübel mit zähen, drahtigen Wurzeln gefüllt hat, dann ist an Umtopfen nicht mehr zu denken, egal, ob das Gefäß oben weiter ist oder nicht. Die Rhizome drehen am Kübelrand Runde um Runde auf der Suche nach dem Weg nach draußen.
Das alles ist so mit Spannung und Kraft geladen, dass es ein Zufall zu sein scheint, dass das Gefäß nicht gesprengt wurde.

Vor fünf Jahren habe ich mal eine Woche lang wütend mit einem Meißel und einem Gummihammer viele Wurzeln und etwas Erde aus einem teuren Terrakottakübel geschlagen. Offiziell war die Pflanze erfroren, unter der Erde war sie um so zäher.
Gestern nun habe ich ein billiges langes Küchenmesser geopfert und steche auf den in der Heizungsluft vertrockneten Nachfolger ein. Mit viel Mühe kratze ich dann mit einem Löffel etwas Sand und viele Steine aus dem Topf (ich wußte gar nicht, dass der Rauputz auf dem Balkon im Nestchen so sehr bröckelte), es folgen holzige Rhizome und Wurzelgekröse. Das wird wohl noch ein paar Tage dauern.

Vigil 10

Ich habe einen innigen Hass auf Stockfotos. Als es damit losging, war ich immer noch der Meinung, dass sich eine Firma Gedanken machte, wie sie denn den Startbildschirm ihrer Software/ihre Homepage etc. gestalten wollten und dann ein Fotoshooting ansetzte.
Schließlich arbeitete ich mit Leuten, die mindestens alle zwei Jahre 300-800 € für Porträtfotos von sich ausgaben. Ganz früher in der Zeit der von Fotografen handgemachten Barytpapier-Abzüge war das noch teurer.

(BTW. Die Software Starmoney startete jahrelang mit der jungen Supernanny. Die hatte als Model gearbeitet und war auf diesem Foto in der Klischeepose „Frau legt auf dem Bauch auf dem Bett und schaut zufrieden auf den Laptop“ zu sehen.)

Ich fragte meinen Ex vor fünf Jahren völlig entsetzt, warum auf der Kontaktseite seiner Homepage ein fremder Typ mit Elektroequipment in der Hand abgebildet ist und nicht er oder einer seiner Mitarbeiter. Worauf er meinte, er habe das Foto schließlich teuer bezahlt, um da einen freundlichen, kompetent aussehenden Menschen vorzeigen zu können.

Als sich das sinnentleerte Gepose im Stil von Lachende Frau mit Salat häufte, merkte ich dann auch, dass diese Bilder aus dem Archiv kamen. Ganz schlimm wurde es, nachdem auch die Online- und später auch die Papier-Ausgaben* der Tageszeitungen mit Symbolbildern, die ein aktuelles Geschehen illustrieren sollten, aufmachten und mehr Handlung in die Bilder kam.
Typen mit gelben Bauhelmen, umringt von Untergebenen, über Plänen gestikulierend.
Banker mit gelockertem Schlips, im Hintergrund Bulle und Bär.
Rasende Züge, Feuerwehren in Aktion, nach Unfällen herumliegende Fahrräder…
Menschen, die sich schmerzverzerrt den Bauch oder den Kopf halten oder depressiv aus dem Fenster auf eine verregnete Landschaft schauen.

Während die Fotos von unserem eigenen Leben immer dokumentarischer und authentischer werden, faken Stockfotos diese Authentizität für Produkte und Dienstleistungen. Was für ein visueller Müll. – Mal davon abgesehen, dass manche Fotos den Fotografierten mit der Zeit peinlich sein könnten.

* Früher ging das nur in den halbredaktionellen Beilagen mit Inneneinrichtungs- und Freßthemen.