Spätherbst, fast Winter

KKM – Katharina Käthe Meta. Oma. Letztes Jahr zog mich ihre Todesangst 20 Stunden mit. Ihren 84. Geburtstag verbrachte sie im Krankenhaus, wie auch die folgenden drei Monate. Der in der ersten Operation nur genagelte Beckenknochen wurde durch ein künstliches Hüftgelenk ersetzt, das in einem dritten Eingriff dann noch einmal einzementiert wurde. Zwischendurch wurde sie immer wieder als geheilt entlassen und in die Reha geschickt, wo sie nach drei Tagen wieder retour ins Krankenhaus ging. Zuerst lief sie noch unter „rüstige Rentnerin“, zuletzt kam sie dann doch in die Reha für Pflegefälle. Sie kann nicht mehr Auto fahren, kurze Strecken nur noch an Krücken laufen und für lange braucht sie dieses kleine Wägelchen. Sie ist inkontinent und ihr Arzt verschreibt ihr teure Pakete mit Nahrungsergänzungmitteln gegen Krebs, denn Krebs zu bekommen ist ihre größte Angst.
Heute wurde sie 85. Aus der stolzen, bestimmten, pragmatischen Matrone ist eine Greisin geworden. Ihr Zeitgefühl versagt ebenso wie ihr Gedächtnis. Die Angaben darüber, wann sie denn aus dem Krankenhaus zurück kam, schwanken zwischen zwei Monaten und zwei Jahren. Ereignisse, die zwei, drei Stunden zurückliegen, plaziert sie auf Gestern. Sie verwechselt den Freund vom Kind mit HeMan, obwohl zwischen beiden 30 Jahre liegen. Was eigentlich nicht unlogisch ist. Das Kind hat sich jemanden gesucht, der ihrem (sozialen) Vater sehr ähnlich ist. Und Oma sieht ihn ihm meinen langjährigen Lebensgefährten. Meinen Bruder, der nicht oft kommt, sieht sie an wie einen Fremden.
Genau wie ich mich selbst 15 Jahre jünger abgespeichert habe, ist auch meine Großmutter in meinem Innern noch die laute, korpulente Frau, die ihr Leben meistert und alle Angelegenheiten – auch die der anderen -im Griff hat. Doch nun sitzt ein altes, eingefallenes Frauchen vor mir. Sie hat Flecken vom Essen auf den Kleidern, Krümel und Kaffeespuren am Mund. Wenn nichts passiert oder sie nicht mehr folgen kann, dann nickt sie ein.
Sie versucht immer noch, alles und jeden zu organisieren, doch je mehr ihr die Realität entgeleitet oder aus der Hand genommen wird, um so mehr Chaos erzeugt sie.
Entgegen der langjährigen Tradition fand ihre Geburtstagsfeier schon am Sonntag statt. Ihre Söhne hatten ein kleines Café gemietet. Niemand sollte in das etwas vernachlässigte Haus kommen. Auch die Freunde, die sonst immer am Vormittag oder Nachmittag ihres Geburttages hereinschneiten und sich Kaffee und Kuchen und einen kleinen Sektrausch genehmigten, sollten ins Lokal kommen. Sie wollte die Einladungen selbst telefonisch aussprechen. Und lud alle drei-oder viermal ein, zu unterschiedlichen Zeiten, an unterschiedliche Orte.
Zwei Tage vorher bekommt sie Panik und ruft mich an. Ich hatte versprochen, an ihrem Geburtstag im Haus zu sein, sie zu betreuen und ein paar Kleinigkeiten zu reichen, wenn doch jemand unangemeldet hereinschneit. „Kind!“, sagte sie mit Panik in der Stimme, „Ich hab noch nichts eingekauft. Und ich habe vergessen, das kalte Buffet zu bestellen!“ Ich beruhige sie, verweise auf den Sonntag und die Reservierung im Café Schulz. Sie sagt ein, zweimal „Ach ja!“ – mit Zweifel in der Stimme. Ich kann die Zweifel nicht ausräumen. Sie bleibt fest dabei, daß an ihrem Geburtstag mindestens 20 Leute vor der Tür stehen werden.
Und tatsächlich. Wir sind am Sonntag in der Familienrunde weitgehend allein. Die Freunde kamen heute. Brachten Sträuße mit roten Nelken, garniert mit dem Spruch: „Bei der Farbe sind wir geblieben.“ und reichten die linke Hand: „Die Linke ist nämlich wichtig.“ Sie sprachen von diamentener Hochzeit und davon, wer von den „Genossn“ alles gestorben ist. Bewerteten ihre Krankheiten, die Höhe ihrer Rente und beneideten die mit dem VdN-Zuschlag und den Zuwendungen aus Honeckers schwarzer Kasse. Lobten meinen Käsekuchen und die Brötchenschmierkünste meiner Mutter. Und kippten ein Sektchen nach dem anderen. Rotkäppchen halbtrocken natürlich.
Und KKM lebte auf, redete wie früher, lachte und bekam glänzende Augen.

To much information

Ich frage mich, wer es eigentlich noch schafft, die ZEIT komplett von hinten bis vorn (ha, ich oute meine präferierte Leserichtung) zu lesen.
Nach spätestens 20 Minuten fühle ich mich wie überfressen.

Kitty unter Druck

Es gab in meinem Leben ja schon den einen oder anderen Mann. In Sachen Klamotten waren sie sich alle relativ ähnlich: ich mußte meistens aufpassen, daß ich nicht overdressed neben ihnen hergestiefelt bin.
Der eine trug die abgelegten Sachen seines Vaters, der aus der Textilbranche kam, bis sie endgültig auseinanderfielen und so war er immer in 15 Jahre alten Schick gekleidet. Der andere hatte vor allem einen guten Geschmack wenn ich es bezahlte. Einer liebte Uraltlederjacken und-pullover und Sandalen selbst im Winter.
Neben HeMan stehe ich manchmal und sage mir: Au weia, gib dir mal Mühe. Neben seinen erlesenen Farb- und Materialkombinationen sehen meine sporadischen D&G-Ausflüge aus wie die einer Finanzbeamtin, die sich auch mal was leistet.
Sich mit einem Typen zusammenzutun, der des öfteren zum bestgekleideten Mann in der Firma gewählt wurde (nein, es war kein Klempnerladen!), das ist ein bißchen so wie ein Playmate heiraten. Man kann trainieren wie man will, man steht immer ein bißchen teigig und häßlich daneben.