22.9. 10

Der Wetterbericht versprach einen halbwegs soliden Sonnentag und so blieb die Gartenarbeit ungetan und wir fuhren recht früh los, um mit dem Boot auf Meer zu gehen. Vorher gab es noch einen kurzen Halt bei den zwei Schweinchen, die Küchenabfälle und als besondere Delikatesse einen Block verdorbener Vollmilchkuvertüre bekamen. Das Hausschwein ist definitv intelligenter. Es biss in die Kuvertüre, ließ sie wieder fallen und ignorierte sie, um mit dem Wildschwein einen Verteilungskampf um Feigenschalen zu beginnen. Als das Wildschwein dann gut abgelenkt war, schnappte es sich die Kuvertüre, nahm sie auf die Seite, fraß sie zur Hälfte auf und spuckte die übriggebliebenen Stücke in eine entlegene Ecke des Stalls. Das Wildschwein hat nicht einmal gemerkt, was ihm entgangen ist.

Auf dem Meer war es ruhig und zu Anfang recht kühl. Das Boot ankerte in einer einsamen Bucht mit windzerfessenem Sandstein und ich räkelte mich stundenlang dösend in der Sonne. Ab und zu sprang ich zur Abkühlung ins Wasser und übte Dreierzug-Kraulen. Einmal ging ich auch für 20 Minuten auf Schnorcheltour. Aber dort, wo es eigentlich interessant wurde, waren kaum Fische zu sehen (obwohl das Wasser voller Knacklaute war) und es strömte hundekalt vom offenen Meer herein. Ich kämpfte heftig um Tiefgang, aber durch meine Pfunde habe ich solch einen Auftrieb, daß mein Hintern wie eine Boje aus dem Wasser ragte.
Der Gastgeber hatte auf einem Gang den Strand entlang Meersalz eingesammelt, das nur noch ein paar Tage in der Sonne trocken mußte, dann würde es den Haushalt über den Winter bringen.
Als die Sonne tiefer stand und an Kraft verlor, fuhren wir zurück. Die Wellen waren höher und in den Bergen hingen dicke Wolken, doch über dem Wasser war es noch blitzeblau.
Da sich kein einziger großer Fisch für den Grill in die Reichweite der Harpune verirrt hatte, gab es einen Sonnenuntergangs-Cocktail auf der Terrasse und danach Fischsuppe bei Ricardo.
sundown

Nun steht der Vollmond am Himmel und die Palmen vor dem Haus werfen scharfe Schatten.

21.9. 10

Der Alltag des Landmenschen ist einfach strukturiert. Aufstehen, wenn der Morgen hell über dem Hügel steht. Kaffee trinken, dazu ein Brot und einen Löffel Honig essen. Dann in die Stadt fahren zum Einkaufen. Aus dem Weg dorthin wird Station gemacht, um auf einem nur im Sommer bewohnten Nachbargrundstück die Pflaumen, Äpfel und Birnen vor dem Verfall zu retten. Besonders um die Pflaumen ist es jammerschade. Sie sind riesig, fest und zuckersüß. Wir pflücken einen Korb voll. Dann kommt eine schnelle Runde durch die Supermärkte. Wein, Käse, Brot, Butter, Hefe, Milch und Wasser und schon geht es wieder zurück. Kurz vor der Stichstraße zum Haus wird noch ein Feigenbaum geplündert.
Dann ruft die Arbeit. Es ist bedeckt, ideal um den Zaun zu flicken. Aus den geplanten zwei Stunden werden sieben. Der Weinbauer nebenan hat im Frühjahr mit seiner Raupe allzu großzügig gewendet. Ganze fünfzehn Meter müssen an der Unterkante, genau dort, wo Getier gern durchschlüpft, gedoppelt und wieder eingegraben werden. Ich blieb ein paarmal in stachligem Gestrüpp hängen, einmal klemmte mir unangenehmerweise sogar eine Dornenranke am Ohr.
Aber ich hatte mir eine gute Gelegenheit geschaffen, kleine Pausen zu machen. Ich setzte in der Küche einen Hefeteig für Pflaumenkuchen an, später zauberte ich einen kleinen Imbiß aus geröstetem Ciabatta, Pecorino und Feigen.
Als der Pflaumenkuchen am späten Nachmittag duftend aus dem Ofen kam, war der Zaun wieder heil und die Sonne kam heraus. Es gab Kaffee, Pflaumenkuchen und Sonnenuntergang.

20.9. 10

Der erste Urlaubstag.

Die drei Tage vor der Abreise waren Schreibtischgroßeinsatz. Alles noch einmal in die Hand nehmen: Ist da irgendwo eine Frist? Noch was zu erledigen? Sind noch Mails unbeantwortet? Offene Telefonate?
So sehr a jour war ich seit zwei Jahren nicht. Ok., bis auf 6 Monate halbfertige Buchhaltung, die dann auch gern noch 10 Tage warten kann.
Am Samstag wühlte ich mit dem Kind in alten Fotos. Ich habe nämlich immer noch Schulden bei ihr. Sie hatte sich zum 18. Geburtstag ein Fotoalbum gewünscht. Die Bilder hätte ich dann aber von überall her besorgen müssen, denn ich bin nicht unbedingt eine Fotosammlerin. Ein guter Grund, die Wunscherfüllung zu verschieben bis heute. Aber nun wird es.
Der Sonntag gab Zeit für die letzten Briefe und Rechnungen. Das Kofferpacken ging schnell. Einmal für abends, einmal für Kleinstadt und ansonsten Gartenhosen, Sonnenkleidchen, Blusen und Shirts. Da ich körperlich noch einmal neue Dimensionen erobert habe, konnte ich nichts einfach so in den Koffer werfen. Ich mußte jedes Stück anprobieren und das eine oder andere grummelnd aussortieren. Nach wie vor verweigere ich den Neukauf in Zeltformen.
Die Internistin sagte, ich müsse das 10 Wochen aushalten, daß sie mein Schilddrüsenhormon nochmals reduziert hat. Sie will sehen, daß sich das bequeme Organ wieder ein wenig selbst betätigt. Momentan sieht es aber nicht so aus.

Am Montag vormittag ging es los. Ich bin der Fluggesellschaft immer wieder dankbar, daß es nach Sardinien auch zu christlichen Zeiten geht und ich nicht um 4 Uhr morgens halb schlafend das Haus verlassen muß. Mittlerweile habe ich nicht einmal mehr Easyjet-Panik. Weil es für eine alleinreisende Person schlichtweg idiotisch ist, als erste den Flieger zu stürmen, weil sich dann garantiert die größten Nervbolzen neben einen setzen, trödelte ich noch ausgiebig herum. Ich machte sogar noch ein Foto im Paßbildautomaten für den Vorher-Nachher-Eindruck.
Die Insel empfing mich mit Sonne, Wolken und 25 Grad. In der letzten Woche war es wesentlich wärmer, so langsam fängt auch hier die entspannte Spätsommerzeit an. Aus Berlin anzureisen bedeutet eine anderthalbstündige Fahrt quer über die Insel, der Halt an einem Truckstop brachte Meeresfrüchterisotto wie bei Muttern und Hauswein.
Ich sah die Landschaft zum ersten Mal nach einem Sommer. Alles, was im Frühjahr grün und bunt blühend vor einem liegt, ist gelb gebrannt. Nur die Weinfelder leben noch. Einige Bauern haben schon mit der Weinlese begonnen, andere warten noch auf Regen, der die Trauben wieder anschwellen läßt. – An der Westküste hat es seit zwei Monaten nicht geregnet. Dort, wo ich bin, hat es nicht einmal Sommergewitter gegeben, die blieben alle über dem Meer oder in den Bergen hängen.
Das Wildschweinchen des Nachbarn hat eine Frau bekommen. Eine kleine rosa Haussau. Das – so sagen die Einheimischen – soll die leckersten Spanferkelchen geben. Bisher waren die beiden aber so jung, das sie nichts anderes miteinander anfingen, als sich von der Futterschüssel wegzurempeln.
Nun stand ich zu dritten Mal auf dem Berghang, das Haus im Rücken und sah auf das Meer. Meine Seele schwebte noch irgendwo über den Alpen herum und beeilte sich nachzukommen. Ich gab ihr Zeit und harkte frisch gemähtes Gras. Hier wachsen die Grasrhizome nicht unter der Erde, die ist zu hart. Sie kriechen mit bindfadenzähen Trieben über den steinharten Boden und wenn sie eine feuchte Stelle finden, schlagen sie Wurzeln. BIs sie dann ein Mensch ausreißt, zusammenträgt und den Steilhang hinunterwirft. Die einige wenige Bäume im Garten tragen die ersten Oliven, haben aber noch nicht die Kraft, sie bis zu Reife zu ernähren. Das wird. Oliven brauchen Jahre. Ich sah einen großen Falter, der vor Blüten stand wie ein Kolibri.
Ich genoß die Ruhe. Es ist ein Unterschied, ob Geräusche zu einem gigantischen unterschwelligen Rauschen zusammenfließen oder ob man vor dem Hintergrund von Stille einen Bootsmotor draußen auf dem Meer, einen Hund aus der Siedlung nebenan und den Traktor des Weinbauern im Tal hört. Hier und bei La Primavera läßt sich der Geräuschdreck der Großstadt erst richtig begreifen.
Der Abend kam früh, mit Wolken, die über die Berge zogen. Der Mond ging in einem Dunstschleier auf. Die Zikaden rund ums Haus hatten waren auf eine angenehme Tonlage gestimmt.
Ich fiel nach einem Glas Rotwein früh ins Bett.

btw

schließzeit muß leider verlängert werden. gerade mächtig viel real life.