Düsterer erster Advent

Mit diesen kürzer und dunkler werdenden Tagen habe ich schon immer so meine Probleme. Ich verwandele mich in einen Höhlenbewohner und werfe binnen kurzem alle Vorhaben, die ermöglichen könnten, dieses Jahr mal nicht komplett mental durchzurauschen, über Bord.
Eigentlich bin ich ein Bär und brauche Winterschlaf.
Im übrigen: Wer Bären mag, kann hier *Tusch! Werbesendung* bei Kiki Thaerigen Bärendinge bestellen. Das sind Regenbären und hier ist das Making of – paßt ja zum gestrigen Schneeregen – Schneebären sollen folgen heißt es.

Ich beschäftige mich auch mit Feuchtigkeit, aber nicht von oben, sondern mit dem tiefen Ozean

  Ein von @kittykoma gepostetes Video am

und seinen Kreaturen.

Der Graf ist wiederum dabei, unseren nicht vorhandenen Adventskranz (ich bin ja schließlich der komplette Heimdeko-Ausfall) zu kompensieren und hat seine Weihnachtslieder-App aufpoliert. Sie ist mit neuem Notensatz  und weiteren Liedern versehen. Natürlich ist sie wie immer nach dem Download der Inhalte offline benutzbar und ermöglicht, es auch in Funklöchern Weihnachtslieder zu singen.

Was sonst noch interessant ist? Isabella Donnerhalls Artikel über unsere technischen Möglichkeiten, auch Terror live und ohne unbeeinflußbare Filterinstanzen wie Redaktionen und Pressestellen zu erleben und die Auswirkungen, die das auf die Millenial-Generation haben könnte.
Es ist ohnehin interessant, was aus Kindern wird, deren Eltern (wenn sie sich den als aktive und gute Erziehende begreifen) ihnen jede Frustration vermeiden und sie ständig unter Aufsicht haben. Denn nicht mal Mamas Bauch ist ein idealer safe space für Menschen, die alles gesehen, aber meist wenig erlebt haben.

Mir bleibt nur noch, einen schönen ersten Advent zu wünschen. Als es in alten Zeiten immer dunkler wurde, hat man Feuer angezündet und alles das aufgegessen, was nicht über den Winter gebracht werden konnte.
Kaufen Sie Tücher, Kissen und Decken, das hilft gegen die Kälte und wenn Sie zu viel davon haben, geben Sie sie Menschen, die sie brauchen.

Einmal rund um „Geschickt eingefädelt“

Nachdem ich mir 3 Folgen der deutschen Adaption von GBSB angeschaut habe, kann ich mir langsam eine Meinung bilden.

Vorangeschickt, es geht mir gar nicht darum, zu bewerten, wie gut oder nicht gut Kandidaten sind. So ein Cast ist so zusammengestellt, dass eine unterhaltsame Geschichte erzählt werden kann und auch beim britische Original wurden selbst vor der Kamera sichtbare Patzer von der Jury „übersehen“ wenn es noch eine Geschichte mit einem Kandidaten zu erzählen gab.
Was ein Sender wie Vox für unterhaltsam hält, das bestimmt die Vorstellung, die er von seiner Zielgruppe hat.

Bei einer ersten Staffel ist das immer ein Risiko. Die BBC hat beim Original in der ersten Staffel zunächst in eine so kleine (wahrscheinlich billige) Location investiert, dass sich die Kamera kaum bewegen konnte, nur 4 Folgen mit 9 Kandidaten (7 Frauen, 2 Männer) produziert und in den ersten Folgen mehrere Kandidaten nach Hause geschickt. Das ist in Deutschland anders, in Berlin findet sich problemlos ein geräumiges Loft, es treten 8 Kandidaten an, davon 3 Männer – erstaunlich, da Hobbynähen in Deutschland eine Frauendomäne* ist.

Die Ausstattung der Location finde ich sehr angenehm. Ich hatte befürchtet, in einem übel überniedlichten Interieur zu landen, ähnlich wie bei Das große Backen, das im Look unfallartig vom dezenten britischen Original abwich.

Die deutsche Jury ist ein wenig komplizierter zusammengestellt als die britische – dort moderiert mit Claudia Winkleman eine in Contest-Shows versierte und bekannte Fernsehjournalistin und ihr sind eine Maßschneiderin und ein Designer als Jury zur Seite gestellt.
In Deutschland moderiert Guido Maria Kretschmer, selbst Modedesigner und etabliert durch Formate wie Shopping Queen, gleichzeitig ist er Jury-Mitglied, ihm zur Seite stehen die Vorsitzende des Verbandes des Schneiderhandwerks und eine weitere Modegestalterin. Ein bisschen designlastig ist die Jury also.
Das wird allerdings dadurch ausgeglichen, dass die handwerkliche Jurorin Inge Szoltysik-Sparrer eine ungeheuer medienpräsente Persönlichkeit ist und klar und unverhandelbar ihre Ansprüche formuliert. Eine echte Entdeckung, ich liebe diese Frau!
Anke Müller als Design-Jurorin hält sich eher im Hintergrund und darf bestätigen oder Stichworte geben, denn das ist ganz eindeutig Kretschmers Show. (Ihr gewöhnungsbedürftiger Fifties-meets-Kinderzimmer-Look hat schon auf Twitter die Spekulation gebracht, sie verkörpere die klassische deutsche DIY-Frau.)

Die Kandidaten sind ein Querschnitt der deutschen Nähszene. Also fast. Es gibt zwei Leute, die aus der recht großen und jungen Cosplayszene kommen. Eine Frau, die schon zu DDR-Zeiten genäht hat, eine junge Frau, die ganz korrekt nach Schnittmustern arbeitet und zwei Nähbloggerinnen. Dazu noch zwei junge Männer, die im weitesten Sinne mit Mode bereits Geld verdienen bzw. eine Ausbildung in der Branche gemacht haben – einer hat ein kleines Label für Vintage-Kleider, der andere Modemanagement studiert und ein Taschen-Label.
Scheinbar gibt es in Deutschland kaum nähende Männer mit genügend Zeit und deshalb sind zwei männliche Fast-Profis dabei… Allerdings kam das englische Original auch mit einem Männer-Frauen-Verhältnis 7/2 aus. (Warum 6/3 in so einem Format nötig sind, vielleicht an der Angst des Senders liegen, dass die mit ihren Frauen auf dem Fernsehsofa sitzenden Männer sonst den „Weiberkram“ ablehnen könnten.
Edit: In den Kommentaren wurde die Vermutung geäußert, man hätte sich an den Briten orientiert, die merkte, dass die Zuschauerinnen unheimlich auf die nähenden Männer abfuhren.)

Auch wenn es offiziell um Hobbyschneiderinnen geht – das Spannungsfeld zwischen deutscher Wertarbeit und Designer-Geniekult geht mir in der Denke zu sehr in Richtung Professionalität.
Daß in Kunst-Castingshows eine große Karriere versprochen und mit dem Plattenvertrag gewinkt wird, ist verständlich. Aber weder in den unzähligen Kochshows noch bei Das Große Backen wird den Kandidaten eine Gastronomen- oder Bäckerkarriere avisiert.
Bei Geschickt eingefädelt wurden im Castingaufruf mit Nur Hobbyschneider, keine Profis! explizit Leute gesucht, die berufsfern sind. Ich finde das nicht ganz sauber.
Ich erinnere mich daran, dass es auch bei Veranstaltungen wie DSDS immer mal Kandidaten gab, die eigentlich schon Profis waren, wenn sie auch erst im Musical als Zweitbesetzung arbeiteten. Klar ist es anstrengend, mit womöglich losenden Laien zu arbeiten. Leute die irgendwie schon in die Branche reingeschnuppert haben, kennen die Codes und wissen, wohin sie ihre Leistung fokussieren müssen. Da stimmt mir die Verabredung der Sendung nicht.
Wo Hobbyschneider drauf steht, sollte auf keinen Fall Jungdesigner drin sein.

Die Aufgaben, die an die deutschen Kandidaten herangetragen werden, sind einfacher als im Original, scheinbar traut man den Kandidaten höhere handwerkliche Fertigkeiten/Leistungen im vorliegenden Drehplan nicht zu. Statt dessen gibt es im zweiten Teil, der als Kreativ-Teil bezeichnet wird, eine lieblose Upcycling-Aufgabe** nach der anderen, die irgendwann dazu führen, dass einige Kandidaten Upcycling so definieren, dass ein Alibi-Fetzen Stoff des Alt-Materials reichen muss, um effektvoll herrliches, sauteures Material meterweise zu verbraten. Was die Jury goutiert.
Die im Original gestellte dritte Aufgabe fehlt ganz. Auch die Animationen, die den Zuschauern erläutern, worin die handwerkliche Aufgabe besteht, fehlen. Als würde man fürchten, die Zuschauer damit zu langweilen.

Im Storytelling bleibt die Show ganz bei Vox-Traditionen, die auch aus „Das perfekte Dinner“ oder „Shopping Queen“ bekannt sind. Die Kandidaten kämpfen gegen die Zeit und mit der Aufgabe und das wird von außen mit ironischen Sprüchen bedacht. Beim Perfekten Dinner passiert das über einen anonymen, nicht personifizierten Off-Kommentar, bei Shopping Queen sitzt Kretschmer in der Green Box und beobachtet und kommentiert.
Die Nähshow geht noch näher an die Kandidaten ran – Kretschmer und zum Teil auch die Juroren kommentieren das Geschehen hinter der Glastür des Ateliers.
Das ist sehr wahrscheinlich gescripted, so was wird seltenst selbst ausgedacht. Dazu werden im Schnitt Sequenzen und Sätze rausgepickt, die die realen Personen der Teilnehmer zu merkfähigen, recht stereotypen Figuren werden lässt.
Ziel ist, ein kleines, voyeuristisches Bündnis mit dem Publikum einzugehen, im Lachen über andere ist man sich einig. Das muss man natürlich mögen.
Das britische Original macht das nicht über die Technik „lustig hinter vorgehaltener Hand lästern“ sondern über mit Kamera und Musik. Es gibt in der ersten und zweiten Staffel zum Beispiel eine fast gleiche mit lustiger Musik unterlegte Kamera-Einstellung eines völlig vernähten Rockes, vorgeführt von einem männlichen Kandidaten, der sich in seinem Können völlig überschätzt.
Sonst wird über ausdruckvolle Gesichter und Gesten erzählt, manchmal auch über Satzfetzen oder Gespräche der Kandidaten untereinander.

Hier unterscheiden sich die Konzepte m.E. um einiges voneinander. Bei der BBC geht es um das Produkt und die Macher (und da war in der ersten Staffel auch der Typ schüchterne graue Maus dabei), bei Vox um merkfähige komische oder sympathische Typen im Kampf mit der Materie, die zufällig diesmal Nähen ist. Aber unironisiert und 100% zu den Kandidaten stehend geht es scheinbar nicht.
Wer sich mit dem Format beschäftigt, sollte sich darüber im Klaren sein, daß die Kandidaten nur Material anbieten. Wie sie dargestellt werden, liegt weitestgehend außerhalb ihrer Kontrolle.
Bisher ist meine Vermutung: je länger jemand im Wettbewerb dabei bleibt, desto weniger holzschnittartig ist er oder sie dargestellt.
Die junge Cosplayerin, die als erstes rausflog, war bunt wie ein Papagei, vom zweiten Cosplayer, der gehen musste, wurde ständig erzählt, dass er so schrecklich schwitzen würde und die Kamera kroch ihm ins über dem Bauch aufsperrende Hemd. Das Best-Ager-Model muß als Sexy Oma herhalten und man filmt ihr auf den Schlüpfer, die runde Autorin ist das klassische Fatshaming-Ziel, der Fifties-Kleiderschneider aus Brandenburg das unsichere Muttersöhnchen.
Einzig drei jungen Leuten im besten werbezielgruppenkompatiblen Alter zwischen 25 und 35 blieb das bisher weitgehend erspart. Das sind scheinen die Heroes zu sein.
Ich bin gespannt, ob das wirklich so ist.
(Edit: Ja, die Vermutung wurde bestätigt, nur noch die jungen Leute sind im Rennen.)

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Edit eine Woche später:
ok. In der nächsten Folge passiert ein kompletter Wechsel der Tonalität. Wir verlassen jetzt die Zone Spott und Häme und menscheln rum. Plötzlich werden die lang erwarteten kleinen Geschichten erzählt, die Teilnehmer werden emotional nahbar und respektvoll dargestellt. Wir erfahren sogar etwas über Nähtechniken.
Ich gehe nicht davon aus, dass die Postproduktion letzte Woche eine Sonderschicht geschoben und die Sendung umgeschnitten hat. Es ist Entertainment. Erst auf die grobe Tour im üblichen Vox-Stil einprägsame Leute vorführen und nun der Endspurt mit viiiiel Emotion und sogar ein wenig Annäherung an das Originalformat.
Ist das abgefuckt. Es kostet ja nix. Da wird ja nur ein Unternehmensberater als schwitziger verdallerter Depp dargestellt, eine mitten im Leben stehende Mutter, Oma und arbeitende Frau als Sexobjekt und eine erfolgreiche Autorin als inkompetentes Trampel.
Wer sich für das kurzzeitig schon ausgeschriebene Casting für die nächste Staffel bewirbt, weiß, wer nicht normgerecht und jung ist, ist ohnehin nur Kamerafutter für die nächste Hämenummer. (Das vor dem Hintergrund, dass gerade ältere und nicht in Konfektion passende Frauen verdammt gut nähen können und den „Wettbewerb“ auf ein höheres Niveau gebracht hätten.)
Der junge Brandenburger, den ich übrigens interessant und sehr kreativ finde, geht mit dem Banner „möchte ein Modelabel gründen“ – das er schon vor den Dreharbeiten hatte. Das Internet vergisst leider nichts.
Ich weiß gar nicht, warum ich mich so aufrege. Das ist die Erzähltechnik dieser Shows.
Vielleicht, weil ich diesmal auf der anderen Seite stand, weil die Leute diesmal für mich nicht die anonymen Nummern waren, die man durchs Casting schleust. Weil es diesmal nicht um Halbasis ging, für die die Teilnahme in einer Freakshow wahrscheinlich das Erlebnis ihres Lebens ist. Weil es nicht eine Woche Arbeitsaufwand war, wie bei „Das perfekte Diner“, sondern wesentlich mehr Zeit geblockt werden musste. Weil die englische Vorlage so großartig war und ich deshalb hohe Erwartungen hatte. Weil die Atmosphäre unter den Nähnerds so anders ist.

Und das Fazit zum Finale ist ein Rant.

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Drumherum finde ich sehr interessant, dass in den sozialen Medien die Zuschauerinnen sofort auf die Produkte anspringen – „Welche Bügelstation, welche Nähmaschine, welche Stoffe?“
Die Hersteller der Produkte scheinen ob dessen ungerührt und fangen den Impuls nicht auf, sondern spulen ihren Monate vorher festgelegten Social-Media-Plan ab. Oder irre ich mich?
Nächstes Phänomen: Trotz passabler Quoten sind die Facebookseiten zur Sendung nicht sehr frequentiert. Die Zuschauer scheint nicht so wahnsinnig Facebook-affin zu sein. Das hätte ich nicht erwartet.

So, das waren erst einmal jede Menge Spekulationen und Medienkritik Genörgel. In anderthalb Stunden beginnt die nächste Sendung. Ich bin gespannt.

BTW. Nach einem sonntagabendlichen Streitgespräch mit dem Grafen über die Sendung hat er gestern diesen Artikel zum Thema geschrieben.

Weitere Blogposts zur Sendung gibt es von
Muriel in Nahtzugabe 5 cm
Mädchen für alles
Claudine in Holyfruitsalad

*Ausnahme ist Outdoor- und Cosplayausrüstung, da gibt es viele Männer.

** also aus Alt und Doof mach Neu und Schick unter Schonung von Ressourcen

Gehäutet

Mittlerweile verschwimmen die Lebensphasen der Menschen etwas. Wer jeden Tag ein neues weißes Blatt vor sich legen kann, um es zu füllen (oder das zumindest glaubt), hat scheinbar sieben Leben und nicht nur eines aus verschiedenen Reifestadien oder, wie ich gern sage, Häutungen.
Als das Kind und ich auseinander zogen – auf meinen Wunsch übrigens, weil ich mir nicht vorstellen konnte, wie man nach dem Abitur noch freiwillig mit Mama wohnen möchte – fiel ich in ein ziemliches Loch, weil ein ganzer Nähe-, Emotions- und Verantwortungsblock plötzlich aus meinem Leben verschwand, die neue Haut war glänzend, wie neu und sehr empfindlich.
Letzte Woche riss die nächste Haut. „Jetzt hast du das Kind verheiratet“, sagten die Verwandten, ein Schritt der früher tiefgreifende Konsequenzen hatte, trat eine Tochter doch von einem in den anderen familiären Schutz- und Verfügungsbereich. Nichts, was heute noch von Bedeutung ist, aber die Schatten der Tradition sind lang.

Es ist ja nicht unkompliziert, die Familien mit ihren Macken, Marotten und alten internen Grabenkämpfen durch so einen Tag zu bekommen. Wir tüftelten eine knappe Stunde an der Sitzordnung für 20 Leute, wer mit größeren Gesellschaften feiert, kommt ganz schnell auf solche Sitzordnungen. Heute sind die Ost- West-Gräben nicht mehr so tief und selbst die politisch sehr korrekte Sozialarbeiter*innenfraktion musste nicht von potentiellen „Man wird doch wohl noch sagen dürfen!“s separiert werden.
Es gab 14 Tage Intensiv-Kleidungsstreß der Mitmenschen, den ich am Nachmittag vorher dann auch nur noch entnervt abwies, weil es mir zu viel wurde. Ich bekam 2 Tage vorher mal kurz den Anfall „OMG, du kannst doch als Brautmutter nicht mit nem schwarzen 9€ Shirt von Hasi und Mausi und ner Strickjacke zum eisvogelblauen Rock unterwegs sein!“ Der Graf ging mit mir tapfer durch Geschäfte und sponsorte mir eine Seidenweste und eine weite Viskose-Bluse, die ich aber dann doch wegen zu bunt doch nicht trug und die späterer Verwendung zukommen. Aus Kraft- und Gesundheitsgründen hatte ich auf Nähstreß verzichtet, obwohl in meinem Stofflager noch die passende blaugraue Dupionseide für ein Schößchenoberteil lag.
Dann kam der große Morgen, das Kind hatte hier geschlafen, und um halb 8 schlug die Visagistin hier auf, zwei Stunden später stand die Limousine vor der Tür, um eine zarte, in weißen Tüll und Seide gewandete und mit Feinstrahlastern geschmückte Braut mit schwarzen Lederboots an den Füßen abzuholen.
Es war ein schöner Tag. Es sahen sich Menschen aus vielen Lebensphasen wieder – oder trafen sich überhaupt erst mal. Es war warm und herzlich. Die drei Brautväter – er leibliche, der soziale und der Graf – hielten eine Rede, ein 8-Wochen-Baby wurde immer mal schreiend eine Runde getragen und alle strahlten vor sich hin.
Danach war ich zwei Tage platt, ich hatte den schwarzen Hund ja nur mal eine Runde um den Block geschickt, und das junge Paar fuhr nach Usedom.

Hachseufzja… In der Hoffnung, dass das Paar eine lange Zeit zusammen vor sich hat und die neue Haut eine Drachenhaut wird.

Veröffentlicht unter Leben

Nählust statt Shoppingfrust – Buchbesprechung

Selber nähen macht glücklich! sagt Meike Rensch-Bergner in ihrem neuen Buch Nählust statt Shoppingfrust.

Das Buch ist kein reines Näh-Anleitungsbuch, sondern fokussiert das Thema aus einer viel weiteren Perspektive. Es wendet sich nicht nur an Hobbyschneiderinnen, sondern ganz allgemein an Menschen, die das Gefühl haben, den Ansprüchen, die Konfektionskleidung an die Beschaffenheit ihrer Körper stellt, nicht gewachsen zu sein und die sich trotz Massen von Konfektionskleidung aller Preislagen immer schlechter gekleidet fühlen – von Nachhaltigkeit und fairen Geschäftsverhältnissen ganz zu schweigen. Der Ansatz ist, nachzufragen, warum wir eigentlich glauben, unser Körper sei falsch, wenn wir nicht in eine gängige Konfektionsgröße oder in einen von der Mode favorisierten Style passen, weil wir womöglich zu viel oder zu wenig Busen, Taille, Hüfte oder Körpergröße haben.

konfektion

Screenshot von GoFeminin.de

„Nählust statt Shoppingfrust“ beginnt in den Anfangskapiteln die verkehrte Welt, in der Menschen Kleidungsnormen füllen sollen, vom Kopf auf die Füße zu stellen. Weg mit den Schuldgefühlen, nicht richtig zu sein. Weg auch von der Idee, dass Kleidung vermeintliche Makel immer kaschieren muss und jeder Mensch eine Liste für Kleidung, die er nicht tragen sollte, akzeptieren muss.
Denn der Vorschlag von Meike Rensch-Bergner ist es, die Kleidung selbst zu nähen. Mit ans eigene Maß angepasste Sachen, die nicht einer großen Masse von Kunden, sondern einem selbst passen müssen, ist plötzlich viel Spielraum für Passform, Bequemlichkeit und eigenen Stil. Das ist zeitgemäß, denn Maßschneiderei kann sich beim hiesigen Lohnniveau kaum jemand leisten und Maßkonfektion ist nur für Männer mit ihren 5 essentiellen Kleidungsstücken und Grunddesigns ernsthaft machbar.
Rensch-Bergner weist darauf hin, dass allein das Maßnehmen und die Entwicklung eines Schnittes oder die Anpassung eines fertigen Schnittmusters an die individuellen Maße die Möglichkeit bietet, den eigenen Körper so wie er ist, richtig zu erfassen. Der „Kopfkleiderschrank“, der erst einmal alles an Wünsche und Entwürfen erlaubt, was gefällt, ist ein wesentlicher Startpunkt für ihre Einführung in die Hobbyschneiderei.

In den nächsten Kapiteln geht es um praktische Vorbereitungen. – Wie kann ich Schnittmuster beurteilen und wo bekomme ich sie? Welche Stoffe sind empfehlenswert? Welche Nähmaschine und Werkzeuge brauche ich? Und nicht zuletzt: Wie lerne ich nähen? Denn die Zeiten von Handarbeitsunterricht und Unterweisungen durch versierte Mütter und Großmütter sind vorbei.
Das Buch verweist hier immer wieder auf die DIY-Bewegung im Internet, auf Foren, Videoportale und Blogs, in denen viele Tricks, Kniffe und kleine Geheimnisse allen zugänglich gemacht werden und sich eine Anfängerin bald nicht mehr allein fühlt, sondern Verbündete und Orientierung findet. (Die Autorin bloggt selbst seit Jahren unter crafteln.de.)
Natürlich geht „Nählust statt Shoppingfrust“ auch auf Schwierigkeiten und Perfektionsansprüche ein, denn jeder Anfang ist schwer, gerade bei so einem komplexen Handwerk wie dem Nähen. Außerdem widmet sich ein Kapitel den Grundlagen der guten Passform, den Fertigkeiten, die Kleidung individuell komfortabel machen.

Last but not least, der Praxisteil. Die Leserinnen werden Schritt für Schritt durch die Herstellung eines ersten, handwerklich leichten maßgefertigten Kleidungsstückes geleitet. Ohne Konfektionsgrößen und ohne Schnittmusterbogen.
Ein guter Ansatz, auf den Urgrund der Kleidungsherstellung zurückzugehen und Normen, die für die Industrieproduktion hergestellt wurden, erst einmal zu ignorieren, um zu erfahren, was selbst Kleidung nähen ausmacht.

Damit unterscheidet sich Meike Rensch-Bergners Buch wesentlich von vielen anderen Handarbeits-Anleitungsbüchern. Es ist ein leidenschaftliches Manifest, zum eigenen Körper ja zu sagen und sich von Konfektionsfrust und Modegedöns zu entfernen. Und es gibt einen ersten wesentlichen Impuls und viele hilfreiche Informationen, sich in die Gemeinde der Macherinnen schöner eigener Kleidung zu begeben.