Verdammte Heldin

Gestern habe ich etwas gemacht, das ich eigentlich nicht mehr tun wollte, das ist einfach vorbei. Ich habe sieben Stunden Seminar gehalten (und auch noch Premiere), obwohl ich furchtbar erkältet und morgens mit Fieber aufgewacht war. Ich, Fieber! Das kommt alle paar Jahre mal vor, bei meinem Stoffwechsel. Aber es wäre endlos blöde gewesen, abzusagen, zu verschieben, alles wieder neu zu organisieren etc.
So stand ich mit Hilfe von Ephedrin im Aspirin Komplex gepusht vor 17 Leuten und war ganz froh, mit Haltung bewahren etwas von meiner Aufregung abgelenkt zu sein. Zwischendurch war alles ganz unwirklich und meine Stimme dröhnte in meinem rauschenden, leeren Kopf, aber irgendwie muss es gut gewesen sein.
Zumindest hat der Cheffe, der eine Viertelstunde drin war, um kritisch zu schauen, voller Begeisterung Nachschlag geordert.

Ich würde im Februar nächsten Jahres auch alle privaten Interessenten sammeln und mal einen Samstag referieren.

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Narziss und Echo reloaded

Am Donnerstag Abend saß ich bei einer Lesung im Einstein Unter den Linden. Zumindest die Mommy-Bloggerinnen und ihr Publikum sollten Petra van Laak kennen, die ihre Trennung, plötzliches – auch finanzielles – Alleindastehen mit vier Kindern und den Neuanfang in zwei Büchern verarbeitet hat, die (Gott sei Dank!) weder Rosenkrieg-Chronik noch Jammerarie sind, sondern die Schilderung eines harten Weges mit einer Menge Humor. Ich fürchte aber, die Mehrheit lebt und handelt eher wie die viele Diskutantinnen aus diesem Thread: „immer schön aus dem Bauch heraus“ und hat meist nicht ganz so viel Energie, sich selbst am Zopf aus dem Sumpf zu ziehen.
Der Abend war erstaunlich. Das deutsche UN Women-Komitee war mit zwei Frauen im Publikum, dazu Abgesandte weiterer Frauenverbände, Journalistinnen und Menschen aus der Lehre – die Humboldt-Uni ist schließlich nebenan. Berlin Mitte ist nicht nur Hipstertown.

Ich war wie immer die Katze auf dem Schrank. Ich beobachte lieber. Ein Philosoph spulte beim nachfolgenden meet&greet das übliche „Hey, hier, ich! Kuck mal was ich alles mache!“-Männerprogramm ab (und leugnete noch eine halbe Stunde vorher in der Diskussion, dass das männertypisch sei). Die attraktive (mit einem anderen glücklich verheiratete) Dreißigjährige, die ihn mitgebracht hatte, kannte das alles schon und bremste ihn immer mal. Ich bin trainiert darin, Leuten mit hoher Eigendrehung ein gutes Gefühl zu geben und reagierte reflexartig mit positiver Spiegelung, außerdem habe ich selber die große Klappe und mache gern mit bei Klugscheißereien. Nur eine ältere Dame nahm ihn einfach nicht ernst. Das heißt, erst am Schluss. Vorher hatte ich die beiden allein gelassen, als sie entdeckten, sie seien gleich alt und hätten einen ähnlichen Background und viele gleiche Erinnerungen. Es wurde flirty und fast intim, die Körpersprache und der Ton der Frau veränderten sich sichtlich und ich dachte mir: Stör mal nicht. Minuten später stand sie auf, zog den Mantel an und meinte zu mir: „Das ist nix für mich!“ und ging. Hm.
Ich registriere so etwas wie ein Geigerzähler. Ich beobachte und es tickt in mir und zeichnet Kurven. Mit Sechzig scheint das „Mann gibt an und Frau bewundert ihn nachsichtig lächelnd“ nicht mehr so richtig zu funktionieren. Stieg er auf ihren Flirt nicht ein? War sie von der Heißluftproduktion dann doch abgestoßen?

In den Zwanzigern und den späten Fünfzigern scheinen gleichaltrige Männer und Frauen nicht zueinander zu passen. In der frühen Phase können Frauen mit diesen ungelenken Kindsköpfen nichts anfangen und der späten fragen sich Männer, ob sie gerade ihrer Mutter gegenüber stehen. Optisch war das auch so. Sie hochgradig asexuell in Trachten-Loden und hochgeschlossenem, sackförmigen Wollflanell, dazu die klassische praktische graue Kurzhaarfrisur. Das Gesicht und der etwas pummelige Körper viel jünger wirkend als die Großmuttertracht und die Körpersprache. Er zwar zerknittert im Gesicht, aber schlank und dynamisch, in Jeans, Hemd und Sakko, oft overacted und für gefärbte Haare habe ich leider einen Blick, die waren nicht mehr echt. Jetzt mal abgesehen von den ständigen Bemühungen eines Sechzigjährigen, die Aufmerksamkeit und Bewunderung von Frauen zu erwecken, warum wirken viele Frauen nach den Wechseljahren so, als wäre es ein Skandal noch als sexuelles Wesen zu gelten? Das macht mir Angst. Das will ich nicht. Dafür mag ich Sex zu sehr. (Ja, ich bereite mich gerade auf einen langen Artikel über das Altern vor…)

Auch ich entdeckte Gemeinsamkeiten mit dem Philosophen. Wir kennen beide T. Dieser Mensch zieht sich als mattglühende Spur durch die Erinnerungen vieler Leute, die ich traf. Den Philosophen inspirierte er, als dieser noch ein junger, orientierungsloser Maschinenbaustudent war. Er war mein Förderer, als ich die ersten Schritte in der Selbständigkeit machte, ohne Gegenleistungen zu erwarten, einfach in dem Wissen, dass wir im gleichen Studiengang am gleichen Tisch gesessen hatten. Mein Ex-Firmenpartner wußte die Geschichte einer Mittsommernacht zu erzählen, die sie auf den Dächern eines Neubauviertels verbrachten, sich als Giganten fühlend, von Haus zu Haus springend. Irgendwann muss die Geschichte von T. aufgeschrieben werden. Sie wird von manischem Arbeiten, Klarsicht und Ideen, Polyamorie, Bisexualität, einer langjährigen ménage à trois, Geburt und Tod handeln. Eine weitere Geschichte, die erst nach dem Tod der Beteiligten aufgeschrieben werden kann.

Jetzt gibt es einen Perspektivsprung. Wir unterhielten uns über Dummheit. Die Definition des Philosophen lautete: Abwesenheit oder Nichtbenutzung des eigenen Urteilsvermögens. Ich ergänzte: Mangel oder Nichtbenutzung von Reflektionsfähigkeit. Darunter verstehe ich den Prozess, die Welt und ihre Phänomene aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten, ihre Komplexität zu würdigen, das Betrachtete abstrahierend beschreiben können und doch fähig sein, sich von den gefundenen abstrakten Zuschreibungen zu verabschieden, wenn sie der Komplexität nicht Genüge tun. Dumm sind Leute, die es besser wissen müssten, aber nur noch eine einseitige Weltsicht zulassen, warum auch immer und am liebsten mit kleinen Etiketten arbeiten. Da kann „Leitkultur“ draufstehen, „christliche Werte“, „Derailing“ oder „Othering“. Kleine Papperl, die wie Scheuklappen wirken, damit die Pferdchen brav in der Reihe laufen. Nicht mein Spiel, definitiv.

Noch ein Sprung. Es mäandert wieder, wie so oft am Sonntag.
Zwei Texte zu einem Phänomen.
Victoria Hamburg hat darüber geschrieben, wie sie einem Netzfake aufgesessen ist, der Artikel im Neon-Magazin, der die Geschichte auflöst und sachlicher einordnet als eine Betroffene es kann, steckt hinter einer Paywall hier . Nur so viel: Der attraktive, surfende Physiotherapeut, der sich als soziophober Normalo outete, ist in Wirklichkeit eine ziemlich psychopathisch anmutende Frau.
Malte Welding schreibt im Jetzt!-Magazin unter dem Titel „Falsch verbunden“ über einen Mann, der scheinbar die Traumfrau getroffen hat, jetset, schön und reich wie die Ladies in der Raffaelo-Werbung, die sich nach einiger Recherche als ganz normale Hamburger Sekretärin entpuppte.
Ich mag das Fazit von Malte Welding, nicht nur, weil es sich mit meiner Ansicht deckt. Es ist so poetisch, wie wahr.

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5. November

Das war heute einer von den besch…eidenen Tagen.
Ich mache derzeit so eine Art Belastungstest. Das heißt, ich bin dreimal die Woche für ein paar Stunden bei einem Freund, der gerade Hauptsaison hat, als Aushilfe mit von der Partie. Das Ziel, ist, zu schauen
1. Was ich zusammenhängend leisten kann, wenn nicht ich die Sache strukturiere, sondern wenn die Anforderung von außen kommt.
2. Was die Situationen sind, in denen ich Probleme bekomme.
Das ganze dann auch noch im Team und nicht als Alleinkämpferin, so dass ein Ausfall keine Katastrophe ist, mit weniger Verantwortung als sonst und in einem Bereich, den ich nach kurzer Einarbeitung tun kann, weil die Tätigkeit auf langjährig Trainiertem aufbaut.

Daher konnte ich heute lange schlafen, denn ich würde bis 20 Uhr unterwegs sein. Ich tourte langsam hoch. Ein bisschen Zeitungs-, Facebook- und Twitterschau, Kaffee, Joghurt mit Banane, Birne und Datteln, ein paar Mails schreiben…
Danach schnitt ich Kissenbezüge zu und mir fiel ein, dass ich zwei kurze Schreiben noch nicht ausgedruckt hatte. Die konnte ich dann gleich mit zur Post nehmen, die auf dem Weg lag, dabei noch eine Überweisung machen etc. Also schnell die Dokumente fertig machen, was dann doch länger dauerte als gedacht, die letzten Korrekturen machte ich mit dem Laptop im Stehen am Drucker.
Vor dem Losgehen musste ich noch etwas essen, also legte ich mir schon mal die kalte Butter aufs Brot. Oh, die Wäsche war noch nicht aufgehängt! Da schwarze Wäsche so gern zum Müffeln neigt, musste das auch noch passieren. Auf dem Weg zur Waschmaschine schaute ich kurz auf die Uhr. BÄNG! Ich hing gut eine Viertelstunde in der Zeit, musste noch essen, mich umziehen und etwas hübschen. (Eine Zeitplanung, die auf ganz langsam machen aufbaut.)
Nichts, was ich nicht früher mit etwas zacki-zacki und einem Lächeln wieder aufgeholt hätte. Das geht nicht mehr. Alles, was ich aus alter Routine vor mir auftürme, kann mit der kleinen Nachricht: Du musst dich etwas beeilen, sonst kommst du zu spät!, dazu führen, dass ich erstmal paralysiert nach Luft schnappend in der Ecke hocke. Nicht schön. Aber dafür ist diese Übung da. Ich sagte Bescheid, dass ich mich verspäten würde, erledigte die letzten Sachen im normalen Tempo, strich Post und Make-up aus der Liste und machte mich auf den Weg. Eigentlich kein Problem, ich kam nur 10 Minuten später, die ich hinterher anhing. U-Bahn-Fahren ist leicht angeschlagen kein Spaß für mich, aber der Rest vom Nachmittag war seit 15 Jahren bekannte Routine, wenn ich auch absichtlich langsam war.
Um 20 Uhr zurückgekehrt, machte ich mir Karottensuppe warm und den Rest des Abends werde ich fett, faul und breit auf dem Sofa liegen.

Der Artikel gehört zu WMDEDGT, die Teilnehmerinnen beschreiben ihren 5. November.

Nachhilfe für Bastelhasserinnen

Nein, das wir jetzt nicht noch ein Martinslaternen-Bastel-Erfahrungsbericht! Die wahre Heldin ist ohnehin Frau Casino, die lange Zeit DREI! Martinslaternen pro Jahr bastelte.
Ich habe schon vorausschauend konstatiert, dass der Graf sehr gerne und gut bastelt. Das Enkelkind kann also irgendwann kommen und wird nicht von mir versehentlich auf dem Tisch festgeklebt.
Schnitte verändern ist auch ein bisschen wie Laternen basteln. Erst ist alles flächig und hinterher soll es in 3D gut aussehen. In meiner ersten Nähära hatte ich noch eine Taille und dass ich wenig Busen, gerade Schultern und breite Hüften hatte, machte bei diesen Oversized-80er-Schnitten mit Bundfalten gar nichts aus.
Jetzt sieht das anders aus. Mein räumliches Vorstellungsvermögen ist etwas unterbelichtet und so habe ich jetzt ziemlich alles durch, was Änderungstricks angeht und wurde meiner Klimakteriumsfigur (an der sich in den nächsten Jahren nicht grundlegend etwas ändern wird, auch mit Sport nicht, wenn ich mir meine Vorfahrinnen so ansehe) trotzdem nicht gerecht. Nachdem ich eine ganze Zeit alles an der Oberweite aufgehangen hatte  – was bei Hängerkleidern durchaus geht – aber damit ein Oberteil bekam, das an den Armen, Schultern und am Rücken viel zu weit war, kapiere ich langsam, dass es um ganz andere Stellen geht.

  1. Genau im voraus schauen, was für einen BH ich unter einem Teil tragen werde. Das ist je nach Polsterung ein Unterschied von fast 10 cm Oberweite und der Brustpunkt sitzt auch mal 5 cm höher oder tiefer. Falls das Kleid Dekolleté hat, muss ich auch an der Büstenkonstruktion basteln. Bei einem Formschnitt ist es dann die D-Körbchen-Variante mit nach oben verschobenem Brustpunkt. Bei einem eng anliegenden Normalschnitt, egal mit welchem BH, wäre immer eine kleine FBA* nicht schlecht.
  2. Auch wenn ichs nicht gerne höre und es deshalb immer auf anderes geschoben habe: „Vortritt“ heißt das in vornehmem Maßschneiderdeutsch. Oder zu gut deutsch: Den Bauch einplanen.** Wenn man das einmal durchexerziert hat, ist das ähnlich wie mit der FBA, ich danach weiß hoffentlich, wo zugegeben und weggelassen wird, außer die Schnitteile sind zu exotisch konstruiert.
    Was Schnitte angeht, kann man auf der Website von Anna Scholz (deren Zielgruppe nicht umsonst dicke und modebewußte Engländerinnen sind) ganz gut sehen, wo sie Taillen und Teilungsnähte hinsetzt, wo es weit und wo eng ist und wie die wirklich dicken Models damit aussehen.
    Vielleicht hilft mir eine Konsultation bei einer befreundeten Schneiderin sogar besser als ein Schnittkurs.
  3. Schneiderpuppe bauen. Steht auf der To-Do-Liste.
  4. Von ein paar Sachen verabschieden. Hm, will ich einfach nicht. Ich bin fest entschlossen, eine unwürdige Alte zu werden. Dafür muß ich heute schon die Weichen stellen.

*Für Nicht-Näh-Nerds: Full Bust Alteration
**Hat mich da jemand fett genannt?

 

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