Vigil 23

Zurückgekehrt. Die Ostsee habe ich zwischen Donnerstag und Sonntag nachmittag zweimal für fünf Minuten gesehen, obwohl sie nur eine Viertelstunde entfernt lag.
Den Rest der Zeit verbrachte ich in einem ehemaligen Reitstall mit vielen Nähnerds und ihren Nähmaschinen. Manche hatten sogar drei davon mitgebracht.
Nähen und plaudern macht Spaß und dabei lernen und anderen auf die Finger schauen noch mehr. Ich weiß jetzt, wie ich nahtverdeckte Reißverschlüsse mache und mein Kleid wurde liebevoll angepasst. Wenn ich auch sonst bei vielen Leuten eher Panik bekomme, da funktionierte es.
Das Ergebnis war mein Weihnachtskleid, dessen Nessel-Probeschnitt ich im Dezember wegen Paßformproblemen in die Ecke geworfen hatte. Oben am Ausschnitt gibt es noch mal Feintuning, die dicken, dominanten Samtblenden gefallen mir nicht. Aber sonst bin ich recht zufrieden.

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Foto: http://www.vigeliensch.blogspot.de/

Zum Menschen- und Näherlebnis kam ein barockes Schloß und authentisches deutsches Jugendherbergs-Essen: Kittwurst, Margarine, Früchtetee. Ich schätze es sehr, mitunter auf Eßgewohnheiten früherer Zeiten und Lebensumstände zurückzugehen. Einfach, um zu spüren, was man hat. Deshalb sind Nudeln mit Ketchup, Armeleuteessen oder Jugendherbergs-Aufschnitt-Teller wichtig.

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Vigil 18

Wenn man täglich bloggt, scheint es, als passierten einem automatisch diese sonderbaren Begegnungen im Supermarkt.

Ich gehe im Rewe am Tchibo-Stand vorbei. Ich kaufe selten etwas von Tchibo, aber schaue ganz gern, was es gibt. Heute gab es Kuchenbleche to go – ein mittelgroßes Kuchenblech mit einem Deckel und Henkeln zum Tragen.  So was fasziniert mich immer sehr, aber im Küchenschrank steht auch schon eine Sandwichtragebox mit Kühlung, die ich in fünf Jahren einmal benutzt habe. Ich wog das Henkelkuchenblech in der Hand und dachte bei mir: Wenn es unter 10€ kosten würde… (kostet es sowieso nicht). Aber es stand kein Preis dran, denn eine Frau war damit beschäftigt, die Regale aus- und wieder einzuräumen, das Wochenangebot wechselte grade. Ich stand ihr im Weg, was sie mir fuchtelnd signalisierte und ich fragte nach, ihr über Kisten steigend ausweichend.

Ickeso: Was ist denn da der Preis?

Sieso: Da müssen Sie in das Heft da (zeigt auf einen leeren Prospektständer) schauen, aber das ist alle.

Ickeso: Aber Sie müssen sowieso einen Preis ans Regal machen. Was kostet es denn?

Sieso: Da müssen Sie ins Heft schauen.

Ickeso: Der Preis steht im allgemeinen am Regal.

Sieso: Holen Sie sich jede Woche ein Heft, dann kennen Sie die Preise. Ich muss hier einräumen und Sie stehen mir im Weg.

Ich hatte kurz eine theatralische Szene im Kopf, in der ich den Marktleiter herbeizitiere, um ihn zu fragen, ob so blöde Antworten der neueste heiße Scheiß für die Kundenbindung seien. Aber dann kapitulierte ich konfliktscheu. Ich hatte auch nichts getan, als vor Weihnachten im Kaufland ein Regaleinräumer die Lindt-Pralinen-Packungen im Dutzend krachend auf die Erde schmiss, um sie anschließend wieder anders einzuräumen, damit die Kunden sie besser kaufen können.
Außerdem sah die Frau gar nicht nach den Leuten der Einräumer-Subunternehmerfirma, mit der der Laden Tarifbindungen umgeht, aus, sondern eher nach einer Art Vertreterin.
In meinem Kopf lief ein Film ab. Verarmte Designerin muss, um nicht ins Berliner Prekariat zu fallen, Tchibo-Regale einräumen und hasst diese scheußlich gestalteten Dinge. Oder so.
Wäre ich ein Mann, hätte dies der Anfang einer romantischen Komödie sein können.

Ich stellte das Henkel-Kuchenblech wieder zurück, murmelte: Das ist mir zu blöd!, und ging.

Sieso (hinter mir her): An der Kasse hätten sie es auch erfahren!

Vigil 16

Am Sonntag Abend gab es einen Polizeiruf aus dem Jahr 1977. Nichts Besonderes, eher Ware von der Stange.
Ich fand den Polizeiruf als Kind und Jugendliche pottlangweilig. Ich las alle Krimis, die ich bekommen konnte und die braven Fernseh-Geschichten über Eierdiebe und Trickbetrüger fand ich lame. Wenn es schon mal eine Leiche gab, war das meist ein Unfall.
Ich schaue mir die Filme heute sehr gern an. Zu einen, weil mir immer wieder ins Gedächtnis rufen will, wie das Leben war, wie es aussah und zum anderen, weil die Erzählweise mit Kultur und Gesellschaft korrespondierte.
Das Konzept der Reihe ist ohnehin nicht „whodunit?“. Täter und Tat sind meist bekannt. Da die Ermittler als Vertreter der Staatsmacht uninteressant zu erzählen sind (authentisches Privatleben, Ambivalenz und Differenziertheit von Figuren nicht möglich), ist das Hauptaugenmerk auf dem Täter und dessen Verstrickung oder Zufallsbegegnung mit dem Opfer. Gesellschaftskritik ist natürlich obsolet und nur versteckt möglich. Die Meta-Erzählung ist: Verbrechen muss nicht sein, es ist das Werk von Gestrauchelten und Verirrten. Denn diese Gesellschaft bietet jede Entwicklungsmöglichkeit und lässt den neuen Menschen wachsen.

„Des Alleinsseins müde“ hat eine grandiose bildhafte Szene, die Herkunft des Täters beschreibt (eine klassische Szene der Reihe – die Schau auf die Wurzeln). Der Vater ist Fischer, im Nebel, zwischen Netzen und vereistem See hantiert ein knorriger Mann mit Fischen und fragt sich, warum sein Sohn so anders ist. Alles andere ist bildlich und von den Spielsituationen nicht sooo interessant, das gibt es bessere Folgen. Durch die ganze Folge zieht sich ein trockener Ton, fast ein Brechtscher Verfremdungseffekt. Die Figuren werden von den Schauspielern vorgeführt, prototypisch gehalten, nicht gelebt. Ich habe Rolf Ludwig schon ganz anders erlebt, hier bleibt er ganz distanziert und spielt einen Heiratsschwindler, den sein Job sichtlich nervt und anstrengt. Die Frauen sind Typen: kränkliches Seelchen, dralle Naive, weltfremde Intellektuelle, auch hier wird vorgeführt.

Ich hatte wieder meine Deja vues. Was in den 80ern die psychdelischen Tapetenmuster waren (einmal zählte ich insgesamt 20 Stück in einem Film), ist in den 70ern unverhohlen aufgenommene Schutthaufen, beulige Straßen mit tiefen Schlammpfützen und rußschwarze Häuser. Die Interieurs und Kostüme sahen zwar nach DDR aus, waren aber für normale Leute unerschwinglich oder nicht zu bekommen. Wenn heute im Film die Erzieherin in einem riesigen Loft wohnt, das sie sich im wahren Leben nie leisten könnte, war das damals nicht anders.

Vigil 15

An kalten Tagen braucht die Seele Futter. Ich esse dann das osteuropäische Pendant zu Porridge, Buchweizengrütze oder ukrainisch Гречана каша. Davon bekamen die Soldaten in den Kasernen der ruhmreichen Sowjetarmee jeden Morgen eine Schüssel voll und wahrscheinlich hatten sie damit auch den zweiten Weltkrieg gewonnen.
Ich bevorzuge aber die verweichlichte Variante mit Milch und Zimtzucker.
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Wichtig ist, den Buchweizen zuerst kurz mit Wasser zu kochen, bis der rote Farbstoff gelöst ist, der Bauchschmerzen und andere Ungemach bereitet. Das rotbraune Kochwasser wegschütten und die Körner abspülen und dann wieder mit Milch aufgießen, nicht ganz doppelt so viel, wie Buchweizen im Topf ist. (Oder aber dafür sorgen, das die Körner immer mit Milch bedeckt sind.) Ein bisschen Butter verhindert, dass die Milch überkocht, ein Löffelchen Vanillezucker und etwas Salz sind auch nicht verkehrt. Dann muss das Ganze eine Viertelstunde bis zwanzig Minuten auf unterer Stufe kochen und anschließend noch ein paar Minuten stehen.
Das dauert, das ist Slow Food, das sich fürs Wochenende oder das Homeoffice eignet, aber die Geduld lohnt sich. Und wer Eisenmangel hat, tut sich etwas Gutes. Buchweizen ist sehr eisenhaltig.